Verfahrensgang
SG Wiesbaden (Urteil vom 08.05.1990) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 8. Mai 1990 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin beantragte im Mai 1986 eine „Brautversorgung” als Härteausgleich nach § 89 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) aufgrund einer Schädigung iS des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten – Opferentschädigungsgesetz – (OEG). Ihr Verlobter, E … -A … W … (W.), mit dem sie seit Mai 1982 eine gemeinsame Wohnung hatte, wurde am 7. Mai 1983 in M … als Taxifahrer durch einen Fahrgast ermordet. Die Verlobten hatten nach Angaben der Klägerin zur Zeit des Todes alle Heiratspapiere zusammengestellt und wollten eine Woche später beim Standesamt das Aufgebot bestellen sowie den Termin der Eheschließung festlegen. Ihr gemeinsames Kind, das Versorgung nach dem OEG erhält, wurde am 16. September 1983 geboren. Der Beklagte lehnte einen Härteausgleich ab, weil nicht ein Tatbestand des OEG die Eheschließung verhindert habe (Bescheid vom 30. Juli 1986, Widerspruchsbescheid vom 18. Februar 1987). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 8. Mai 1990). Die Ablehnung eines Härteausgleichs hat das Gericht deshalb als rechtmäßig beurteilt, weil eine besondere Härte iS des § 1 Abs 7 OEG iVm § 89 BVG fehle. In diesem Fall habe nicht, wie erforderlich, ein Tatbestand des § 1 OEG eine vor dem Tod des W. geplante Eheschließung verhindert. Zur Zeit des Todes sei nicht einmal das Aufgebot bestellt gewesen. Wenn im Bereich des OEG längerwirkende Verhältnisse fehlten, die eine geplante und vorbereitete Eheschließung verhinderten, so müsse nicht etwa deshalb die „Brautversorgung” nach diesem Gesetz im Vergleich mit Fällen des Kriegsdienstes erweitert werden.
Die Klägerin rügt mit ihrer – vom SG zugelassenen -Sprungrevision eine Verletzung von § 1 Abs 1 OEG iVm §§ 38, 89 BVG. Nach ihrer Auslegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur „Brautversorgung” genügt eine Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Eheschließung durch den Kriegstod. So müsse auch eine Vereitelung durch ein Gewaltereignis iS des § 1 OEG ausreichen. Eine grundsätzliche Ablehnung der „Brautversorgung” nach dem OEG sei mit dem Gesetz nicht vereinbar.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 8. Mai 1990 zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Juli 1986 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Februar 1987 zu verurteilen, ihr Hinterbliebenenversorgung im Wege des Härteausgleichs gem § 1 OEG iVm § 89 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf ein Schreiben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 10. November 1986 an den Hessischen Sozialminister.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet.
Das SG hat zutreffend eine besondere Härte in diesem Einzelfall verneint, weshalb der Beklagte als möglicher Leistungsträger (§ 4 Abs 1 Satz 1 OEG idF vom 7. Januar 1985 – BGBl I S 2) berechtigt war, gegenüber der Klägerin Entschädigungsleistungen kraft einer Ermessensentscheidung nach § 1 Abs 7 OEG iVm § 89 BVG abzulehnen.
Witwenversorgung wegen eines durch eine Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG verursachten Todes erhält nach § 1 Abs 5 OEG iVm §§ 38 und 40 ff BVG allein eine Frau, die mit dem Opfer verheiratet war; nur durch die Eheschließung können Unterhaltsansprüche begründet werden, die durch die Witwenrente ersetzt werden sollen (BSGE 49, 104, 113 f = SozR 3800 § 2 Nr 1). Diese Voraussetzung besteht noch nicht bei einem Verlöbnis, wie es zwischen der Klägerin und dem ermordeten W. zustande gekommen war. Aus dem gesetzlichen Ausschluß einer „Brautversorgung” für Verlobte kann sich für den Geltungsbereich des OEG wegen eines Rechtsgrundes, über den die Gerichte zu befinden haben (BSGE 27, 286, 288 = SozR Nr 2 zu § 89 BVG; BSG SozR 3850 § 54 Nr 1), grundsätzlich nie im Einzelfall eine besondere Härte iS des § 89 BVG ergeben.
Daß die Klägerin und ihr Verlobter alsbald die Ehe miteinander eingehen wollten und daß die Verwirklichung dieser Absicht durch den unerwarteten Tod verhindert wurde, ist keine Sonderlage im Einzelfall, die als besondere Härte iS des § 89 BVG gewertet werden könnte (zu § 89 BVG: BSGE 34, 96, 97 = SozR Nr 6 zu § 89 BVG; BSG 20. Mai 1970 – 8 RV 305/69 –, teilweise abgedruckt in SozEntsch SVG BSG IX/4 § 80 Nr 5). Dies war eine Folge der unerläßlichen Voraussetzung einer jeglichen Hinterbliebenenversorgung, des Todes, aber, wie bei allen Frauen, die ihren Verlobten durch eine Gewalttat iS des § 1 OEG verloren haben, nicht mehr als eine der notwendigen Voraussetzungen für eine „Brautversorgung”, jedoch keine hinreichende rechtfertigende Voraussetzung für eine Entschädigung. Daran ändert sich nichts durch zusätzliche Umstände dieses Falles, und zwar dadurch, daß die Verlobten zur Zeit des Todes für eine standesamtliche Eheschließung (§§ 11, 13 und 14 Abs 1 Ehegesetz -EheG-) schon alle Abstammungsunterlagen beschafft hatten und eine Woche nach dem Unglücksfall das öffentliche Aufgebot durch den Standesbeamten veranlassen und damit die Eheschließung vorbereiten wollten (§ 12 EheG, §§ 3 bis 5 Personenstandsgesetz). Der schädigungsbedingte Tod ist die gesetzliche Anspruchsvoraussetzung für die Witwenversorgung. Wer zur Zeit des Todes noch nicht mit dem Opfer verheiratet war, also keine Witwe geworden sein kann, kann nur unter besonderen zusätzlichen Voraussetzungen versorgungsrechtlich der Witwe über einen Härteausgleich gleichgestellt werden.
Eine solche Frau muß gerade vor dem Tod durch bestimmte, entschädigungsrechtlich erhebliche Umstände daran gehindert worden sein, die Ehe mit dem später Getöteten zu schließen. Grundsätzlich können alle Bürger in Friedenszeiten jederzeit eine Ehe eingehen. Die Klägerin und ihr Verlobter hätten dies insbesondere alsbald nach dem Erkennen der etwa um die Jahreswende eingetretenen Schwangerschaft tun können, ohne daß der Eheschließung schon rechtserhebliche Umstände iS des OEG entgegenstanden.
Verlobte erhalten im gesamten Sozialrecht keine Witwenversorgung. Die gleiche Rechtslage besteht im bürgerlichen Recht. Wenn eine beiderseitig gewollte Eheschließung durch den Tod eines Partners, den ein Dritter schuldhaft verursacht hat, verhindert wird, kann der Überlebende vom Täter nicht deshalb einen zivilrechtlichen Schadensersatz beanspruchen, weil er nicht mehr den für einen solchen Anspruch notwendigen Status einer Witwe oder eines Witwers erlangt hat (§§ 823, 844 Abs 2, §§ 1360 BGB). Die staatliche Entschädigung nach dem OEG, die in gesetzlich begrenzten Fällen an die Stelle eines bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzanspruchs wegen unerlaubter Handlung tritt, wenn sie auch unabhängig von ihm ist (vgl § 5 OEG; BSGE 49, 104, 105; BSGE 52, 281, 287 = SozR 3800 § 2 Nr 3; BSGE 56, 90, 93 = SozR 3800 § 10 Nr 1), kann nicht regelmäßig abweichend vom gesetzlichen Ausschluß bei jener Sachlage eine „Brautversorgung” als Härteausgleich umfassen. Der Gesetzgeber, dem das Problem der „Brautversorgung” aus der Kriegsopferversorgung bekannt war, hat bewußt einen entsprechenden Entschädigungstatbestand nicht in das OEG aufgenommen. Härtefälle iS des § 89 BVG sind aber ausgeschlossen, soweit sie einer grundlegenden Wertung des Gesetzes widersprechen (BSGE 47, 123, 125; SozR 3100 § 89 Nr 8).
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur „Brautversorgung” von Kriegsopfern, deren Rechtsmaßstäbe auch für den OEG-Bereich gelten können, rechtfertigt keine andere Entscheidung. Sie hat außer dem Tod des Verlobten durch schädigende Einwirkungen iS des § 1 BVG zusätzlich als Hindernis für eine Verwirklichung der Absicht, alsbald die Ehe zu schließen, gefordert, daß Kriegsereignisse der Gründung einer Ehe entgegengestanden haben müssen; außerdem muß die verlobte Frau durch diese Einwirkung und weitere Umstände, zB durch die Sorge für ein gemeinsames Kind (BSGE 27, 286), in eine wirtschaftliche Lage geraten sein, die derjenigen der versorgungsberechtigten Witwe nahekommt (vgl Zitate in BSGE 47, 123, 125 f; zur Ähnlichkeit im Verhältnis zum gesetzlichen Anspruchstyp als Merkmal besonderer Härte: BVerfGE 60, 16, 44 = SozR 3100 § 89 Nr 10). Was bisher nicht in allen einschlägigen Entscheidungen des BSG deutlich ausgesprochen worden ist (so aber im Urteil vom 20. Mai 1970 aaO), weil es in diesen Fällen auch nicht darauf ankam, was aber auch das SG in diesem Rechtsstreit herausgestellt hat, folgt aus dem System der Kriegsopferversorgung: Als Kriegsereignisse, die hindernd gewirkt haben müssen, können nicht jegliche Umstände des Krieges einschließlich des Wehrdienstverhältnisses des getöteten Soldaten anerkannt werden. In Betracht kommen allein die dem militärischen und militärähnlichen Dienst zuzurechnenden Verrichtungen und die ihm eigentümlichen Verhältnisse, die nach § 1 Abs 1 BVG Ursache einer zur Versorgung berechtigenden Schädigung sein können, zB ein Fronteinsatz mit längerer Urlaubssperre oder eine mittelbare Schädigungsfolge iS des § 1 Abs 1 und 3 Satz 1 BVG (BSGE 33, 291 = SozR Nr 5 zu § 89 BVG). Ein solcher Umstand, der nach dem BVG rechtserheblich ist, muß die Eheschließung schon vorher verzögert und muß dadurch verhindert haben, daß die Verlobte vor dem Kriegstod des Partners seine Ehefrau wurde und damit die unerläßliche Rechtsstellung für eine Witwenversorgung erlangte. Dies ist eine notwendige weitere Voraussetzung für eine derjenigen der Witwe ähnlichen Lage, die einen Härtefall annehmen läßt. Konnte aber ein Soldat im Krieg Heiratsurlaub bekommen oder eine Ferntrauung veranlassen (dazu Palandt/Diederichsen, 41. Aufl 1982, § 13 EheG, Anm 3a; Absolon/Bundesarchiv, Sammlung wehrrechtlicher Gutachten und Vorschriften, Heft 18, 1980 S 49 f), also wie jeder Bürger im Zivilleben grundsätzlich jederzeit die Ehe eingehen, dann kann es zu einer Lage, die als besondere Härte iS des § 89 BVG bewertet werden könnte, nicht gekommen sein (BSGE 34, 96, 97 f; BSGE 36, 143, 145 = SozR Nr 9 zu § 89 BVG). Nur dann, wenn der Staat außer dem Tod den Umstand, der eine frühere Eheschließung verhinderte, zu vertreten hat, kann er für die Folge, das Ausbleiben eines ehelichen Unterhaltsanspruches, einstehen müssen.
Gleiches wie im Fall der Klägerin dürfte, worüber das BSG noch nicht entschieden hat, allgemein für Zivilisten gelten, die im Krieg plötzlich durch eine Kampfmitteleinwirkung als unmittelbare Kriegseinwirkung (§ 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst a BVG) oder nach dem Ende der Kampfhandlungen durch deren nachträgliche Auswirkungen (§ 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst e BVG) oder durch einen Besatzungsangehörigen getötet wurden (§ 1 Abs 2 Buchst a iVm § 5 Abs 1 Buchst d, Abs 2 Buchst a BVG). Insoweit besteht eine ähnliche Sach- und Rechtslage wie bei der Tötung durch ein plötzliches und unerwartetes Ereignis iS einer Gewalttat gem § 1 OEG, weist also das Opferentschädigungsrecht keine Besonderheiten gegenüber dem Recht der Kriegsopferversorgung auf. Kriegsbräute konnten allerdings die Stellung einer versorgungsrechtlichen Witwe erlangen, wenn während des Krieges nach dem wehrdienstbedingten Tod ihres Verlobten ein Standesbeamter ausgesprochen hatte, daß die Ehe geschlossen sei (Gesetz vom 29. März 1951 – BGBl I 215 –; dazu BSG SozR Nr 8 zu § 89 BVG); das kommt für Opfer von Gewalttaten nicht in Frage. Auch die nachträgliche Anerkennung einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft politisch oder rassisch Verfolgter nach dem Krieg mit den Rechtswirkungen einer Ehe, einschließlich Versorgungsansprüchen, setzt systemgerecht voraus, daß die Betroffenen wegen der Verfolgung nicht haben heiraten können (Gesetz vom 23. Juni 1950 – BGBl I 226 -/7. März 1956 – BGBl I 104). Für Verlobte von verstorbenen Bundeswehrsoldaten dürfte wegen anderer Lebensverhältnisse als im Krieg ebenfalls eine „Brautversorgung” kaum in Betracht kommen (vgl BSG vom 20. Mai 1970).
Die aufgezeigten Unterschiede zwischen Kriegsverhältnissen für Soldaten und Friedensverhältnissen, unter denen jemand Opfer einer Gewalttat iS des § 1 OEG werden kann, rechtfertigen es, eine „Brautversorgung” im Anwendungsbereich dieses Gesetzes nach dem dargelegten Beurteilungsmaßstab jedenfalls in den typischen Fällen wie bei der Klägerin zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen