Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 26.02.1975) |
SG Augsburg (Urteil vom 25.04.1973) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 1975 und des Sozialgerichts Augsburg vom 25. April 1973 sowie der Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 1972 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Anerkennung des Unfalls vom 20. Januar 1971 als Arbeitsunfall einen neuen Bescheid über die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erteilen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger, der zusammen mit zwei anderen Landwirten und einem Schuhmachermeister seit Anfang 1971 einen Skischlepplift in der Rechtsform einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts betreibt, erlitt bei der – einer auswärtigen Montagefirma S. übertragenen – Reparatur des Lifts (Verkürzung des 2 900 m langen Förderseils um ca. 7 m) im Januar 1971 einen Unfall, um dessen Anerkennung als Arbeitsunfall die Beteiligten streiten. Entsprechend den „Montagebedingungen” der beauftragten Firma, nach denen die von den Monteuren der Firma benötigten Hilfskräfte vom Auftraggeber kostenlos zur Verfügung zu stellen sind, leisteten auch der Kläger, ein Mitgesellschafter und zwei weitere, am Unternehmen nicht beteiligte Landwirte J. und M. dem von der Firma entsandten Monteur H. Hilfe. Dabei zog er sich durch Riß eines Windenseils eine Trümmerfraktur des rechten Unterschenkels zu. Er ist als Gesellschafter (Unternehmer) des Lifts nicht gegen Arbeitsunfall versichert.
Mit Bescheid vom 26. Januar 1972 lehnte es die Beklagte, deren Mitgliedsunternehmen die Firma S. ist, ab, dem Kläger aus Anlaß dieses Unfalles eine Entschädigung zu gewähren. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Augsburg abgewiesen (Urteil vom 25. April 1973). Die Berufung hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 26. Februar 1975 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, der Kläger habe zwar eine arbeitnehmerähnliche, der Firma S. dienende Arbeit i. S. des § 539 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verrichtet. Er sei hierbei aber nicht versichert gewesen, da er im Aufgabenbereich seines eigenen Unternehmens tätig geworden sei. Er habe ausschließlich als Unternehmer gehandelt. Entschädigungsansprüche bestünden auch nicht gegenüber der Berufsgenossenschaft der Straßen-, U-Bahnen und Eisenbahnen, weil der Kläger bei dieser weder kraft Satzung noch freiwillig gegen Arbeitsunfall versichert gewesen sei.
Der Kläger hat die vom erkennenden Senat mit Beschluß vom 19. August 1975 zugelassene Revision eingelegt. Er meint, er habe die zum Unfall führende Tätigkeit nicht als Unternehmer verrichtete. Die durchzuführende Montagearbeit sei nicht typisch für den Unternehmer eines kleinen Skilifts, der zudem noch ein Nebenbetrieb gewesen sei. Die Reparatur habe spezielle Sachkenntnisse und Erfahrungen vorausgesetzt, die bei ihm als Landwirt nicht vorhanden seien. Er habe reine Hilfsdienste geleistet wie die beiden Landwirte J. und M., die nicht Mitunternehmer des Skilifts gewesen seien. Alle Helfer hätten sich dem Monteur der Firma unterstellt und unter seiner Leitung gearbeitet, sich also arbeitstechnisch dem Betriebe der Firma eingegliedert.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 1975 und des Sozialgerichts Augsburg vom 25. April 1973 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26. Januar 1972 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Anerkennung des Unfalls vom 20. Januar 1971 als Arbeitsunfall einen neuen Bescheid über die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu erteilen,
hilfsweise,
die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie meint, der Versicherungsschutz sei zu verneinen, weil die Tätigkeit des Klägers in erster Linie seinem Unternehmen gedient und in seinem dringenden Interesse gelegen habe. Außerdem sei er dafür durch die Schleppliftgemeinschaft entlohnt worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist begründet. Entgegen der Ansicht des LSG hat er den streitigen Unfall bei einer versicherten Tätigkeit i. S. des § 539 Abs. 2 RVO erlitten.
Wie der Senat im Beschluß über die Zulassung der Revision ausgeführt hat, wirft der Rechtsstreit die grundsätzliche Frage auf, ob und inwieweit ein landwirtschaftlicher Unternehmer, der daneben Mitunternehmer eines Skilifts ist, durch seine Mithilfe bei Reparatur arbeiten an diesem Lift, die einem gewerblichen Unternehmen übertragen worden sind, „wie” ein Arbeitnehmer in dieses fremde Unternehmen eingegliedert und deshalb unter Umständen nach § 539 Abs. 2 RVO gegen Unfall versichert ist. Der Rechtsstreit betrifft damit die Frage, wie bei einem Unternehmer die eigentliche Unternehmertätigkeit gegenüber einer von ihm ausgeübten arbeitnehmerähnlichen abzugrenzen ist.
Daß der Kläger hier nicht als Arbeitnehmer der mit der Liftreparatur beauftragten Montagefirma tätig geworden ist, weil er nicht in einem Arbeitsverhältnis zu der Firma gestanden hat, ist vom LSG zutreffend ausgeführt worden und auch unter den Beteiligten unstreitig.
Das LSG hat ferner mit Recht angenommen, daß der Kläger zur Unfallzeit eine dem Willen der Montagefirma entsprechende und ihr dienende Tätigkeit verrichtet hat. Trotzdem hat es ihn nicht „wie” einen Arbeitnehmer der Firma und daher nicht nach § 539 Abs. 2 RVO als versichert angesehen, weil seine Tätigkeit zugleich zum Aufgabenbereich seines Unternehmens gehört, er hier mithin als Unternehmer gehandelt habe; es sei auch sonst üblich gewesen, daß die Mitunternehmer des Lifts die notwendigen Wartungsarbeiten ausgeführt und beim Betriebe mitgeholfen hätten. Dieser Auffassung kann der Senat im Ergebnis nicht folgen.
Auch das Bundessozialgericht (BSG) hat zwar in einer Reihe von Entscheidungen die Ansicht vertreten, daß ein Unternehmer nicht nach § 539 Abs. 2 RVO wie ein Arbeitnehmer versichert sein könne, wenn er im Rahmen seines eigenen Unternehmens tätig werde, d. h. für sein Unternehmen Arbeiten verrichte, die zum Aufgabenkreis des Unternehmens gehörten (so zuletzt SozR 2200 Nr. 2 zu § 539 RVO mit Nachweisen). Die Frage ist hier jedoch, ob die Arbeiten, bei denen der Kläger verunglückt ist, zum Aufgabenkreis des Unternehmens gehören, deren Mitinhaber er ist. Diese Frage ist nicht schon mit dem Hinweis des LSG beantwortet, daß die Gesellschafter des Liftunternehmens auch sonst die notwendigen Wartungsarbeiten ausgeführt und beim Betriebe mitgeholfen hätten. Daraus folgt nämlich nicht, daß sie als Mitunternehmer auch solche Arbeiten zu verrichten pflegen, die über gewöhnliche Wartungsaufgaben, die von technisch nicht einschlägig ausgebildeten Landwirten ohne Schwierigkeiten erfüllt werden können, hinausgehen. Um solche Arbeiten hat es sich aber bei der fraglichen Reparatur des Lifts (Verkürzung des Förderseils um ca. 7 m) gehandelt. Sie sind deshalb auch nicht von den Mitgesellschaftern selbst vorgenommen, sondern einer darauf spezialisierten Firma übertragen worden. Schon das zeigt, daß die Reparatur des Seils keine Tätigkeit war, die zum Aufgabenkreis des Unternehmens gehörte.
Ob sich die hier bei Durchführung der Reparatur angefallenen Hilfstätigkeiten, die nach den Montagebedingungen der genannten Firma von Hilfskräften auszuführen waren, die der Auftraggeber kostenlos zur Verfügung zu stellen hatte, von den eigentlichen Monteurarbeiten in der Weise trennen lassen, daß sie der Firma nicht mitübertragen wurden, sondern im Aufgaben- und damit zugleich im Verantwortungsbereich des Auftraggebers blieben, kann dahinstehen (vgl. BSG 7, 95, 197, wo dies für Handreichungen angenommen worden ist, die der Eigentümer von Brennholz dem mit dem Zersägen des Holzes beauftragten Unternehmer leistet). Auch wenn eine solche Trennung grundsätzlich möglich wäre, könnte ein dergestalt beschränkter Reparaturauftrag nur dann unterstellt werden, wenn – wie etwa bei den genannten einfachen Handreichungen beim Brennholzsägen – der Auftraggeber seine Hilfsdienste technisch voll beherrscht und einer weiteren Anleitung durch die beauftragte Firma und deren Fachkräfte nicht bedarf. Gerade dies kann aber im vorliegenden Fall nicht angenommen werden. Hier sind – worauf die Revision mit Hecht hingewiesen hat – der Kläger und die anderen zu der Seilreparatur hinzugezogenen Personen „Hilfskräfte” des Monteurs der Reparaturfirma gewesen; sie unterlagen sonach seinen Weisungen, wie nicht nur aus der Natur dieser nicht ungefährlichen Reparaturarbeiten, sondern auch aus den Montagebedingungen zu entnehmen ist. Bei einer solchen Sachlage ist nicht anzunehmen, daß die fraglichen Hilfsarbeiten im Aufgaben- und Verantwortungsbereich der Inhaber des Liftunternehmens verblieben sind. Der Annahme eines Unfallversicherungsschutzes nach § 539 Abs. 2 RVO steht der Umstand nicht entgegen, daß dem Kläger für seine Mithilfe von der Liftgesellschaft eine Vergütung von 5,– DM je Stunde gutgeschrieben worden sein soll; denn die Hilfe muß nicht unentgeltlich geleistet sein (BSG 18, 143, 147). Unentschieden kann dabei bleiben, ob nicht bereits die Unterstellung des Klägers unter die Weisungsbefugnis des mit der Reparatur beauftragten Monteurs genügte, um die Hilfstätigkeit des Klägers zu einer „arbeitnehmerähnlichen” i. S. des § 539 Abs. 2 RVO zu machen. Die neuere Rechtsprechung und Literatur gehen zwar ganz überwiegend davon aus, daß für die Anwendung des § 539 Abs. 2 RVO eine persönliche und/oder wirtschaftliche Abhängigkeit der für ein anderes Unternehmen tätig gewordenen Personen nicht erforderlich ist (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 37. Nachtrag – April 1972, S. 476 d ff mit Nachweisen). Das schließt jedoch nicht aus, daß im Einzelfall eine solche Abhängigkeit in Gestalt einer von den Beteiligten einvernehmlich begründeten Weisungsbefugnis des Unternehmers oder seines Beauftragten tatsächlich besteht. Wenn und soweit dies der Fall ist, könnte schon daraus entnommen werden, daß die Tätigkeit für das andere Unternehmen, weil fremdbestimmt, einer Arbeitnehmertätigkeit ähnelt, es sich mithin nicht um eine selbständige Unternehmertätigkeit handelt. Die Frage braucht hier indessen nicht abschließend entschieden zu werden, weil, wie ausgeführt, eine Versicherung des Klägers nach § 539 Abs. 2 RVO zur Unfallzeit bereits aus anderen Gründen zu bejahen ist.
Daß der Kläger mangels einer freiwilligen Versicherung bei der für den Skilift zuständigen Berufsgenossenschaft der Straßen-, U-Bahnen und Eisenbahnen gegen diese keine Ansprüche hat, ist vom LSG zutreffend dargelegt worden. Der Senat hat hiernach das angefochtene Urteil, das im gleichen Sinne ergangene Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 20. Januar 1971 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm einen neuen Leistungsbescheid zu erteilen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Unterschriften
Dr. Maisch, Thomas, Spielmeyer
Fundstellen