Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerfreie Auslandszulage als Arbeitsentgelt

 

Orientierungssatz

Gehören die unter der Bezeichnung "Auslandszulage" gezahlten Beträge zum Arbeitseinkommen (Entgelt) iS des § 571 Abs 1 S 1 RVO aF, so sind sie unabhängig davon, ob für sie zu Recht keine Lohn- oder Einkommensteuer entrichtet wurde, bei der Ermittlung des Jahresarbeitsverdienstes zugrunde zu legen.

 

Normenkette

RVO § 160 Abs 1, § 571 Abs 1 S 1 Fassung: 1963-04-30; RAMErl 1944-10-24 Abs 1 Halbs 1

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 25.11.1982; Aktenzeichen L 3 U 16/81)

SG Berlin (Entscheidung vom 16.02.1981; Aktenzeichen S 69 U 242/78)

 

Tatbestand

Die im Jahre 1934 geborene Klägerin war vom 1. Januar 1970 bis zum 13. Februar 1971 aufgrund eines Dienstvertrages mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) als Ärztin auf dem Lazarettschiff "Helgoland" vor Hanoi (Vietnam) beschäftigt. Bei dieser Tätigkeit zog sie sich eine Amöbiasis (Amöbenruhr) zu, die von der Beklagten als Berufskrankheit (BK) nach Nr 37 der Anlage 1 zur 7. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) anerkannt worden ist und mit einer Verletztenrente entschädigt wird (Dauerrenten-Bescheid vom 26. Mai 1976). Als Zeitpunkt des Versicherungsfalles wurde der 6. Februar 1971 angenommen. Durch jeweils ua wegen der Höhe des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) ebenfalls angefochtene weitere Bescheide vom 7. Dezember 1977 (Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 1978), 12. November 1980 und 12. August 1981 setzte die Beklagte die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in unterschiedlicher Höhe (zunächst 100 vH, zuletzt 75 vH) fest und legte als JAV das Arbeitseinkommen der Klägerin vom 6. Februar 1970 bis zum 5. Februar 1971 in Höhe von 28.459,99 DM (einschließlich Weihnachtsgeld und Vergütung für Bereitschaftsdienst) zugrunde (Bescheid vom 26. Mai 1976). Durch Bescheid vom 12. November 1980 berichtigte sie die JAV-Festsetzung unter Anrechnung des Gegenwerts für freie Unterkunft und Verpflegung (2.390,20 DM) auf 30.850,19 DM.

Die Klägerin erstrebt einen höheren JAV. Sie erhielt außer der Grundvergütung eine "Auslandszulage" von monatlich 1.380,-- DM, die sie (in Höhe von 15.180,-- DM), dh also für 11 Monate, bis zum seinerzeitigen Höchstbetrag des JAV von 36.000,-- DM (s Bl 21 SG-Akten) als Teil des anrechenbaren Arbeitseinkommens ansieht. Den ihr außerdem gewährten "Kaufkraftausgleich" in Höhe von 90 vH der Grundvergütung zuzüglich "Auslandszulage" rechnet die Klägerin dagegen nicht zum JAV.

Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 16. Februar 1981 dem Antrag der Klägerin folgend die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 26. Mai 1976, 7. Dezember 1977, 8. Mai 1978 (Widerspruchsbescheid) und 12. November 1980 verurteilt, die Verletztenrente vom Rentenbeginn an unter Zugrundelegung eines JAV neu festzustellen, der die der Klägerin gewährte Auslandszulage berücksichtigt. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 25. November 1982) und zur Begründung ua ausgeführt: Nach § 571 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) in der hier maßgebenden Fassung bis zum Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches IV (SGB IV) am 1. Juli 1977 iVm § 572 RVO gelte als JAV das Arbeitseinkommen des Verletzten - Jahresbetrag aller Arbeitsentgelte aus abhängiger Beschäftigung und Arbeitseinkommen aus selbständiger Tätigkeit - im Jahre vor dem Arbeitsunfall bzw dem Ausscheiden aus der gefährdenden Tätigkeit. Der Begriff des Entgelts (§ 160 Abs 1 RVO idF bis zum 30. Juni 1977) sei durch den Gemeinsamen Erlaß des Reichsministers der Finanzen (RMF) und des Reichsarbeitsministers (RAM) vom 10. September 1944 (AN S 241) und den Erlaß des RAM vom 24. Oktober 1944 (AN S 302) dahin erläutert und ergänzt worden, daß grundsätzlich nur lohnsteuerpflichtige Bezüge aus abhängiger Beschäftigung als Arbeitsentgelt anzusehen seien. Die Auslandszulage aber sei der Klägerin lohnsteuerfrei zugeflossen. Gleichwohl gehöre sie zum Arbeitseinkommen iS des § 571 Abs 1 Satz 1 RVO aF. Denn der Gemeinsame Erlaß vom 10. September 1944 (aaO) habe sich auf die Beiträge zur Sozialversicherung beschränkt und im übrigen keinen Einfluß auf den Entgeltbegriff des § 160 RVO aF gehabt (BSGE 50, 9). Unabhängig von der Steuerfreiheit sei deshalb die Auslandszulage dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, da sie als Gegenleistung für erhöhte Anforderungen und erschwerte Arbeitsbedingungen in Frontnähe erbracht worden sei und anders als der Kaufkraftausgleich nicht lediglich einen durch den Auslandsaufenthalt bedingten Mehrbedarf oder einen Währungsverlust habe ausgleichen sollen.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, das LSG habe zwar zutreffend nicht darauf abgestellt, ob die Auslandszulage lohnsteuerpflichtig, sondern ob sie Entgelt für geleistete Arbeit gewesen sei. Nach der Vergütungsbescheinigung des DRK vom 2. Juli 1976 habe die Klägerin jedoch nur die dort angegebenen Beträge erzielt, in denen die Auslandszulage nicht enthalten sei. Folglich seien die der Klägerin als Auslandszulage zugeflossenen Gelder ihrem Wesen nach Spesen und als solche bei der Berechnung des JAV nicht zugrunde zu legen.

Die Beklagte beantragt, die Urteile des Sozialgerichts und des Landessozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat sich im Revisionsverfahren nicht geäußert.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet. Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, daß auch die der Klägerin lohnsteuerfrei gezahlte sogenannte Auslandszulage zu ihrem Arbeitseinkommen zu rechnen und deshalb bei der Feststellung des JAV zugrunde zu legen ist.

Die Verletztenrente gehört zu den Leistungen in Geld, die gemäß § 570 RVO nach dem JAV berechnet werden (s § 581 Abs 1, § 571 Abs 1 iVm §§ 571 bis 578 RVO). Als JAV gilt das Arbeitseinkommen des Verletzten im Jahre vor dem Arbeitsunfall (§ 571 Abs 1 Satz 1 RVO in der hier maßgebenden Fassung bis zum Inkrafttreten des SGB IV am 1. Juli 1977), bei einer Berufskrankheit - wie hier - im Jahre vor dem nach § 572 RVO maßgebenden Zeitpunkt, der durch Bescheid der Beklagten - von der Klägerin unbeanstandet - auf den 6. Februar 1971 festgesetzt worden ist. Das Arbeitseinkommen umfaßte nach § 571 Abs 1 Satz 1 RVO aF das Arbeitsentgelt aus unselbständiger Tätigkeit und das Arbeitseinkommen (Erwerbseinkommen) aus selbständiger Tätigkeit (s Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 9. Aufl, S 574b mwN), ebenso wie nach § 571 Abs 1 Satz 1 RVO idF des SGB IV, in welchem ohne sachliche Änderung (s BSGE 50, 9; Brackmann aaO; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 571 Anm 2 Buchst a; Gitter, Gesamtkommentar SGB, § 571 Anm 1) der Begriff "Arbeitseinkommen" ersetzt worden ist durch den Begriff "Gesamtbetrag aller Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen". In der hier maßgebenden Zeit vom 6. Februar 1970 bis zum 5. Februar 1971 hat die Klägerin aufgrund des Dienstvertrages mit dem DRK als Ärztin in nichtselbständiger Arbeit gestanden, so daß zu prüfen ist, ob die Geldbeträge, die ihr während dieses Zeitraumes (bis zum 31. Dezember 1970) unter der Bezeichnung "Auslandszulage" gezahlt worden sind, zum Arbeitseinkommen iS des Arbeitsentgelts gehörten.

Nach dem allgemeinen Entgeltbegriff des § 160 Abs 1 RVO aF bis zum Inkrafttreten des SGB IV (§ 160 RVO aF) gehörten zum Entgelt iS der RVO neben Gehalt oder Lohn auch Gewinnanteile, Sach- und andere Bezüge, die der Versicherte, wenn auch nur gewohnheitsmäßig, statt des Gehalts oder Lohnes oder neben ihm von dem Arbeitgeber oder einem Dritten erhielt. Der Gemeinsame Erlaß des RMF und des RAM vom 10. September 1944 (AN 1944, 281), der bis zu seiner Aufhebung durch § 21 Abs 1 Nr 4 SGB IV mit Wirkung vom 1. Juli 1977 als geltendes Recht angesehen wurde (s ua BSGE 50, 9, 10; 53, 133, 134; Brackmann aaO S 310b mit zahlreichen weiteren Nachweisen), sah zwar vor, daß die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebenden Betrag zu berechnen waren. Da er jedoch nur der Vereinfachung des Lohnabzuges diente und sich auf die Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung beschränkte, hatte er auf den Entgeltbegriff keinen Einfluß, soweit es sich nicht um die Berechnung der Beiträge handelte (BSG aaO). In seinem Erlaß vom 24. Oktober 1944 (AN 1944, 302) bestimmte der RAM, daß zum Entgelt iS der Sozialversicherung solche Lohnbezüge nicht gehörten, die nach dem Gemeinsamen Erlaß (aaO) bei der Berechnung der Beiträge außer Ansatz bleiben (Abs 1 Halbsatz 1). Da sowohl die Beiträge als auch die Leistungen in der Kranken- und in der Rentenversicherung das Arbeitsentgelt als Berechnungsgrundlage hatten, war es gerechtfertigt und folgerichtig, die nach dem Gemeinsamen Erlaß für die Beitragsberechnung unberücksichtigt bleibenden Teile des Lohnes auch für die Berechnung der Leistungen nicht als Arbeitsentgelt anzusehen und damit auch für die Berechnung der Beiträge in diesen Zweigen der Sozialversicherung nicht zu berücksichtigen. Die dem Erlaß des RAM (aaO) zugrundeliegende Erwägung, daß der Versicherte bei seinen Leistungsansprüchen keinen Vorteil aus Bezügen haben soll, für die er keine Beiträge entrichtet hat, trifft aber für die Unfallversicherung nicht zu, weil der gegen Arbeitsunfall versicherte Beschäftigte (§ 539 Abs 1 Nr 1 RVO) keine Beiträge zur Unfallversicherung zahlt (s § 723 RVO). Da der unfallversicherte Beschäftigte mangels Beitragszahlung zur Unfallversicherung keine Vorteile davon hat, daß bestimmte Teile seines Lohnes oder Gehalts der Beitragsberechnung nicht zugrunde gelegt werden, hat es der 5. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (BSGE 50, 9, 11) nicht für gerechtfertigt erachtet, diesem fehlenden Vorteil auf der Beitragsseite einen Nachteil auf der Leistungsseite gegenüberzustellen; von dem Grundsatz des Abs 1 Halbsatz 1 des RAM-Erlasses (aaO), daß die bei der Berechnung der Beiträge nicht zu berücksichtigenden (lohnsteuerfreien) Lohnbezüge auch nicht als Entgelt iS der Sozialversicherung anzusehen seien, müsse deshalb jedenfalls für die Berechnung des JAV in der Unfallversicherung eine Ausnahme gelten. Dieser Auffassung hat der erkennende Senat bereits zugestimmt (BSGE 53, 133, 135, betreffend Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit). Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, daß die der Klägerin monatlich bis zum 31. Dezember 1970 unter der Bezeichnung "Auslandszulage" gezahlten Beträge unabhängig davon, ob für sie zu Recht keine Lohn- oder Einkommensteuer entrichtet worden ist, der Ermittlung des JAV zugrunde zu legen sind, falls sie zu ihrem Arbeitseinkommen (Entgelt) iS des § 571 Abs 1 Satz 1 RVO aF gehörten. Auch die Beklagte geht nunmehr in ihrer Revisionsbegründung von dieser Rechtsauffassung aus, meint allerdings, die der Klägerin als Auslandszulage zugeflossenen Gelder seien, entgegen der Ansicht des LSG, nicht als Entgelt für geleistete Arbeit, sondern als Spesen gezahlt worden, die bei der Berechnung des JAV nicht zu berücksichtigen seien. Abgesehen davon, daß die von der Revision zur Begründung ihrer Auffassung angeführte Vergütungsbescheinigung des DRK vom 2. Juli 1976 von dem hier für die Berechnung des JAV maßgebenden Zeitraum nur den Monat Januar 1971 betrifft, für den die Klägerin die Zahlung der Auslandszulage offenbar nicht geltend macht, hat bereits das LSG zu Recht berücksichtigt, daß die Klägerin in deutlicher Differenzierung von den sonstigen Bezügen zusätzlich einen nicht unerheblichen sogenannten Kaufkraftausgleich erhalten hat, der den von der Beklagten angeführten Spesen oder sogenannten Auslösungen vergleichbar dem Ausgleich eines Mehrbedarfs im Ausland und eines Währungsverlustes diente und dementsprechend von der Klägerin auch nicht als Entgelt für die Berechnung des JAV geltend gemacht wird. Demgegenüber ist die sogenannte Auslandszulage als Gegenleistung für die unter erhöhten Anforderungen in Frontnähe auf dem Lazarettschiff erbrachte Heilbehandlung Verwundeter gezahlt worden und diente als Anreiz dazu, verantwortungsvolle Fachkräfte auf dem Lazarettschiff einsetzen zu können. Sie war damit echtes Entgelt für geleistete Arbeit.

Die Revision der Beklagten ist danach zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659725

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