Leitsatz (amtlich)

1. Ein Notfall für die Inanspruchnahme eines nicht zur Kassenpraxis zugelassenen Arztes (RVO § 368d Abs 1 S 2) liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn die fragliche Behandlung objektiv auch durch einen Kassenarzt möglich war.

2. Zur Behandlung von mongoloiden Kindern mit Vitamin- und Hormonpräparaten und mit Zellinjektionen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Kostenerstattung bei Notfallbehandlung.

1. Ist in einem Notfall ein nicht zur kassenärztlichen Tätigkeit zugelassener Arzt in Anspruch genommen worden (RVO § 368d Abs 1 S 2) und sind dem Versicherten dadurch Kosten entstanden, so kann er von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten beanspruchen. Hat ein Notfall nicht vorgelegen, so kann weder der Nichtkassenarzt die von ihm erbrachten Leistungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen noch der Versicherte die Erstattung der verauslagten Kosten unter dem Gesichtspunkt der Bereicherung oder der Geschäftsführung ohne Auftrag von der Krankenkasse verlangen, selbst wenn die Leistungen sich nach Art und Umfang im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung halten.

2. Ein Notfall in diesem Sinne liegt vor allem dann vor, wenn ohne eine sofortige Behandlung durch einen Nichtkassenarzt Gefahren für Leib und Leben entstehen oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden. Ist die Behandlung auch durch Kassenarzt möglich gewesen und war der Versicherte nicht auf die Hilfe eines Nichtkassenarztes - als letztes und einziges Mittel - angewiesen, so kann von einen Notfall iS des RVO § 368d Abs 1 S 2 nicht gesprochen werden.

3. Ach bei einem Notfall kann die KK nur die Kosten erstatten, die nach Art und Umfang nicht über den Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehen. Ist die Behandlung (zB mit Zellinjektionen bei Mongolismus) zur Erzielung des erstrebten Heilerfolges weder geeignet noch notwendig (RVO § 182 Abs 2, § 368e), so können die insoweit aufgewendeten Arzneikosten und die Reisekosten als Nebenkosten der Behandlung nicht erstattet werden.

 

Normenkette

RVO § 368d Abs. 1 S. 2 Fassung: 1955-08-17, § 368e Fassung: 1955-08-17, § 182 Abs. 2 Fassung: 1911-07-19

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 19. Dezember 1968 wird zurückgewiesen.

Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger fordert von der beklagten Krankenkasse, bei der er seit Mai 1959 freiwillig weiterversichert ist, die Erstattung von Behandlungskosten, die ihm in der Zeit vom 1. Mai 1959 bis zum 1. August 1961 für eine "Nachreifebehandlung" seiner - an einer mongoloiden Entwicklungsstörung leidenden - Tochter Uta entstanden sind. Das 1954 geborene Kind wurde seit 1965 von dem inzwischen verstorbenen, nicht zur Kassenpraxis zugelassen gewesenen Prof. Dr. H in M behandelt, und zwar mit Gaben von Vitaminen, Hormonen, Nährsalzen und Spurenelementen sowie in größeren zeitlichen Abständen mit Injektionen von Frisch- oder Trockenzellen. Seit 1961 besuchte das Kind die öffentliche Grundschule in seinem Heimatort und befand sich 1968 im dritten Schuljahr. Der Kläger sieht darin und in der Tatsache, daß seine Tochter sich auch körperlich gut entwickelt habe, insbesondere von Infektionen weitgehend verschont geblieben sei, einen Erfolg der Behandlung durch Prof. H und beantragte Mitte 1961 bei der Beklagten die Übernahme der Behandlungskosten (einschließlich der Kosten für die Reisen nach M). Schon 1955 hatte der Hausarzt des Klägers einen entsprechenden Antrag bei der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) M gestellt, bei der der Kläger damals versichert war, von ihr jedoch einen abschlägigen Bescheid erhalten.

Nachdem auch die Beklagte eine Kostenbeteiligung abgelehnt hatte, erhob der Kläger vor dem Sozialgericht Klage, mit der er zunächst die Erstattung sämtlicher seit 1955 entstandener Behandlungskosten, später nur noch der Kosten für Arzneimittel (848,15 DM) und der Reisen nach München (891,50 DM) während der streitigen Zeit (1. Mai 1959 bis 1. August 1961) verlangte. Die Klage hatte in erster Instanz im wesentlichen Erfolg, wurde jedoch vom Landessozialgericht (LSG) abgewiesen: Ein Notfall, der allein die Inanspruchnahme eines Nichtkassenarztes gerechtfertigt hätte, habe nicht vorgelegen, selbst wenn als Notfall schon eine unberechtigte Leistungsverweigerung durch die Krankenkasse angesehen werden könnte; weder habe hier der der Kläger vor Beginn der Behandlung durch Prof. H eine Kostenübernahme bei der Beklagten beantragt noch sei ihre Leistungsverweigerung unberechtigt. Soweit nämlich die Behandlung aus Vitamingaben bestanden und der Bekämpfung einer erhöhten Infektionsanfälligkeit gedient habe, sei sie nicht Behandlung einer Krankheit, sondern nur vorbeugende Gesundheitshilfe gewesen, die nach geltendem Recht nicht zu den Aufgaben der Krankenkassen, sondern allenfalls der Sozialhilfeträger gehöre. Im übrigen möge zwar die geistige und körperliche Entwicklung des Kindes durch vielseitige Bemühungen wesentlich gefördert worden sein, entscheidend sei dabei jedoch nach dem Gutachten der Sachverständigen Prof. St und Prof. H die heilpädagogische Betreuung im Elternhaus, in der Schule und durch Nachhilfeunterricht gewesen, nicht die Behandlung durch Prof. H; dessen Behandlungsmethode unterliege begründeten Zweifeln hinsichtlich ihrer Erfolgsmöglichkeiten und werde von der Schulmedizin allgemein abgelehnt (Urteil vom 19. Dezember 1968).

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung der Vorschriften über die Notfallbehandlung (§ 368 d Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) und die Verpflichtung der Krankenkasse zur Gewährung der notwendigen Krankenpflege (§§ 182 Abse. 1 und 2 RVO) sowie mehrerer Verfahrensbestimmungen (§§ 103, 106 und 109 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) durch das LSG. Entgegen dessen Ansicht habe für den Kläger ein Notfall vorgelegen, denn während der fraglichen Zeit sei eine medikamentöse Behandlung des Mongolismus weder durch den Hausarzt des Klägers noch durch einen anderen ihm oder der Beklagten bekannten Kassenarzt möglich gewesen; der Kläger habe auch wegen der Ablehnung einer Kostenübernahme durch die AOK Mannheim nicht damit rechnen können, daß die Beklagte die Behandlung durch Prof. H genehmigen würde, ein entsprechender Antrag bei der Beklagten sei daher sinnlos gewesen, der Kläger habe jedenfalls alles ihm Zumutbare getan. Das LSG habe ferner unter Verkennung des versicherungsrechtlichen Krankheitsbegriffs die Möglichkeiten einer Behandlung mongoloider Kinder durch die von Prof. H angewandte Methode zu gering veranschlagt. Diese Methode habe sich gerade im Falle seines Kindes als außerordentlich wirksam erwiesen. Das gelte nicht nur für denjenigen Teil der Behandlung, der wissenschaftlich gesichert sei, d. h. für die Verabreichung von Vitaminen und Hormonen, sondern auch für die Zellinjektionen. Die Vitamingaben hätten im übrigen nicht der Vorbeugung, sondern der Behandlung einer erhöhten Infektanfälligkeit, einer für den Mongolismus typischen Nebenfolge, gedient. Das LSG habe mithin, ohne die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung zu überschreiten, die Ursächlichkeit der Behandlung durch Prof. H für die eingetretene Besserung der Krankheitserscheinungen nicht verneinen dürfen. Vielleicht noch wichtiger als die medikamentöse Behandlung mongoloider Kinder sei allerdings ihre heilpädagogische Betreuung; deren Last habe hier überwiegend auf dem Kläger gelegen, die Kraft dazu hätten ihm indessen erst die überzeugenden Erfolge der Behandlung durch Prof. H gegeben. Es wäre deshalb grob unbillig, wenn ihm für die Behandlungskosten die Hilfe der Versichertengemeinschaft gänzlich versagt bliebe. In verfahrensrechtlicher Hinsicht habe das LSG den Antrag des Klägers, den in der Praxis von Prof. H tätig gewesenen Dr. I zur mündlichen Verhandlung zu laden und über Art, Umfang und Erfolg der jeweiligen Behandlungsphasen zu hören, nicht übergehen dürfen. Auch hätte dem Antrag des Klägers auf Ladung von Prof. H stattgegeben und wegen der Mängel seines Gutachtens ein Obergutachten eingeholt werden müssen. Der Kläger beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm für verauslagte Arzneimittel in der Zeit vom 1. Mai 1959 bis zum 1. August 1961 845,15 DM und für Fahrgeld, Übernachtung und Spesen 891,50 DM zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie hält den Klagespruch nicht für begründet; weder der Mongolismus als solcher noch eine mit ihm verbundene Infektanfälligkeit seien als Krankheiten anzusehen. Im übrigen habe kein Notfall vorgelegen, der eine Inanspruchnahme von Prof. H gerechtfertigt hätte; eine Vitaminversorgung, die bei mongoloiden Kindern allerdings zweckmäßig sein möge, hätte durch jeden Kassenarzt erfolgen können.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet.

Dem Urteil des LSG, das die Klage abgewiesen hat, weil ein Notfall für die Inanspruchnahme eines nicht zur Kassenpraxis zugelassenen Arztes nicht vorgelegen habe, ist im Ergebnis beizutreten.

Nach § 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO dürfen "nichtzugelassene Ärzte nur in Notfällen in Anspruch genommen werden". Das bedeutet zunächst: Soweit ein Notfall vorliegt, stehen die von Nichtkassenärzten bewirkten oder verordneten Leistungen denen der Kassenärzte gleich. Kosten, die einem Versicherten aus der Inanspruchnahme solcher Leistungen erwachsen, namentlich durch Einlösung eines von einem Nichtkassenarzt ausgestellten Privatrezeptes, sind ihm deshalb von der zahlungspflichtigen Stelle zu erstatten. Vorausgesetzt ist dabei allerdings, daß der Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung gewahrt ist, die fraglichen Leistungen also der Behandlung einer Krankheit im Sinne des § 182 Abs. 1 RVO gedient und das Maß des Notwendigen nicht überschritten haben (§ 182 Abs. 2 RVO). Hat andererseits ein Notfall nicht vorgelegen und deshalb dem in Anspruch genommenen Nichtkassenarzt die besondere gesetzliche Behandlungsermächtigung nach § 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO gefehlt, kann weder er die erbrachten Leistungen gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung abrechnen noch der Versicherte eine Erstattung verauslagter Kosten von der Krankenkasse verlangen. Das gilt auch dann, wenn die Leistungen sich nach Art und Umfang im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung gehalten haben, entsprechende Leistungen von Kassenärzten also "erspart" worden sind. Ein Erstattungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Bereicherung oder der Geschäftsführung ohne Auftrag ist insoweit grundsätzlich nicht gegeben (vgl. BSG 19, 270 und 14, 59, 63; ferner zur Honorierung fachfremder Leistungen in der Kassenpraxis BSG 30, 83, 86).

