Leitsatz (amtlich)

1. Muß der Teilnehmer an einer nach dem AFG zu fördernden, abschnittsweise aufgebauten Fortbildungsmaßnahme einen Ausbildungsabschnitt wegen Mißerfolges wiederholen, so ist die Förderung - auch - des Wiederholungsabschnitts nicht grundsätzlich ausgeschlossen und nicht nur auf besondere Ausnahmefälle beschränkt.

2. Wird die Förderung eines Wiederholungsabschnitts abgelehnt, weil die Erfolgserwartung (AFG § 42) wegen mangelnder Eignung des Teilnehmers verneint wird, so ist bei der gerichtlichen Überprüfung des Bescheides rückschauend ein erfolgreicher Abschluß zugunsten des Teilnehmers zu berücksichtigen (Fortentwicklung von BSG 1974-03-19 7 RAr 9/73 = SozR 4100 § 41 Nr 1).

 

Normenkette

AFG §§ 41, 42 Abs. 1, § 45

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. November 1973 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 25. Oktober 1972 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Bundesanstalt für Arbeit (BA) auch ein Wiederholungssemester des Klägers als berufliche Bildungsmaßnahme zu fördern hat.

Dem Rechtsstreit liegt nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) folgender Sachverhalt zugrunde: Der im Jahre 1945 geborene Kläger, der den Beruf eines Elektroinstallateurs erlernt und ausgeübt hatte, nahm seit dem 7. September 1970 an einem von der "Privaten Techniker-Fachschule B im Berufsfortbildungswerk des DGB GmbH" veranstalteten Lehrgang über Elektronik teil. Der ganztägig durchgeführte Lehrgang war auf drei Semester bemessen und sollte bis zum 31. Januar 1972 dauern. Mit Bescheid vom 20. Oktober 1970 bewilligte die Beklagte die Förderung der Teilnahme des Klägers an diesem Lehrgang für die Zeit vom 7. September 1970 bis zum 31. Januar 1972 durch Übernahme der Lehrgangsgebühr und Erstattung der Kosten für Fahrt, Unterkunft und Verpflegung.

Nachdem der Kläger das zweite Semester nicht bestanden hatte - er erhielt in den Fächern "Bauelemente und Grundschaltungen der Elektronik", "Elektrische Meßtechnik" und "Elektronische Datenverarbeitung" die Note "mangelhaft" -, hob die Beklagte die Bewilligung der laufenden Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 1971 bis zum 31. Januar 1972 auf. Den Antrag des Klägers vom 29. Juni 1971 auf Förderung des Wiederholungssemesters lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. August 1971 ab, nachdem in einem von ihr eingeholten psychologischen Gutachten zu der Frage, ob Intelligenz und Lernfähigkeiten des Klägers ausreichten, um das zweite Semester und den ganzen Lehrgang mit Erfolg abzuschließen, der Sachverständige zu dem Ergebnis gekommen war, es bestünden zwar Bedenken, jedoch könne eine erfolgreiche Beendigung des Lehrgangs nicht völlig ausgeschlossen werden. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 5. Oktober 1971 unter Hinweis auf § 45 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zurückgewiesen, wonach nur die notwendigen Kosten einer Bildungsmaßnahme von der BA zu tragen seien. Der Kläger habe sich zwar nach besten Kräften um den Semestererfolg bemüht, so daß ihm ein Verschulden nicht anzulasten sei, jedoch könne nun nicht mehr erwartet werden, daß er durch eine Wiederholung des Semesters die vorhandenen Lücken zu schließen vermöge.

Mit Urteil vom 25. Oktober 1972 hat das Sozialgericht (SG) Dortmund, nachdem es Auskünfte der Schule eingeholt hatte, der auf Förderung des Wiederholungssemesters (vom 16. August 1971 bis zum 31. Januar 1972) gerichteten Klage stattgegeben. Es hat den ablehnenden Bescheid vom 26. August 1971 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1971 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger einen neuen Bescheid über die Höhe der Leistungen für das Wiederholungssemester (§§ 44 und 45 AFG) zu erteilen. Im Laufe des Verfahrens vor dem SG hatte der Kläger das Wiederholungssemester mit Erfolg beendet und am 19. Juni 1972 auch die Abschlußprüfung zum Staatlich geprüften Elektrotechniker mit der Note "befriedigend" bestanden.

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG abgeändert und die Klage abgewiesen; es hat die Revision zugelassen. In den Urteilsgründen, auf die im einzelnen und im übrigen Bezug genommen wird, hat es dazu folgendes ausgeführt: Dem Kläger stehe eine Förderung des Wiederholungssemesters nicht zu. Das folge allerdings nicht aus § 45 AFG, der nur die dem Teilnehmer an einer Maßnahme entstehenden Sachkosten betreffe und deren Umfang abgrenze; im vorliegenden Falle sei dagegen die Förderbarkeit des Wiederholungssemesters als solche streitig. Maßgebend sei hierfür die Vorschrift des § 42 AFG. Die danach erforderliche Entscheidung, ob die Fähigkeiten des Klägers eine erfolgreiche Teilnahme erwarten ließen, erfordere eine vorausschauende Betrachtungsweise. Die Beklagte habe ihre Entscheidung nach der zu Beginn des Wiederholungssemesters gegebenen Sachlage treffen müssen; diese Entscheidung könne nicht aufgrund der späteren Entwicklung nachträglich als rechtswidrig qualifiziert werden. Auf die erfolgreiche Wiederholung des Semesters komme es daher nicht an. Bei der Bewilligung der hier streitigen Leistungen handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, sie betreffe vielmehr Leistungen für einen überschaubaren Zeitraum, bei deren Zubilligung durchaus sachdienlich von den im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Verhältnissen auszugehen sei. Da Gegenstand dieses Rechtsstreits die vom Kläger neu beantragte Förderung des Wiederholungssemesters sei, gehe dabei die Unerweislichkeit der Erfolgserwartung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast zu Lasten des Klägers. Diese als Förderungsvoraussetzung geforderte Erwartung sei mehr als eine bloße Möglichkeit; es müsse dabei mehr für als gegen eine erfolgreiche Teilnahme sprechen. Im vorliegenden Fall habe der psychologische Gutachter einen erfolgreichen Abschluß aber allenfalls für möglich gehalten.

Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 42 AFG. Zunächst, so führt er aus, habe auch schon unter vorausschauender Betrachtung bei Erlaß der angefochtenen Bescheide die Förderungswürdigkeit bestanden. Wenn der Sachverständige einen Erfolg der Teilnahme am Lehrgang nicht ausgeschlossen habe, so liege darin eine gewisse Erwartung i. S. des § 42 AFG. Bei vorausschauender Sicht seien Zweifel zugunsten des Antragstellers zu werten. Aber auch die Auffassung des LSG, daß eine spätere Bestätigung der Erfolgsaussicht nicht berücksichtigt werden dürfe, sei rechtlich nicht haltbar. Da sich die Entscheidung über die Förderung eines Ausbildungsabschnitts automatisch auch auf die folgenden Abschnitte auswirke, werde damit die Entscheidung über einen längeren Zeitraum getroffen; demgemäß seien hierfür die für einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung entwickelten Grundsätze maßgebend. Eine mit zahlreichen Risikofaktoren belastete Prognose müsse zudem immer korrigierbar sein, wenn sie sich nachträglich als unrichtig erweise. Das entspreche auch allein dem Grundgedanken des § 42 AFG und dieses Gesetzes insgesamt.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die durch Bescheid vom 26. August 1971 in Form des Widerspruchsbescheides vom 5. Oktober 1971 verwehrten Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für richtig und seine Begründung für zutreffend.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig und in der Sache begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist - darüber sind sich die Beteiligten einig - allein der von der Beklagten abgelehnte Anspruch des Klägers auf Förderung der Wiederholung des von ihm erfolglos beendeten zweiten Semesters. Die Förderbarkeit der Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang überhaupt als Maßnahme der beruflichen Fortbildung nach §§ 41 - 43 AFG ist unter den Beteiligten nicht streitig; die Beklagte hat - wie sich aus dem Inhalt der vom LSG in Bezug genommenen Verwaltungsakten ergibt - das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen vor Bewilligung der Leistungen geprüft, und es sind keine Umstände ersichtlich, die auf eine unrechtmäßige Bewilligung hindeuten könnten.

Eine spezielle gesetzliche Regelung für die Förderbarkeit der Wiederholung von Ausbildungsabschnitten, die erfolglos beendet wurden, liegt nicht vor. Zutreffend hat das LSG ausgeführt, daß § 45 AFG, der die "notwendigen Kosten, die durch die Fortbildungsmaßnahme unmittelbar entstehen", betrifft, im vorliegenden Fall nicht einschlägig ist, weil es hier nicht um den Umfang "notwendiger" Sachkosten, sondern um die Förderbarkeit des Wiederholungssemesters als solche, und zwar speziell um die Frage der Erfolgserwartung i. S. des § 42 AFG geht. Bei einer Maßnahme, die derart abschnittsweise aufgebaut ist, daß die Teilnahme an einem Abschnitt den erfolgreichen Abschluß des vorhergehenden Abschnitts voraussetzt, ist zudem die Wiederholung eines erfolglos beendeten Abschnitts gerade "notwendig", um das Maßnahmeziel zu erreichen. Auch steht der dem § 45 AFG zu entnehmende, im übrigen selbstverständliche Grundsatz, daß die BA zu möglichst sparsamer und effektiver Leistung gehalten ist, der Förderung eines Wiederholungssemesters keineswegs entgegen. Diesem Grundsatz entspricht es vielmehr gerade, daß eine Ausbildung, für die bereits erhebliche Kosten sowie Arbeitszeit aufgewendet worden sind, nicht ergebnislos abgebrochen wird, wenn sie noch zum Ziel führen kann. Berücksichtigt man dabei die besondere Situation eines schon längere Zeit dem schulmäßigen Lernen entwöhnten Berufstätigen, so besteht auch von der Sache her kein Anlaß, bei der Prüfung der Erfolgserwartung für einen notwendig gewordenen Wiederholungsabschnitt grundsätzlich wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als vor Beginn der Maßnahme überhaupt. Entgegen der im Widerspruchsbescheid ausgedrückten Auffassung der Beklagten ist daher die Förderbarkeit eines Wiederholungsabschnitts nicht grundsätzlich auszuschließen und nur auf besondere Ausnahmefälle zu beschränken. Das gilt jedenfalls dann, wenn sich die durch die Wiederholung verlängerte Gesamtdauer einer Maßnahme noch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit des Aufwands zum Erfolg und - was ebenfalls offenbleiben kann - der zeitlichen Begrenzung des § 41 Abs. 2 AFG hält. Beides ist hier bei einer Verlängerung der Ausbildung des Klägers von drei auf vier Semester der Fall.

Entscheidend zugunsten des Klägers ist im vorliegenden Fall, daß er das Wiederholungssemester und schließlich auch den Lehrgang im ganzen erfolgreich abgeschlossen hat. Damit steht nunmehr - und stand auch bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem SG - rückschauend fest, daß der Kläger bei Beginn des Wiederholungssemesters die intellektuellen Fähigkeiten besaß, an der Fortbildungsmaßnahme erfolgreich teilzunehmen. Allein der ernstliche Zweifel an diesen Fähigkeiten des Klägers gab im vorliegenden Fall aber Grund zu der Annahme, für seine Teilnahme an der Bildungsmaßnahme bestehe keine hinreichende Erfolgserwartung i. S. des § 42 AFG. Dadurch, daß diese Zweifel nach dem erfolgreichen Ergebnis eindeutig ausgeräumt worden sind, hat sich auch die Annahme mangelnder Erfolgserwartung nachträglich als Irrtum erwiesen.

Der Auffassung des LSG, daß bei gerichtlicher Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung über die Erfolgserwartung nach § 42 AFG nachträglich eingetretene Umstände - wie hier der Abschlußerfolg - nicht berücksichtigt werden dürften, vielmehr allein von den im Zeitpunkt der Verwaltungsentscheidung bekannten Umständen auszugehen sei, kann der Senat nicht folgen. Wie er in seinem Urteil vom 19. März 1974 - 7 RAr 9/73 - bereits dargelegt hat, kann das Tatsachengericht bei Beurteilung der Eignung des Teilnehmers an einer Fortbildungsmaßnahme alle ihm zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung zugänglichen und bekannten Tatsachen verwerten. Es wäre, wie es dort heißt, ein wirklichkeitsfremdes Ergebnis, wollte man nur die Erkenntnisse im Zeitpunkt der Antragstellung verwerten und deshalb die Eignung eines Antragstellers verneinen, obwohl sich bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung der erfolgreiche Abschluß der Maßnahme ergebe; in diesen Fällen erweise sich vielmehr eine ursprünglich verneinende Entscheidung als unrichtig. Allerdings beziehen sich diese Ausführungen auf die Beurteilung der "Eignung" des Antragstellers (§ 36 AFG), während die Beklagte im vorliegenden Fall auf die Erfolgserwartung i. S. des § 42 AFG abstellt. Hierzu ist indessen im gleichen Urteil ausgeführt, daß § 42 AFG insoweit nur die in § 36 AFG aufgestellten allgemeinen persönlichen Voraussetzungen jeder Bildungsförderung - Eignung und Neigung - ergänzt und erläutert. Wie weiter oben dargelegt, geht es im vorliegenden Fall aber allein um die Eignung des Klägers, speziell seine Fähigkeit, durch ein Wiederholungssemester seinen Mißerfolg im zweiten Semester auszugleichen. Von der Sache her kann aber für die Frage, ob nachträglich eingetretene Umstände für die Beurteilung heranzuziehen sind oder nicht, kein Unterschied zwischen der "Eignung" (§ 36 AFG) und den die Erfolgserwartung begründenden "Fähigkeiten" (§ 42 AFG) gemacht werden. Die Erfolgserwartung zu verneinen, nachdem der Erfolg bereits eingetreten ist, wäre sogar in noch stärkerem Maße "wirklichkeitsfremd" als das Festhalten an einer nicht bestätigten Eignungsbeurteilung. Dabei kommt es nicht entscheidend darauf an, ob die Entscheidung über die Förderung eines Wiederholungssemesters als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung anzusehen ist oder nicht. Es geht hier nämlich nicht um die rechtliche Auswirkung einer nachträglich eingetretenen Änderung der Verhältnisse (mit Wirkung vom Eintritt an - ex nune -), sondern um die Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände bei rückschauender Beurteilung bereits von Anfang an unverändert bestehender Verhältnisse (Eignung, Fähigkeiten). Wenn auch der Senat die Schwierigkeiten für die Beklagte nicht verkennt, eine vorausschauende Entscheidung treffen zu müssen, die später durch ein den Umständen nach nicht zu erwartendes Ergebnis widerlegt und damit rückschauend als rechtswidrig erkannt werden kann, so hält er doch - in Fortsetzung seiner Rechtsprechung in dem o. a. Urteil - aus den vorgenannten Gründen eine rückschauende Betrachtung in diesen Fällen für allein sachgerecht.

Hiernach hat das SG zu Recht dem Kläger den Anspruch auf Förderung des Wiederholungssemesters durch die Beklagte dem Grunde nach zugesprochen. Dem Revisionsantrag des Klägers inhaltlich entsprechend war daher das klagabweisende Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 146

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