Leitsatz (redaktionell)
Wenn das Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung enthält, ist damit ausgesprochen, daß das Rechtsmittel nicht zugelassen wird.
Beruht die Nichtzulassung des Rechtsmittels auf einem Irrtum, dann ist der Fehler ein Fehler bei der Urteilsfindung selbst und kein Mangel des zum Urteil hinführenden Verfahrens des SG.
Normenkette
SGG § 150 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 27. Juni 1963 wird aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Februar 1962 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die klagende Krankenkasse verlangt von der beklagten Berufsgenossenschaft Erstattung der Kosten, die sie für eine stationäre Krankenhausbehandlung aufgewandt hat. Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Eine technische Angestellte, die in einem der beklagten Berufsgenossenschaft als Mitglied angehörenden Unternehmen beschäftigt war, stürzte am Morgen des 14. Dezember 1959 auf dem Weg zur Arbeit infolge Straßenglätte mit dem Fahrrad und zog sich einen Knöchelbruch zu. Der als Durchgangsarzt tätige Facharzt für Chirurgie Dr. W wies die Verletzte in die von ihm geleitete Klinik in H ein. Dort wurde die Verletzte bis zum 31. Dezember 1959 stationär behandelt. Anschließend war sie bis zum 20. März 1960 arbeitsunfähig und bezog von der klagenden Krankenkasse Krankengeld.
Die Krankenkasse machte gegenüber der Berufsgenossenschaft einen Erstattungsanspruch von insgesamt 814,80 DM geltend. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:
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a) |
Kosten der stationären Behandlung vom 14. bis 31. Dezember 1959 |
= 378,- DM |
b) |
Krankengeld für die Zeit vom 29. Januar bis 20. März 1960 |
= 436,80 DM. |
Die Berufsgenossenschaft überwies der Krankenkasse 436,80 DM und lehnte die Erstattung der Kosten der stationären Behandlung unter Bezugnahme auf § 6 der Bestimmungen des Reichsversicherungsamtes (RVA) vom 19. Juni 1936 (AN 1936, 195) mit der Begründung ab, daß die Klinik in H nicht zu den zum berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren zugelassenen Heilanstalten gehöre und der Durchgangsarzt deshalb nicht berechtigt gewesen sei, die Verletzte in diese Klinik einzuweisen.
Die Krankenkasse hat beim Sozialgericht (SG) Hamburg Klage auf Zahlung von 378,- DM erhoben. Diese Forderung hat sie im Laufe des Verfahrens auf 351,- DM ermäßig. Das beruht auf der Erwägung, daß die Krankenkasse bei einer durch den Träger der Unfallversicherung (UV) gewährten geschlossenen Behandlung verpflichtet gewesen sei, dem Träger der UV während der ersten 45 Tage nach dem Unfall einen Pauschbetrag von 1,50 DM täglich zu erstatten (§ 19 der Bestimmungen des RVA). Das SG Hamburg hat die Klage durch Urteil vom 23. Februar 1962 abgewiesen. Das Urteil enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Berufung. Die vorgedruckte Rechtsmittelbelehrung auf der Rückseite des für das erste Blatt des Urteils verwendeten Vordruckes beginnt mit dem Satz: "Gegen dieses Urteil kann gemäß §§ 143 ff SGG Berufung ... eingelegt werden."
Gegen das Urteil des SG hat die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Hamburg eingelegt. Die Beklagte hat beantragt, diese Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem LSG am 27. Juni 1963 enthält u.a. folgende Angaben: "Der Bevollmächtigte der Klägerin erklärt: ... Ich rüge hiermit Verfahrensmangel im ersten Rechtszuge. Das Sozialgericht hat nicht über die Zulässigkeit der Berufung entschieden. Dies stellt nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. September 1961 - 4 RJ 85/59 - einen wesentlichen Verfahrensmangel dar."
Das LSG hat durch Urteil vom 27. Juni 1963 das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin 351,- DM zu zahlen, sowie die Revision zugelassen.
Das LSG hat die Berufung für zulässig gehalten und zur Begründung ausgeführt:
"Zur Frage der Zulässigkeit der Berufung hat die Beklagte auf § 149 SGG hingewiesen, wonach die Berufung kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, weil der Beschwerdewert 500,- DM nicht übersteigt. Die Klägerin hat aber gemäß § 150 Nr. 2 SGG zu Recht einen Verfahrensmangel gerügt, so daß die Berufung aus diesem Grunde zulässig ist.
Der Verfahrensmangel besteht darin, daß das erstinstanzliche Gericht keine Entscheidung über die Zulassung der Berufung getroffen hat. Mit dieser Feststellung folgt der erkennende Senat dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. September 1961 - Az.: 4 RJ 85/59 -. Da die Berufung im vorliegenden Fall kraft Gesetzes ausgeschlossen war, mußte das erstinstanzliche Gericht notwendig beraten und beschließen, ob die Berufung durch eine besondere Entscheidung des Gerichtes nicht doch noch zugelassen und über diesen Weg zulässig gemacht werden sollte. Daß eine dahingehende Entscheidung nicht getroffen worden ist, ergibt sich daraus, daß im Urteilstenor und in den Gründen des angefochtenen Urteils nichts zur Frage der Zulassung der Berufung gesagt wird. Diese Frage konnte auch deshalb gar nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung sein, weil die Rechtsmittelbelehrung davon ausgeht, daß die Berufung bereits kraft Gesetzes zulässig sei. Der hierin liegende Irrtum mußte weitere Erwägungen ausschließen, sich mit einer etwaigen Zulassung der Berufung überhaupt noch zu befassen. Die Umstände des vorliegenden Falles lassen somit keinen anderen Schluß zu, als daß die hier notwendig zu treffende Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts über Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung fehlt. Dieser Verfahrensmangel ist nach den Ausführungen des Bundessozialgerichts in dem erwähnten Urteil auch "wesentlich", weil das erstinstanzliche Gericht verabsäumt hat, im Falle der Zulassung oder Nichtzulassung den jeweils zuständigen gesetzlichen Richter eindeutig zu bestimmen. Das Bundessozialgericht hat zwar mehrfach dahin entschieden, daß eine fehlerhafte Nichtzulassung keinen wesentlichen Verfahrensmangel darstellt (zu vergleichen BSG Urteile vom 1. März 1956 - 4 RJ 156/54 -; 30. August 1956 - 8 RV 307/54 -; 20. Februar 1957 - 3 RK 29/55 -; 14. Mai 1957 - 10 RV 515/55 -). Im vorliegenden Fall aber handelt es sich nicht darum, daß eine Entscheidung in der Frage der Zulassung fehlerhaft ist, sondern darum, daß eine solche Entscheidung, obwohl sie notwendig hätte getroffen werden müssen, überhaupt fehlt."
Das Urteil des LSG ist der Beklagten am 18. Juli 1963 zugestellt worden. Sie hat dagegen am 9. August 1963 durch Telegramm und am 15. August 1963 durch einen Schriftsatz Revision eingelegt und die Revision am 18. September 1963 begründet. Sie beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hamburg als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise:
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen,
oder
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
1.) Den Antrag der Revisionsklägerin, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 23. Februar 1962 als unzulässig zu verwerfen, zurückzuweisen;
2.) den hilfsweise gestellten Antrag der Revisionsklägerin, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hamburg vom 23. Februar 1962 zurückzuweisen, abzulehnen;
3.) den äußerst hilfsweise gestellten Antrag, das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen, abzulehnen;
4.) die von der Klägerin eingelegte Berufung gegen das Urteil des SG Hamburg vom 23. Februar 1962 für zulässig zu erklären;
5.) die Revision gegen das Urteil des LSG Hamburg vom 27. Juni 1963 als unbegründet zurückzuweisen.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig. Im Ergebnis hatte sie auch Erfolg.
Bevor das Revisionsgericht aufgrund der zulässigen Revision das angefochtene Urteil unter sachlich-rechtlichen Gesichtspunkten prüft, muß es - von Amts wegen - prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, von denen die Rechtswirksamkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt. Hierzu gehört als unverzichtbare Prozeßvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Berufungsgerichts die Zulässigkeit der Berufung (vgl. BSG 2, 225, 226 mit weiteren Nachweisen; auch BSG 1, 227, 230).
Das LSG hat die Zulässigkeit der Berufung geprüft und mit ausführlicher Begründung bejaht. Es hat nicht verkannt, daß das Urteil des SG Hamburg vom 23. Februar 1962 weder im Entscheidungssatz (Tenor) noch im Tatbestand oder den Entscheidungsgründen einen Ausspruch über die Zulassung der Berufung enthält und daß der erste Satz der - vorgedruckten - "Rechtsmittelbelehrung" ("Gegen dieses Urteil kann gemäß §§ 143 ff SGG Berufung ... eingelegt werden") nicht als Zulassung der Berufung ausgelegt werden kann (vgl. hierzu BSG 2, 121, 125; 4, 261, 263). Auch die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem SG ergibt keinen Anhalt dafür, daß ein Ausspruch über die Zulassung der Berufung verkündet worden ist.
Der Zulässigkeit der Berufung stand aber, wie das LSG ebenfalls nicht verkannt hat, der Ausschließungsgrund des § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entgegen, da die klagende Krankenkasse mit der Berufung einen 500,- DM nicht übersteigenden Erstattungsanspruch geltend gemacht hat. Das LSG hat nicht verkannt, daß infolgedessen die Zulässigkeit der Berufung davon abhängt, ob die Klägerin (Berufungsklägerin) einen wesentlichen Mangel des Verfahrens des SG gerügt hat (§ 150 Nr. 2 SGG).
Das hat das LSG bejaht. Es hat als erwiesen angesehen (vgl. § 163 SGG), das SG habe die Frage der Zulassung der Berufung nicht zum Gegenstand einer Entscheidung gemacht, weil es angenommen habe, daß die Berufung bereits kraft Gesetzes zulässig sei. Es ist der Auffassung: daß infolge dieses Irrtums eine Entscheidung des Gerichts über die Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung fehle, sei ein wesentlicher Mangel im Verfahren des SG, der, da er von der Klägerin gerügt sei, die Berufung zulässig mache.
Für diese Auffassung hat sich das LSG - an sich zutreffend - auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 28. September 1961 (SozR Nr. 31 zu § 150 SGG) berufen. Der 4. Senat hat aber diese Auffassung inzwischen aufgegeben (Urteil vom 12. September 1963, SozR Nr. 40 zu § 150 SGG), nachdem er schon vorher erklärt hatte, daß er an ihr nicht festhalte, so daß der 7. Senat und der 5. Senat von der Entscheidung des 4. Senats abweichen konnten, ohne den Großen Senat anrufen zu müssen (vgl. SozR Nr. 38 u. Nr. 39 zu § 150 SGG). Auch der erkennende Senat hat bereits - in einem die Revision betreffenden Fall - entschieden, daß keine das Verfahren des Gerichts betreffenden Mängel vorliegen, wenn die Nichtzulassung des Rechtsmittels auf einem Irrtum beruht (SozR Nr. 112 zu § 162 SGG). In dem - nicht veröffentlichten - Urteil vom 25. Juni 1964 - 2 RU 196/63 - hat sich der erkennende Senat auch für die Berufung ausdrücklich den Entscheidungen des 4., 5. und 7. Senats angeschlossen und diese Auffassung in dem die Revision betreffenden Urteil vom 31. Januar 1967 - 2 RU 63/63 -, das zur Veröffentlichung vorgesehen ist, bestätigt.
Das Fehlen eines Ausspruchs über die Zulassung oder Nichtzulassung der Berufung hat nicht etwa - wie das LSG offenbar annimmt - zur Folge, daß insoweit eine Entscheidung des Gerichts noch fehlt. Vielmehr ist, wenn das Urteil keinen Ausspruch über die Zulassung enthält, damit ausgesprochen, daß das Rechtsmittel nicht zugelassen wird (vgl. BGHZ 44, 395, 397; auch BArbG in AP ZPO § 319 Nr. 4 am Ende). Es liegt also auch in einem solchen Fall eine Entscheidung des Gerichts über die Zulassung vor, und wenn diese Entscheidung auf falschen oder unzureichenden Erwägungen beruht - im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des LSG auf einem Irrtum über die Zulässigkeit der Berufung -, dann hat das SG zwar die Pflichten, die ihm durch die verfahrensrechtliche Vorschrift des § 150 Nr. 1 SGG auferlegt sind, nicht ausreichend erfüllt; die Entscheidung über die Zulassung ist möglicherweise unrichtig. Der Fehler ist aber dann ein Fehler bei der Urteilsfindung selbst und kein Mangel des zum Urteil hinführenden Verfahrens des SG.
Da somit der von der Klägerin im Berufungsverfahren gerügte Fehler kein Mangel im Verfahren des SG ist, war die Rüge nicht geeignet, die Berufung nach § 150 Nr. 2 SGG statthaft zu machen; die Berufung gegen das Urteil des SG war vielmehr nicht statthaft. Das LSG hätte auf die Berufung nicht in der Sache selbst entscheiden dürfen, sondern die Berufung als unzulässig verwerfen müssen (§ 158 SGG).
Der Senat hat deshalb auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Hamburg vom 23. Februar 1962 als unzulässig verworfen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen