Leitsatz (amtlich)

1. Bescheide, durch die Leistungen unter Vorbehalt des Widerrufs (Vorschüsse, Abschlagszahlungen) bewilligt wurden, sind in der Regel auch dann rechtmäßig, wenn die Vorschüsse oder Abschlagszahlungen höher sind als die für die gleiche Zeit zustehenden Rentenbezüge (Vergleiche BSG 1962-12-07 1 RA 227/59 = SozR Nr 3 zu § 1299 RVO). Diese Bescheide sind aber rechtswidrig, wenn bei ihrem Erlaß a) der Anspruch auf die Leistungen bereits endgültig feststellbar ist (Vergleiche BSG 1958-06-19 11/9 RV 1108/55 = BSGE 7, 226), b) ein Anspruch auf Leistungen dem Grunde nach nicht besteht. Sind diese rechtswidrigen Bescheide bindend geworden, so können sie zwar nicht widerrufen werden, sind aber rücknehmbar, sofern die gesetzlichen Voraussetzungen der Rücknahme (zB nach KOV-VfG § 41) vorliegen.

2. Bescheide, durch die Leistungen für die Zeit vor dem Inkrafttreten des KOV-VfG (1955-04-01) bewilligt worden sind, können im Regelfalle nach dem Inkrafttreten des KOV-VfG rechtswirksam nicht mehr nach KOV-VfG § 41 zurückgenommen werden; sie können ausnahmsweise zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des KOV-VfG § 52 vorliegen; unter "anhängigen Sachen" im Sinne des KOV-VfG § 52 sind die Sachen zu verstehen, über die beim Inkrafttreten des KOV-VfG von den Versorgungsbehörden noch nicht abschließend (also auch im Widerspruchsverfahren) entschieden gewesen ist.

 

Normenkette

SGG § 54 Fassung: 1953-09-03; KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02, § 52 Fassung: 1955-05-02

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1961 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I.

Die Klägerin, geboren am 5. November 1908, bezog nach ihrem am 22. Januar 1945 gefallenen ersten Ehemann B. M.  Z Versorgungs-Witwenrente. Die Rente wurde eingestellt, als die Klägerin am 8. Februar 1947 eine neue Ehe mit dem Fleischermeister W. B einging; B nannte sich damals fälschlicherweise Freiherr Hans Wilhelm von K. Diese zweite Ehe der Klägerin wurde durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Landgerichts (LG) Hagen vom 15. März 1949 nach § 32 des Ehegesetzes aufgehoben. Seit dem 9. Oktober 1953 ist die Klägerin mit dem Kraftwagenfahrer Egon W verheiratet.

Am 22. März 1948, während eines gegen B schwebenden Strafverfahrens, beantragte die Klägerin unter dem Namen He. Z, ihr die früher gewährte Witwenrente wieder auszuzahlen; zur Begründung erklärte sie, ihre Ehe mit B sei "nach den Ausführungen der Staatsanwaltschaft Kassel ... für ungültig erklärt worden", weil B den Namen "Freiherr H. W. von K zu Unrecht getragen habe. Auf Anfrage teilte die Staatsanwaltschaft der damals für die Versorgung zuständigen Landesversicherungsanstalt (LVA) Westfalen, Außenstelle Dortmund, am 10. April 1948 mit, "über die Gültigkeit der Ehe" sei nicht entschieden. Als die Klägerin später sich bemühte zu erreichen, daß die Waisenrente für ihre Kinder, die während der Ehe mit B an diesen als Vormund der Kinder überwiesen worden war, wieder an sie gezahlt werde, erklärte sie am 29. Juni 1948 vor dem Versicherungsamt der Stadt Hagen, daß sie "nach Aufhebung" der Ehe mit B wieder Vormund der Kinder sei. Ihren Antrag auf Wiedergewährung der Witwenrente sah die LVA nach einem Aktenvermerk vom 31. Dezember 1948 als erledigt an, weil sie einer Aufforderung der LVA vom 7. Juli 1948, "sämtliche Unterlagen über die Nichtigkeit" der zweiten Ehe einzureichen, nicht nachkam.

Mit Schreiben vom 7. Juni 1949 wiederholte die Klägerin den Antrag auf Witwenrente, sie nahm auf das Urteil des LG Hagen vom 15. März 1949 über die Aufhebung der Ehe Bezug und erwähnte, daß sie dieses Urteil in Abschrift beilege; diese Anlage befindet sich nicht bei den Akten. In einem Erinnerungsschreiben der Klägerin vom 26. Februar 1950 ist ebenfalls die Rede davon, daß ihre zweite Ehe "aufgehoben" sei; auch in ihrer Erklärung vom 6. März 1950 vor dem Versicherungsamt Hagen ist diese "aufgehobene Ehe" erwähnt. Am 27. Februar 1951 stellte die Klägerin einen neuen Antrag auf Hinterbliebenenrente (Grundrente) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). In diesem Antrag (Formblatt), der von der Klägerin persönlich lediglich unterzeichnet ist, ist vermerkt, daß die zweite Ehe "als ungültig vom Gericht erklärt" worden sei. Das Versorgungsamt (VersorgA) Dortmund gewährte der Klägerin nach den Aktenverfügungen vom 20. August 1961, 13. Dezember 1951 und 2. April 1952 für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. April 1952 als "Abschlagszahlung auf die Bezüge nach dem BVG" Beträge von 400,- DM, 200,- DM und 160,- DM. Die Klägerin wurde hiervon jeweils durch Stempelaufdruck auf dem Postabschnitt benachrichtigt. Am 16. Mai 1962 forderte das VersorgA die Klägerin auf, eine Abschrift des Urteils über die "Aufhebung ihrer zweiten Ehe" einzusenden. Nach Vorlage dieser Abschrift lehnte das VersorgA durch Bescheid vom 5. Juni 1952 die Gewährung von Witwenrente an die Klägerin ab, weil die zweite Ehe der Klägerin durch das LG-Urteil vom 15. März 1949 zwar aufgehoben, nicht aber für nichtig erklärt worden sei. In dem Bescheid wird weiter festgestellt, daß die Abschlagszahlungen von insgesamt 760,- DM zu Unrecht erfolgt seien; der Klägerin wurde aufgegeben, Vorschläge über die Art der Rückzahlung zu machen. Den Widerspruch der Klägerin wies das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Westfalen durch Bescheid vom 27. Juli 1955 zurück. Auf die Klage, mit der sich die Klägerin lediglich gegen die Rückforderung der Abschlagszahlungen wandte, hob das Sozialgericht (SG) Dortmund durch Urteil vom 24. Januar 1957 den "Rückforderungsbescheid" vom 5. Juni 1952 idF des Widerspruchsbescheides vom 27. Mai 1955 auf. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen wies die Berufung des Beklagten durch Urteil vom 20. September 1961 zurück: Nach § 44 BVG idF vor dem Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 habe die Klägerin seit Eingehung der Ehe mit B, also vom 8. Februar 1947 an, keinen Anspruch auf Witwenrente gehabt, der Anspruch sei auch nicht wiederaufgelebt, weil diese Ehe nach dem Ehegesetz nicht für nichtig erklärt, sondern lediglich aufgehoben worden sei, demnach hätten der Klägerin auch die Abschlagszahlungen von insgesamt 760,- DM für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 30. April 1952 nicht zugestanden. Die Rückforderung dieses Betrages sei jedoch nicht gerechtfertigt. Der Beklagte habe zwar die "Bewilligungsbescheide" zurücknehmen dürfen, es habe sich dabei um Verwaltungsakte mit Widerrufsvorbehalt gehandelt, der Beklagte habe bei der Rücknahme auch nicht die Grenzen seines pflichtgemäßen Ermessens überschritten. Die Klägerin habe deshalb zwar die Abschlagszahlungen "zu Unrecht empfangen" (§ 47 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes - VerwVG -), die Rückforderung sei aber nur unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 VerwVG rechtmäßig, diese Vorschrift sei entsprechend anzuwenden, wenn ein Verwaltungsakt widerrufen werde; es könne keinen Unterschied machen, ob der Bewilligungsbescheid ein "Bescheid über Rechtsansprüche" im Sinne des § 41 VerwVG sei oder ob durch den Bescheid - wie hier - lediglich Zahlungen in Form von Vorschüssen gewährt worden seien. Die entsprechende Anwendung von § 47 Abs. 3 VerwVG sei im vorliegenden Fall um so mehr geboten, als für die Versorgungsbehörde kein Anlaß bestanden habe, unter Vorbehalt des Widerrufs Vorschüsse zu bewilligen, sie habe vielmehr über den Anspruch endgültig entscheiden können; bei entsprechender Anwendung des § 47 Abs. 3 Satz 1 VerwVG sei aber die Rückforderung ausgeschlossen. Das LSG ließ die Revision zu.

Das Urteil wurde dem Beklagten am 6. Oktober 1961 zugestellt. Am 28. Oktober 1961 legte der Beklagte Revision ein und beantragte,

die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 20. September 1961 und des SG Dortmund vom 24. Januar 1957 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Am 13. November 1961 begründete der Beklagte die Revision, er rügte Verletzung des § 47 VerwVG. Das LSG habe zu Unrecht die Rechtmäßigkeit der Rückforderung nach § 47 Abs. 3 VerwVG beurteilt. § 47 Abs. 1 VerwVG enthalte den allgemeinen Grundsatz, daß zu Unrecht empfangene Versorgungsleistungen zurückzuerstatten sind. Durch die Ausnahme von dieser Regel in den Absätzen 2 und 3 des § 47 VerwVG solle der gute Glauben des Empfängers und sein Vertrauen auf eine endgültige Regelung des Versorgungsverhältnisses geschützt werden; an einer solchen endgültigen Regelung fehle es hier aber, deshalb sei für eine entsprechende Anwendung der Absätze 2 und 3 des § 47 VerwVG kein Raum.

Die Klägerin stellte keinen Antrag.

II.

Die Revision ist statthaft (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Die Revision ist jedoch nicht begründet.

Streitig ist die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. Juni 1952 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 1955. Dieser Bescheid enthält mehrere "Verfügungssätze", nämlich

die Ablehnung des Anspruchs der Klägerin auf Witwenrente nach dem BVG,

die Feststellung, daß die durch die Bescheide vom 20. August 1951, vom 12. Dezember 1951 und vom 2. April 1952 gewährten "Abschlagszahlungen" für die Zeit vom 1. Oktober 1950 bis zum 30. April 1952 im Gesamtbetrag von 760,- DM zu Unrecht gewährt worden seien und damit die "Aufhebung", also die Rücknahme oder den Widerruf dieser "Bewilligungsbescheide" (vgl. BSG 7, 8 ff, 11), sowie

die Rückforderung von 760,- DM.

Angefochten ist dieser Bescheid nur insoweit, als er die Rückforderung betrifft; die Klägerin hat sich mit der Klage lediglich gegen die Rückforderung gewandt, das SG hat auch nur den "Rückforderungsbescheid" vom 5. Juni 1952 aufgehoben. Über die Frage, ob ein Rückforderungsanspruch besteht, kann jedoch erst entschieden werden, wenn geklärt ist, ob die Verwaltung die drei "Bewilligungsbescheide" hat aufheben dürfen, ob sie also diese Bescheide hat zurücknehmen dürfen, weil sie von Anfang an rechtswidrig gewesen oder nachträglich rechtswidrig geworden sind, oder ob sie diese Bescheide, obwohl sie rechtmäßig gewesen sind, auf Grund eines Widerrufsvorbehalts hat widerrufen dürfen. Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß Bescheide über die Bewilligung von "Abschlagszahlungen" oder Vorschüssen Verwaltungsakte sind, denen ein Widerrufsvorbehalt beigefügt ist (vgl. BSG 7, 226 ff). Es hat die "Rücknahme" (gemeint ist in Wirklichkeit den Widerruf) für rechtmäßig gehalten, weil die Verwaltung sich den Widerruf in den "Bewilligungsbescheiden" vorbehalten und von diesem Vorbehalt im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens Gebrauch gemacht habe. Eine Rücknahme nach § 41 VerwVG hat das LSG nicht für zulässig gehalten, weil die "Bewilligungsbescheide" nicht Bescheide "über Rechtsansprüche" gewesen seien, sondern Bescheide über die "Bewilligung bloßer Abschlagszahlungen, durch die über den materiellen Anspruch der Klägerin auf Witwenrente nicht entschieden worden ist". Nicht geprüft hat das LSG, ob im vorliegenden Fall ein Verwaltungsakt über die Bewilligung von Leistungen unter Vorbehalt überhaupt hat ergehen dürfen, ob also die "Bewilligungsbescheide", die unter Vorbehalt des Widerrufs ergangen sind, rechtmäßig gewesen sind. Dies ist deshalb erheblich gewesen, weil nur rechtmäßige Verwaltungsakte auf Grund eines Widerrufsvorbehalts wirksam widerrufen werden können; Verwaltungsakte, die schon bei ihrem Erlaß rechtswidrig gewesen oder die nachträglich rechtswidrig geworden sind, können auch dann nicht rechtswirksam widerrufen werden, wenn sich die Verwaltung den Widerruf vorbehalten hat; sie dürfen nur nach den Vorschriften aufgehoben werden, in denen die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte geregelt ist. Zwar sind Verwaltungsakte, durch die Leistungen unter Vorbehalt des Widerrufs bewilligt werden, auch dann rechtmäßig, wenn in einem späteren Bescheid festgestellt wird, daß der Empfänger einen Anspruch in Höhe der gewährten Vorschußzahlungen nicht gehabt hat (vgl. auch BSG SozR Nr. 3 zu § 1299 RVO = NJW 1963, 480); sie sind, auch wenn Leistungen nur unter Vorbehalt des Widerrufs bewilligt werden, entgegen der Meinung des LSG "Bescheide über Rechtsansprüche", sofern sie nicht sogenannte "Kann-Leistungen" betreffen. Ein Verwaltungsakt, der unter Vorbehalt des Widerrufs hat ergehen dürfen, wird auch nicht etwa nachträglich rechtswidrig, wenn er auf Grund des Vorbehalts in einem späteren Bescheid rechtswirksam widerrufen wird (vgl. BSG 7, 228, 229). Verwaltungsakte, durch die unter Vorbehalt des Widerrufs "Abschlagszahlungen" oder Vorschüsse gewährt werden, sind aber schon bei ihrem Erlaß rechtswidrig, wenn ein Anspruch dem Grunde nach überhaupt nicht besteht; Leistungen unter Vorbehalt des Widerrufs und damit auch "Abschlagszahlungen" dürfen nur gewährt werden, wenn dem Empfänger ein Anspruch auf Zahlung zusteht (vgl. zB auch § 1587 der Reichsversicherungsordnung - RVO -, in dieser Vorschrift ist die Ermächtigung zur Zahlung von Vorschüssen davon abhängig gemacht, daß "bei Beginn der Entschädigungspflicht die Höhe der Entschädigung noch nicht durch Bescheid festgestellt" werden kann; ähnlich ist die Regelung in § 281 des Lastenausgleichsgesetzes; auch in den Erlassen des Bundesministers für Arbeit vom 27. April 1951 und vom 3. August 1951 - BVBl 1951, 221 (49) und 259 (73) sind Abschlagszahlungen auf die Bezüge nach dem BVG nur "auf die zu erwartenden höheren Bezüge" nach dem BVG und "in Grenzen des Mehrbetrages gegenüber den bisherigen Versorgungsbezügen" vorgesehen gewesen, also nicht für Fälle, in denen über den Grund des Anspruchs nicht entschieden ist). Einen Anspruch auf Witwenrente hat die Klägerin aber in der Zeit vom 1. Oktober 1950 bis 30. April 1952, für die die Abschlagszahlungen durch die Bescheide von 1951 und 1952 bewilligt worden sind, überhaupt nicht gehabt. Die Klägerin ist von der Eheschließung mit B an, also seit dem 8. Februar 1947, nicht mehr "Witwe" im Sinne der §§ 38 ff BVG in der damals gültigen Fassung vom 20. Dezember 1950 (BGBl I 791 ff) gewesen; die zweite Ehe ist auch nicht etwa durch das Urteil des LG Hagen rückwirkend beseitigt worden, durch dieses Urteil ist die Ehe nicht nach den §§ 16 ff des Ehegesetzes für nichtig erklärt worden, sie ist damit nicht mit rückwirkender Kraft als nicht ausgeschlossen anzusehen gewesen, vielmehr ist diese zweite Ehe - erkennbar nach § 32 des Ehegesetzes - aufgehoben, d. h. nur mit Wirkung für die Zukunft aufgelöst worden, die Klägerin ist damit nicht wieder die "Witwe" ihres ersten Ehemannes Z geworden; § 44 BVG in der damals geltenden Fassung hat - was das LSG offenbar übersehen hat - keine Vorschriften über ein Wiederaufleben der Witwenrente enthalten, jedenfalls hat aber die Frage, ob eine Witwenrente "wiederaufleben" kann, auch nach damaligem Recht - ebenso wie dies durch das Fünfte Änderungsgesetz zum BVG mit Wirkung vom 1. April 1956 an in § 44 Abs. 2 BVG (bis zu der Neufassung dieser Vorschrift durch das Erste Neuordnungsgesetz vom 27. Juni 1960) geregelt worden ist - nur im Falle der Nichtigerklärung, nicht aber im Falle der Aufhebung der Ehe bejaht werden dürfen. Da ein Anspruch auf Witwenrente bei Erlaß der "Bewilligungsbescheide" sonach nicht bestanden hat, sind diese Bescheide schon bei ihrem Erlaß rechtswidrig gewesen. Sie haben nicht - wie das LSG gemeint hat - schon auf Grund des vorbehaltenen Widerrufs aufgehoben werden können, es ist deshalb für die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. Juni 1962 auch nicht darauf angekommen, ob der Widerruf pflichtgemäßem Verwaltungsermessen entsprochen hat. Rechtmäßig ist der Bescheid vom 5. Juni 1952 vielmehr insoweit nur dann gewesen, wenn die Verwaltung die Bewilligungsbescheide hat zurücknehmen dürfen, weil diese Bescheide rechtswidrig gewesen sind. Diese "Bewilligungsbescheide" sind begünstigende Verwaltungsakte gewesen, sie sind, auch wenn sich die Verwaltung ihren Widerruf vorbehalten hat, nach den §§ 77 SGG, 24 VerwVG in dem Zeitpunkt, in dem sie der Klägerin zugegangen sind, für den Beklagten in der Sache bindend geworden, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist (vgl. dazu zuletzt Urteil des BSG vom 21. September 1962, NJW 1963, 557 = DÖV 1963, 182); die §§ 77 SGG, 24 VerwVG erfassen auch die Verwaltungsakte, die vor dem Inkrafttreten dieser Vorschriften erlassen worden sind (BSG 7, 8, 11). Das "Gesetz", das die Voraussetzungen für die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte regelt und, soweit es die Rücknahme solcher Verwaltungsakte zuläßt, "etwas anderes" bestimmt als die bindende Wirkung dieser Verwaltungsakte für die Beteiligten, ist im vorliegenden Fall § 41 VerwVG. Das VerwVG ist am 1. April 1955 in Kraft getreten (§ 51 VerwVG), es hat die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Verwaltung einen von Anfang an rechtswidrigen Bescheid über die Feststellung von Schädigungsfolgen oder die Bewilligung von Rente zurücknehmen darf, ausdrücklich und abschließend geregelt (vgl. BSG 16, 265). Die Verwaltung darf daher seit dem 1. April 1955 einen solchen Bescheid als rechtswidrig nur dann zurücknehmen, wenn die Voraussetzungen vorliegen, von denen die Rechtmäßigkeit der Rücknahme nach den Vorschriften des VerwVG (§§ 41, 42) abhängig ist. Ein "Rücknahmebescheid" nach § 41 VerwVG, der nach dem Inkrafttreten des VerwVG ergeht, wirkt nicht zurück über den Zeitpunkt, in dem das VerwVG in Kraft getreten ist, also nicht über den 1. April 1955 (vgl. Urteil des BSG vom 26. August 1960, SozR Nr. 9 zu § 41 VerwVG). Ein Rücknahmebescheid, der nach dem Inkrafttreten des VerwVG ergeht, ist daher im Regelfall nur insoweit rechtswirksam, als darin - ganz oder teilweise - Bescheide zurückgenommen werden, durch die Leistungen für die Zeit vom 1. April 1955 an bewilligt worden sind. Bescheide, durch die Leistungen für die Zeit vor dem 1. April 1955 bewilligt worden sind, können nach dem Inkrafttreten des VerwVG im Regelfalle nach § 41 VerwVG rechtswirksam nicht mehr zurückgenommen werden. Eine Ausnahme von der Regel, daß nach dem 1. April 1955 Bescheide über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vor dem 1. April 1955 rechtswirksam nur noch nach den Vorschriften des VerwVG zurückgenommen werden können, enthält jedoch § 52 VerwVG. Nach dieser Vorschrift sind in den am Tage des Inkrafttretens des VerwVG anhängigen Sachen für das weitere Verfahren die Vorschriften dieses Gesetzes maßgebend; unter "anhängigen" Sachen im Sinne dieser Vorschrift sind die Sachen zu verstehen, über die beim Inkrafttreten des VerwVG von den Versorgungsbehörden im Verwaltungsverfahren noch nicht abschließend entschieden gewesen ist; ist in einer Sache gegen den "Erstbescheid" Widerspruch eingelegt, so ist sie im Verwaltungsverfahren anhängig, bis durch zweitinstanzlichen Verwaltungsakt über den Widerspruch entschieden ist. Das VerwVG bezieht sich nur auf "das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung". Anhängige Sachen in diesem Sinne sind ausnahmsweise nach den Vorschriften des VerwVG auch insoweit zu beurteilen, als sie die Regelung von Rechtsbeziehungen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG betreffen. Um einen solchen Fall handelt es sich hier. Die Klägerin hat gegen den Bescheid vom 5. Juni 1952, durch den die "Bewilligungsbescheide" von 1951 und 1952 zurückgenommen worden sind, Einspruch eingelegt, der Einspruch ist später als Widerspruch weiterbehandelt worden, über den Widerspruch ist am 1. April 1955 noch nicht entschieden gewesen, die Sache ist also beim Inkrafttreten des VerwVG noch im Verwaltungsverfahren "anhängig" gewesen. Der Beklagte hat bei Erlaß des Widerspruchsbescheides am 27. Juli 1955 die Rechtmäßigkeit des "Rücknahmebescheides" vom 5. Juni 1952 also ausnahmsweise nach § 41 VerwVG beurteilen müssen, obwohl durch den Rücknahmebescheid "Bewilligungsbescheide" aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG zurückgenommen worden sind. Das LSG hat den Bescheid vom 5. Juni 1952 im Ergebnis zu Recht als rechtmäßig angesehen, es hat zu Recht die Klage auf Aufhebung dieses Verwaltungsakts abgewiesen (§ 54 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGG). Die Verwaltung ist bei der Gewährung von Abschlagszahlungen offensichtlich der Meinung gewesen, die Ehe der Klägerin mit B sei für nichtig erklärt worden, dies ist nicht der Fall gewesen. Die "Bewilligungsbescheide" sind damit im Zeitpunkt ihres Erlasses tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen; die Voraussetzungen des § 41 VerwVG haben vorgelegen. Der Zustimmung des LVersorgA zum Erlaß des "Berichtigungsbescheids" (§ 41 Abs. 2 VerwVG) hat es nicht bedurft, weil diese Zustimmung bei Erlaß des Bescheides vom 5. Juni 1952 - anders als in dem Fall BSG 16, 265 ff, in dem der "Berichtigungsbescheid" erst nach dem Inkrafttreten des VerwVG erlassen worden ist - für die Rechtmäßigkeit des Berichtigungsbescheides noch nicht erforderlich gewesen ist und weil die Vorschriften des VerwVG nach § 52 dieses Gesetzes nur für das "weitere" Verfahren maßgebend sind.

Da die "Bewilligungsbescheide" durch den angefochtenen Bescheid vom 5. Juni 1952 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Juli 1955 nach § 41 VerwVG "berichtigt" worden sind, ist die Frage, ob eine Pflicht zur Rückerstattung der gewährten Leistungen besteht, ob also der angefochtene Bescheid auch insoweit rechtmäßig ist, als darin von der Klägerin der Betrag von 760,- DM zurückgefordert wird, nach § 47 Abs. 3 VerwVG zu beurteilen. Es kommt nicht darauf an, ob § 47 Abs. 3 VerwVG, wie das LSG angenommen hat, auch dann anzuwenden ist, wenn nicht ein rechtswidriger Bescheid zurückgenommen, sondern ein unter Vorbehalt des Widerrufs ergangener Bescheid widerrufen wird. Im Ergebnis ist das Urteil des LSG auch insoweit zutreffend, als es die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 5. Juni 1952 verneint hat, soweit dieser Bescheid die Rückforderung betrifft. Das LSG hat festgestellt, die Klägerin habe, wenn sie schon vor Erlaß des Urteil des LG Hagen auf Grund des Strafverfahrens gegen Beer ihre Ehe als "ungültig" bezeichnet habe, in Unkenntnis der Rechtslage gehandelt, sie habe später zutreffend wiederholt ihre Ehe als "aufgehoben" bezeichnet und sogar offenbar schon im Juni 1949 das Aufhebungsurteil vorgelegt, sie habe nicht wesentliche Tatsachen, die für die Entscheidung der Verwaltung von wesentlicher Bedeutung gewesen seien, wissentlich falsch angegeben oder verschwiegen, sie habe auch beim Empfang der Abschlagszahlungen nicht gewußt, daß ihr diese Zahlungen nicht zustehen. Gegen diese Feststellungen sind Revisionsrügen vom Beklagten nicht geltend gemacht, diese Feststellungen sind deshalb für das Bundessozialgericht (BSG) bindend (§ 163 SGG) Da nach diesen Feststellungen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 Satz 2 VerwVG nicht vorliegen, hat das LSG zu Recht entschieden, der Beklagte habe die der Klägerin gewährten Leistungen nach § 47 Abs. 3 Satz 1 VerwVG nicht zurückfordern dürfen, es hat die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Damit ist die Revision des Beklagten unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 100

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge