Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung. Beitragshöhe
Orientierungssatz
Ist darüber zu entscheiden, ob die lohnsteuerfreien Lohnanteile bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen sind, in welcher Höhe also die Beiträge auch zur Rentenversicherung zu entrichten sind, so greift das unmittelbar in die Rechtssphäre der betreffenden Versicherten ein. Von der Höhe der Beiträge ist nämlich die Höhe der späteren Renten abhängig. Werden Dritte in ihrem Versicherungsverhältnis vom Rechtsstreit derart betroffen, so sind sie nach § 75 Abs 2 Alt 1 SGG notwendig beizuladen, weil die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (vergleiche BSG vom 1978-02-02 12 RK 59/76 und vom 1979-04-04 12 RK 8/78 = SozR 1500 § 75 Nr 15 und 21).
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1 Fassung: 1953-09-03
Verfahrensgang
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge für die ab 1. April 1976 geltenden Durchschnittsheuern auch die - lohnsteuerfreien - Anteile der Fang- oder Produktprämien für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit an das seemännische Personal der Klägerin gezahlt werden.
Die Klägerin betreibt als Reederei die Hochseefischerei. Am 20. Mai 1976 erteilte ihr die Beklagte als Einzugsstelle der Gesamtsozialversicherungsbeiträge für das seemännische Personal der Hochseefischerei einen Beitragsbescheid, wonach für den Monat April 1976 insgesamt DM 71.400,87 an Beiträgen zu entrichten waren. Dieser Betrag errechnete sich auf der Grundlage der anrechenbaren Durchschnittsheuern aus den Beiträgen für die einzelnen Zweige der Sozialversicherung. Die zugrunde gelegten Durchschnittsheuern enthielten auch die lohnsteuerfreien Anteile der Fang- oder Produktprämien, die als Abgeltung der Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit gezahlt wurden.
Widerspruch, Klage und Berufung der Klägerin sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1976; Urteile des Sozialgerichts -SG- Bremen vom 6. Dezember 1977 und des Landessozialgerichts -LSG- Bremen vom 13. Oktober 1980). Das LSG hat den im Zeitpunkt der Erteilung des Beitragsbescheides noch geltenden Gemeinsamen Erlaß vom 10. September 1944 (AN) 1944, 281), wonach die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebenden Betrag zu berechnen waren, im vorliegenden Fall nicht für anwendbar gehalten, weil dem die gesetzlichen Spezialregelungen für die Beitragsberechnung in der Seefahrt entgegenstünden. Aber auch wenn eine vorrangige Spezialregelung verneint werde, verbiete sich eine Beitragsfreiheit der zur Abgeltung der Mehrarbeitszuschläge gezahlten Anteile an den Fang- und Produktprämien zum einen aus dem für den Erlaß vom 10. September 1944 maßgebenden Grund der Verwaltungsvereinfachung, zum anderen wegen der drohenden sozialversicherungsrechtlichen Benachteiligung der Seeleute. Der Gemeinsame Erlaß habe den Einzugstellen ermöglichen sollen, anhand der Lohnunterlagen die Beitragsentrichtung unter Verzicht auf schwierige Einzelberechnungen über die Zusammensetzung des Lohnes zu überprüfen. Wenn die zur Abgeltung der Zuschläge für Mehrarbeit gezahlten Anteile abgesondert werden müßten, würde dieser tragende Gedanke in sein Gegenteil verkehrt werden. Eine Trennung der Prämienanteile vom übrigen Entgelt wäre auf der Grundlage der Durchschnittsentgelte sogar unmöglich. Da die Prämienanteile in der Regel über 15 vH der Gesamtvergütung betrügen, bliebe jedenfalls ein erheblicher Teil des Gesamtentgelts der sozialen Sicherung entzogen, wenn sich die Beitragspflicht nicht darauf erstrecken würde. Das hätte vor allem Auswirkungen auf den späteren Rentenanspruch der Arbeitnehmer.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, daß die pauschalen Zuschläge - weil lohnsteuerfrei - auch beitragsfrei für die Sozialversicherung seien. Gegenüber dem für den streitigen Beitragszeitraum geltenden Gemeinsamen Erlaß seien die Rechtsgrundlagen des Instituts der Durchschnittsheuern nicht als lex specialis zu beurteilen. Der Vereinfachungszweck des Gemeinsamen Erlasses sei nicht beeinträchtigt, wenn die Unternehmen nur die lohnsteuerpflichtigen Bezüge zu melden hätten. Im übrigen seien die Sozialgerichte zur Rechtsanwendung, nicht aber zur Sozialpolitik berufen. Auch habe sich durch langdauernde Übung Gewohnheitsrecht gebildet, an das auch die Beklagte gebunden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Beklagte unter
Abänderung des Bescheides vom 20. Mai 1976 und Aufhebung des
Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1976 zu verurteilen, bei der
Neuberechnung des Beitrages die lohnsteuerfreien Anteile der Fang-
oder Produktprämien, die als Abgeltung der Zuschläge für Sonn-,
Feiertags- und Nachtarbeit gezahlt werden, außer Ansatz zu lassen,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache an
das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte und die Beigeladene zu 1) bis 4) beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Die Aufhebung des Berufungsurteils ist geboten, weil das Verfahren vor dem LSG an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden prozessualen Mangel leidet, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. Das LSG hat nicht beachtet, daß der Streit darüber, ob die lohnsteuerfreien Lohnanteile bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen sind, in welcher Höhe also die Beiträge auch zur Rentenversicherung zu entrichten sind, unmittelbar in die Rechtssphäre der betreffenden versicherten Seeleute eingreift. Von der Höhe der Beiträge ist nämlich die Höhe der späteren Renten abhängig. Werden Dritte in ihrem Versicherungsverhältnis vom Rechtsstreit derart betroffen, so sind sie nach § 75 Abs 2, 1. Fall SGG notwendig beizuladen, weil die Entscheidung auch ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann (BSG SozR 1500 § 75 Nrn 15 und 21).
Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender und zur Zurückverweisung zwingender Verfahrensfehler (BSG SozR § 75 Nr 1).
Das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des LSG muß sonach aufgehoben werden, ohne daß - mangels Beteiligung aller vom Verfahren betroffenen - der Senat Ausführungen zur materiell-rechtlichen Seite des Rechtsstreites machen kann. Zur Vereinfachung des Verfahrens könnte es zweckmäßig sein, von der Beiladung sämtlicher in Betracht kommenden Versicherten abzusehen und durch Teilurteil zunächst nur über die Beitragshöhe für einen Versicherten oder einige von ihnen zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen