Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatz der Heilbehandlungskosten nach § 19 BVG. Pauschalabgeltung Abrechnungsverfahren. Drittwirkung eines Verwaltungsaktes

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der für die pauschale Kostenerstattung am Stichtag maßgebenden Zahl der rentenberechtigten Beschädigten kommt es auf den zu diesem Zeitpunkt tatsächlich gegebenen Iststand an.

 

Orientierungssatz

1. Nach § 19 Abs 3 BVG wird den Krankenkassen, die ihren Mitgliedern Heilbehandlung wegen Schädigungsfolgen zukommen lassen und damit eine Vorleistung erbracht haben, Ersatz "erst nach der Anerkennung gewährt". Diese Gesetzesbestimmung hat erkennbar den Sinn für diejenigen Aufwendungen Ersatz anzuerkennen, die in der Zeit nach der Anerkennung gemacht worden sind (vgl BSG vom 1978-09-06 10 RV 59/77 = SozR 3100 § 19 Nr 7 mwN). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß dem Anerkennungsbescheid zugleich "Tatbestandswirkung" für eine Erstattung nach § 19 Abs 1 S 1 und Abs 2 BVG zukommt (sogenannte Drittwirkung von Verwaltungsakten, vgl BSG vom 1972-10-12 10 RV 486/71 = BSGE 34, 289, 291, 292.

2. § 19 Abs 3 S 1 BVG bezieht sich nach seinem klaren Wortlaut nur auf die Aufwendungen, die einer Einzelabrechnung zugeführt sind. Demgegenüber sind diejenigen Ausgaben, die nach § 19 Abs 1 S 3 BVG pauschal abzugelten sind, von dieser Regelung nicht erfaßt. Darin liegt nicht etwa eine Regelungslücke, die eine analoge Anwendung rechtfertigen könnte.

 

Normenkette

BVG § 19 Abs 1 S 3 Fassung: 1966-12-28; BVG§19Abs1DV § 1 Fassung: 1965-08-05; BVG § 24a Buchst d Fassung: 1966-12-28, § 19 Abs 1 S 1, § 19 Abs 2, § 19 Abs 3 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 19.08.1980; Aktenzeichen L 4 V 25/80)

SG Mainz (Entscheidung vom 12.02.1980; Aktenzeichen S 5 V 125/75)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die pauschale Abgeltung der Aufwendungen, die ihr durch die ambulante ärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie durch die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln ihres Mitglieds P (nachfolgend Beschädigter genannt) wegen Schädigungsfolgen entstanden sind.

Bei dem Beschädigten waren zunächst Schädigungsfolgen ohne rentenberechtigenden Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) anerkannt. Auf seinen im September 1977 gestellten Antrag gewährte das Versorgungsamt rückwirkend vom Ersten des Monats der Antragstellung an Versorgung nach einer MdE um 50 vH wegen zusätzlicher Schädigungsfolgen (Bescheid vom 14. Juni 1978).

Die Versorgungsbehörde meinte, ein pauschaler Kostenersatz komme frühestens für 1979 in Betracht, da der Beschädigte an dem Stichtag, wie er durch § 1 der Verordnung zur Durchführung (DV) des § 19 Abs 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) für die pauschale Abgeltung von Aufwendungen der Krankenkassen bestimmt sei, - dem 31. Oktober 1977 - noch nicht "rentenberechtigt" gewesen sei. Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben. Auf die zugelassene Berufung hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt: Die Berechnung der Gesamtpauschale einer Krankenkasse richte sich nach der Zahl der am Stichtag versicherten und tatsächlich rentenberechtigten Beschädigten. Die rückwirkende Zuerkennung einer Versorgungsrente und damit die Aufnahme in die Rentnerliste müsse außer Betracht bleiben.

Mit der zugelassenen Revision macht die Klägerin die Verletzung des § 19 BVG iVm § 1 DV geltend. Sie trägt vor, der nach der Gesetzesvorschrift verwirklichte Grundsatz der vollen Kostenerstattung gebiete es, auch eine rückwirkende Anerkennung von Schädigungsfolgen zu berücksichtigen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung komme es nicht auf den Zeitpunkt der Anerkennung, sondern darauf an, für welche Zeit die Anerkennung wirksam geworden sei. Das sei vor dem fraglichen Stichtag der Fall gewesen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und das Urteil

des SG wiederherzustellen.

Der Beklagte sowie die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Der Beklagte sowie die Beigeladene vertreten unter Bezugnahme auf das Urteil des LSG weiterhin die Ansicht, die Kosten seien pauschal nach der Zahl der am Stichtag tatsächlich rentenberechtigten Beschädigten, die in der Liste der Versorgungsrentenberechtigten verzeichnet seien, abzugelten.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das LSG einen Anspruch der Klägerin auf pauschale Kostenerstattung für die Jahre 1977 und 1978 verneint.

Die Klägerin war zur Erhebung der Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG befugt. Die Beteiligten sind gleichgeordnete öffentlich-rechtliche Leistungsträger, welche die sie betreffenden Rechtsverhältnisse nicht durch Verwaltungsakt regeln können (BSGE 12, 65; 17, 157, 158).

Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Ersatzanspruch ist § 19 Abs 1 Satz 3 BVG idF des Dritten Neuordnungsgesetzes vom 28. Dezember 1966 (BGBl S 750) sowie des Siebten Anpassungsgesetzes vom 9. Juni 1975 (BGBl I S 1321) und § 1 DV zu § 19 Abs 1 BVG vom 5. August 1965 (BGBl I S 755), zuletzt geändert durch die Verordnung vom 8. Juli 1976 (BGBl I S 1789). Danach erhalten die Krankenkassen, die nicht nur nach den Vorschriften des BVG verpflichtet sind, Heilbehandlung zu gewähren, zur Abgeltung der Aufwendungen, die ihnen durch die ambulante ärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie durch die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln entstanden und nicht nach § 19 Abs 1 Satz 1 BVG gesondert erstattet werden, einen jährlichen Pauschbetrag für jeden bei ihnen versicherten rentenberechtigten Beschädigten. Dabei ist für ein Jahr mit ungerader Jahreszahl und für das nachfolgende Jahr jeweils die Zahl der am 31. Oktober des Jahres mit ungerader Jahreszahl versicherten rentenberechtigten Beschädigten maßgebend.

Zutreffend gehen die Vorinstanzen davon aus, daß die dem Beschädigten von der Klägerin gewährte Heilbehandlung sowohl nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (§§ 180 ff Reichsversicherungsordnung -RVO-) als auch nach dem BVG (§ 18c Abs 2, § 10 Abs 1, § 11 Abs 1 Nr 1 und 2) zu bewirken war. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) war der Beschädigte Mitglied der Klägerin; ihm stand auch ein Anspruch auf Versorgung gemäß § 9f BVG zu. Die Klägerin mußte sonach nicht nur als Träger der Krankenversicherung tätig werden, sondern auch anstelle der Versorgungsverwaltung eigenverantwortlich die Heil- und Krankenbehandlung wegen der anerkannten Schädigungsfolgen durchführen (vgl Urteil des erkennenden Senats vom 9. Juli 1980 - 9 RV 72/78 - zur Veröffentlichung bestimmt). Im Gegensatz zum SG meint das LSG, der Beklagte sei frühestens von 1979 an zu einer pauschalen Kostenerstattung verpflichtet. Zwar sei dem Beschädigten rückwirkend zum 1. September 1977 Versorgungsrente zuerkannt worden. § 1 der einschlägigen DV lege aber die tatsächlichen Verhältnisse am Stichtag zugrunde. Diese Rechtsansicht ist zutreffend.

Die Verpflichtung der Versorgungsbehörde zum Kostenersatz ist Inhalt des § 19 Abs 1 Satz 1 und 2 und Abs 2 BVG. Der Gesetzgeber ging dabei von dem Grundsatz der vollen Kostenerstattung aus, der sich aus dem Zweck der gesetzlichen Krankenversicherung und dem Versicherungsrisiko ergibt (BT-Drucks IV/1305, S 16 zu Nr 9 -§ 19- und schriftlicher Bericht des 22. Ausschusses - BT-Drucks IV/831 S 4 zu Nr 15 - § 19 BVG -). Allerdings ist dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt für alle tatsächlich entstandenen Kosten verwirklicht (BSG SozR 3100 § 19 Nr 10 mit weiteren Nachweisen). So erstreckt sich die Einzelerstattung lediglich auf die Aufwendung für Krankenhauspflege, Haushaltshilfe und Heilmittel sowie Krankengeld (§ 19 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BVG). Hingegen werden die übrigen Aufwendungen für die Krankenpflege versicherter Beschädigter pauschal abgegolten (§ 19 Abs 1 Satz 3 BVG). Darum geht es hier. Die Pauschalabfindung durchbricht das Prinzip der vollen Kostenerstattung oder wandelt es ab. Zwar mag die Einzelabrechnung der Grundkonzeption des § 19 BVG am ehesten entsprechen. Aber auch die Pauschalabgeltung kommt ihr zumindest nahe, weil sie sich "nach den durchschnittlichen Aufwendungen für einen Versicherten richten soll" (BT-Drucks aaO). Das Ansetzen eines solchen Durchschnittswertes läßt nach dem Grundsatz der Wahrscheinlichkeit annehmen, daß damit die den Krankenkassen entstandenen Kosten erfaßt sind. Mithin handelt es sich auch hier um ein auf den konkreten Kostenaufwand abgestelltes, jedoch zur Vermeidung eines erheblichen Zeit- und Verwaltungsaufwandes modifiziertes Abrechnungsverfahren.

Ebenso dient Satz 2 des § 1 der DV zu § 19 Abs 1 BVG der Verwaltungsvereinfachung. Danach soll für das Abrechnungsverfahren die Zahl der am 31. Oktober des Jahres mit ungleicher Jahreszahl versicherten rentenberechtigten Beschädigten auch für das nachfolgende Jahr maßgebend sein. Der Verordnungsgeber wollte damit erkennbar - was überdies vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ausdrücklich bestätigt wird - eine unveränderbare Zahl der Abrechnungsfälle bestimmend sein lassen. Dem würde es widerstreiten, wenn auch die nachträglich hinzugekommenen rentenberechtigten Mitglieder bei der Abrechnung berücksichtigt werden müßten oder andererseits sich der nachträgliche Wegfall der Rentenberechtigung auf die Zahl der Abrechnungsfälle auswirken würde. Dann wäre eine vereinfachte Verwaltungshandhabung in Frage gestellt. So werden die nach dem Stichtag, aber mit Wirkung vor diesem rentenberechtigt werdenden Beschädigten abrechnungsmäßig nicht erfaßt; sie können erst am darauffolgenden Stichtag in die Abrechnungsliste aufgenommen werden. Im Ausgleich dafür werden Änderungen innerhalb des zweijährigen Abrechnungszeitraumes, etwa durch Tod oder Beseitigung der Rentenberechtigung, unbeachtet gelassen und wird eine Kostenerstattung bis zum Ende des Abrechnungsabschnittes zugestanden, obwohl Heilbehandlungskosten nicht mehr anfallen konnten.

Ferner vermag sich die Klägerin nicht darauf zu berufen, daß bei Heilbehandlungsmaßnahmen, die von der Versorgungsbehörde nach § 19 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BVG einzeln anzurechnen und voll zu ersetzen sind, anders verfahren werde. Nach § 19 Abs 3 BVG wird den Krankenkassen, die ihren Mitgliedern Heilbehandlung wegen Schädigungsfolgen zukommen lassen und damit eine Vorleistung erbracht haben, Ersatz "erst nach der Anerkennung gewährt". Diese Gesetzesbestimmung hat erkennbar den Sinn, für diejenigen Aufwendungen Ersatz zuzuerkennen, die in der Zeit nach der Anerkennung gemacht worden sind (BSG SozR 3100 § 19 Nr 7 mwN). Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß dem Anerkennungsbescheid zugleich "Tatbestandswirkung" für eine Erstattung nach § 19 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 BVG zukommt (sog Drittwirkung von Verwaltungsakten, vgl BSGE 34, 289, 291, 292 = BSG SozR Nr 13 zu § 19 BVG). Erst von der rückwirkend erfolgten Anerkennung kann eine Anspruchskonkurrenz nach den Vorschriften der RVO bzw des BVG in Betracht kommen; denn die Beschädigtenversorgung, die unter anderem auch die Heilbehandlung mitumfaßt (§ 9 Nr 1 BVG), beginnt frühestens mit dem Antragsmonat (§ 60 Abs 1 Satz 1 BVG). Jedoch bezieht sich § 19 Abs 3 Satz 1 BVG nach seinem klaren Wortlaut nur auf die Aufwendungen, die einer Einzelabrechnung zugeführt sind. Demgegenüber sind diejenigen Ausgaben, die nach § 19 Abs 1 Satz 3 BVG pauschal abzugelten sind, von dieser Regelung nicht erfaßt. Darin liegt nicht etwa eine Regelungslücke, die eine analoge Anwendung rechtfertigen könnte. Im Gegenteil ist darauf, daß die Pauschalabgeltung nicht in die genannte Regelung einbezogen ist, zu schließen, daß eine andere Verfahrensweise gewollt war. Das bestätigt überdies die in § 24a Buchstabe d BVG enthaltene Ermächtigung. Danach ist der Bundesregierung aufgegeben, die Berechnung der Pauschale nach § 19 Abs 1 Satz 3 BVG sowie deren Verteilung durch Rechtsverordnung zu bestimmen. Von dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung durch Erlaß der DV zu § 19 Abs 1 BVG Gebrauch gemacht. Darin ist das Abrechnungsverfahren in vereinfachter Form geregelt. Wenn deshalb nur diejenigen Beschädigten von der Pauschalabgeltung erfaßt werden, die am Stichtag tatsächlich rentenberechtigt waren (Iststand), so entspricht dies der vom Gesetzgeber offenbar gewollten und vom Verordnungsgeber verwirklichten Zweckbestimmung.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 und 4 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1982, 315

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