Orientierungssatz
Zur Frage, ob anläßlich der Neuberechnung einer aus der deutschen Versicherung zustehenden Rente (Teilrente) ein überzahlter Betrag mit der Nachzahlung eines französischen Versicherungsträgers verrechnet werden darf.
Normenkette
EWGV 3 Art. 27 Fassung: 1958-09-25, Art. 28 Abs. 1 Buchst. b Fassung: 1958-09-25, Buchst. g Fassung: 1958-09-25; EWGV 4 Art. 84 Abs. 1 Fassung: 1958-12-03; AVG § 80 S. 2 Fassung: 1965-06-09; RVO § 1301 S. 2 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 11. Oktober 1967 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Streitig ist, ob die Beklagte berechtigt war, anläßlich der Neuberechnung der dem Kläger aus der deutschen Versicherung zustehenden Rente (Teilrente) einen überzahlten Betrag mit der Nachzahlung eines französischen Versicherungsträgers zu verrechnen.
Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) bezog der Kläger (geboren 1891) seit Mai 1952 eine Rente aus der Rentenversicherung der Angestellten. Er hatte in den Jahren 1920 und 1921 (= 24 Monate) als Angestellter und Reisender bei S Firmen Beiträge zum französischen Versicherungsträger geleistet. Auf diese - der Beklagten bisher unbekannt gebliebene - Beitragsleistung berief er sich erstmals im Jahre 1961 und beantragte bei der Beklagten die Gewährung der französischen Teilrente. Der französische Versicherungsträger bewilligte im Jahre 1963 diese Teilrente (aus den französischen Beiträgen und den in den Jahren 1910 bis 1912 geleisteten JV-Beiträgen des Klägers) vom 30. Juni 1960 an. Die Beklagte berechnete daraufhin - ebenfalls vom 30. Juni 1960 an - die deutsche Teilrente (Art. 27 und Art. 28 Abs. 1 Buchst. b und g der EWG-VO Nr. 3); dabei verrechnete sie die durch die Zahlung der Vollrente bis dahin entstandene Überzahlung von 1.023,70 DM mit der Nachzahlung des französischen Versicherungsträgers und zahlte nur den Restbetrag der französischen Nachzahlung (278,50 DM) an den Kläger aus (Bescheid vom 4. Juli 1963 in Verbindung mit dem Schreiben vom 11. Juli 1963). Der Widerspruch, mit dem der Kläger sich gegen die Verrechnung der Nachzahlung des französischen Versicherungsträgers wandte, war ohne Erfolg. Auch das LSG hielt die Verrechnung der Beklagten für rechtmäßig; es hob das von der gegenteiligen Rechtsansicht ausgehende Urteil des Sozialgerichts (SG) auf und wies - unter Zulassung der Revision - die Klage ab (Urteil vom 11. Oktober 1967 - Bayer.Amtsbl. 1968, B 3 -).
Mit der Revision beantragte der Kläger,
unter Aufhebung des Urteils des LSG die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG München vom 12. Oktober 1965 als unbegründet zurückzuweisen.
Er hielt nach wie vor die Verrechnung der Rentenüberzahlung mit der Rentennachzahlung aus der französischen Rente für rechtswidrig.
Die Beklagte beantragte
die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten erklärten sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Der Senat hat nicht zu prüfen, ob bei der Berechnung der deutschen Teilrente nach der Festsetzung der französischen Teilrente die Vorschriften in Art. 27 und Art. 28 der EWG-Verordnung Nr. 3 zutreffend angewandt worden sind, ob insbesondere das Ergebnis dieser Berechnung (Minderung der in der Bundesrepublik Deutschland erworbenen Ansprüche) der Auslegung entspricht, die der Europäische Gerichtshof diesen Vorschriften seither in mehreren Entscheidungen gegeben hat (vgl. die in der Sammlung des EuGH Bd. 13 S. 239, 263, 307 und 569 abgedruckten Entscheidungen). Denn der Kläger hat die Rentenberechnung der Beklagten als solche (Festsetzung der Teilrente nach Art. 28 Abs. 1 Buchst. b und g der VO Nr. 3) nicht angefochten, auch die Revision befaßt sich nicht mit ihr. Es besteht deshalb auch kein Anlaß, eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Art. 177 des EWG-Vertrags einzuholen.
Die danach allein streitige Verrechnung der bei der deutschen Teilrente entstandenen Überzahlung mit der Nachzahlung aus der französischen Teilrente durch die Beklagte ist aber rechtmäßig. Das LSG ist im angefochtenen Urteil davon ausgegangen, nach Art. 28 Abs. 1 Buchst. b und g der Verordnung (VO) Nr. 3 hätten beide Mitgliedstaaten Teilrenten aus der ihnen zufallenden Versicherungslast festzustellen gehabt, was die Beklagte erst auf Grund des Antrags des Klägers von 1961 und nach der Feststellung des französischen Versicherungsträgers im Jahre 1963 hätte tun können. Die Befugnis der Beklagten zur Verrechnung der deshalb entstandenen Überzahlung ergebe sich zwar nicht schon aus Art. 84 der EWG-VO Nr. 4 in Verbindung mit dem Beschluß Nr. 44 der Verwaltungskommission der EWG über die Einbehaltung zuviel gezahlter Leistungen vom 27. September 1963 (Amtsbl. der Europäischen Gemeinschaft Nr. 188/63 S. 3007 = BArBl 1964, 82) und mit Art. 43 der EWG-VO Nr. 3. Denn Art. 84 Abs. 1 der EWG-VO Nr. 4 habe auch in der Auslegung des Beschlusses Nr. 44 keine materiell-rechtliche Befugnis eines Vertragsstaates geschaffen, Überzahlungen mit den Nachzahlungen des anderen Staates zu verrechnen. Die Vorschrift regele nur die technische Durchführung eines auf anderer Rechtsgrundlage bestehenden Rückforderungsrechts. Dagegen folge die Befugnis der Beklagten zur Verrechnung der überzahlten deutschen Rente mit der französischen Teilrente aus der Rechtsanalogie zu den Vorschriften des Fremdrentenrechts, nach denen eine Doppelversorgung nicht zulässig ist. Ein allgemeiner Rechtsgedanke dieses Inhalts habe seinen Niederschlag insbesondere in den §§ 2, 11 Abs. 2, 18 Abs. 3, 28 und 31 des Fremdrentengesetzes (FRG) sowie schon früher in § 1 Abs. 5 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 gefunden. Nach diesen allgemeinen Rechtsgedanken habe der Empfänger einer deutschen und einer ausländischen Rentenleistung die durch den Doppelbezug eingetretene deutsche Überzahlung dem deutschen Versicherungsträger zurückzuerstatten. Die Eigenständigkeit dieses das gesamte Fremd- und Auslandsrentenrecht beherrschenden Grundsatzes führe auch zu einem Vorrang des Rückforderungsrechts des deutschen Versicherungsträgers vor § 80 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) mit der darin enthaltenen Sozialklausel.
Der Senat hält diese Auslegung des LSG für zutreffend und schließt sich ihr nach eigener Prüfung der Rechtslage an. Was die Revision hiergegen vorbringt, kann nicht überzeugen. Sie meint zunächst, die besondere Regelung der EWG-Verordnungen stehe der auch nur analogen Heranziehung des Fremdrentenrechts und der daraus abgeleiteten Grundsätze entgegen. Daran ist zwar so viel richtig, daß das FRG als solches im Verhältnis zu Frankreich nicht gilt (§ 2 FRG). Dies schließt aber nicht aus, allgemeine Grundsätze aus diesem Rechtsgebiet auf ähnlich liegende Sachverhalte anzuwenden, die im Gesetz keine ausdrückliche Regelung gefunden haben, wie der hier gegebene Fall, daß mehrfache Leistungen aus demselben Anlaß und auf Grund desselben Verhältnisses von den Versicherungsträgern verschiedener Länder gewährt werden. Der Senat ist in ähnlicher Weise schon früher einer ihm nicht gerechtfertigt erscheinenden Doppelversorgung entgegengetreten, die wegen der lückenhaften Regelung in § 4 Abs. 7 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus eingetreten war. Er hat damals keine Bedenken getragen, die vorhandene Gesetzeslücke durch Rechtsgrundsätze auszufüllen, die für vergleichbare Tatbestände in anderen gesetzlichen Vorschriften (damals in der Regelung des § 72 a G 131) ihren ausdrücklichen Niederschlag gefunden hatten (BSG 20, 293). Für die Beurteilung des vorliegenden Streitfalles, der die gleichzeitige Leistung für eine zurückliegende Zeit durch den deutschen und den französischen Versicherungsträger betrifft, bieten sich aber die Rechtsgrundsätze an, die nach dem FRG einer Doppelversorgung entgegenwirken. Insbesondere regelt § 31 Abs. 2 FRG die Fälle, in denen nachträglich ein fremder Versicherungsträger Rentenleistungen aus Versicherungszeiten übernimmt, die vorher von einem Versicherungsträger in der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt worden sind, wie dies hier bei den JV-Beitragszeiten des Klägers von 1910 bis 1912 geschehen ist (vgl. hierzu auch die Entscheidungen des Senats über die Anwendung des § 31 FRG, wenn sich Doppelleistungen aus dem deutsch-österreichischen Vertrag ergeben, BSG 21, 199 und 22, 21). Dieser Grundsatz wird durch Art. 6 § 10 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes sogar auf schon abgeschlossene Fälle ausgedehnt. In § 31 Abs. 2 Satz 2 FRG ist - ebenso wie in § 11 Abs. 2 Satz 2 FRG für die gesetzliche Unfallversicherung - die Rückerstattung überzahlter Rentenbeträge ausdrücklich angeordnet. Mit Recht hat darin das LSG einen allgemeinen, das gesamte Auslandsrentenrecht beherrschenden Grundgedanken erblickt (vgl. Jantz/Zweng/Eicher Anm. 2 zu § 31 FRG). Er rechtfertigt auch das Verlangen der Beklagten nach Rückgewähr der von ihr zuviel erbrachten Leistungen.
Dieser Rückforderung der Beklagten gegenüber kann sich der Kläger nicht mit Erfolg auf § 80 Satz 2 AVG berufen. Auch wenn man mit dem 5. Senat des BSG (vgl. SozR Aa 2 Nr. 2 zu § 93 RKG) davon ausgeht, daß diese erst zum 1. Juli 1965 in Kraft getretene Vorschrift bei der gerichtlichen Überprüfung des dem Kläger 1963 erteilten Bescheides zu berücksichtigen ist, so steht sie beim Vorliegen der darin angegebenen Hinderungsgründe der Rückforderung der Leistung nur entgegen, wenn es sich um eine tatsächliche Rückgewähr durch den Empfänger, sei es auch nur im Wege einer (teilweisen) Einbehaltung laufender Rentenleistungen seitens des Versicherungsträgers, handelt. Der Berechtigte soll aus sozialen Gründen von der Verpflichtung zur Herausgabe bereits empfangener Leistungen befreit sein. Steht jedoch - wie hier - dem Versicherungsträger zur Befriedigung seines Anspruchs auf Rückgewähr eine aus dem gleichen Rechtsgrund entstandene und noch nicht ausgefolgte Rentennachzahlung eines fremden Versicherungsträgers zur Verfügung, so kann § 80 Satz 2 AVG keine Anwendung finden. Insoweit handelt es sich auch um keine Rückforderung, die wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers unvertretbar ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen