Entscheidungsstichwort (Thema)
Freifahrtberechtigung nach dem SchwbG. Rechtsentziehung kraft Gesetzes. Anhörung im Verwaltungsverfahren. Neuregelung kein Verfassungsverstoß
Leitsatz (amtlich)
Die gesetzliche Vermutung, nach der alle Schwerbehinderte mit einer MdE von wenigstens 80 vH ohne weitere Prüfung als erheblich bewegungsbehindert zu behandeln waren (§ 58 Abs 1 S 2 SchwbG aF) ist zu Lasten aller dieser Schwerbehinderten durch das Gesetz beendet worden, das die Prüfung im Einzelfall vorschreibt (§ 58 Abs 1 S 2 idF des Haushaltsbegleitgesetzes vom 22.12.1983). Die Mitteilung an die Betroffenen über diese Änderung der Rechtslage ist kein Verwaltungsakt, der in die Rechte der Betroffenen eingreift (§ 24 Abs 1 SGB 10).
Orientierungssatz
1. Nach § 24 Abs 1 SGB 10 ist Gelegenheit zur Äußerung nur zu geben, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, "der in die Rechte eines Beteiligten eingreift". Ein derartiger Verwaltungsakt ist nicht erlassen worden, weil in das Recht des Behinderten auf unentgeltliche Beförderung nicht die Verwaltung, sondern der Gesetzgeber unmittelbar eingegriffen hat.
2. Schreibt das Gesetz nicht ein Verwaltungsverfahren vor, durch das die Verwaltung in eine bestehende Rechtsposition iS von § 24 Abs 1 SGB 10 einzugreifen hat, dann hat dies nur den Sinn, daß sie nicht vor irgendwelchen Maßnahmen die Adressaten anzuhören braucht und daß dieses Unterlassen keinen unheilbaren Verfahrensfehler begründet.
3. Die den Behinderten durch die gesetzliche Regelung des § 58 Abs 1 S 2 SchwbG aF zuerkannte Rechtsstellung konnte durch eine Gesetzesvorschrift für die Zukunft beseitigt werden. Insoweit ist die Rechtslage anders, als wenn in den üblichen Fällen des Sozialrechts eine Leistung oder ein Recht durch Verwaltungsakt zuerkannt worden ist und nachträglich die gesetzlichen Voraussetzungen fortfallen; dann muß dies die Verwaltung in der Regel durch einen Änderungs- oder Aufhebungsbescheid aussprechen (vgl BSG vom 21.2.1985 11 RLw 1/84 = SozR 5850 § 4 Nr 8).
4. Gegen die Neufassung des § 58 Abs 1 S 2 SchwbG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber war nicht gehindert, die als sozial schädlich erkannte Pauschalregelung des § 58 Abs 1 S 2 SchwbG aF zu ändern und dafür zu sorgen, daß in Zukunft allein diejenigen, bei denen die ausgleichsbedürftigen Nachteile des § 58 Abs 1 S 1 SchwbG vorliegen, begünstigt werden. Damit ist dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 GG) Rechnung getragen.
Normenkette
SchwbG § 58 Abs 1 S 2 Fassung: 1983-12-22, § 58 Abs 1 S 2 Fassung: 1979-10-08, § 3 Abs 4, § 57; SGB 10 § 24 Abs 1; SchwbG § 58 Abs 1 S 1; GG Art 3 Abs 1; SGB 10 § 48 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Bei dem Kläger war anfangs eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 vH anerkannt; durch Bescheid vom 20. Juli 1981 wurde festgestellt, daß sich die MdE auf 80 vH erhöhe, er in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sei und Freifahrt im Nahverkehr erhalte. Mit Bescheid vom 3. Januar 1984 stellte das Versorgungsamt fest, daß der Kläger in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr nicht erheblich beeinträchtigt sei, und hob mit Ablauf des 31. März 1984 die Feststellung des Merkzeichens "G" in Bescheid und Ausweis auf. Zur Begründung wurde die Neuregelung der persönlichen Voraussetzungen des Rechts zur unentgeltlichen Beförderung Behinderter im Nahverkehr durch das Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1984 mit Wirkung ab 1. April 1984 angeführt. Der Kläger wurde vor der Erteilung dieses Bescheides nicht angehört.
Das Sozialgericht (SG) hob den Bescheid des Beklagten vom 3. Januar 1984 auf und stellte fest, daß bei dem Kläger mit Bescheid vom 20. Juli 1981 eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr iS des § 58 Abs 1 Satz 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) anerkannt sei. Das SG wies darauf hin, daß ein Merkzeichen nur dann aberkannt sei, wenn der entsprechende Bescheid in einem rechtskräftigen Urteil bestätigt worden sei. Im vorliegenden Fall müsse daher ein Ausweis mit dem Merkzeichen "G" erteilt werden.
Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 17. September 1984 zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Es bedurfte eines Neufeststellungsbescheides, um das Merkzeichen "G" für die Zeit nach dem 31. März 1984 entfallen zu lassen. Das Versorgungsamt habe bei Erlaß des Bescheides jedoch § 20 Abs 1 und 2 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) und § 24 Abs 1 SGB X verletzt, weil es den Behinderten vor dem Eingriff in seine Rechte nicht angehört habe. Die Ausnahmen des § 24 Abs 2 SGB X seien nicht gegeben. Der Beklagte habe auch gegen § 35 Nr 1 SGB X verstoßen. Der vom Beklagten eingeschlagene Weg führe zu einem Unterlaufen des Grundsatzes der objektiven Beweislast. Schließlich seien auch die Voraussetzungen des § 48 SGB X nicht erfüllt. Es sei nicht erkennbar, ob dem Kläger das Merkzeichen "G" allein auf Grund der unwiderleglichen Rechtsvermutung oder auf Grund seiner körperlichen Beschaffenheit zuerkannt worden sei. Es könne folglich nicht gesagt werden, ob die am 1. April 1984 in Kraft getretene Neuregelung eine Änderung der "für den Schwerbehindertenausweis rechtserheblichen Umstände" sei.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt und rügt die Verletzung des § 20 Abs 1 und 2 und der §§ 24, 35 und 48 SGB X. Es sei ein sehr umfangreicher Katalog erstellt worden, der es den nichtärztlichen Sachbearbeitern ermöglich habe, anhand der Akten die Beurteilung, ob eine Gehbehinderung vorliege oder nicht, zu treffen. § 24 Abs 2 SGB X sei nicht verletzt, weil die Verwaltung nach pflichtgemäßem Ermessen darüber entscheiden könne, ob ein Ausnahmetatbestand des § 24 Abs 2 SGB X vorliege. Die der Versorgungsverwaltung bis zum 1. April 1984 gegebenen dreieinhalb Monate seien eine ungewöhnlich kurze Frist gewesen.
Der Beklagte beantragt, die Urteile des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. April 1984 und des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. September 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Der Rechtsstreit mußte zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Entgegen der Meinung des Vordergerichts führt die Klage nicht schon deshalb zum Erfolg, weil der Kläger nicht angehört worden ist, bevor der angefochtene Bescheid erlassen wurde. Ist die Anhörung unterblieben, so ist das ein Verfahrensfehler, der auch im Gerichtsverfahren nicht geheilt werden kann, wenn das in einer Verfahrensvorschrift eigens festgelegt ist (§ 41 Abs 1 und 2 SGB X vom 18. August 1980 - BGBl I, 1469 -). Daran fehlt es hier.
Nach § 24 Abs 1 SGB X ist Gelegenheit zur Äußerung nur zu geben, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, "der in die Rechte eines Beteiligten eingreift". Hier ist ein derartiger Verwaltungsakt nicht erlassen worden. In ein Recht des Klägers hat nämlich nicht die Verwaltung, sondern der Gesetzgeber unmittelbar eingegriffen. § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG idF des Art 20 Nr 2 des HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983 (BGBl I, 1532) hat die nach § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG idF der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 (BGBl I, 1649) begründete Vermutung, wonach ein Schwerbehinderter mit einer MdE von mindestens 80 vH in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr als erheblich beeinträchtigt gilt, mit Ablauf des 31. März 1984 beseitigt. Die Verwaltung hat es nur abgelehnt, die tatsächliche Bewegungsbehinderung iS des § 58 Abs 1 Satz 1 SchwbG nach § 3 Abs 4 SchwbG mit Wirkung ab 1. April 1984 festzustellen, wodurch sie für die Zukunft die unerläßliche Voraussetzung für einen Beförderungsanspruch nach § 57 SchwbG verneint hat.
Der angefochtene Bescheid enthält allerdings in seinem Verfügungsteil folgenden Zusatz: "Die Feststellung des Merkzeichens 'G' in der entsprechenden Entscheidung und in Ihrem Ausweis werden mit Ablauf des 31. März 1984 aufgehoben". Darauf stützt sich die Meinung des Vordergerichts, erst die Verwaltung und nicht schon das Gesetz habe in das auf Grund des § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG aF bestehende Recht eingegriffen. Diese Meinung trifft aber nicht zu.
Das Gesetz bringt mit hinreichender Klarheit zum Ausdruck, daß für die Beendigung des sich aus der Vermutung des § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG aF ergebenden Rechts keine Regelung der Verwaltung vorgesehen ist. Die Verwaltung hat nur eine Voraussetzung für die Rechtsstellung gem § 57 SchwbG für die Zukunft zu regeln.
Wenn Schwerbehinderte mit einer MdE von mindestens 80 vH nach § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG nF eine erhebliche Bewegungsbehinderung iS des Satzes 1 nur mit einem Ausweis mit entsprechendem Aufdruck (Merkmal "G") nachweisen können, der ab 1. April 1984 gültig ist, und wenn wegen der Neufassung des Abs 1 als Voraussetzung für den neuen Ausweis eine tatsächliche Bewegungsbehinderung gem § 3 Abs 4 SchwbG festgestellt sein muß, dann ist die Rechtsstellung, die auf Grund der früheren Rechtsvermutung (§ 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG aF) bestand, kraft Gesetzes mit Ablauf des 31. März 1984 fortgefallen. Der Gesetzgeber hat nämlich nicht nur diejenigen Fälle erfaßt, die er im Ergebnis sachgerecht neu geregelt wissen wollte, und hat somit der Verwaltung nicht den Vollzug übertragen. Er hat ausnahmslos bei allen Schwerbehinderten mit einer MdE von mindestens 80 vH die Zuerkennung der erheblichen Bewegungseinschränkung beendet, so wie er ihnen dieses Merkmal zuvor kraft Gesetzes durch die Rechtsvermutung des § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG aF eingeräumt hatte. Er verlangt von allen diesen Schwerbehinderten, daß sie sich einen neuen Ausweis beschaffen, wenn sie weiterhin die Vergünstigung der freien Beförderung im Nahverkehr genießen wollen. Der Sinn dieser Regelung ist es, die Verwaltung erstmals zu der Prüfung zu verpflichten, ob die Voraussetzungen des § 58 Abs 1 Satz 1 SchwbG erfüllt sind, die für diesen Personenkreis neu gefordert werden. Diese Auslegung des § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG nF entspricht auch den Motiven des Gesetzgebers, wie sie in der Begründung des Regierungsentwurfs geschildert sind (vgl BR-Drucks 302/83 S 89). Der Gesetzgeber geht hier davon aus, daß schon die alte Fassung des § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG die Betroffenen unmittelbar begünstigte: Eine Feststellung der erheblichen Bewegungseinschränkung sei bei Schwerbehinderten mit einer MdE um wenigstens 80 vH bisher nicht erfolgt. Von diesem Ausgangspunkt aus lag es nahe, daß das neue Gesetz diese gesetzliche Vergünstigung auch ohne Mitwirkung der Verwaltung wiederum durch Gesetz beendete.
Die allein durch eine gesetzliche Regelung zuerkannte Rechtsstellung des Klägers konnte durch eine Gesetzesvorschrift für die Zukunft beseitigt werden. Insoweit ist die Rechtslage anders, als wenn in den üblichen Fällen des Sozialrechts eine Leistung oder ein Recht durch Verwaltungsakt zuerkannt worden ist und nachträglich die gesetzlichen Voraussetzungen fortfallen; dann muß dies die Verwaltung in der Regel durch einen Änderungs- oder Aufhebungsbescheid aussprechen (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des 11. Senats des Bundessozialgerichts -BSG- vom 21. Februar 1985 - 11 RLw 1/84 -). Dem Recht der Kriegsopferversorgung, nach dem sich die Anerkennung als Schwerbehinderter und das übrige Verfahrensrecht für Schwerbehinderte richten (§ 3 SchwbG), ist ein solcher Eingriff durch das Gesetz nicht fremd. Als dieses Rechtsgebiet durch das Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 20. Dezember 1950 (BGBl I, 791) völlig neugeordnet wurde, verloren die früheren Bescheide ihre Wirksamkeit mit zwei Ausnahmen: die Entscheidung über die Frage des ursächlichen Zusammenhanges einer Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang iS des § 1 BVG blieb für die Zukunft rechtsverbindlich (§ 85), und die auf Grund der bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften zu zahlenden Versorgungsbezüge wurden bis zu einer Feststellung nach dem neuen Gesetz weitergezahlt (§ 86).
Bei der durch § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG nF für den Einzelfall geschaffenen Rechtslage lag es nahe, daß die Verwaltung nicht einfach abwartete, wer von den Betroffenen einen Antrag stellen werde, sondern kraft ihrer Fürsorgeverpflichtung von sich aus tätig wurde. Auf diese Weise konnte sie verhindern, daß die wirklich erheblich in ihrer Bewegungsfähigkeit Behinderten am 1. April 1984 vor vollendeten Tatsachen standen und weder einen gültigen Ausweis besaßen, der zur unentgeltlichen Beförderung berechtigte, noch die für die Wirksamkeit in vielen Fällen erforderlichen 120,-- DM gezahlt hatten (vgl § 57 Abs 1 Satz 2 SchwbG nF).
Die Verwaltung ist auch so tätig geworden.
In Baden-Württemberg hat die Verwaltung alle in Betracht kommenden Fälle (mehrere hunderttausend) überprüft und auf unterstellten Antrag über die tatsächliche Bewegungsbehinderung einige Monate vor dem 1. April 1984 entschieden. In Nordrhein-Westfalen hat die Verwaltung die Schwerbehinderten mit einer MdE von wenigstens 80 vH über die allgemeine Rechtslage, wie sie auch in diesem Urteil vertreten wird, aufgeklärt und ihnen anheimgegeben, einen Antrag zu stellen und sich zur Frage der tatsächlichen erheblichen Bewegungseinschränkung zu äußern. In Niedersachsen hat die Verwaltung offenbar wie in Baden-Württemberg alle Fälle geprüft. Sie hat in diesem Land auch versucht, möglichst alle Betroffenen anzuhören.
Es braucht nicht entschieden zu werden, ob in allen Fällen, in denen auf einen nur unterstellten Antrag die Gewährung eines Rechts abgelehnt wird, eine vorherige Anhörung unterbleiben darf (so BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1982, 3 C 46.81 in BVerwGE 66, 184 = DVBl 1983, 271). Wenn aber - wie hier - das Gesetz nicht ein Verwaltungsverfahren vorschreibt, durch das die Verwaltung in eine bestehende Rechtsposition iS von § 24 Abs 1 SGB X einzugreifen hat, dann hat dies nur den Sinn, daß sie nicht vor irgendwelchen Maßnahmen die Adressaten anzuhören braucht und daß dieses Unterlassen keinen unheilbaren Verfahrensfehler begründet.
Da das neue Recht die Voraussetzung für eine unentgeltliche Beförderung allen Schwerbehinderten mit einer MdE von mindestens 80 vH unmittelbar entzog, ist es für die Entscheidung des vorliegenden Falles unerheblich, wie ihnen diese nach altem Recht tatsächlich zuerkannt war. Nach altem Recht war eine erhebliche Bewegungseinschränkung für Schwerbehinderte mit einer MdE von mindestens 80 vH nicht durch die Verwaltung festzustellen. Davon geht auch, wie gesagt, die Gesetzesbegründung aus. Nach § 3 Abs 4 SchwbG waren - und sind - "weitere gesundheitliche Merkmale", dh andere als die MdE, nur dann festzustellen, wenn diese Merkmale Voraussetzung für die Inanspruchnahme einer Vergünstigung sind. Bei den Schwerbehinderten mit einer MdE von mindestens 80 vH wurde eine solche Verwaltungsentscheidung aber gerade nicht für die Vergünstigung der Freifahrt verlangt. Vorausgesetzt wurde ausschließlich die MdE von mindestens 80 vH. Allein auf Grund einer Feststellung der MdE nach § 3 Abs 1 bis 3 SchwbG war ein Ausweis nach § 3 Abs 5 SchwbG, der zur unentgeltlichen Beförderung nach § 57 SchwbG berechtigte, kraft der gesetzlichen Vermutung auszustellen. Dieser Ausweis ist ab 1. April 1984 unwirksam, weil seine gesetzliche Voraussetzung durch die gesetzliche Neuregelung entfallen ist.
Wenn man entgegen dieser Vorstellung des Gesetzes in dem Schreiben der Verwaltung an den Kläger, wonach dieser besonders bewegungsbehindert ist, eine Feststellung iS des § 3 Abs 4 SchwbG sehen wollte, so könnte sich die Frage ergeben, ob diese Entscheidung wegen eines Vertrauensschutzes auf Dauer Bestand hätte. Hat aber, was oben begründet wurde, § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG nF, ohne daß es eines Vollzuges durch die Verwaltung bedarf, die sich aus § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG aF ergebenden Vergünstigungen gleichmäßig für alle Schwerbehinderten mit einer MdE um mindestens 80 vH beendet, so ist ein Vertrauensschutz für die Zeit ab 1. April 1984 nicht zu begründen. Die Neuregelung ist der Vertrauensvorschrift des § 45 SGB X gleichrangig und geht ihr deshalb als späteres Gesetz vor. Als Verwaltungsakt wäre die frühere - rechtswidrige - Feststellung, daß der Schwerbehinderte bewegungsbehindert sei, nach § 39 Abs 2 SGB X durch jene Neuregelung mit Ablauf des 31. März 1984 unwirksam geworden, denn der Verwaltungsakt hätte sich "auf andere Weise erledigt" als durch Rücknahme, Widerruf, Aufhebung oder Zeitablauf (vgl Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl., 1983, § 43 Rdz 17).
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG nF bestehen nicht. Solche Bedenken wären allenfalls dann begründet, wenn die von § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG aF betroffenen Schwerbehinderten geltend machen könnten, ihnen sei durch das Gesetz etwas zuerkannt worden, wofür sie eine Gegenleistung erbracht hätten oder worauf sie sich in ihrer Lebensgestaltung eingerichtet hätten und auch auf Dauer einstellen durften. Es kann dahinstehen, ob diejenigen sich darauf berufen können, bei denen wirklich die Nachteile vorliegen, die in § 58 Abs 1 Satz 1 SchwbG aF und nF geschildert sind. Nicht geltend machen können es jedenfalls diejenigen, bei denen durch die Pauschalregelung des § 58 Abs 1 Satz 2 SchwbG aF die erhebliche Bewegungseinschränkung unterstellt worden ist, obwohl sie nicht bestand. Der Gesetzgeber war jedenfalls nicht gehindert, die als sozial schädlich erkannte Pauschalregelung zu ändern und dafür zu sorgen, daß in Zukunft allein diejenigen, bei denen die ausgleichungsbedürftigen Nachteile des § 58 Abs 1 Satz 1 SchwbG vorliegen, begünstigt werden. Damit ist dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichbehandlung (Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes) Rechnung getragen.
Das Vordergericht hat nunmehr zu prüfen, ob beim Kläger die tatsächlichen Voraussetzungen für eine unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr, die nach dem ab 1. April 1984 geltenden Recht erforderlich sind, gegeben sind.
Weil die Verwaltung ihre angefochtenen Verwaltungsakte während des Gerichtsverfahrens unter Kontrolle halten muß und weil sie eine gründliche ärztliche Prüfung unter Verletzung der §§ 20 und 21 SGB X unterlassen hat, liegt es nahe, daß sie bei der nunmehr gebotenen Sachaufklärung mitwirkt und dadurch das Gericht entlastet. Das Gericht darf seinerseits ein von der Verwaltung eingeholtes Gutachten in der Regel bei seiner Entscheidung berücksichtigen, allerdings nicht als Gutachten eines Sachverständigen iS des § 118 Sozialgerichtsgesetz -SGG- iVm §§ 403 ff Zivilprozeßordnung (BSG SozR Nr 3 zu § 118 SGG; Nrn 66 und 68 zu § 128 SGG).
Das Vordergericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.
Fundstellen