Unter welchen Voraussetzungen ein Notfall im Sinne der genannten Vorschrift angenommen werden kann, ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. Das LSG hat dazu "in erster Linie" die Fälle gerechnet, in denen ohne eine sofortige Behandlung durch einen nicht zugelassenen Arzt Gefahren für Leib und Leben entstehen oder heftige Schmerzen unzumutbar lange andauern würden; diese Voraussetzungen hätten beim Kinde des Klägers nicht vorgelegen. Das LSG hat ferner auf eine Entscheidung des Reichsversicherungsamtes verwiesen, das einen "dringenden Fall" im Sinn des früheren Rechts (§ 368 RVO aF) auch anerkannt hatte, "wenn sich die Verschaffung der notwendigen spezialärztlichen Behandlung eines Versicherten dadurch verzögert, daß ihm die Inanspruchnahme des Kassenspezialarztes ... unmöglich gemacht wird" (GE 2193, AN 1916, 482). Ob dem für das geltende Recht zu folgen und in Fortführung dieser Rechtsprechung der Begriff des Notfalls auf Sachverhalte auszudehnen ist, die dadurch gekennzeichnet sind, daß eine bestimmte Behandlung, etwa wegen ihrer Neuartigkeit, Aufwendigkeit oder Schwierigkeit, durch einen Kassenarzt (noch) nicht erfolgen kann, wohl aber durch einen anderen, nicht zugelassenen, möglicherweise sogar im Ausland praktizierenden Arzt, braucht der Senat hier nicht abschließend zu entscheiden. Das gleiche gilt für die weitere Frage, ob dann nicht wenigstens die Ermächtigung zur Behandlung durch den Nichtkassenarzt vorher beantragt und entweder erteilt oder verweigert sein muß (vgl. dazu BSG 19, 270, 273), oder ob ein solcher Antrag, wie der Kläger meint, als entbehrlich anzusehen ist, wenn er den Umständen nach keinerlei Aussicht auf Erfolg hat, seine Ablehnung also unterstellt werden kann (und die Erstattung der Behandlungskosten später tatsächlich von der Krankenkasse abgelehnt worden ist). Selbst wenn insoweit dem Kläger beizutreten wäre, liegt ein Notfall i. S. des § 368 d Abs. 1 Satz 2 RVO jedenfalls dann nicht vor, wenn die fragliche Behandlung objektiv auch durch einen Kassenarzt möglich war, der Versicherte mithin nicht auf die Hilfe eines Nichtkassenarztes - als letztes und einziges Mittel - angewiesen war. Im übrigen sind Behandlungskosten, wie ausgeführt, nur zu erstatten, wenn die erbrachten Leistungen nach Art und Umfang über den Leistungsrahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht hinausgingen. In beiden Richtungen bestehen gegen den vom Kläger erhobenen Erstattungsanspruch durchgreifende Bedenken.

Die Behandlungsmethode, die Prof. H seinerzeit bei dem Kind des Klägers angewendet hat, mag sich, was die für sie charakteristische Kombination von Vitamingaben, Hormonpräparaten und Zellinjektionen angeht im wesentlichen auf seine Person und Praxis beschränkt haben. Das gleiche trifft aber nicht für ihre einzelnen Bestandteile zu, insbesondere nicht für die Verabreichung von Vitaminen und Hormonen. Insofern haben auch die vom LSG gehörten Sachverständigen Prof. St und Prof. H Bedenken von Seiten der "Schulmedizin" nicht geäußert, sondern die Anwendung dieser Medikamente mit dem Ziel einer Infektabwehr oder einer allgemeinen Stimulierung ("im Rahmen der manchmal zu beobachtenden Korrelation zwischen Mongolismus und Unterfunktion der Körperdrüsen") durchaus für sinnvoll gehalten (vgl. auch Mittermaier, Deutsches Ärzteblatt 1970, 780). Dabei haben sie jedoch betont, daß die nach ihrer Ansicht "wirksamen" Bestandteile der Haubold'schen Therapie "von jedem Arzt, der sich die Mühe macht, sich über die Vitaminbedürfnisse des menschlichen Körpers und die Dosierung von Hormonen zu informieren, verordnet werden" können. Geht man von dieser - ersichtlich auch vom LSG geteilten - Auffassung aus, dann hat für den Kläger objektiv ein Bedürfnis, sein Kind gerade durch Prof. H behandeln zu lassen, jedenfalls insoweit nicht bestanden, als die Verordnung von Vitaminen und Hormonen in Betracht kommt. Nichts spricht dafür, daß insoweit eine Behandlung durch einen anderen, zur Kassenpraxis zugelassenen Arzt unmöglich gewesen wäre, die Inanspruchnahme von Prof. H also das letzte und einzige Mittel war, um dem Kind des Klägers die fragliche Therapie zuteil werden zu lassen. Den Feststellungen des LSG ist auch nicht zu entnehmen, daß der Kläger sich wenigstens bemüht hat, sein Kind durch einen anderen Arzt behandeln zu lassen. Nach den Feststellungen des LSG hat er sich vielmehr alsbald - noch vor der ersten Anfrage des Hausarztes bei der damals für den Klägers zuständig gewesenen AOK M - an Prof. H gewandt, offenbar in der irrigen Annahme dieser sei als einziger zur Behandlung des Kindes in der Lage Von einem objektiven Behandlungsnotstand kann hiernach nicht gesprochen werden, soweit das Kind des Klägers mit Vitaminen und Hormonen behandelt worden ist.

Ob im übrigen, wie das LSG gemeint hat, eine Erstattung der Kosten für die Vitaminbehandlung auch deswegen entfällt, weil diese nur der Vorbeugung, nicht der Bekämpfung eines bereits eingetretenen Zustandes der Behandlungsbedürftigkeit gedient hat, oder ob nicht vielmehr mit dem Kläger bei den im allgemeinen wohl besonders infektionsanfälligen und = gefährdeten mongoloiden Kindern eine Behandlung mit dem Ziel der Infektabwehr bereits als Teil der Krankenbehandlung anzusehen ist, hat der Senat nicht zu entscheiden brauchen.

Soweit der Kläger die Erstattung von Behandlungskosten fordert, die durch Zellinjektionen entstanden sind, scheint Prof. H allerdings der einzige Arzt gewesen zu sein, der diese Art der Behandlung während der fraglichen Zeit bei mongoloiden Kindern angewendet hat. Insoweit könnte dem Kläger daher nicht entgegengehalten werden, er habe nicht Prof. H in Anspruch zu nehmen brauchen, sondern sein Kind auch durch einen anderen Arzt (Kassenarzt) behandeln lassen können. Andererseits haben die vom LSG gehörten Sachverständigen gerade gegen diesen Teil der Haubold'schen Therapie Bedenken hinsichtlich seiner medizinischen Wirksamkeit geäußert und Zellinjektionen bei Mongolismus-unter Berufung auf die allgemeine Auffassung der Schulmedizin - als wirkungslos abgelehnt; in der Literatur sind über sie noch härtere Urteile gefällt worden (vgl. Joppich, Der Landarzt 1965, 999; Fanconi-Wallgren, Lehrbuch der Pädiatrie, 8. Auflage 1967, S. 41). Wenn das LSG sich dem im Ergebnis angeschlossen hat, so hat es damit entgegen der Ansicht des Klägers die Grenzen der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 SGG) nicht überschritten. Das Revisionsgericht, das die erhobenen Beweise nicht selbst würdigen darf, hat die - in verfahrensrechtlich zulässiger Weise getroffenen - Feststellungen des LSG seiner eigenen Entscheidung zugrunde zu legen. Da hiernach die Behandlung mit Zellinjektionen zur Erzielung des erstrebten Heilerfolges weder geeignet noch notwendig war (§§ 182 Abs. 2, 368 e RVO), kann der Kläger auch für die insoweit aufgewendeten Arzneikosten keine Erstattung von der Beklagten verlangen.

Unbegründet sind schließlich seine weiteren, vorsorglich erhobenen Verfahrensrügen. Zur Einholung eines "Obergutachtens" brauchte sich das LSG trotz der unterschiedlichen Beurteilung der Haubold'schen Behandlungsmethode durch die vom LSG beauftragten Sachverständigen (Professoren St und H) und den vom SG gehörten Arzt (Prof. Sch) nicht gedrängt zu fühlen, sondern durfte sich ohne Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht (§ 103 SGG) dem von ihm eingeholten und widerspruchsfrei begründeten Gutachten anschließen. Es brauchte auch dem Antrag des Klägers nicht zu entsprechen, Prof. H und den früher in der Praxis von Prof. H tätig gewesenen Dr. L zur mündlichen Verhandlung zu laden. Über welche noch aufklärungsbedürftigen und nur durch eine mündliche Anhörung aufklärbaren Tatsachen die Genannten hätten vernommen werden sollen, hat der Kläger weder in seinem früheren Antrag noch in der Revisionsbegründung im einzelnen angegeben. Da Dr. L dem Gericht im übrigen nur "Auskunft über Art, Umfang und Erfolg der jeweiligen Behandlungsphasen" erteilen sollte, betraf dieser Antrag lediglich die Ladung eines sachverständigen Zeugen; er war also kein Antrag nach § 109 SGG, dem sich das LSG nur unter besonderen Voraussetzungen hätte entziehen dürfen (vgl. SozR Nr. 23 zu § 109 SGG).

Hat das LSG somit dem Kläger einen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten seines Kindes mit Recht versagt, soweit diese Aufwendungen die von Prof. H verordneten Arzneimittel betreffen, so können ihm auch die Kosten der Reisen nach München - als "akzessorische" Nebenkosten der Behandlung (vgl. BSG 32, 225, 226) - nicht erstattet werden. Seine Revision ist unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1669346

BSGE, 172

NJW 1972, 2244

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge