Leitsatz (amtlich)
1. Nach RVO § 1267 Abs 1 Nr 5a aF sind diejenigen Versicherten geschützt, welche zum Kreis der arbeitsfähigen, arbeitswilligen, unfreiwillig arbeitslosen - dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden - Arbeitnehmer gehören.
2. Der demnach im Rahmen des RVO § 1267 Abs 1 Nr 5a aF erforderliche Nachweis, daß ein Versicherter dem Arbeitsmarkt subjektiv zur Verfügung gestanden hat, kann auch dann als erbracht angesehen werden, wenn der Versicherte sich, ohne sich beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender zu melden, selbst ernstlich um einen Arbeitsplatz bemüht hat.
Normenkette
RVO § 1267 Abs. 1 Nr. 5a Fassung: 1937-12-21
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Juni 1956 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die im Jahre 1887 geborene Klägerin hat in der Zeit von 1908 bis 1936 insgesamt 559 Beitragswochen zurückgelegt. Später war sie noch im Haushalt eines Rentners tätig; als Entgelt erhielt sie ein Zimmer mietfrei zur Verfügung gestellt; Beiträge zur Invalidenversicherung wurden nicht mehr entrichtet. Die Klägerin bemühte sich mehrfach; u.a. auch im Jahre 1949, um eine bezahlte Stelle als Haushälterin; diese Versuche schlugen jedoch fehl. Vom 15. bis zum 31. Januar 1949 und vom 1. Juli 1949 bis zum 31. März 1950 erhielt sie Fürsorgeunterstützung und arbeitete hierfür an drei Tagen wöchentlich in der Nähstube der Sozialbehörde. Obwohl sie arbeitsfähig und arbeitswillig war, wurde sie nicht dem Arbeitsamt überwiesen; nach einem zwischen Arbeitsamt und Sozialamt in Hamburg getroffenen Abkommen wurden die mehr als 50 Jahre alten arbeitslosen Frauen, falls sie während der vorhergehenden drei Jahre nicht mindestens zwölf Monate versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hatten, nicht dem Arbeitsamt überwiesen, sondern vom Sozialamt betreut, weil damals kaum eine Möglichkeit bestand, Frauen dieses Alters Arbeit nachzuweisen. Als dieses Abkommen später aufgehoben wurde, überwies das Sozialamt die Klägerin vom 1. April 1950 an dem Arbeitsamt. Seit dieser Zeit erhielt sie Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu).
Am 29. November 1952 stellte die Klägerin Antrag auf Gewährung der Invalidenrente. Die Beklagte lehnte diesen Antrag ab, weil die Anwartschaft aus den entrichteten Beiträgen erloschen sei, da für das Jahr 1949 keine Beiträge entrichtet worden seien und die Halbdeckung nicht erreicht sei. Auf die hiergegen erhobene Klage verurteilte das Sozialgericht die Beklagte dem Grunde nach, der Klägerin Invalidenrente ab 1. Dezember 1952 zu zahlen. Da die Klägerin bereits seit 1949 invalide sei, sei die Anwartschaft nach § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes (SVAG) erhalten.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht durch Urteil vom 14. Juni 1956 zurück; es ließ die Revision zu. Das Landessozialgericht hielt die Voraussetzungen der Invalidenrente für vorliegend. Die Klägerin sei seit 1951 invalide, die Wartezeit sei erfüllt und die Anwartschaft erhalten. Bis zum 31. Dezember 1948 sei die Anwartschaft nach § 4 Abs. 2 SVAG erhalten. In den Jahren 1949 und 1950 seien zwar keine Beiträge entrichtet worden, es seien aber in beiden Jahren für mehr als 26 Wochen Ersatzzeiten nach § 1267 Abs. 1 Nr. 5a der Reichsversicherungsordnung (RVO) (a.F.) nachgewiesen. Im Jahre 1949 habe die Klägerin für mehr als 26 Wochen als Arbeitslose Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge und im Jahre 1950 für mehr als 26 Wochen als Arbeitslose Alfu erhalten. Sie sei sowohl 1949 als auch 1950 arbeitslos, arbeitsfähig und arbeitswillig gewesen und habe dem Arbeitsmarkt objektiv und subjektiv zur Verfügung gestanden. Zwar habe sie sich im Jahre 1949 nicht bei dem Arbeitsamt als Arbeitsuchende gemeldet. Diese Meldung sei aber nur deshalb unterblieben, weil die Sozialbehörde sie auf Grund des allgemeinen Abkommens zwischen Sozialbehörde und Arbeitsamt nicht dem Arbeitsamt überwiesen habe. Da die Verhältnisse der Klägerin sich bis zum Ende des Jahres 1950 nicht geändert hätten, sie im Jahre 1950 aber unzweifelhaft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe, müsse angenommen werden, daß dies auch im Jahre 1949 der Fall gewesen sei, zumal sie sich auch selbst, wenn auch vergebens, mehrfach um eine bezahlte Stelle als Haushälterin bemüht habe.
Gegen dieses ihr am 14. Juli 1956 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 8. August 1956 Revision eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11. September 1956 am 12. September 1956 begründet. Sie rügt, das Landessozialgericht habe § 1267 Abs. 1 Nr. 5a RVO unrichtig ausgelegt. Die Klägerin habe entgegen der Ansicht des Landessozialgerichts im Jahre 1949 die Fürsorgeunterstützung nicht als Arbeitslose erhalten, da sie während dieser Zeit dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe. Außerdem hätte das Landessozialgericht auch gegen seine Amtsermittlungspflicht verstoßen; es hätte klären müssen, ob die Sozialbehörde der Klägerin nicht lediglich freigestellt habe, sich beim Arbeitsamt zu melden. Wenn dies zutreffe, würde aus der Tatsache, daß sich die Klägerin trotzdem nicht gemeldet habe, zu schließen sein, daß sie dem Arbeitsmarkt tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden habe.
Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Juni 1956 und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Januar 1955 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise, die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Klägerin hat keine Stellung genommen und keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist statthaft, weil das Landessozialgericht sie zugelassen hat. Es mußte ihr jedoch der Erfolg versagt bleiben.
Zu Recht hat das Landessozialgericht den Anspruch der Klägerin auf Invalidenrente anerkannt. Die Voraussetzungen des § 1253 Abs. 1 RVO a.F. sind erfüllt. Die Klägerin ist nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landessozialgerichts seit 1951 dauernd invalide. Die Wartezeit ist nach § 1262 RVO a.F. erfüllt, da die Klägerin 559 Beitragswochen zurückgelegt hat. Die Anwartschaft ist aus allen bis zum 31. Dezember 1948 entrichteten Beiträgen nach § 4 Abs. 2 SVAG bis zu diesem Tage erhalten, da der Versicherungsfall nicht vor dem 1. Januar 1949 eingetreten ist und bis zum 30. November 1948 für die Zeit nach dem 31. Dezember 1923 Beiträge entrichtet worden sind. Für die folgende Zeit bis zum Eintritt des Versicherungsfalles ist die Anwartschaft nach § 1264 RVO a.F. in Verbindung mit § 1267 Abs. 1 Nr. 5a RVO a.F. erhalten. Für die Jahre 1949 und 1950 sind mindestens für je 26 Wochen Ersatzzeiten nachgewiesen. Im Jahre 1949 hat die Klägerin für mehr als 26 Wochen Unterstützung aus der öffentlichen Fürsorge erhalten. Ohne Rechtsirrtum hat das Berufungsgericht entschieden, daß sie diese als Arbeitslose im Sinne des § 1267 Abs. 1 Nr. 5a RVO a.F. erhalten hat. Der Schutz dieser Vorschrift kommt denjenigen Empfängern öffentlicher Fürsorge zugute, die zum Kreis der arbeitsfähigen, arbeitswilligen, unfreiwillig arbeitslosen - dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden - Arbeitnehmer gehören. Obwohl der Wortlaut der Vorschrift insofern nicht ganz eindeutig ist, als er darauf hinzuzielen scheint, daß alle aus der öffentlichen Fürsorge unterhaltenen Arbeitslosen geschützt seien, ergibt sich doch aus der Gleichstellung der von der öffentlichen Fürsorge betreuten mit den von der Arbeitsbehörde betreuten Arbeitslosen in § 1267 Abs. 1 Nr. 5a RVO a.F., daß der Gesetzgeber den Kreis der geschützten Personen in beiden Fällen grundsätzlich gleichweit gefaßt sehen wollte. Geschützt sind also von den durch die öffentliche Fürsorge betreuten Arbeitslosen nur diejenigen, bei denen wegen Vorliegens besonderer Gründe (z.B. wegen Nichterfüllung versicherungsrechtlicher Voraussetzungen) ausnahmsweise kein Anspruch gegen die Arbeitsbehörden besteht und die deshalb von der öffentlichen Fürsorge betreut werden. Maßgebend für die grundsätzliche Abgrenzung des Kreises der geschützten Personen ist auch in diesen Fällen das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, hier in der Fassung der Verordnung Nr. 111 der Militärregierung über Arbeitslosenversicherung und Kurzarbeiterunterstützung (ArbBl. für die britische Zone 1947 S. 382) (AVAVG). Diese Auslegung des § 1267 Abs. 1 Nr. 5a RVO a.F. 3. Alternative entspricht der Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts [Entscheidung Nr. 4905, AN. 35, 311]. Der erkennende Senat sah keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
Die Klägerin gehört zu dem Kreis der hiernach geschützten Personen. Sie pflegt ihren Unterhalt durch abhängige Arbeit zu erwerben. Im Jahre 1949 war sie unfreiwillig arbeitslos. Sie führte zwar dem Rentner B. den Haushalt, erhielt aber für diese Beschäftigung lediglich ein Zimmer mietfrei zur Verfügung gestellt, so daß es sich nur um eine geringfügige Beschäftigung im Sinne des § 75 AVAVG a.F. handelte, welche nach § 87 Abs. 3 a.a.O. der Annahme von Arbeitslosigkeit nicht entgegensteht. Die Klägerin war auch arbeitsfähig, d.h. in der Lage, das gesetzliche Lohndrittel auf dem allgemeinen Arbeitsfeld zu verdienen (§ 88 a.a.O.), wie das Landessozialgericht festgestellt hat. Aus dem Umstand, daß sie sich im Jahre 1949 um eine bezahlte Haushälterinnenstelle bemüht hat, muß weiter geschlossen werden, daß sie arbeitswillig war und daß sie dem Arbeitsmarkt subjektiv zur Verfügung stand. Zwar hat sie sich im Jahre 1949 nicht beim Arbeitsamt gemeldet. Wenn der Nachweis, daß ein Versicherter dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, auch in der Regel dadurch zu erbringen ist, daß er sich beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender meldet, so kann dieser Nachweis im Rahmen des § 1267 Abs. 1 Nr. 5a RVO a.F. doch auch auf andere Weise erbracht werden. Hier jedenfalls muß aus dem Umstand, daß sich die Klägerin im Jahre 1949 um eine bezahlte Haushälterinnenstelle bemüht hat, dieser Nachweis als erbracht angesehen werden. Auch objektiv hat sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden; die Beschäftigung bei dem Rentner B. hinderte sie nicht an der Aufnahme einer bezahlten Haushälterinnenstelle.
Bei dieser Sachlage kam es auf die Auslegung des zwischen Arbeitsamt und Sozialamt getroffenen Abkommens nicht an. Ebensowenig war entscheidend, ob, wie die Beklagte behauptet, die Klägerin durch das Sozialamt nicht von der Meldung beim Arbeitsamt befreit worden, sondern ihr lediglich diese Meldung freigestellt worden sei. Selbst wenn dies letztere der Fall gewesen sein sollte, würde dies hier ohne Bedeutung sein, da schon aus der Tatsache allein, daß sie sich selbst um eine Stelle bemüht hat, mit genügender Deutlichkeit zu entnehmen ist, daß sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden hat.
Im Jahre 1950 hat die Klägerin für mehr als 26 Wochen als Arbeitslose Alfu bezogen, so daß auch für dieses Jahr für mehr als 26 Wochen Ersatzzeiten nachgewiesen sind. Die Anwartschaft ist somit bis zum Eintritt des Versicherungsfalles erhalten.
Die Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2340750 |
BSGE, 138 |