Leitsatz (amtlich)

Krankengeldzahlungen einer Ersatzkasse an freiwillig Weiterversicherte sind "Krankengeld aus der Krankenversicherung" im Sinne des RVO § 559 Abs 2.

 

Normenkette

RVO § 559 Abs. 2 Fassung: 1939-02-17

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt/Main vom 31. Mai 1957 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger hatte bei der Beklagten Entschädigungsansprüche für die Folgen eines Arbeitsunfalls vom 11. November 1952 geltend gemacht.

Diese Ansprüche hat die Beklagte durch Bescheid vom 14. November 1955 mit der Begründung abgelehnt: Während der durch den Unfall verursachten Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger als freiwilliges Mitglied der Barmer Ersatzkasse von dieser die satzungsmäßigen Barleistungen bezogen, die der Ersatzkasse von der Beklagten erstattet worden seien. Nach Ablauf der 13. Woche sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Unfallfolgen nicht mehr um mindestens 20 v. H. gemindert gewesen.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG.) Frankfurt/Main erhoben. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 31. Mai 1957 hat er beantragt:

die Beklagte zu verurteilen, das gesetzliche Unfallkrankengeld vom 24. Dezember 1952 bis einschließlich 7. Januar 1953 zu gewähren.

Das SG. hat durch Urteil vom 31. Mai 1957 die Beklagte antragsgemäß verurteilt und die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Rechtsstreits zugelassen.

Das Urteil beruht auf folgenden tatsächlichen Feststellungen:

Der Kläger, seit 1948 nach einer vorübergehenden Pflichtversicherung freiwilliges Mitglied der Barmer Ersatzkasse, stürzte am 11. November 1952 auf einer Baustelle. ... Er war vom 11. November 1952 bis 7. Januar 1953 einschließlich arbeitsunfähig. Bis zum 23. Dezember 1952 bezog er sein Gehalt weiter und vom 24. Dezember 1952 bis 8. Januar 1953 erhielt er das satzungsmäßige Krankengeld von der Barmer Ersatzkasse in Höhe von 11,- DM täglich.

Das SG. ist der Auffassung, der Kläger habe nach § 559 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) trotz der Zahlung des Krankengeldes durch die Barmer Ersatzkasse einen Anspruch auf Krankengeld aus der Unfallversicherung, weil das von einer Ersatzkasse gezahlte Krankengeld nur bei Ersatzkassenmitgliedern angerechnet werden könne, die versicherungspflichtig seien.

Die Beklagte hat gegen das Urteil, das ihr am 24. Juni 1957 zugestellt worden ist, am 10. Juli 1957 beim Bundessozialgericht (BSG.) Revision eingelegt. Dem Revisionsschriftsatz ist eine schriftliche Einwilligungserklärung des Klägers vom 28. Juni 1957 beigefügt. Nachdem die Frist zur Begründung der Revision durch Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 15. Juli 1957 bis zum 24. September 1957 verlängert worden war, hat die Beklagte die Revision mit einem am 13. September 1957 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,

hilfsweise beantragt sie,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG. zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

II

Die Revision ist statthaft (§§ 144 Abs. 1 Nr. 2, 150 Abs. 1 Nr. 1, 161 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig. Die Revision ist auch begründet.

Die Entscheidung über den Anspruch des Klägers auf Krankengeld aus der Unfallversicherung hängt von der Auslegung des Begriffs "Krankengeld aus der Krankenversicherung" in § 559 Abs. 2 RVO ab. Der vorliegende Fall zwingt nicht zu einer Erörterung der Frage, welche Folgerungen im einzelnen daraus zu ziehen sind, daß im Dritten Buch der RVO der Begriff "Krankenversicherung" (vgl. z. B. auch §§ 559 f, 559 g, 559 h) in einzelnen Vorschriften durch "auf Grund der Reichsversicherung gegen Krankheit versichert" oder "nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung gegen Krankheit versichert" näher umschrieben ist (vgl. z. B. §§ 559 d, 559 e). Denn hieraus ergeben sich für die Auslegung des in § 559 Abs. 2 RVO verwendeten Begriffs "Krankengeld aus der Krankenversicherung" keine besonderen Einschränkungen, die diesem Begriff nicht schon ohnehin eigentümlich sind. Es muß sich um Leistungen handeln, die von einem Versicherungsträger der Krankenversicherung für den Versicherungsfall der Krankheit im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Systems der Sozialversicherung gewährt werden und nicht dem Bereich der "privaten" Versicherung gegen die verschiedensten Lebensrisiken zuzurechnen sind. Das ist für Leistungen der Ersatzkassen grundsätzlich zu bejahen. Die Ersatzkassen sind zwar in § 225 RVO nicht ausdrücklich unter den "Krankenkassen" im Sinne des Zweiten Buches der RVO aufgeführt. Das für die Ersatzkassen geltende Recht ist vielmehr in einem besonderen 9. Abschnitt des Zweiten Buches zusammengefaßt. Schon hieraus ergibt sich jedoch, daß diese Krankenkassen eng in den Aufbau der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auch in die Beziehungen zwischen den Versicherungsträgern der Unfallversicherung und der Krankenversicherung eingefügt sind. Diese Eingliederung ist durch die Änderung noch wesentlich verstärkt worden, die das Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5. Juli 1934 (RGBl. I S. 577 - AufbauG) und die Zwölfte Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung (12. Aufbau-VO) vom 24. Dezember 1935 (RGBl. I S. 1537) in der Fassung der 15. Verordnung vom 1. April 1937 (RGBl. I S. 439) für die Rechtsstellung der Ersatzkassen mit sich gebracht haben. Sie sind in Art. 3 § 1 AufbauG ausdrücklich unter den "Trägern der Krankenversicherung" aufgeführt, haben die Rechtsstellung von Körperschaften des öffentlichen Rechts erhalten und waren der Aufsicht der Versicherungsämter bezw. der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte unterstellt worden (vgl. jetzt Bundesversicherungsamtsgesetz vom 9.5.1956 - BGBl. I S. 415 - §§ 2, 3). Ihr Geschäftsbereich ist auf die nach der RVO zur Versicherung Verpflichteten oder Berechtigten beschränkt worden. Die Ersatzkassen sind hiernach ebenso Versicherungsträger der gesetzlichen Krankenversicherung wie die anderen Krankenkassen, und ihre Krankengeldzahlungen sind "Krankengeld aus der Krankenversicherung" im Sinne des § 559 Abs. 2 RVO.

Das hat das SG. auch nicht verkannt. Es hat aber dem Umstand besondere Bedeutung beigemessen, daß die Leistungen der Barmer Ersatzkasse an den Kläger auf der freiwilligen Weiterführung des Versicherungsverhältnisses beruhten. Dabei verkennt jedoch das SG., daß § 559 Abs. 2 RVO eine Abgrenzungsvorschrift ist und nicht den Zweck hat, die Versicherungsträger der Unfallversicherung von einer - an sich bestehenden - Leistungspflicht zu entlasten. § 559 Abs. 2 RVO ist erst durch Art. 10 des Dritten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 20. Dezember 1928 (RGBl. I S. 405) eingefügt worden. Bis dahin enthielt § 559 RVO (in der Fassung des Zweiten Gesetzes über Änderungen in der Unfallversicherung vom 14.7.1925 - RGBl. I S. 97 - und der Bekanntmachung vom 9.1.1926 - RGBl. I S. 97 nur den jetzigen Absatz 1, so daß grundsätzlich in diesen Fällen für den Versicherungsträger der Unfallversicherung keine Verpflichtung zur Gewährung von Geldleistungen bestand. Der neue Absatz 2 sollte eine Lücke ausfüllen (vgl. hierzu RVO -Mitgl. Komm., 2. Aufl., 1930 § 559 Anm. 3). Eine Lücke ist aber nur dann vorhanden, wenn der Verletzte keine Geldleistungen aus der Krankenversicherung beanspruchen kann. Deshalb ist es für die Anwendung des § 559 Abs. 2 RVO nicht entscheidend, ob die Geldleistungen aus der Krankenversicherung, nach deren Ablauf die Leistungen der Unfallversicherung einsetzen sollen, auf Grund einer Pflichtversicherung oder auf Grund eines freiwillig weitergeführten Versicherungsverhältnisses gezahlt werden (vgl. hierzu z. B. die zu § 559 c RVO ergangene Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 3272, AN. 1927 S. 392). Die Ausführungen des Klägers in den Revisionserwiderungsschriftsätzen sind nicht geeignet, einen anderen Standpunkt zu rechtfertigen. Der Kläger verkennt, daß die Leistungspflicht der Versicherungsträger vom Gesetz durch öffentlich-rechtliche Vorschriften geregelt und begrenzt und nicht an das Vorhandensein eines wirtschaftlichen Schadens im bürgerlich-rechtlichen Sinne geknüpft ist. Infolgedessen können die von der Rechtsprechung zum bürgerlich-rechtlichen Haftpflichtrecht entwickelten Grundsätze über die Vorteilsausgleichung zur Auslegung des § 559 Abs. 2 RVO nicht herangezogen werden. Denn diese Vorschrift regelt lediglich die Abgrenzung der öffentlich-rechtlichen Leistungspflichten zwischen der Unfallversicherung und der Krankenversicherung. Das gleiche gilt für die Rechtsausführungen des Klägers, die sich mit Fragen des Forderungsübergangs befassen. Dieser spielt im Verhältnis zwischen den Trägern der Krankenversicherung und der Unfallversicherung insofern nur eine völlig untergeordnete Rolle, als deren Beziehungen - und insbesondere die Erstattungsansprüche der Träger der Krankenversicherung gegenüber den Unfallversicherungsträgern - nicht durch den zweiten Abschnitt des Fünften Buches der RVO (z. B. durch § 1542 RVO), sondern durch den ersten Abschnitt (§§ 1501 ff. RVO) geregelt sind (vgl. wegen des Erstattungsanspruchs der Ersatzkassen für Leistungen an freiwillig weiterversicherte Mitglieder nach §§ 1508, 1509 RVO: LSG. Hamburg vom 14.12.1955, BG. 1956 S. 305).

Besonders Gewicht hat das SG. darauf gelegt, daß die Berechtigung zur freiwilligen Fortführung eines Versicherungsverhältnisses bei einer Ersatzkasse sich aus deren Satzung und nicht unmittelbar aus dem Gesetz, das heißt aus § 313 RVO ergibt (vgl. hierzu z. B. die Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 5118, AN. 1937 S. 267). Auch dieser Umstand ist nach der Auffassung des Senats für die Auslegung des § 559 Abs. 2 RVO ohne Bedeutung. Die Ersatzkassen sind zwar nur bei überlebenden Ehegatten ihrer Mitglieder (§ 4 Abs. 3 der 12. Aufbau-VO) und in dem in § 514 RVO (in der Fassung des Gesetzes über die Krankenversicherung der Rentner vom 12.6.1956 - BGBl. I S. 500) geregelten Sonderfall verpflichtet, das durch das Ausscheiden aus der Versicherungspflicht beendete Mitgliedsverhältnis weiterzuführen. Im übrigen können sie die freiwillige Weiterführung des Versicherungsverhältnisses durch Satzungsrecht regeln (§ 4 Abs. 2 der 12. Aufbau-VO). Abgesehen davon, daß dies praktisch nur noch von geringer Bedeutung ist (vgl. hierzu EuM. Bd. 40 S. 502), handelt es sich hierbei um keine Besonderheit. Der Gesetzgeber hat verschiedentlich dem Satzungsrecht der Versicherungsträger - und damit deren Selbstverwaltung - einen weiten Spielraum gelassen, den Umfang und sogar die Anspruchsvoraussetzungen der Versicherungsleistungen zu regeln (vgl. für die Unfallversicherung z. B. §§ 539, 540, 547, 559 1 RVO). Trotzdem sind die Leistungen, die auf Grund derartiger Satzungsbestimmungen gewährt werden, echte Sozialversicherungsleistungen. Vor allem hat das SG. aber nicht berücksichtigt, daß das Satzungsrecht der Ersatzkassen, durch das eine freiwillige Weiterversicherung geregelt wird, einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage durch die Ermächtigung in § 4 Abs. 2 12. Aufbau-VO bedurfte, weil es eine Durchbrechung des Grundsatzes bedeutet, daß die Ersatzkassen grundsätzlich nur Personen zu Mitgliedern haben dürfen, die nach der RVO versicherungspflichtig oder versicherungsberechtigt sind. Dieses Satzungsrecht ist also durch die Ermächtigung eng in den Aufbau des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung eingefügt.

Nach der Auffassung des Senats sind deshalb auch Krankengeldzahlungen einer Ersatzkasse an einen freiwillig Weiterversicherten "Krankengeld aus der Krankenversicherung" im Sinne des § 559 Abs. 2 RVO.

Da der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des SG. (vgl. § 163 SGG) infolgedessen nach § 559 Abs. 2 RVO keinen Anspruch auf Krankengeld aus der Unfallversicherung hat, war auf die Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund von § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 2324743

BSGE, 161

NJW 1960, 1686

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