Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachentrichtung nach Art 2 § 52 ArVNG. Nach der Vertreibung
Orientierungssatz
1. Zur Nachentrichtung nach Art 2 § 52 ArVNG sind nur solche Vertriebene berechtigt, die nach ihrer Vertreibung im Bundesgebiet oder in Westberlin versicherungspflichtig tätig geworden sind und Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet haben.
2. Art 2 § 52 ArVNG enthält auch für den Personenkreis der ehemals Selbständigen, die bereits vor ihrer Vertreibung im Ursprungsland ihre Selbständigkeit verloren und eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben, keine mit dem Plan des Gesetzes unvereinbare, vom Gesetzgeber nicht erkannte Lücke, die im Wege der Analogie zu schließen wäre.
3. Für die Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 52 ArVNG reicht es nicht aus, daß die spätere Vertriebene zunächst im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen verschleppt worden ist und während der Verschleppung möglicherweise eine Beschäftigung verrichtet hat, die nach deutschem Recht der Versicherungspflicht unterlegen hätte. Ebensowenig genügt es, daß sie ihren Hof als Grundlage ihrer selbständigen Tätigkeit später durch eine staatliche Maßnahme Rumäniens verloren und in Rumänien eine abhängige, nach dortigem Recht versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat.
Normenkette
ArVNG Art 2 § 52 Abs 1 Fassung: 1965-06-09
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 21.05.1980; Aktenzeichen L 12 J 2148/79) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 27.09.1979; Aktenzeichen S 2 J 1496/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin zur Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 52 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) berechtigt ist, obwohl sie nach ihrer Übersiedlung aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland keine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit mehr ausgeübt hat.
Die 1916 geborene Klägerin bewirtschaftete gemeinsam mit ihrem Ehemann in Deutsch-Bentscheck/Rumänien einen landwirtschaftlichen Betrieb. Anfang 1945 wurden beide Ehegatten im Zusammenhang mit der Besetzung ihrer Heimat durch sowjetische Truppen in die Sowjetunion verschleppt und hatten dort Zwangsarbeit zu leisten. Mit Ausnahme der Hofstelle war der Landbesitz der Eheleute bereits vor der Rückkehr der Klägerin aus der sowjetischen Internierung im Juli 1948 in rumänisches Staatseigentum überführt worden. Die Klägerin arbeitete bis 1951 als landwirtschaftliche Arbeiterin. Danach war sie bis 1964 als Putzfrau und bis zu ihrer Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland am 26. Oktober 1974 als Kinderbetreuerin tätig. In Deutschland war sie vom 4. November 1974 bis 24. November 1976 arbeitslos; die Arbeitslosigkeit war durch Krankheit vom 25. September bis 16. Oktober 1975 und Urlaub vom 10. Juli bis 4. August 1976 unterbrochen. Ab Dezember 1976 erhielt sie das vorgezogene Altersruhegeld, bei dessen Berechnung die Beklagte die rumänische Beschäftigungszeit vom 2. Juli 1948 bis zum 30. November 1961 berücksichtigt und die Zeit vom 1. Januar 1945 bis zum 1. Juli 1948 sowie vom 1. Oktober 1974 bis zum 24. November 1976 als Ersatzzeit angerechnet hat.
Den Antrag der Klägerin auf Zulassung zur Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 52 ArVNG für die Zeiten vor 1945 und nach November 1961 lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 2. November 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 1977 mit der Begründung ab, die Nachentrichtung nach dieser Vorschrift setze die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung nach der Aussiedlung voraus; diese Voraussetzung liege nicht vor. Klage und die Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Karlsruhe vom 27. September 1979; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Baden-Württemberg vom 21. Mai 1980). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die in Art 2 § 52 ArVNG getroffene Regelung könne auf die Klägerin auch im Hinblick auf den Verlust ihrer Selbständigkeit und die spätere Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung in Rumänien nicht entsprechend angewendet werden. Im übrigen erfülle die Verschleppung der Klägerin in die Sowjetunion nicht der Begriff der Vertreibung iS des § 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), weil die Klägerin dadurch ihren bisherigen Wohnsitz nicht endgültig verloren habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision der Klägerin. Sie hält die analoge Anwendung des Art 2 § 52 Abs 1 Satz 1 ArVNG auf ihren Fall für geboten und beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21. Mai 1980
und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom
27. September 1979 sowie den Bescheid der Beklagten
vom 2. November 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 8. Juni 1977 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,
die Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Art 2 § 52
Abs 1 ArVNG für die Zeiten vom November 1932 bis Dezember
1944, vom Dezember 1961 bis April 1967 und von Januar 1969
bis September 1974 zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die rechtliche Beurteilung durch das LSG für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 128 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet; die Klägerin ist nicht zur Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 52 ArVNG berechtigt.
Wie das Bundessozialgericht (BSG) in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, bezweckt die Vorschrift des Art 2 § 52 Abs 1 Satz 2 ArVNG, früheren Selbständigen, die durch die Vertreibung ihre selbständige Existenz und die darin begründete Sicherung verloren haben, durch die Zulassung einer - bis 1924 zurückreichenden - Beitragsnachentrichtung den Aufbau einer ausreichenden neuen Versicherung zu ermöglichen (BSG Urteil vom 3. November 1961 - 1 RA 242/59 - SozR Nr 2 zu Art 2 § 52 ArVNG; Urteil vom 9. Dezember 1965 - 4 RJ 231/61 - BSGE 24, 146, 149). Der Gesetzgeber hat aber die Beitragsnachentrichtung durch die in Art 2 § 52 Abs 1 Satz 1 ArVNG genannten, ehemals selbständig gewesenen Vertriebenen im Sinne der §§ 1 bis 4 BVFG nicht nur von dem Verlust ihrer Selbständigkeit und ihrer Vertreibung, sondern von der weiteren einschränkenden Voraussetzung abhängig gemacht, daß die Betroffenen binnen drei Jahren nach der Vertreibung versicherungspflichtig geworden sind. Dabei muß es sich, auch wenn dies aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig hervorgeht, um die Aufnahme einer Beschäftigung handeln, die nach dem im Geltungsbereich des ArVNG geltenden Recht versicherungspflichtig ist. Zur Nachentrichtung nach Art 2 § 52 ArVNG sind also nur solche Vertriebene berechtigt, die nach ihrer Vertreibung im Bundesgebiet oder in Westberlin versicherungspflichtig tätig geworden sind und Pflichtbeiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet haben. Zweck der in Art 2 § 52 ArVNG gewährten besonderen Rechte - sowohl der Erleichterung der Weiterversicherung (die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des ArVNG wegen der damals noch engeren Abgrenzung der freiwilligen Versicherung in § 1233 Reichsversicherungsordnung -RVO- größere Bedeutung hatte) als auch des Nachentrichtungsrechts - war es nur, den ehemals Selbständigen zu ermöglichen, die Verbindung mit der deutschen Rentenversicherung, die sie nach ihrer Vertreibung durch die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung hergestellt hatten, zu einer ausreichenden Versicherung auszugestalten (BT-Drucks 2/2437, S 86, Begründung zu § 1418 Abs 3, aus dem später Art 2 § 52 ArVNG entstanden ist). Das erfordert nicht nur die Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung im Gebiet der Bundesrepublik oder in Westberlin, sondern auch die tatsächliche Entrichtung von Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung (BSG Urteile vom 23. März 1965 - 11/1 RA 42/62 - und vom 23. Juli 1965 - 1 RA 255/62 -, SozR Nrn 6 und 7 zu Art 2 § 52 ArVNG).
Diese Abgrenzung des Nachentrichtungsrechts in Art 2 § 52 ArVNG läßt erkennen, daß der Gesetzgeber den berechtigten Personenkreis bewußt unter Berücksichtigung des Eingliederungsgedankens beschränkt hat. Daß diese Regelung sowohl im Grundsatz als auch in ihrer Einzelausgestaltung mit Art 3 des Grundgesetzes vereinbar ist, hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits entschieden (BVerfG Beschluß vom 15. Mai 1979 - 1 BvR 545/78 - SozR 5750 Art 2 § 52 Nr 4). Damit steht zugleich fest, daß diese Regelung auch für den Personenkreis der ehemals Selbständigen, die bereits vor ihrer Vertreibung im Ursprungsland ihre Selbständigkeit verloren und eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen haben, keine mit dem Plan des Gesetzes unvereinbare, vom Gesetzgeber nicht erkannte Lücke enthält, die im Wege der Analogie zu schließen wäre (zur Analogie vgl BSG SozR 2200 § 1251 Nr 65).
Danach reicht es für die Beitragsnachentrichtung nach Art 2 § 52 ArVNG nicht aus, daß die Klägerin als (spätere) Vertriebene zunächst im Zusammenhang mit den Kriegsereignissen verschleppt worden ist und während der Verschleppung möglicherweise eine Beschäftigung verrichtet hat, die nach deutschem Recht der Versicherungspflicht unterlegen hätte. Ebensowenig genügt es, daß sie ihren Hof als Grundlage ihrer selbständigen Tätigkeit später durch eine staatliche Maßnahme Rumäniens verloren und in Rumänien eine abhängige, nach dortigem Recht versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat.
Nach den unangegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG hat die Klägerin im Geltungsbereich der RVO keine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen und keine Pflichtbeiträge entrichtet. Schon aus diesem Grunde steht ihr ein Nachentrichtungsrecht nach Art 2 § 52 ArVNG nicht zu, so daß es daher auch nicht mehr der Entscheidung über die von den Beteiligten und dem LSG erörterte Frage bedarf, ob die Klägerin - wie sie meint - bereits 1945 mit der Verschleppung in die Sowjetunion Vertriebene iS des § 1 BVFG geworden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Fundstellen