Orientierungssatz
Bei dem sowjetzonalen Recht handelt es sich um nicht revisibles Recht.
Normenkette
RVO § 1291 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 68 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Januar 1963 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin begehrt eine nach ihrer Ansicht "wiederaufgelebte" Witwenrente (§ 68 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -).
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) wohnte die Klägerin bis 1951 in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands (SBZ) und kam dann nach Berlin (West). Sie besitzt den Flüchtlingsausweis A. Sie hatte 1943 den Versicherten, Heinz K, geheiratet. 1950 wurde der Versicherte mit dem Todeszeitpunkt 31. Juli 1949 für tot erklärt. Die Klägerin heiratete im November 1950 wieder. Die zweite Ehe wurde durch Urteil vom 12. Dezember 1960, rechtskräftig seit 15. August 1961, aus Alleinschuld des Ehemannes geschieden. Nach den weiteren, vom LSG in Übereinstimmung mit dem eigenen Vorbringen der Klägerin getroffenen Feststellungen hatte die Klägerin bis zur Wiederverheiratung 1950 in der SBZ nach der dort angewandten Verordnung über die Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947 (VSV) keinen Anspruch auf Witwenrente, da sie keine Kinder hatte und arbeitsfähig war.
Im Dezember 1960 beantragte die Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des K. Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis auf § 68 AVG an, weil der Klägerin bisher eine Rente aus der Versicherung des K nicht gezahlt worden sei (Bescheid vom 4. Juli 1961). Das Sozialgericht (SG) Berlin wies die Klage ab (Urteil vom 24. Januar 1962). Das LSG Berlin wies mit Urteil vom 25. Januar 1963 die Berufung zurück und ließ die Revision zu. Es bezog sich zur Begründung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in der Entscheidungssammlung Bd. 14 S. 238, wonach der Begriff "Wiederaufleben" voraussetze, daß ein Anspruch auf Witwenrente bestanden habe. Die Gleichstellung der Vertriebenen mit den Berechtigten im Geltungsbereich des des Grundgesetzes (§ 90 BVFG) nach dem FAG vom 7. August 1953 und dem FANG vom 25. Februar 1960 beziehe sich auf die Zeit vom Aufenthalt in der Bundesrepublik an.
Mit der Revision beantragt die Klägerin, unter Aufhebung der Urteile des LSG und des SG sowie des Bescheids der Beklagten diese zur Gewährung von Witwenrente aus der Versicherung des K zu verurteilen. Sie rügt eine Verletzung von Art. 2 § 25 AnVNG und § 68 Abs. 2 AVG. Sie ist der Ansicht, ihr Anspruch auf Witwenrente sei mit dem Tode des K nach dem damaligen Reichsrecht entstanden und im Bereich der Bundesrepublik niemals untergegangen; die Wohnsitzverlegung in die Bundesrepublik sei lediglich eine Vorbedingung für die Antragstellung. Außerdem stützt sie ihren Anspruch auf das FAG und FANG.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie führt u. a. aus, auch im Verhältnis zur SBZ sei das Wohnsitzprinzip maßgebend; ein Anspruch nach fremdem Recht sei nur dann einem Anspruch nach dem AVG gleichzusetzen, wenn die Ansprüche durch Abkommen oder Gesetz gleichgestellt wären; durch das Fremdrentenrecht seien nur bei fremden Versicherungsträgern zurückgelegte Beitragszeiten und bestimmte Beschäftigungszeiten den im Bundesgebiet zurückgelegten Beitragszeiten gleichgestellt, nicht aber Rentenansprüche.
Die Klägerin und die Beklagte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Das Gericht kann gemäß §§ 165, 153, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Witwenrente aus der Versicherung des K. Bei der Scheidung der zweiten Ehe ist kein Witwenrentenanspruch wiederaufgelebt, weil bei Eingehen dieser Ehe kein Witwenrentenanspruch untergegangen ist (§ 68 AVG, Art. 2 § 25 AnVNG).
Der Senat hat in dem Rechtsstreit 1 RA 349/62, auf den sich die Klägerin auch bezogen hat, entschieden, daß die Witwe eines Versicherten, die 1950 in der SBZ wohnte und dort wieder heiratete, zur Zeit der Wiederverheiratung aber keine Witwenrente bezog, weil sie die persönlichen Anspruchsvoraussetzungen des sowjetzonalen Rechts nicht erfüllte, nach der Auflösung der zweiten Ehe in der Bundesrepublik keinen Anspruch auf eine wiederaufgelebte Witwenrente hat (BSG 19, 97). Der Senat hält diese Rechtsauffassung auch für den vorliegenden Fall aufrecht. Es kann dahinstehen, ob eine nach den Vorschriften der SBZ bezogene Witwenrente nach § 68 AVG wieder aufleben kann. Hier bestand jedenfalls kein Witwenrentenanspruch der Klägerin für die Zeit bis zur Wiederverheiratung 1950.
Die Feststellung des LSG, die Klägerin habe bei Wiederverheiratung in der SBZ keinen Anspruch auf Witwenrente nach der VSV gehabt, ist für das Revisionsgericht bindend, da es sich bei dem sowjetzonalen Recht um nicht revisibles Recht handelt und die Klägerin diese, einer Tatsachenfeststellung gleichstehende Feststellung von außerhalb der Bundesrepublik geltendem Recht nicht angegriffen hat (§ 162 Abs. 2, §§ 163, 202 SGG; § 562 ZPO).
Die Klägerin konnte keinen Anspruch nach früherem Reichsrecht erwerben, da der Tod des Versicherten erst für 1949 festgestellt wurde. Zu diesem Zeitpunkt ist im Bereich des Wohnsitzes der Klägerin nicht mehr das AVG aF, sondern die sowjetzonale VSV angewandt worden (Wohnsitzgrundsatz vgl. BSG 3, 286, 291 f).
Da die Klägerin in der SBZ wohnte, konnte sie für die Zeit bis zur Wiederverheiratung 1950, keine Witwenrentenansprüche nach Bundesrecht erwerben.
Ansprüche nach dem FAG konnten frühestens ab 1. April 1952 entstehen (§ 20 FAG; BSG 5, 60, 62). Zu dieser Zeit war die Klägerin, unbeschadet der Wohnsitzvorschriften des § 1 Abs. 1 FAG (vgl. BSG 5, 63), nicht mehr Witwe und konnte schon deshalb keinen Witwenrentenanspruch erwerben.
Das FANG (FRG und die Art. 2 bis 7) begründet keinen Witwenrentenanspruch für eine Zeit vor dem 1. Januar 1959 (§ 14 FRG i. V. m. § 27 AVG, Art. 7 § 3 FANG), also nicht für eine Zeit. in der die Klägerin noch Witwe war.
Die Klägerin kann nicht so behandelt werden, als hätte sie bis zur Wiederverheiratung 1950 im Bundesgebiet gewohnt.
Es gibt keine Gesetzesvorschrift, nach der alle Lebensverhältnisse der Vertriebenen im Vertreibungsgebiet rechtlich so zu beurteilen wären, als hätten sie sich im Bundesgebiet abgespielt. Es wird jeweils nur für bestimmte Umstände, wie Versicherung, Beschäftigungsverhältnisse (§§ 15, 16 FRG) vorgeschrieben, daß und wie sie nach Bundesrecht zu berücksichtigen sind. § 28 AVG aF kann nicht entsprechend angewandt werden, weil die Bundesgesetze es bewußt und gewollt gerade auf den ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet und im Land Berlin sowie auf bestimmte Stichtage abstellen.
Die Revision ist somit zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.
Fundstellen