Leitsatz (amtlich)
1. Der Ausschluß der Berufung gegen Urteile der Sozialgerichte, die "nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume betreffen" (SGG § 148 Nr 2), ist nach dem Inhalt des angefochtenen Urteils, nicht nach dem Beschwerdegegenstand im Berufungsverfahren zu beurteilen (Anschluß BSG 1955-09-22 8 RV 171/54 = BSGE 1, 225).
2. Die Berufung gegen Urteile der Sozialgerichte, die "Beginn oder Ende der Versorgung betreffen" (SGG § 148 Nr 2), ist nur ausgeschlossen, wenn der Versorgungsanspruch an sich unstreitig war.
3. Ist einem Beschädigten unstreitig wegen Hilflosigkeit, die durch den Verlust beider Unterschenkel verursacht wird, auf Grund des BVG § 35 in Verbindung mit der VV Nr 8 Abs 1 in der Fassung vom 1953-08-31 die einfache Pflegezulage vom 1953-08-01 an zu gewähren, und hat das LSG festgestellt, daß der nämliche Gesundheitszustand schon vor dem 1953-08-01 bestanden hat, so liegt eine Verletzung des BVG § 35 nicht vor, wenn das LSG dem Beschädigten auch für einen vor dem 1953-08-01 im zeitlichen Geltungsbereich dieser Vorschrift liegenden Zeitraum, in welchem die VV (BVG Nr 8 Abs 1 zu § 35) noch in der Fassung vor ihrer Änderung am 1953-08-31 gegolten haben, die einfache Pflegezulage zuspricht.
Leitsatz (redaktionell)
1. Der bloße Hinweis auf die Zweifelhaftigkeit einer Frage ist keine Rüge iS des SGG § 164 Abs 2.
2. Auch bei einer zugelassenen Revision muß nach SGG § 164 Abs 2 die verletzte Rechtsnorm bezeichnet werden.
Normenkette
SGG § 148 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03; BVG § 35 Fassung: 1953-08-07; BVGVwV § 35 Nr. 8 Abs. 1 Fassung: 1953-08-01; SGG § 164 Abs. 2 S. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Oktober 1955 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Landesversicherungsanstalt Hessen-Pfalz, Abteilung Versorgung, gewährte dem Kläger auf Grund ihres Bescheides vom 24. Juli 1946 wegen des Körperschadens “Verlust beider Unterschenkel bei erhaltenem funktionstüchtigem Kniegelenk„ eine Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 70 %. Bei der Neufeststellung der Versorgungsgebührnisse nach dem Landesversorgungsgesetz vom 18. Januar 1949 wurde dem Kläger durch Bescheid des Landesversorgungs- und Fürsorgeamts Rheinland-Pfalz vom 14. Oktober 1949 außer einer Rente nach einer MdE. um 70 % auch eine Pflegezulage in Höhe von 100,-- DM monatlich bewilligt. In dem auf Grund des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erteilten Umanerkennungsbescheid vom 18. Oktober 1951 stellte das Versorgungsamt Landau als Schädigungsfolgen das bisherige Versorgungsleiden und den Grad der MdE. in der bisherigen Höhe fest. Es lehnte aber vom 1. Dezember 1951 an die Weitergewährung der Pflegezulage unter Hinweis auf Nr. 8 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsvorschriften (VV.) - in der ursprünglichen, noch damals geltenden Fassung - zu § 35 BVG ab. Dieser Satz 2 lautete: “Der einfache Verlust beider Unterschenkel jedoch rechtfertigt die Gewährung einer Pflegezulage nicht, es sei denn, daß der Zustand der Hüft- und Kniegelenke eine schwere Bewegungsbeschränkung bedingt.„
Auf die gegen den Umanerkennungsbescheid eingelegte Berufung, die als Klage auf das Sozialgericht (SG.) Speyer überging und mit welcher der Kläger die Anerkennung einer MdE. um 80 % und die Gewährung der einfachen Pflegezulage erstrebte, verurteilte das SG. Speyer durch Urteil vom 11. Mai 1954 den Beklagten, dem Kläger ab 1. August 1953 die einfache Pflegezulage zu zahlen, und wies im übrigen die Klage ab.
In den Gründen führte das SG. aus, nach Nr. 8 Abs. 1 VV. zu § 35 BVG in ihrer ursprünglichen Fassung rechtfertige der einfache Verlust beider Unterschenkel die Gewährung einer Pflegezulage nicht. Erst auf Grund der Zweiten Novelle zum BVG seien diese VV. neu gefaßt und hierbei der in dem angefochtenen Bescheid angeführte Satz 2 gestrichen worden, “so daß auch bei einfachem Verlust beider Unterschenkel die einfache Pflegezulage zu gewähren ist„.
Den Urteilsgründen schließen sich unmittelbar drei Sätze an, die darüber belehren, daß gegen dieses Urteil Berufung beim Landessozialgericht (LSG.) in Mainz eingelegt werden kann und innerhalb welcher Frist und in welcher Form die Berufung einzulegen ist.
Gegen das am 15. Juni 1954 zugestellte Urteil des SG. hat der Kläger am 10. Juli 1954 Berufung eingelegt mit dem Antrag, ihm die Pflegezulage auch für die Zeit vom 1. Dezember 1951 bis 31. Juli 1953 zuzusprechen.
Mit Schreiben vom 9. Mai 1955 ersuchte der Landessozialgerichtspräsident als Vorsitzender des erkennenden Senats über den Direktor des SG. den Vorsitzenden der Kammer, deren Urteil angefochten war, um dienstliche Äußerung, “ob mit der Rechtsmittelbelehrung gleichzeitig auch die Zulassung der Berufung gegen die Versagung der Pflegezulage für die Zeit vor dem 1. August 1953 zum Ausdruck gebracht werden sollte„, und empfahl ihm für diesen Fall, die Entscheidung nach § 138 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu berichtigen. Hierdurch veranlaßt richtete der Urlaubsvertreter des Kammervorsitzenden an die an der Verhandlung beteiligten Sozialrichter die schriftliche Anfrage, ob sie bei der Entscheidung der Auffassung waren, daß die Berufung nach § 150 Nr. 1 SGG zuzulassen war. Nach Eingang ihrer Äußerung erließ der Kammervorsitzende am 27. Juli 1955 auf Grund des § 138 SGG einen “Berichtigungsbeschluß„. Durch diesen wurde das Urteil des SG. dahingehend berichtigt, daß vor der Rechtsmittelbelehrung folgender Satz eingefügt wurde:
“Bezüglich der Ansprüche des Klägers auf Pflegezulage vor dem 1. August 1953 wird die Berufung zugelassen„.
Als Grund für die Berichtigung ist angeführt, die Kammer habe die Zulassung der Berufung bei der Urteilsfällung aussprechen wollen, den Ausspruch aber ausgelassen.
Das LSG. hat darauf durch Urteil vom 19. Oktober 1955 der Berufung stattgegeben und die Revision zugelassen. Es ist davon ausgegangen, daß die Berufung des Klägers infolge der nachträglichen Zulassung in dem Berichtigungsbeschluß vom 27. Juli 1955 nach § 150 Nr. 1 SGG zulässig geworden sei. Die Berufung sei auch sachlich begründet. Der Zustand des Klägers, der nach der Änderung der VV. zu § 35 BVG unstreitig vom 1. August 1953 an einen Anspruch auf Pflegezulage begründet, habe schon vor diesem Zeitpunkt in derselben Weise bestanden; er habe sich seit dem 1. August 1953 nicht geändert. Die Hilflosigkeit habe daher nicht erst seit dem 1. August 1953, sondern auch vor diesem Zeitpunkt vorgelegen. Die Neufassung der VV. zu § 35 BVG stelle klar, daß Doppelamputierten stets eine Pflegezulage mindestens der ersten Stufe zu gewähren ist, da jede Doppelamputation Hilflosigkeit bedinge.
Gegen das am 25. November 1955 zugestellte Berufungsurteil hat der Beklagte am 5. Dezember 1955 Revision eingelegt und sie gleichzeitig begründet mit dem Antrag,
das Urteil aufzuheben.
Der Beklagte führt aus, das Bundessozialgericht (BSG.) werde zunächst zu prüfen haben, ob der Berichtigungsbeschluß des SG. Speyer vom 27. Juli 1955 verfahrensrechtlich zulässig und die Berufung des Klägers statthaft war.
Zur Begründung der Revision in sachlicher Hinsicht nimmt der Beklagte darauf Bezug, daß das Berufungsgericht die Revision zugelassen hat, da es sich bei der Auslegung des § 35 BVG um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt. Er hat den Anspruch des Klägers auf Pflegezulage für die Zeit vom 1. Dezember 1951 bis 31. Juli 1953 erneut bestritten und auf seine, von der des LSG. abweichende Rechtsauffassung verwiesen, insbesondere auf seinen im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsatz vom 19. April 1955 und auf einen Aufsatz von Wilke in der “Kriegsopferversorgung„ 1954 S. 135.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung beantragt, die Revision zurückzuweisen und den Beklagten zur Kostenerstattung zu verurteilen. Er hält die Revisionsbegründung nicht für formgerecht, weil sich der Beklagte nur auf Ausführungen berufe, die er im Berufungsverfahren machte oder die in einem Zeitschriftenaufsatz enthalten sind. Im übrigen führt der Kläger aus, das SG. habe nachträglich die Berufung rechtswirksam zugelassen und das LSG. habe mit Recht seinem Berufungsantrag stattgegeben. Auf seine Schriftsätze vom 18. Januar und 17. Februar 1956 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist auf Grund des § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Sie ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und fristgerecht begründet worden.
Die Revisionsbegründung muß nach § 164 Abs. 2 SGG die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen und Beweismittel bezeichnen, die den Mangel ergeben. Der Beklagte (Revisionskläger) hat einen Verfahrensmangel, auf dem nach seiner Auffassung das angefochtene Urteil beruhe, nicht formgerecht gerügt. Der bloße Hinweis in der Revisionsbegründung auf die Zweifelhaftigkeit der Frage, ob die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG. statthaft war, ist keine Rüge im Sinne des § 164 Abs. 2 SGG, sondern nur eine Anregung für das BSG., die Zulässigkeit der Berufung zu prüfen. Das BSG. kann aber in diese Prüfung nicht von vornherein eintreten, sondern erst, nachdem sich ergeben hat, daß die Revision zulässig ist.
Auch wenn die Revision bereits nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft ist und der Revisionskläger einen Verfahrensmangel nicht rügt, muß er nach § 164 Abs. 2 SGG in der Revisionsbegründung die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Der Kläger (Revisionsbeklagte) zieht in Zweifel, ob in dieser Hinsicht die Revisionsbegründung dem gesetzlichen Formzwang entspricht. Der Senat war jedoch der Auffassung, daß sie den gesetzlichen Mindesterfordernissen noch genügt. Nach dem Inhalt des angefochtenen Urteils konnte in materiell-rechtlicher Hinsicht die Revision vernünftigerweise nur auf die unrichtige Anwendung des § 35 BVG gestützt werden. Der Revisionskläger hat in der Revisionsbegründung ausdrücklich hervorgehoben, daß die Auslegung des § 35 BVG das LSG. veranlaßt hat, die Revision zuzulassen, und hat zu erkennen gegeben, daß er die Auslegung des § 35 BVG durch das LSG. nicht billige und deshalb den Anspruch des Klägers bestreite. Die Revision war hiernach als formgerecht begründet und als zulässig anzusehen. Sie konnte jedoch in der Sache selbst keinen Erfolg haben.
Nach Feststellung der Zulässigkeit der Revision hatte der Senat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung des Klägers zulässig war. Diese Frage war, allerdings aus anderen Gründen als den in dem angefochtenen Urteil angeführten, zu bejahen. Es kann fraglich erscheinen, unter welchen Voraussetzungen der Ausspruch, daß die Berufung auf Grund des § 150 Nr. 1 SGG zugelassen werde, im Wege der Berichtigung des Urteils auf Grund des § 138 SGG nachgeholt werden kann und ob gerade im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für einen Berichtigungsbeschluß gegeben waren. Auch die Art und Weise, wie es zum Erlaß des “Berichtigungsbeschlusses„ nach mehr als 14 Monaten seit Verkündung des Urteils des SG. kam und der Beschluß an sich unterliegen ernsten rechtsstaatlichen und prozeßrechtlichen Bedenken (vgl. NJW. 1956 S. 830: BGH. v. 8.3.1956 - III ZR 265/54 -; AP. 1956 Bl. 296 zu § 319 ZPO: BAG. v. 13.4.1956). Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob der Berichtigungsbeschluß rechtsgültig ist; denn er war auf jeden Fall überflüssig, weil entgegen der Auffassung des LSG. ein Berufungs-Ausschließungsgrund nicht vorlag.
Nach § 148 Nr. 2 SGG können Urteile der Sozialgerichte mit der Berufung nicht angefochten werden, wenn sie betreffen “Beginn oder Ende der Versorgung oder nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume„. Hiernach kommt es nicht darauf an, ob im Berufungsverfahren Beginn oder Ende der Versorgung oder nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume streitig sind, sondern darauf, ob sie im ersten Rechtszug streitig waren. Der Ausschluß der Berufung nach dieser Vorschrift ist nach dem Inhalt der Entscheidung des SG., nicht nach dem Streitgegenstand im Berufungsverfahren zu beurteilen (BSG. S. 225). Hiernach “betrifft„ im vorliegenden Falle das angefochtene Urteil des SG. nicht nur Versorgung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum; denn das SG. hat durch dieses Urteil über den streitigen Anspruch für die Zeit vom 1. Dezember 1951 bis zum 31. Juli 1953 durch Abweisung der Klage und für den anschließenden Zeitraum ohne Festsetzung eines Endtermins durch Zuerkennung des streitigen Anspruchs entschieden. § 148 Nr. 2 SGG ist daher unter dem Gesichtspunkt, daß das Urteil des SG. “nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume„ betreffe, nicht anwendbar.
Die Gegenmeinung, für die Beurteilung der Zulässigkeit der Berufung könne es nur darauf ankommen, was nach Einlegung der Berufung Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens sei (so Bettermann, NJW. 1956 S. 1176 Nr. 38, in der Anm. zu dem Urteil des BSG. 8 RV 171/54), konnte den Senat nicht bestimmen, von der Rechtsprechung des 8. Senats abzuweichen. Nach den früheren Verfahrensvorschriften in der Sozialversicherung und in Versorgungssachen (vgl. insb. die nunmehr aufgehobenen §§ 1696, 1700 RVO, §§ 90, 92 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen i. d. F. vom 20.3.1928) und nach ihrer Auslegung im Spruchverfahren (vgl. insb. AN. d. RVA. 1914 S. 691 - Gr. Sen. - = EuM. Bd. 3 S. 317; AN. d. RVA. 1919 S. 380 - Gr. Sen. - = EuM. 11 S. 362; RVG. IX. S. 10 - Gr. Sen. -) war die Zulässigkeit eines Rechtsmittels grundsätzlich nach dem Streitgegenstand in der Rechtsmittelinstanz zu beurteilen.
Die §§ 145 bis 148 SGG, welche die für das ganze Sachgebiet der Sozialgerichtsbarkeit (§ 51 SGG) geltenden Berufungs-Ausschließungsgründe (§ 144 SGG) für die einzelnen Zweige der Sozialgerichtsbarkeit erweitern, stimmen in ihrer sprachlichen Fassung untereinander insofern überein, als sie vorschreiben, daß die im ersten Rechtszuge erlassenen Urteile, “die„ gewisse Streitpunkte “betreffen„ oder “wenn„ sie gewisse Streitpunkte “betreffen„, mit der Berufung nicht angefochten werden können. Dieser Wortlaut unterscheidet sich so augenfällig von den bisherigen Verfahrensvorschriften sowie von vergleichbaren Regelungen in anderen Verfahrensarten, daß kein Anhalt dafür gegeben ist, daß der Gesetzgeber etwa die Grundsätze des alten Rechts übernehmen wollte und hierfür lediglich nicht den angemessenen Ausdruck gefunden habe. Deswegen ist bei der Auslegung des § 148 Nr. 2 zunächst von seinem Wortlaut auszugehen. Er ist freilich nicht schlechthin maßgebend, aber ebensowenig kann ein Vergleich mit anderen Prozeßgesetzen für sich allein genügen, die sprachliche Fassung des SGG unbeachtet zu lassen. Es sprechen auch sachliche Erwägungen dafür, den Wortlaut nicht anders auszulegen, als es seinem Wortsinn entspricht.
Zieht man die Eigenart des sachlichen Rechts, das zu verwirklichen der Zweck der Neuordnung des Verfahrens ist, und das Institut der Berufungszulassung in Betracht, so ergibt sich, daß es in der Sozialgerichtsbarkeit sehr wohl einen guten Sinn hat, die Berufungsfähigkeit eines Urteils von seinem Inhalt abhängig zu machen. Eine solche Regelung hat nämlich zur Folge, daß der Kläger und der Beklagte - in der Regel auf der einen Seite eine Einzelperson, auf der anderen Seite eine Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts oder ein Land - die Anfechtbarkeit eines Urteils von vornherein klar übersehen können. Außerdem ist jedem von ihnen - eine Beschwer für beide vorausgesetzt - unabhängig davon, was der einzelne im Rechtsmittelverfahren begehrt, gleichermaßen der Weg zum Berufungsgericht eröffnet oder verschlossen. Hätte der Gesetzgeber diesen Folgerungen nicht den Vorrang vor der Notwendigkeit, die Berufungsgerichte vor einer Überlastung zu bewahren, geben wollen, so hätte er eine andere Fassung wählen müssen.
Ein weiterer Grund für die Auffassung, daß die Entscheidung des SG. für die Zulässigkeit der Berufung maßgebend ist, ergibt sich aus dem engen Zusammenhang, in dem die Vorschriften über die Zulässigkeit der Berufung (§§ 144 bis 149 SGG) zu § 150 Nr. 1 SGG stehen, wonach das SG. verpflichtet ist, in seinem Urteil unter gewissen Voraussetzungen die Berufung zuzulassen. Ist die Berufung nach § 143 SGG schlechthin zulässig, so bedarf es einer ausdrücklichen Zulassung nicht. Sie ist nur auszusprechen, wenn die Berufung nach den §§ 144 bis 149 SGG unzulässig ist. Das SG. kann sich seine Auffassung hierüber nur im Zeitpunkt der Urteilsfällung bilden, da es seine Entscheidung über die Zulassung der Berufung mit dem Urteil verbinden muß. Wäre der Beschwerdegegenstand für die Unzulässigkeit der Berufung maßgebend, so könnte das SG. nicht in allen Fällen voraussehen, ob es die Zulassung der Berufung auszusprechen hat.
Auch die andere wahlweise Voraussetzung dieser Vorschrift, daß das Urteil des SG. “Beginn oder Ende der Versorgung„ betrifft, ist nicht erfüllt. Rein sprachlich betrifft jedes Urteil, das über einen Anspruch auf laufende Versorgungsbezüge entscheidet, zugleich deren Beginn oder Ende, weil alle wiederkehrenden Leistungen zeitlich begrenzt sind. Eine buchstäbliche Auslegung jener Worte kann hier ihrem wirklichen Sinn nicht entsprechen; denn sie würde dazu führen, daß bei allen Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen die Berufung ausgeschlossen wäre, was offensichtlich im Widerspruch mit der grundsätzlichen Regelung der Zulässigkeit der Berufung stünde (vgl. § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG). Die Zulässigkeit der Berufung bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen soll durch § 148 Nr. 2 SGG lediglich in den Fällen eingeschränkt werden, in denen nur Beginn oder Ende der Versorgung im Klageverfahren streitig und Gegenstand der gerichtlichen Streitentscheidung waren, was dann der Fall ist, wenn ein Streit über die Anwendung der §§ 60 bis 63 BVG vorlag. Für die Anwendung des § 148 Nr. 2 SGG ist daher im allgemeinen kein Raum, wenn zwar Beginn oder Ende einer Versorgungsleistung, zugleich aber auch der Anspruch auf diese Leistung an sich streitig war und hierüber ein Urteil ergehen mußte. Mit dieser Auslegung knüpft der Senat an die Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichts an, die zu den älteren, dem § 90 Abs. 2 Nr. 7 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen i. d. F. der Bekanntmachung vom 2. November 1934 entsprechenden Vorschriften erging (vgl. RVG 9 S. 196; 10 S. 151).
Andere Berufungs-Ausschließungsgründe als die des § 148 Nr. 2 SGG kommen hinsichtlich des Anspruchs auf Pflegezulage im vorliegenden Falle nicht in Betracht. Mithin war die Berufung des Klägers auf Grund des § 143 SGG schlechthin als statthaft anzusehen.
In sachlicher Hinsicht ist dem Urteil des LSG. jedenfalls im Ergebnis beizupflichten, wenn auch einige Einzelheiten der Begründung nicht ganz klar oder richtig sind. Die Pflegezulage nach § 35 BVG wird nicht wegen “Hilfsbedürftigkeit„ des Beschädigten, sondern wegen Hilflosigkeit gewährt. Die VV. schreiben nicht vor, daß Doppelamputierten “stets„ eine Pflegezulage von 60 DM zu gewähren ist, sondern daß “im allgemeinen eine Pflegezulage von 60 DM angemessen„ ist.
Im Zusammenhang mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 7. August 1953 (BGBl. I S. 268), in Kraft getreten am 1. August 1953, sind die VV. zur Durchführung des BVG am 31. August 1953 geändert und ergänzt worden und am gleichen Tage in ihrer Neufassung bekanntgemacht worden (BAnz. Nr. 170 v. 4.9.1953). Während in § 35 BVG durch die Zweite Novelle nur die Geldbeträge der Pflegezulage, nicht aber der übrige Wortlaut geändert wurden, ist in Nr. 8 Abs. 1 VV. zu § 35 BVG der bisherige Satz 2, der sich auf die Doppel-Unterschenkelamputierten, nicht aber auf die Geldbeträge bezog, durch die Änderung der VV. gestrichen worden. Diese Änderung bedeutet, daß für die Doppel-Unterschenkelamputierten nichts anderes gilt als für die im vorhergehenden Satz 1 genannten “Doppelamputierten ohne weitere Gesundheitsstörungen„, bei denen es keine Rolle spielt, um welchen Gliedverlust es sich handelt. Bei diesen Beschädigten, die also alle Doppelamputierten umfassen, ist nach den VV. im allgemeinen die einfache Pflegezulage (50 DM, ab 1. August 1953: 60 DM) angemessen. Die Neufassung der VV. ist, da sie eine Bestimmung über ihre zeitliche Geltung nicht enthält, wegen ihres engen Zusammenhangs mit dem Inkrafttreten der Zweiten Novelle zum BVG (vgl. Art. V der Novelle) für die Verwaltungsbehörden im allgemeinen vom 1. August 1953 an verbindlich (vgl. Wilke, “KOV„ 1954 S. 135).
Nach Nr. 8 Abs. 1 der neugefaßten VV. zu § 35 BVG sind die Verwaltungsbehörden ermächtigt und verpflichtet, ohne daß es einer Prüfung im Einzelfall bedarf, im allgemeinen davon auszugehen, daß ein doppelter Gliedverlust den Beschädigten so hilflos macht, daß er nicht ohne fremde Wartung und Pflege bestehen kann, und jedem Beschädigten dieser Gruppe die Pflegezulage in der gesetzlichen Mindesthöhe zu gewähren.
Der Anspruch des Klägers auf die einfache Pflegezulage für die Zeit vom 1. August 1953 an stand schon zur Zeit der Entscheidung des Berufungsgerichts fest, da der Beklagte das Urteil des SG. insoweit nicht angefochten hat. Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, daß ein den Anspruch auf Pflegezulage begründender Zustand bei dem Kläger seit dem 1. August 1953 vorliegt, ohne daß hierbei eine irrige Anwendung des Begriffes der Hilflosigkeit (§ 35 BVG) erkennbar ist. Das LSG. hat festgestellt, daß die nämlichen Gesundheitsverhältnisse bei dem Kläger schon in dem Zeitraum, für den die Gewährung der Pflegezulage noch streitig ist, bestanden haben. Wenn es auf diesen Sachverhalt ebenfalls den § 35 BVG angewendet hat, so war das nur folgerichtig. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern in dieser Rechtsanwendung ein Verstoß gegen § 35 BVG zu finden ist. Das LSG. hat nicht etwa deshalb den streitigen Anspruch für begründet erachtet, weil es der Neufassung der VV. rückwirkende Kraft bis zum Inkrafttreten des BVG beimessen wollte, sondern auf Grund der schlüssigen Erwägung, daß der Gliedverlust, der unstreitig ab 1. August 1953 Hilflosigkeit im Sinne des § 35 BVG bewirkt, die nämliche Folge auch schon vom 1. Dezember 1951 an gehabt haben muß, wenn der Gesetzesinhalt (Begriff der Hilflosigkeit) in dem hier in Betracht kommenden Teil unverändert geblieben ist und der Gliedverlust damals schon bestanden hat. An die tatsächlichen Feststellungen des LSG., die im übrigen von der Revision nicht angegriffen worden sind, ist das BSG. nach § 163 SGG gebunden. Auf die Frage, ob die VV. für die Verwaltungsbehörden schon von einem früheren Zeitpunkt an als dem 1. August 1953 verbindlich sind, kommt es für die Streitentscheidung nicht an.
Der Kläger hat hiernach Anspruch auf die Pflegezulage schon vom 1. Dezember 1951 an, dem Zeitpunkt, von dem an seine Versorgungsbezüge auf Grund des § 86 BVG neu festgestellt wurden. Diesem Anspruch stehen Hindernisse besonderer Art, wie etwa das Fehlen des erforderlichen Antrags oder die Rechtskraft einer früheren Entscheidung, nicht entgegen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen