Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsunfall. Zweiter Arbeitsunfall. Zuständigkeit. MdE
Orientierungssatz
1. Führt ein Arbeitsunfall zu einer Minderung des Sehvermögens auf einem Auge und muß aufgrund eines weiteren Unfalls dieses Auge später entfernt werden, so sind beide Unfälle als ursächlich für die Körperschädigung anzusehen.
2. Der Verletzte hat jedoch nicht die Möglichkeit, wahlweise von einem der beiden Versicherungsträger Leistungen für die Folge des zweiten Unfalls zu fordern. Die Zuständigkeit richtet sich auch nicht danach, welchem der beiden Ereignisse erheblichere Bedeutung zukommt, sondern bestimmt sich vielmehr danach, bei welcher Tätigkeit das Unfallereignis, für dessen nachteilige Folgen der Verletzte Entschädigung begehrt, eingetreten ist und welchem Unternehmen diese Beschäftigung gedient hat.
3. Der Kläger ist für jeden Unfall durch den zuständigen Versicherungsträger zu entschädigen.
Normenkette
RVO § 646
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 15.11.1961) |
SG Heilbronn (Entscheidung vom 31.07.1959) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. November 1961 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Der im Jahre 1907 geborene Kläger war vor dem zweiten Weltkrieg selbständiger Schmiedemeister; als solcher war er Mitglied der Schmiede-Berufsgenossenschaft. Am 26. Juni 1937 schnellte ihm bei seiner beruflichen Tätigkeit ein Stück Stacheldraht in das linke Auge; dadurch kam es zu einer Ablösung der Netzhaut. Der Kläger wurde in der Universitäts-Augenklinik Heidelberg stationär behandelt; dort gelangen die Beherrschung des als Unfallfolge aufgetretenen Sekundärglaukoms und die operative Wiederanlegung der abgelösten Netzhaut. Eine Begutachtung vom 25. März 1938 ergab am linken Auge eine Sehschärfe von 5/50 gegenüber rechts von 5/4; das Gesichtsfeld des linken Auges war hochgradig konzentrisch für Bewegungen und Farben eingeschränkt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) schätzte der Gutachter auf 20 v. H. Mit Bescheid vom 19. September 1938 bewilligte die Schmiede-Berufsgenossenschaft für die Zeit vom 26. September bis 28. November 1937 eine Rente von 30 v. H. und für den Monat Januar 1938 die Vollrente. Über den 31. Januar 1938 hinaus lehnte sie eine Rentengewährung auf Grund der 4. Notverordnung vom 8. Dezember 1931 ab, weil die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die Folgen des Unfalls vom 26. Juni 1937 ("Herabsetzung der Sehschärfe des linken Auges nach einer durch Operation wieder zur Anlegung gebrachten Netzhautablösung bei regelrechtem rechten Auge") nicht mehr um mindestens 25 v. H. gemindert sei. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers wurde vom Oberversicherungsamt (OVA) Speyer durch Urteil vom 11. März 1941 rechtskräftig zurückgewiesen.
Nachdem der Kläger von 1939 bis 1945 Wehrdienst geleistet hatte, gab er seine selbständige Tätigkeit auf und trat in den Dienst des Schiffahrts- und Umschlagbetriebs Sand- und Kieswerke Heinrich B in Heilbronn; dort arbeitete er als Werkstattleiter wieder in seinem erlernten Beruf. Das Unternehmen ist Mitglied der beklagten Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft.
Am 9. August 1956 wurde eine Baggerwelle im Gewicht von etwa 5 Zentnern zu der Werkstatt angeliefert. Die Welle mußte von einem Lastkraftwagen abgeladen werden. Der Kläger nahm zunächst das eine Ende der Welle allein auf die Schulter; unter dieser Last wurde er in die Knie gedrückt. Dann kam ihm der Kraftfahrer B zu Hilfe; diese beiden Personen und drei Lehrlinge beförderten schließlich die Welle vom Lastwagen. Am folgenden Tage mußte der Kläger den Augenarzt Dr. G in Heilbronn aufsuchen; er hatte den Rest seines Sehvermögens auf dem linken Auge verloren. Dr. G stellte eine frische Netzhautablösung fest. Am 16. August 1956 wurde in der Universitäts-Augenklinik Heidelberg der Versuch gemacht, die Netzhaut erneut operativ anzulegen; der Versuch blieb erfolglos. Am 14. Februar 1959 mußte das linke Auge operativ entfernt werden. Danach gab der Kläger seinen Beruf als Schmied auf; er ist jetzt als Arbeiter in einem Kieswerk mit Kiesschaufeln und Abschmieren von Maschinen beschäftigt.
Auf die Unfallanzeige des Arbeitgebers holte die Beklagte einen Krankheitsbericht des Augenarztes Dr. G vom 8. Oktober 1956 und Gutachten des Prof. Dr. J (Universitätsklinik Heidelberg) vom 29. Juli und 13. Dezember 1957 ein. Der Sachverständige führte aus: Der Kläger sei wegen der vorangegangenen Netzhautablösung des Jahres 1937 in hohem Maße zur Netzhautablösung disponiert gewesen. Zu der erneuten Netzhautablösung hätten zwei Umstände beigetragen: die Verletzungsfolgen aus dem Jahre 1937 und die außergewöhnliche und über den betriebsüblichen Rahmen hinausgehende Arbeitsleistung vom 9. August 1956. Die Frage, welchen Anteil diese beiden Umstände an dem Eintritt der Netzhautablösung gehabt hätten, sei außerordentlich schwer zu beantworten. Man dürfe den Vorgang von 1956 nicht ganz bagatellisieren und die Netzhautablösung in vollem Umfang auf die Folgen der 19 Jahre zurückliegenden ersten Verletzung zurückführen. Der Zeitraum von 19 Jahren sei zu lang, als daß man den Rückfall einfach als ein spontan auftretendes Rezidiv bezeichnen und annehmen dürfe, die Netzhautablösung hätte auch bei gewöhnlichen Verrichtungen des täglichen Lebens eintreten können. Demnach seien sowohl der Unfall von 1937 als auch der Arbeitsvorgang vom 9. August 1956 als Ursache für die erneute Ablösung der Netzhaut am linken Auge des Klägers anzusehen. Der Arbeitsvorgang vom 9. August 1956 sei nicht nur das auslösende Moment, sondern eine wesentlich mitwirkende Ursache gewesen. - Die durch die erneute Schädigung entstandene MdE bewertete der Gutachter mit 25 v. H.
Durch Bescheid vom 29. Januar 1958 lehnte die Beklagte den Rentenanspruch des Klägers ab, weil die Netzhautablösung eine MdE um 25 v. H. zur Folge gehabt habe und somit gegenüber der Vorschädigung von 20 v. H. aus Anlaß des ersten Unfalls vom 26. Juni 1937 eine rechtlich wesentliche Verschlimmerung um mindestens 10 v. H. nicht eingetreten sei.
Diesen Bescheid hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Heilbronn angefochten. Zur Begründung hat er vorgetragen: Sein Sehvermögen auf dem linken Auge habe sich von 1939 an so gebessert gehabt, daß er verschiedene Gegenstände deutlich habe erkennen können. Während des Wehrdienstes sei er dreiviertel Jahre lang Waffenmeister gewesen und habe Geschütze ausrichten können. In der Folgezeit habe er sich so weit an seinen Zustand angepaßt gehabt, daß er bei der Arbeit nicht wesentlich behindert gewesen sei. Der jetzige Verlust des linken Auges bedeute daher eine wesentliche Verschlimmerung.
Das SG hat nach Beiladung der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft, als Rechtsnachfolgerin der am 1. Januar 1945 aufgelösten Schmiede-Berufsgenossenschaft, durch Urteil vom 31. Juli 1959 entsprechend dem Hauptantrag des Klägers die Beigeladene verurteilt, dem Kläger "wegen des durch die zweite Netzhautablösung eingetretenen Zustandes Rente nach einer MdE von 33 1/3 % zu gewähren". Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Die zweite Netzhautablösung sei auf dem Boden der durch den Unfall von 1937 verursachten Schädigung entstanden; sie sei also Folge des ersten Unfalls. Die Auffassung der Beigeladenen, daß für einen durch zwei Unfälle eingetretenen Schaden nur die für den zweiten Unfall zuständige Genossenschaft entschädigungspflichtig sei, treffe nicht zu. Eine Leistungspflicht bei Verschlimmerung der Folgen eines ersten Unfalls durch ein zweites Ereignis entfalle nur dann wenn das zweite Ereignis geeignet gewesen sei, für sich allein einen Schaden in diesem Umfang und zu dieser Zeit zu verursachen, oder wenn das zweite gegenüber dem ersten so im Vordergrund stehe, daß es als überwiegende Teilursache des zuletzt gegebenen Zustandes zu werten sei. An solchen Voraussetzungen fehle es in dem vorliegenden Streitfall. - Bei der Bemessung der MdE ist das SG unter Berücksichtigung, daß "der Kläger in seinem Beruf als Schmied durch den Verlust des Auges nicht nur in besonderem Maße einer erhöhten Anstrengung und Ermüdung, sondern vor allem auch einer besonders starken Gefährdung ausgesetzt" sei, über den von Dr. J und nach allgemeiner Übung bei Verlust des Sehvermögens eines Auges als angemessen angesehenen Satz von 25 v. H. hinausgegangen; es hat die MdE auf 33 1/3 v. H. geschätzt. Gegenüber der im Jahre 1938 festgestellten Vorminderung um 20 v. H. hat es eine "wesentliche" Verschlimmerung (13 1/3 v. H.) der Unfallfolgen bejaht.
Gegen dieses Urteil hat die Beigeladene Berufung eingelegt und zu deren Begründung vorgetragen: Da ohne das Ereignis vom 9. August 1956 keine Änderung des ruhenden, mit einer MdE um 20 v. H. beurteilten Zustandes des linken Auges eingetreten wäre, sei für die Entschädigung der Verschlimmerung die Beklagte zuständig. Dafür biete sich die Anwendung der Lohmüller'schen Formel mit dem Ergebnis an, daß die Beklagte eine Rente von gerundet 15 v. H. der Vollrente zu gewähren habe. Im übrigen müsse die Bemessung der MdE durch das SG so verstanden werden, daß der Satz von 33 1/3 v. H. (anstatt 25 v. H.) nur für die Zeit der Gewöhnung an den Zustand der Einäugigkeit, nicht aber für die Dauer gelte. Durch das Ereignis vom 9. August 1956 sei also keine wesentliche Verschlimmerung um mindestens 10 v. H., sondern nur um 5 v. H. eingetreten. Damit seien aber die Voraussetzungen nicht erfüllt, unter denen die nach der 4. Notverordnung mit dem 31. Januar 1938 eingestellte Rente wiedergewährt werden könne.
Die Beklagte ist den Ausführungen der Beigeladenen entgegengetreten, hat allerdings eingeräumt, daß die MdE des Klägers auch unter Berücksichtigung seines Berufs als Schmied allenfalls für zwei Jahre 33 1/3 v. H., später aber - nach Eingewöhnung - nur 25 v. H. betrage.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 15. November 1961 die erstinstanzliche Entscheidung wie folgt geändert:
1.) Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 1958 wird aufgehoben.
2.) Die Beigeladene wird verurteilt, dem Kläger für "Verlust des linken Auges" aus Anlaß des Ereignisses vom 9. August 1956 eine Rente nach einer MdE von 33 1/3 v. H. aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Bei dem Ereignis vom 9. August 1956 habe es sich um einen "Unfall im technischen Sinne" und nicht um einen alltäglichen Arbeitsvorgang gehandelt, denn der Kläger sei einer außerordentlichen Kraftanstrengung ausgesetzt gewesen; er habe weit mehr als etwa ein Fünftel der gesamten Last zu tragen gehabt (wird näher ausgeführt). Auch die erforderliche Plötzlichkeit sei gegeben. Zwar sei die Erblindung infolge der Netzhautablösung erst am folgenden Tage eingetreten, das plötzliche Ereignis, nämlich die schwere Anstrengung, habe sich aber innerhalb einer Arbeitsschicht zugetragen. Die Netzhautablösung komme dadurch zustande, daß zunächst ein Netzhauteinriß entstehe. Durch diesen Einriß sickere Flüssigkeit hinter die Netzhaut, was zur Ablösung der Netzhaut führe. - Die am 10. August 1956 festgestellte zweite Netzhautablösung habe aber auch in einem mittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit den Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. Juni 1937 gestanden; denn nach dem überzeugenden Gutachten des Prof. Dr. J sei der Kläger durch die Folgen des ersten Arbeitsunfalls zu einer erneuten Netzhautablösung in hohem Maße disponiert gewesen. Die Feststellung, daß die auf die Folgen des Unfalls vom 26. Juni 1937 zurückzuführende Disposition zur Netzhautablösung eine wesentliche Mitursache für den Eintritt der zweiten Netzhautablösung und das nachfolgende Erfordernis der operativen Entfernung des Auges gewesen sei, bedeute rechtlich zugleich, daß diese Gesundheitsschädigung in einem mittelbaren ursächlichen Zusammenhang mit dem Unfall vom 26. Juni 1937 stehe. Denn ein zweiter Unfall mit seinen Folgen sei die mittelbare Folge eines früheren Unfalls, wenn die durch diesen Arbeitsunfall verursachte Beeinträchtigung der Gesundheit bei der Entstehung des späteren Unfalls oder dem Ausmaß seiner Folgen in rechtlich erheblicher Weise mitgewirkt habe (vgl. BSG 1, 254, 256). - Die Frage, welcher Versicherungsträger zuständig sei, wenn eine Gesundheitsschädigung sowohl mittelbar auf einen früheren als auch unmittelbar auf einen späteren Unfall zurückzuführen sei, werde in Rechtsprechung und Schrifttum meist dahin beantwortet, daß der für den ersten Unfall zuständige Versicherungsträger nur dann in Betracht komme, wenn der spätere Unfall nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfaßt werde (LSG Nordrhein-Westfalen, BG 1955, 219; Hess. LSG, BG 1958, 471; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 489; Vollmar, SozVers. 1958, 75, 76). Diese Auffassung überzeuge nicht, sie finde jedenfalls keine Stütze in der vielfach zitierten Entscheidung des Reichsversicherungsamts (RVA) in EuM Bd. 22 S. 305. Der Kläger könne zwar die Entschädigung für die Folgen des zweiten Unfalls nur von einem Versicherungsträger verlangen, es sei jedoch nicht ersichtlich, weshalb es ihm verwehrt sein solle, sich deshalb an die für den ersten Unfall zuständige Beigeladene zu wenden. Ob dies für sämtliche "mittelbaren" Unfälle gelte, könne dahinstehen. Jedenfalls gelte es, wenn - wie hier - den Folgen des ersten Unfalls eine so überragende Bedeutung zukomme, daß es ohne diese überhaupt nicht zu dem zweiten Unfall hätte kommen können; die wesentlichere Ursache sei die frühere Netzhautablösung gewesen. Die ihm zustehende Wahl habe der Kläger dadurch getroffen, daß er im Klageverfahren in erster Linie die Verurteilung der Beigeladenen zur Gewährung der Entschädigung begehrt habe. - Der Kläger habe Anspruch auf eine Teilrente von 33 1/3 v. H. der Vollrente. Im allgemeinen werde allerdings der Verlust eines Auges mit einer MdE um nur 25 v. H. bewertet. Im vorliegenden Falle müßten jedoch Ausbildung und Beruf des Verletzten angemessen berücksichtigt werden. Die Tätigkeit eines Schmieds erfordere normalerweise beidäugiges Sehen. Es sei verständlich, daß der Kläger im Alter von über 50 Jahren seinen erlernten Beruf aufgegeben habe. Er sei nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer um 33 1/3 v. H. in seiner Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beigeladene hat Revision eingelegt und diese wie folgt begründet:
Eine Gesundheitsstörung könne nach der Rechtsdogmatik der sozialen Unfallversicherung immer nur auf einen einzigen Unfall zurückgeführt werden. Deshalb dürfe einem Versicherten in einem Fall der vorliegenden Art nicht gestattet werden, sich den Versicherungsträger auszusuchen. - Selbst wenn man unterstelle, daß durch die zweite Netzhautablösung und die operative Entfernung des Auges am 14. Februar 1959 eine Verschlimmerung in den Folgen des Unfalls vom 26. Juni 1937 eingetreten sei, so sei sie - die Beigeladene - nicht zur Rentengewährung verpflichtet, weil sich der Grad der MdE nur von 20 auf 25 v. H. erhöht habe, also keine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Die Begründung des LSG, daß die MdE mit 33 1/3 v. H. zu beurteilen sei - Notwendigkeit beidäugigen Sehens bei Schlaghammerführung und Schweißarbeit -, sei nicht ausreichend durch Sachaufklärung untermauert. Das LSG hätte zu den getroffenen Feststellungen nicht kommen dürfen, ohne eine Auskunft von der Handwerkskammer oder der zuständigen Innung eingeholt zu haben. - Das angefochtene Urteil leide auch insofern an einem Mangel, als es nicht erkennen lasse, welcher Jahresarbeitsverdienst (JAV) der Rentenberechnung zugrunde zu legen sei, der für den Unfall von 1937 maßgebliche oder der JAV vor dem Unfall vom 9. August 1956. - Es fehle am Ursachenzusammenhang im naturwissenschaftlichen Sinn zwischen dem Arbeitsunfall von 1937 und der erneuten Netzhautablösung im Jahre 1956 und der dadurch veranlaßten operativen Entfernung des linken Auges. Das LSG hätte berücksichtigen müssen, daß fast 20 Jahre verstrichen gewesen seien, ohne daß der Kläger in der Zwischenzeit auch nur einen Augenarzt aufgesucht habe. Das Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG, vor allem die Aussagen des Klägers selbst und seiner Ehefrau über das gute Sehvermögen des Klägers während des zweiten Weltkrieges, hätte dem LSG Veranlassung geben müssen, erneut einen Sachverständigen über die Frage des Kausalzusammenhangs zu hören; mit dem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten des Prof. Dr. J hätte es sich nicht begnügen dürfen. - Wenn der Kläger überhaupt eine Rente beanspruchen könne, so sei die Beklagte infolge weiteren Absinkens der Erwerbsunfähigkeit um 5 v. H. - wegen der Vorschädigung des Klägers wirke sich dies mit 6 1/3 v. H. aus - zur Gewährung einer Rente, gerundet auf 10 v. H., verpflichtet. - Bejahe man den vom LSG festgestellten ursächlichen Zusammenhang im medizinischen Sinne, so hätte das LSG klären müssen, wie stark die beiden ursächlichen Beziehungen gewesen seien, vor allem ob nicht die Ursachenbeziehung aus dem Unfall von 1937 gegenüber dem zweiten Unfall völlig in den Hintergrund getreten sei. Selbst wenn man beide Ursachenreihen als kausal ansehen wollte, hätte das LSG weiter prüfen müssen, welche der beiden Ursachenketten im Rechtssinne erheblich und wesentlich gewesen sei. Rechtlich wesentlich könne nur der zweite Unfall gewesen sein, weil der Verlust des Auges die unmittelbare Folge dieses Unfalls gewesen sei.
Die Beigeladene beantragt,
das angefochtene Urteil - abgesehen von der Aufhebung des Bescheides der Beklagten - und das Urteil des SG aufzuheben und die Klage, soweit diese gegen die Beigeladene erhoben worden sei, abzuweisen,
hilfsweise,
das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gleichwohl rügt sie, das LSG habe den Geschehensablauf vom 9. August 1956 nicht hinreichend aufgeklärt. Ferner weist sie darauf hin, daß das LSG die Begriffe des ursächlichen Zusammenhangs sowie des unmittelbaren und des mittelbaren Schadens "nicht präzise genug angewandt" habe. Eine Rentengewährung hält die Beklagte zwar für gerechtfertigt, meint jedoch, der Grad der MdE sei für die Dauer unzutreffend, nämlich zu hoch festgesetzt.
Der Kläger hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Der Senat hat entsprechend den übereinstimmenden Anträgen der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor.
Die Revision der Beigeladenen ist begründet.
Das LSG hat festgestellt, daß die am 10. August 1956 beim Kläger aufgetretene operativ nicht mehr zu beseitigende Netzhautablösung und der damit verbundene völlige Verlust des Sehvermögens auf dem linken Auge die unmittelbare Folge des Arbeitsunfalls vom 9. August 1956 und die mittelbare Folge des Arbeitsunfalls vom 26. Juni 1937 sind. Es hat beide Unfälle für diese Körperschädigung als ursächlich im Rechtssinne angesehen. Die gegen jene Feststellungen von der Beigeladenen und der Beklagten erhobenen Revisionsrügen sind nicht begründet. Das LSG hat nicht außer Acht gelassen, daß beim Kläger auf Grund der Folgen des ersten Arbeitsunfalls in höherem Maße eine Bereitschaft für eine erneute Netzhautablösung bestanden hat. Es hat den - für die Bejahung des mittelbaren ursächlichen Zusammenhangs wesentlichen - Umstand gewürdigt, daß zwischen beiden Unfallereignissen ein Zeitraum von mehr als 19 Jahren liegt und der Kläger in dieser Zeit nicht in augenärztlicher Behandlung gewesen ist. Das Berufungsgericht hat ferner die Tatsache gebührend berücksichtigt, daß der Arbeitsvorgang vom 9. August 1956 eine plötzliche erhebliche körperliche Anstrengung erfordert hat und diese für den Eintritt der Unfallschädigung ebenfalls wesentlich gewesen ist. Indem es auf Grund dieser Umstände zu dem Ergebnis gelangt ist, daß nicht allein die durch das Abladen der schweren Welle am 9. August 1956 beim Kläger eingetretene schwere Belastung, sondern auch die durch den Arbeitsunfall vom 26. Juni 1937 verursachte körperliche Beeinträchtigung das Ausmaß der Folgen des späteren Unfalls wesentlich mitbestimmt haben, hat es die ihm in § 128 Abs. 1 SGG gesetzten Grenzen nicht überschritten. Es hat die in der gesetzlichen Unfallversicherung geltende Kausalitätsnorm nicht falsch angewandt, weil es den mittelbaren ursächlichen Zusammenhang der Auswirkungen des zweiten Unfalls mit dem ersten Unfall bejaht hat.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß der Kläger nur von einem der beiden für eine Entschädigung der Folgen des späteren Unfalls infrage kommenden Versicherungsträger eine Leistung beanspruchen kann (BSG 5, 168, 175; 12, 65, 68). Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hat der Kläger aber nicht die Möglichkeit, wahlweise von der Beklagten oder der Beigeladenen Entschädigung für diesen Unfall zu verlangen. Die Zuständigkeit des Versicherungsträgers zur Entschädigung, welche die Zuständigkeit, das Rentenfeststellungsverfahren durchzuführen, einschließt, ist zwingend gegeben (BSG 5, 168, 175). Da das LSG ohne Rechtsirrtum angenommen hat, daß der infolge der Netzhautablösung eingetretene Verlust des Sehvermögens sowohl die Folge des Arbeitsunfalls vom 9. August 1956 ist als auch in mittelbarem Zusammenhang mit dem Unfall vom 26. Juni 1937 steht, kann - entgegen der Revision - die Zuständigkeit des Versicherungsträgers nicht davon abhängen, welchem der beiden Unfallereignisse etwa eine rechtlich erheblichere Bedeutung zukommt. Für die Zuständigkeit wäre überdies nichts gewonnen, wenn beide Ursachen gleichwertig wären. Die Zuständigkeit des Versicherungsträgers bestimmt sich in einem solchen Sonderfall vielmehr danach, bei welcher Tätigkeit das Unfallereignis, für dessen nachteilige Folgen der Verletzte Entschädigung begehrt, eingetreten ist und welchem Unternehmen diese Beschäftigung gedient hat (RVA, AN 1925, 188, 190; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 2 zu § 648 RVO nF). Die Tätigkeit, bei der sich der zweite Arbeitsunfall des Klägers ereignet hat, hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einem bei der Beklagten versicherten Unternehmen gedient. Daher ist diese für die Feststellung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 9. August 1956 zuständig. Das Urteil des Berufungsgerichts war deshalb aufzuheben.
Die Beklagte ist auch verpflichtet, den Kläger wegen der Folgen dieses Arbeitsunfalls zu entschädigen.
Der Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 1958 ist nicht etwa, wie diese meint, bindend geworden. Der Kläger hat durch seinen Klageantrag zu erkennen gegeben, daß er in erster Linie zwar die Beigeladene, andernfalls aber die Beklagte für entschädigungspflichtig hält und hilfsweise deren Verurteilung zur Leistung, die ihm die Beklagte versagt hat, begehrt.
Die Beklagte ist der Ansicht, ein Entschädigungsanspruch des Klägers entfalle, weil die MdE durch den Verlust eines Auges mit 25 v. H. zu bewerten sei und angesichts der auf dem linken Auge durch den ersten Unfall bereits gegebenen Vorminderung um 20 v. H. die durch den späteren Unfall verursachte weitere MdE um 5 v. H. rechtlich nicht wesentlich sei. Zutreffend ist allerdings der auf dieser Rechtsmeinung beruhende Ausgangspunkt, nämlich daß durch den späteren Unfall die Entschädigungspflicht der Beigeladenen aus Anlaß des früheren Unfalls (siehe Art. 4 § 5 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes) nicht berührt wird (vgl. Lauterbach, aaO, Anm. 8 g zu § 581 RVO nF; Siefart, Der Begriff der Erwerbsfähigkeit auf dem Gebiete des Versicherungswesens, 3. Aufl., Berlin 1908, S. 183). Der Kläger ist also für jeden Unfall durch den zuständigen Versicherungsträger zu entschädigen.
Bei Beurteilung der Frage, in welchem Ausmaß der Kläger durch die Folgen des Arbeitsunfalls vom 9. August 1956 in der Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt ist, kann der Umstand, daß die Erwerbsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt dieses Unfalls durch die Folgen eines früheren Unfalls bereits gemindert war, nicht unbeachtet bleiben (BSG 9, 104, 111). Die bei einer Vorschädigung unter Berücksichtigung der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vorzunehmende Bemessung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit des Verletzten führt in der Regel zu einem höheren Grad der durch den Unfall herbeigeführten MdE. Diese Höherbewertung wird deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil im allgemeinen ein schon vorgeschädigter Verletzter durch die Auswirkungen eines Unfalls in stärkerem Maße betroffen wird als ein zur Zeit des Unfalls gesund gewesener Versicherter (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand 15.6.1965, Band II, S. 567). Wie der Senat bereits entschieden hat (BSG 21, 63, 65), ist die Bedeutung einer Schädigung für die Erwerbsfähigkeit aber stets nach den persönlichen Verhältnissen des Verletzter zu bewerten; eine Vorschädigung rechtfertigt es daher nicht unter allen Umständen, die Minderung der unfallbedingten individuellen Erwerbsfähigkeit mit einem wesentlich höheren Vomhundertsatz einzuschätzen. Ein derartiger Sonderfall ist in der vorliegenden Streitsache gegeben.
Durch den ersten Unfall ist das Sehvermögen auf dem linken Auge nicht unerheblich herabgesetzt worden. Auf Grund der Einwirkungen des zweiten Unfalls ist das auf diesem Auge noch vorhandene restliche Sehvermögen beseitigt worden. Der spätere Unfall hat also dasselbe Organ betroffen. Die gesetzliche Unfallversicherung gleicht indessen nur den durch den jeweiligen Unfall herbeigeführten Schaden aus. Die MdE kann somit allein danach bemessen werden, in welchem Ausmaß das Leistungsvermögen des Verletzten durch den Unfall gemindert worden ist (Brackmann aaO). War das Sehvermögen des Klägers aber schon durch den ersten Unfall in nicht unerheblichem Grade beeinträchtigt, so konnte die Sehkraft des linken Auges nach diesem Unfall für seine Erwerbsfähigkeit nicht dieselbe Bedeutung gehabt haben wie ein unverletztes normal sehendes Auge. Der Schaden, den der zweite Unfall beim Kläger verursacht hat, wird also geringer sein als der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge, der einen bisher mit voller Sehkraft ausgestatteten Versicherten trifft (Siefart aaO S. 182; Kreil, Die Arbeits- und Erwerbsunfähigkeit in der deutschen Sozialversicherung, 1935, S. 219; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, Teil 2, 2. Aufl., 1964, S. 192).
Eine rein rechnerische Berücksichtigung der nach dem ersten Unfall vorhandenen mit 20 v. H. geschätzten MdE, wie die Beklagte dies getan hat, ist aber bei der Festsetzung der MdE wegen der Folgen des zweiten Unfalls nicht zulässig. Es ist vielmehr unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles zu prüfen, welche Bedeutung das in seiner Sehfähigkeit geminderte Auge für das Leistungsvermögen und somit für die Erwerbsfähigkeit des Klägers noch gehabt hat und in welchem Maße diese Fähigkeiten durch die Folgen des späteren Unfalls eingeschränkt worden sind. Bei der Bemessung des durch den zweiten Unfall erlittenen Schadens ist ferner zu berücksichtigen, daß der Kläger durch die für die Folgen beider Unfälle von verschiedenen Versicherungsträgern gewährten Entschädigungen wenigstens so gestellt werden muß, als hätte er das Sehvermögen auf dem linken Auge durch einen einzigen Unfall verloren. Da nach dem für die gesetzliche Unfallversicherung maßgebenden Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung im allgemeinen davon auszugehen sein wird, daß der Kläger auf Grund der Folgen des ersten Unfalls nicht mehr die Fähigkeit besessen haben wird, auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens einen ebenso hohen Verdienst wie vor dem ersten Unfall zu erwerben, der für den zweiten Unfall zu gewährenden Entschädigung aber der vor diesem Unfall erzielte JAV zugrunde zu legen ist, wird der Grad der MdE durch die Folgen des späteren Unfalls entsprechend höher anzusehen sein, um den durch diesen Unfall erlittenen Schaden auszugleichen.
Da das LSG nicht die tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, die erforderlich sind, um den durch den Unfall vom 9. August 1956 eingetretenen Schaden zu bemessen, es vielmehr die infolge dieses Unfalls beim Kläger eingetretene weitere MdE ersichtlich so hoch eingeschätzt hat, als ob der Kläger das Sehvermögen auf dem linken Auge allein durch den zweiten Arbeitsunfall verloren hätte, war der Rechtsstreit unter Aufhebung der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen