Leitsatz (amtlich)
Zu einem Rechtsstreit über die - von einem Rentenversicherungsträger gegenüber einem Versicherten beanstandete - Wirksamkeit von entrichteten Pflichtbeiträgen muß der Arbeitgeber des Versicherten beigeladen werden.
Normenkette
RVO § 1423 Fassung: 1957-02-23; SGG § 75 Abs 2 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.02.1980; Aktenzeichen L 14 An 153/79) |
SG Detmold (Entscheidung vom 15.06.1979; Aktenzeichen S 16 An 66/78) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die für den Kläger in der Zeit vom Januar 1968 bis Januar 1978 entrichteten Pflichtbeiträge zu Recht beanstandet hat.
Der Kläger ist seit 1. Juli 1964 als leitender Angestellter bei der Firma E -R GmbH und Co KG, B, beschäftigt. Mit Bescheid der Beklagten vom 11. Oktober 1965 wurde er gemäß Art 2 § 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Rentenversicherung der Angestellten (AnVNG) mit Wirkung vom 1. Juli 1965 von der Versicherungspflicht in der Angestelltenversicherung befreit. Im Januar 1968 meldete die Arbeitgeberin den Kläger zum 1. Januar 1968 bei der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) zur Angestellten- und Arbeitslosenversicherung an. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt auch Gesellschafter der Firma. Er wurde als Gesellschafter-Geschäftsführer bezeichnet. Von diesem Zeitpunkt an wurden für ihn regelmäßig Versicherungsbeiträge an die Beigeladene abgeführt und von dieser entgegengenommen.
Anläßlich einer Aufbereitung des Versicherungskontos wurde von der Beklagten der Sachverhalt aufgedeckt. Mit Bescheid vom 12. Juni 1978 beanstandete die Beklagte die in der Zeit vom 1. Januar 1968 bis 31. Januar 1978 entrichteten Pflichtbeiträge. Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er und seine Arbeitgeberin seien davon ausgegangen, daß durch die Wiederanmeldung im Jahre 1968 die Befreiung von der Versicherungspflicht aufgehoben worden sei. Insoweit habe die Beigeladene ihrer Aufklärungspflicht nicht genügt.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 1978; Urteil des Sozialgerichts -SG- Detmold vom 15. Juni 1979; Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen -LSG- vom 25. Februar 1980).
Das LSG hat die Auffassung vertreten, die Beiträge seien zu Recht beanstandet worden, weil der Kläger nicht wirksam auf die Befreiung von der Versicherungspflicht verzichtet habe. Dieser Verzicht habe nur durch schriftliche Erklärung bis 31. Dezember 1973 erfolgen können. Eine solche liege aber nicht vor. Der Kläger könne sich auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch berufen, da Pflichtverletzungen der Beigeladenen oder der Beklagten nicht festzustellen seien bzw nur einen Schadensersatzanspruch in Geld begründen könnten, der nicht vor den SGen geltend gemacht werden könnte.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, daß die Beanstandung gegen Treu und Glauben verstoße und beruft sich dabei auf das Urteil des 11. Senats des Bundessozialgerichts vom 15. Dezember 1977 (SozR 2200 § 1423 Nr 8). Im übrigen hält er aber auch eine Pflichtverletzung und einen daraus sich ergebenden Herstellungsanspruch für begründet.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 25. Februar 1980 - L 14 An 153/79 - aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 15. Juni 1979 - S 16 An 66/78 - dahingehend abzuändern, daß der Bescheid der Beklagten vom 12. Juni 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 1978 aufgehoben wird.
Die Beklagte und die beigeladene AOK beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie beziehen sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil des LSG.
Alle Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) entschieden wird.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Der Senat kann in der Sache selbst nicht entscheiden, weil das Verfahren vor dem LSG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. Das LSG hat nicht beachtet, daß die Entscheidung darüber, ob der Kläger der Versicherungspflicht unterliegt, ein Rechtsverhältnis betrifft, an dem nicht nur der Kläger, sondern auch sein Arbeitgeber derart beteiligt ist, daß die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2 SGG, 1. Fall).
Die Klage richtet sich gegen eine von der Beklagten ausgesprochene "Beanstandung" von Beiträgen. Selbst wenn eine solche Beanstandung kein Verwaltungsakt sein sollte (so BSGE 24, 13, 14; anderer Ansicht Verbandskomm § 1421 RVO Anm 3 und anscheinend auch BSGE 25, 136, 138), ist Gegenstand des Rechtsstreits und damit streitiges Rechtsverhältnis iS des § 75 Abs 2 SGG die Rechtswirksamkeit der von der Beklagten für unwirksam erklärten Beiträge. An diesem Rechtsverhältnis ist auch der Arbeitgeber des Klägers beteiligt, der die fraglichen Beiträge entrichtet hat; denn im Falle der Unwirksamkeit der Beiträge hat auch er - soweit er die Beiträge getragen hat - einen eigenen Erstattungsanspruch (vgl jetzt § 26 Abs 2 SGB 4). Die Beteiligung des Arbeitgebers ist ferner derart, daß über die Rechtswirksamkeit der Beiträge auch ihm gegenüber nur einheitlich entschieden werden kann. Würde nämlich darüber allein im Verhältnis zum Versicherten rechtskräftig entschieden werden, so wäre es nicht ausgeschlossen, daß der Arbeitgeber, obwohl die Wirksamkeit der Beiträge gegenüber dem Versicherten rechtskräftig festgestellt ist, später mit Erfolg ihre Unwirksamkeit geltend macht und die Erstattung seines Arbeitgeberanteils erreicht, während der Arbeitnehmeranteil beim Versicherungsträger verbleibt. Umgekehrt könnte dem Arbeitgeber - trotz rechtskräftiger Feststellung der Unwirksamkeit der Beiträge im Verhältnis zum Versicherten - die Erstattung seines eigenen Beitragsanteils vom Versicherungsträger verweigert werden, wenn die gegenüber dem Versicherten ergangene Entscheidung ihm gegenüber nicht rechtskräftig würde. Um solche in sich widersprüchlichen Entscheidungen zu vermeiden, muß auch der Arbeitgeber bei einem Streit über die Rechtswirksamkeit von entrichteten Beiträgen zum Rechtsstreit beigeladen werden.
Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensmangel (BSG SozR 1500 § 75 Nr 29 mwN).
Bei seiner Neuentscheidung wird das LSG ua seine Auffassung überprüfen können, daß eine Amtspflichtverletzung eines Bediensteten der AOK nur einen Schadensersatzanspruch in Geld auslösen könnte. Insoweit wird auf das Urteil des erkennenden Senats vom 17. Dezember 1980 - 12 RK 34/80 - verwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen