Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 25.03.1985) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. März 1985 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob die Beklagte zu Recht die Bewilligung von Kindergeld für den Sohn Michael (M.) des Klägers rückwirkend zum 1. September 1982 aufgehoben und das für die Zeit von September 1982 bis Juni 1983 gezahlte Kindergeld zurückgefordert hat.
Die Beklagte hatte dem Kläger seit März 1966 Kindergeld unter anderem auch für seinen 1963 geborenen Sohn M. bewilligt. Dieser befand sich vom 1. September 1980 bis zum 31. Juli 1983 in einer Berufsausbildung. Seine monatliche Ausbildungsvergütung betrug ab November 1981 600,– DM und erhöhte sich ab September 1982 auf 710,– DM und ab Januar 1983 auf 730,– DM. Daneben erhielt M. vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 20,– DM monatlich, Erstattung tatsächlich angefallener Fahrtkosten in Höhe von 69,– bzw 71,– DM monatlich und außerdem kostenfreies Mittagessen, welches an etwa einem Drittel der Arbeitstage – bei Besuch der Berufsschule und des Blockunterrichts – nicht in Anspruch genommen wurde. Für jedes eingenommene Essen wurde 1982 ein Betrag von 1,– DM und 1983 von 1,20 DM nach Hinzurechnung zur Ausbildungsvergütung versteuert und bei der Bemessung der Sozialversicherungsbeiträge berücksichtigt; der steuerfreie Zuschuß des Ausbildungsunternehmens betrug 1,50 DM je Essen. Von der Fahrgelderstattung und der Gewährung des kostenfreien Mittagessens erhielt die Beklagte erstmals durch eine Arbeitgeberbescheinigung vom Mai 1983 Kenntnis.
Mit ihrem Bescheid vom 27. Juni 1983 – bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1983 – hob die Beklagte die Kindergeldbewilligung für M. ab September 1982 auf und forderte den bis Juni 1983 überzahlten Betrag in Höhe von 2.260,– DM zurück, weil die Bruttobezüge aus dem Ausbildungsverhältnis ohne vermögenswirksame Leistungen den Betrag von 750,– DM überstiegen hätten.
Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die zugelassene Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen des § 48 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – (SGB X) seien für die streitige Aufhebung der Kindergeldbewilligung nicht erfüllt. Die Bruttobezüge des M. hätten den in § 2 Abs. 2 Satz 2 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) festgelegten Grenzwert von 750,– DM nicht erreicht. Der in dieser Vorschrift verwendete Begriff „Bruttobezüge” entspreche dem in § 14 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) gebrauchten Begriff „Arbeitsentgelt”. Die Ermittlung des anzurechnenden Wertes des kostenfreien Mittagessens richte sich deshalb nach der Arbeitsentgelt-Verordnung. Nach deren § 1 seien Zuschüsse aber nur insoweit sozialversicherungspflichtiges Entgelt als sie auch steuerpflichtig seien. Ausgehend von dem von dem Ausbildungsunternehmen angesetzten Wert eines Mittagessens sei das 1982 1,– DM und 1983 1,20 DM je Tag gewesen. Daraus ergebe sich für 1982 ein monatlicher Mittelwert von 17,25 DM (17,25 Essen × 1,– DM), für 1983 von 16,20 DM (13,5 Essen × 1,20 DM), womit die Grenze von 750,– DM nicht erreicht werde. Die dem M. gewährte Fahrtkostenerstattung sei nicht zu den Bruttobezügen zu rechnen. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung, gehörten jedoch vermögenswirksame Leistungen zu den „Bruttobezügen”. Dies wirke sich aber erst ab dem 1. Januar 1983 aus, denn seitdem hätten die Bruttobezüge des M. unter Berücksichtigung des anzurechnenden Essenszuschusses und der vermögenswirksamen Leistungen mehr als 750,– DM betragen. Trotz der hiermit eingetretenen wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen sei die Beklagte aber nicht berechtigt gewesen, die Kindergeldbewilligung rückwirkend aufzuheben. Darin liege eine besondere Härte, die eine Ermessensentscheidung erfordere, denn die Beklagte würde damit gegen den Grundsatz des „venire contra factum proprium” verstoßen. Das Ermessen der Beklagten habe sich deshalb auf „Null” dahingehend reduziert, daß sie von einer rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldbewilligung hätte absehen müssen.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG und des § 48 SGB X. Der Begriff der „Bruttobezüge” entspreche nicht dem des „Arbeitsentgelts” im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IV. Darunter seien vielmehr – unabhängig von der steuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Betrachtung – alle im Zusammenhang mit dem Ausbildungsverhältnis gewährten Vergütungen und geldwerten Vorteile zu verstehen, die dem Auszubildenden tatsächlich zur Deckung des laufenden Lebensunterhalts zur Verfügung stünden. Der Essenszuschuß müsse daher entweder mit dem vom Arbeitgeber angenommenen Gesamtwert – hier 2,50 DM (1982) bzw 2,70 DM (1983) je Tag – berücksichtigt oder nach der Sachbezugsverordnung (SachBezV) ermittelt werden, so daß sich für den streitigen Zeitraum eine Überschreitung der Grenze von 750,– DM ergebe. Im übrigen sei ihr – der Beklagten – bei der rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldbewilligung kein Ermessen eingeräumt.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. März 1985 sowie das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 5. April 1984 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II.
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem sich die Beteiligten übereinstimmend damit einverstanden erklärt haben.
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 27. Juni 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 1983 ist rechtswidrig, wie die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden haben.
Als Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Kindergeldbewilligung kommt nur § 48 SGB X in Betracht, der die Aufhebung eines Verwaltungsakts wegen wesentlicher Änderung der bei seinem Erlaß vorliegenden Verhältnisse regelt. Die §§ 44 bis 49 SGB X sind gemäß Art. II § 40 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes vom 18. August 1980 (BGBl I, 1469) erstmals anzuwenden, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird. Dies gilt nach Satz 2 dieser Vorschrift auch dann, wenn der aufzuhebende Verwaltungsakt vor dem 1. Januar 1981 erlassen worden ist. Der streitige Bescheid erfüllt die in § 48 SGB X geforderten Voraussetzungen nicht. Ob in den Verhältnissen, die beim Erlaß des Verwaltungsakts, mit welchem dem Kläger ab März 1966 Kindergeld für M. als regelmäßig wiederkehrende Leistung bewilligt worden ist, eine wesentliche Änderung eingetreten ist, richtet sich nach dem materiellen Recht. Wesentlich sind alle Änderungen, die dazu führen, daß die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG SozR 1300 § 48 Nr. 19). Nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG (eingefügt durch Art. 44 Nr. 1 des Haushaltsstrukturgesetzes –HStruktG– vom 18. Dezember 1975 – BGBl I, 3091 –, in Kraft getreten am 1. Juli 1976 – Art. 47 § 2 Nr. 4 HStruktG) iVm § 2 Abs. 2 Satz 1 BKGG (idF des Art. 1 Nr. 1 Buchst a des Neunten Gesetzes zur Änderung des BKGG vom 22. Dezember 1981 – BGBl I, 1566 –, in Kraft getreten am 1. Januar 1982 – Art. 5 des Neunten Gesetzes zur Änderung des BKGG) werden Kinder, die das 16. Lebensjahr vollendet haben und sich in Berufsausbildung befinden, nicht berücksichtigt, wenn ihnen aus dem Ausbildungsverhältnis Bruttobezüge in Höhe von wenigstens 750,– DM monatlich zustehen. M. hat seit dem 1. September 1982 eine monatliche Ausbildungsvergütung von 710,– DM und seit dem 1. Januar 1983 von 730,– DM erhalten. Ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Weitergewährung von Kindergeld für M. weggefallen sind, hängt daher davon ab, ob und in welcher Höhe die laufenden Zuwendungen, die M. von seinem Arbeitgeber zusätzlich gewährt worden sind, zu den „Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis” gehören. Dies ist – wie das LSG zu Recht angenommen hat – nur insoweit der Fall, als diese zusätzlichen Leistungen Arbeitsentgelt im Sinne von § 14 Abs. 1 SGB IV sind.
Der 1. und der 11. Senat des BSG haben bereits entschieden, daß der in § 39 Abs. 3 Satz 4 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) und in § 1262 Abs. 3 Satz 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) verwendete Begriff der „Bruttobezüge” aus dem Ausbildungsverhältnis mit dem Begriff des „Arbeitsentgelts” im Sinne des § 14 Abs. 1 SGB IV gleichzusetzen ist (Urteile vom 10. Juni 1980 und vom 18. Februar 1981 in SozR 2200 § 1262 Nrn 13 und 19). Dem schließt sich der erkennende Senat für den in § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG verwendeten gleichlautenden Begriff an. Diese Vorschrift enthält keine Definition. Es ist lediglich bestimmt, daß Ehegatten- und Kinderzuschläge sowie einmalige Zuwendungen außer Ansatz bleiben. § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG ist gleichzeitig mit den §§ 39 Abs. 3 Satz 4 AVG, 1262 Abs. 3 Satz 4 RVO mit Wirkung ab 1. Juli 1976 mit dem HStruktG eingefügt worden (vgl. Art. 17 § 1 Nr. 7 und § 2, Art. 44 Nr. 1 HStruktG). Nach der Begründung (vgl. BT-Drucks 7/4243 S 7 zu Art. 17, S 15 zu Art. 42 b) soll sich die Grenze von 750,– DM im Interesse der Verwaltungsvereinfachung auf die Bruttovergütung beziehen. Deshalb ist es – abgesehen davon, daß die Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis bezogen werden muß – gerechtfertigt, als „Bruttobezüge” diejenigen Bezüge anzusehen, die auch die Grundlage für die Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge und für den Steuerabzug bilden. Die vom 1. und 11. Senat angestellten Erwägungen treffen für die Ausfüllung des Begriffs „Bruttobezüge” in § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG in gleicher Weise zu. Der Gesetzgeber hat hier nicht nur dieselben Begriffe verwendet, auch das verfolgte Ziel ist identisch. Die Kinderzuschüsse der gesetzlichen Rentenversicherungen haben ebenso wie das Kindergeld die Funktion, die durch Kinder hervorgerufenen Familienlasten wenigstens teilweise auszugleichen (BSG SozR 5870 § 2 Nr. 4). Sie werden nur einmal – entweder als Kinderzuschuß oder als Kindergeld – gewährt (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 1 BKGG). Die Einfügung des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG und der entsprechenden für den Kinderzuschuß geltenden Vorschriften beruhte auf der Erwägung, daß in Ausbildung stehende Kinder, die mit der ihnen zustehenden Ausbildungsvergütung ihren Unterhaltsbedarf selbst decken können, beim Familienlastenausgleich nicht mehr als Kinder berücksichtigt werden sollen (vgl. BT-Drucks aaO). Deshalb kann der für den Wegfall des Kinderzuschusses und des Kindergeldes maßgebliche Grenzwert von 750,– DM nur nach einheitlichen Kriterien bestimmt werden. Die von der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze zu den Vorschriften über den Kinderzuschuß der gesetzlichen Rentenversicherung sind daher auch für das Kindergeldrecht maßgebend, so daß im Rahmen des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG ebenfalls auf den in § 14 Abs. 1 SGB IV definierten Begriff des Arbeitsentgelts abzustellen ist.
Nach § 14 Abs. 1 SGB IV iVm der aufgrund des § 17 SGB IV ergangenen Arbeitsentgelt-Verordnung (ArEV) vom 6. Juli 1977 (BGBl I, 1208) sind laufende Zulagen, Zuschläge, Zuschüsse sowie ähnliche Einnahmen, die zusätzlich zu Löhnen oder Gehältern gewährt werden, grundsätzlich nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen, soweit sie lohnsteuerfrei sind (§ 1 ArEV).
Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, daß die dem M. gewährte Fahrgelderstattung für tatsächlich entstandene Fahrtkosten keine Bruttobezüge aus dem Ausbildungsverhältnis sind, denn es handelt sich dabei nicht um einen wirtschaftlichen Vorteil, sondern lediglich um einen Aufwendungsersatz, der gemäß Abschn 24 Abs. 6 Satz 1 der hier maßgeblichen Lohnsteuerrichtlinien –LStR– 1981 (idF der Bekanntmachung vom 3. März 1981 – BStBl 1981 I, 131 –) nicht steuerpflichtig ist.
Hinsichtlich der Gewährung von unentgeltlichen Mahlzeiten ist in Abschn 19 Abs. 1 LStR 1981 bestimmt, daß der dadurch erlangte Vorteil nicht zum Arbeitslohn gehört, soweit er 1,50 DM je Arbeitstag nicht übersteigt. Zur Ermittlung des Vorteils ist vom entsprechenden Sachbezugswert (§ 8 Abs. 2 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes –EStG–) der Mahlzeiten auszugehen. Von diesem Wert ist der Betrag von 1,50 DM abzuziehen (Abschn 19 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 LStR 1981).
Der vom Arbeitgeber des M. mit 2,50 DM (1982) bzw mit 2,70 DM (1983) angesetzte Wert je Mahlzeit stimmt mit den in der SachBezV 1982 vom 10. Dezember 1981 (BGBl I, 1380) und in der SachBezV 1983 vom 9. Dezember 1982 (BGBl I, 1626) festgesetzten Werten überein. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß unter anderem für das Land Baden-Württemberg – abweichend von den in § 1 Abs. 1 Satz 1 der jeweiligen SachBezV genannten Werten – niedrigere Werte gelten (vgl. § 4 SachBezV 1982 und 1983). Danach ist ein unentgeltliches Mittagessen für das Jahr 1982 mit 2,50 DM (415,– DM, abzüglich 15 % für Auszubildende, dividiert durch 30, davon 21 %) und für das Jahr 1983 mit 2,70 DM (Ausgangswert: 445,– DM) zu bewerten (vgl. hierzu Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 15. Dezember 1981 – BStBl 1981 I, 898 – und vom 14. Dezember 1982 – BStBl 1982 I, 992 –). Hiernach verbleibt für das Jahr 1982 ein steuerpflichtiger Betrag von 1,– DM bzw für 1983 von 1,20 DM je Mahlzeit. Nach den unangegriffenen und damit für den Senat gemäß § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG hat M. 1982 im Monatsdurchschnitt an 17,25 Tagen und 1983 an 13,5 Tagen kostenfreies Mittagessen erhalten. Es errechnen sich demnach Monatsbeträge von 17,25 DM (1982) bzw von 16,20 DM (1983) – zur Zugrundelegung eines Durchschnittswertes vgl. DOK 1985, 182 –, die zum steuerpflichtigen Arbeitslohn und damit auch zu den Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis gehören. Unter Hinzurechnung dieser Beträge zur eigentlichen Ausbildungsvergütung ergibt sich seit dem 1. September 1982 ein Monatsbetrag von 727,25 DM und seit dem 1. Januar 1983 von 746,20 DM, so daß die in § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG festgelegte Grenze von 750,– DM für den streitigen Zeitraum nicht erreicht wird.
Dabei kann allerdings nicht übersehen werden, daß dieses Ergebnis im wesentlichen auf einer Sonderregelung in den LStR beruht. Diese werden aufgrund des Art. 108 Abs. 7 des Grundgesetzes (GG) von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen. Sie sind allgemeine Verwaltungsvorschriften, die „vorbehaltlich der Entscheidung der Gerichte in der Hauptsache Zweifelsfragen und Auslegungsfragen” behandeln (vgl. Einführung zu den LStR 1981 BStBl I 1981, 135). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat mehrfach zum Ausdruck gebracht, daß die Rechtsgrundlage der Steuerfreiheit des Essensfreibetrages von 1,50 DM zweifelhaft sei (BFHE 82, 155, 158; 115, 268, 269 mwN; vgl. hierzu auch BSGE 22, 169, 172), den Freibetrag aber als sogenannte Annehmlichkeit beurteilt und für berechtigt gehalten (BFHE 115, 268, 269; 117, 172, 174). In einer späteren Entscheidung, in welcher der BFH es abgelehnt hat, den Essensfreibetrag zu erhöhen, ist dagegen ausgeführt, es spreche mehr dafür, den gesamten Vorteil der verbilligten Essensgewährung uneingeschränkt der Besteuerung zu unterwerfen (BFHE 142, 483, 490). Im steuerrechtlichen Schrifttum ist die Berechtigung des Essensfreibetrages ebenfalls auf Bedenken gestoßen (vgl. hierzu Offerhaus, DB 1985, 565 ff mwN). Insbesondere wird es nicht für gerechtfertigt gehalten, neben den ohnehin relativ niedrigen Sachbezugswerten, die seit dem 1. Januar 1978 für die Wertermittlung maßgebend sind, den Essensfreibetrag und damit eine doppelte Vergünstigung zu gewähren (vgl. Offerhaus aaO S 567 f). Die Argumentation der Beklagten, wonach im Rahmen des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG der nach der SachBezV ermittelte Wert – ohne Abzug eines lohnsteuerfreien Betrages – berücksichtigt werden müsse, weil dem Auszubildenden insoweit ein geldwerter Vorteil zufließe, den er tatsächlich zur Deckung seines Unterhaltsbedarfs zur Verfügung habe, erscheint deshalb nicht abwegig. Andererseits wird den LStR in der steuerrechtlichen Praxis eine normähnliche Bedeutung beigemessen. Auch die jährlichen Schreiben des Bundesministers der Finanzen (vgl. zuletzt Schreiben vom 20. Dezember 1985 – BStBl 1985 I, 733) enthalten die Anweisung, daß die Mahlzeiten nach Abschn 19 LStR als Sachbezüge lohnsteuerlich nur zu erfassen sind, soweit der Unterschied zwischen dem maßgeblichen Sachbezugswert und dem Preis, den der Arbeitnehmer für die Mahlzeit zahlt, 1,50 DM je Arbeitstag übersteigt. Da die in Abschn 19 LStR enthaltenen Regelungen zur Abgrenzung des steuerpflichtigen Arbeitslohns in der Steuerpraxis allgemein als verbindlich behandelt werden, muß dies – jedenfalls bis zu einer anderweitigen Entscheidung der zuständigen Finanzgerichte – genügen, um sie für die Bemessung des beitragspflichtigen Entgelts als verbindlich hinzunehmen (vgl. BSGE 22, 169, 172 f) und den Essensfreibetrag auch bei der Ermittlung der Bruttobezüge im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG zu berücksichtigen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten zählen jedoch die vermögenswirksamen Leistungen, die M. gewährt worden sind, zu den Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis (BSG SozR 2200 § 1262 Nrn 13 und 19). Nach der ausdrücklichen Regelung in § 12 Abs. 6 des Dritten Gesetzes zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer (3. VermBG) in der Fassung vom 15. Januar 1975 (BGBl I, 257) sind vermögenswirksame Leistungen steuerpflichtige Einnahmen im Sinne des EStG und Einkommen, Verdienst oder Entgelt (Arbeitsentgelt) im Sinne der Sozialversicherung und des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Sie sind also Arbeitsentgelt nach § 14 SGB IV und demnach Bruttobezüge nach § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG. Dabei ist es unerheblich, daß die vermögenswirksamen Leistungen zunächst fest angelegt werden müssen und nicht sogleich für den Lebensunterhalt des Arbeitnehmers zur Verfügung stehen. Trotz dieser Verfügungsbeschränkung handelt es sich um Bezüge, die im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG „zustehen”. Dafür reicht es aus, daß der Auszubildende aufgrund des Ausbildungsverhältnisses einen Anspruch auf die Leistung hat, selbst wenn er nach der Zielsetzung des 3. VermBG erst zu einem späteren Zeitpunkt darüber verfügen kann (BSG aaO). Aus dem Urteil des 7. Senats des BSG vom 27. Januar 1977 – 7 RAr 76/75 – (SozR 4100 § 44 Nr. 10) läßt sich nichts anderes herleiten. Darin hat der 7. Senat ausgesprochen, daß eine vermögenswirksame Leistung nicht schon mit ihrer Gewährung im Sinne von § 44 Abs. 4 AFG „erzielt” und daher nicht auf das Unterhaltsgeld anzurechnen ist. Ein Einkommen ist danach erst „erzielt”, wenn der Berechtigte hierüber verfügen kann. § 2 Abs. 2 Satz 2 BKGG stellt jedoch nicht auf das „Erzielen”, sondern auf das „Zustehen” von Bezügen aus dem Ausbildungsverhältnis ab. Für letzteres genügt ein Anspruch auf die Gewährung der Leistung (BSG SozR 2200 § 1262 Nr. 19) jedenfalls dann, wenn der Anspruch auch erfüllt worden ist.
Die gegenteilige Ansicht der Beklagten und ihre nach wie vor bestehende Verwaltungspraxis, vermögenswirksame Leistungen bei den Bruttobezügen aus dem Ausbildungsverhältnis unberücksichtigt zu lassen (vgl. Durchführungsanweisungen zum BKGG, Runderl 375/74, Stand: Juni 1985, Ziff 2.263), sind mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren. Eine abweichende Regelung könnte insoweit nur der Gesetzgeber selbst treffen (BSG SozR 2200 § 1262 Nr. 13). Deshalb kann hinsichtlich der Behandlung von vermögenswirksamen Leistungen auch keine Selbstbindung der Beklagten eintreten, aus der der Kläger einen Anspruch auf Gleichbehandlung herleiten könnte. Eine Selbstbindung der Verwaltung an eigene Verwaltungsrichtlinien oder an eine bestimmte Verwaltungsübung ist nur bei Ermessensleistungen möglich. Dafür ist aber kein Raum, wenn der Verwaltung kein Ermessen eingeräumt ist, sondern wenn – wie hier – ein unbestimmter Rechtsbegriff auszufüllen ist. Eine Verwaltungspraxis, die dem Gesetz nicht entspricht, gibt keinen Anspruch auf Gleichbehandlung (vgl. BSGE 35, 178, 182; 38, 63, 68; BSG SozR 2200 § 611 Nr. 2).
Die Anrechnung der vermögenswirksamen Leistungen, die dem M. nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG in Höhe von monatlich 20,– DM gewährt worden sind, hat hinsichtlich der Zeit von September bis Dezember 1982 keine Änderung der rechtserheblichen Verhältnisse zur Folge. Denn selbst bei ihrer Berücksichtigung lagen die Bruttobezüge des M. nur bei 747,25 DM. Der angefochtene Bescheid ist somit schon aus diesem Grund rechtswidrig, soweit er die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für die Zeit von September bis Dezember 1982 betrifft.
Indessen wurde seit dem 1. Januar 1983 die maßgebliche Grenze von 750,– DM überschritten (730,– DM + 16,20 DM + 20,– DM). Mit diesem Zeitpunkt ist eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten.
Gleichwohl war die Aufhebung der Kindergeldbewilligung in dem angefochtenen Bescheid auch für die Zeit seit Januar 1983 rechtswidrig. Die Beklagte wäre zwar gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X berechtigt gewesen, die Kindergeldbewilligung für M. mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Aufhebungsbescheid betraf aber eine zurückliegende Zeit. Der Zeitpunkt, von dem an ein Verwaltungsakt Wirkung entfalten kann, richtet sich nach dessen Bekanntgabe (§ 39 Abs. 1 SGB X). Der angefochtene Aufhebungsbescheid vom 27. Juni 1983 ist nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG am 29. Juni 1983 abgesandt worden. Er gilt gemäß § 37 Abs. 2 SGB X mit dem dritten Tag nach der Aufgabe zur Post – hier mit dem 2. Juli 1983 – als bekanntgegeben. Bis zu diesem Zeitpunkt blieb der Verwaltungsakt, mit dem das Kindergeld für M. ursprünglich bewilligt worden war, wirksam (§ 39 Abs. 2 SGB X). Wie das LSG unwidersprochen festgestellt hat, dauerte die Berufsausbildung des M. nur bis zum 31. Juli 1983, so daß mit Ablauf dieses Monats der Anspruch des Klägers auf das sogenannte Ausbildungskindergeld für M. ohnehin entfallen wäre (§ 9 Abs. 1 BKGG). Damit konnte der angefochtene Aufhebungsbescheid nur für einen zurückliegenden Zeitraum Wirkung entfalten.
Nach der hier allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse, also auch rückwirkend, aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlaß des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wie bereits dargelegt, hat M. nach der Bewilligung des Kindergeldes seit dem 1. Januar 1983 unter Berücksichtigung der vermögenswirksamen Leistungen Bruttobezüge in Höhe von mehr als 750,– DM und damit Einkommen erzielt (vgl. zum Begriff des Einkommens BSG SozR 5870 § 2 Nr. 30), das zum Wegfall des Kindergeldes geführt haben würde. Dabei kommt es nicht darauf an, daß das Einkommen nicht vom Kläger selbst als dem Kindergeldberechtigten erzielt worden ist. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X stellt allein darauf ab, daß das Erzielen von Einkommen oder Vermögen zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (BSG aaO und BSG SozR 1300 § 48 Nr. 19).
Obwohl demnach die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Kindergeldbewilligung seit dem 1. Januar 1983 an sich erfüllt waren, ist der angefochtene Bescheid auch insoweit rechtswidrig. Wie der erkennende Senat schon mehrfach entschieden hat (BSG aaO), ergibt sich aus dem in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X verwendeten Wort „soll”, daß die Behörde nicht in jedem Fall gezwungen ist, einen Verwaltungsakt bei Änderung der Verhältnisse rückwirkend aufzuheben. Dies muß zwar in der Regel geschehen; ausnahmsweise kann aber davon abgesehen werden. Das der Behörde eingeräumte Ermessen erstreckt sich allerdings nur auf die Frage, was im Ausnahmefall zu geschehen hat, nämlich ob der Verwaltungsakt ganz oder teilweise aufgehoben oder ob von einer Aufhebung abgesehen werden soll. Dagegen ist die Frage, ob ein Ausnahmefall vorliegt, nicht Teil der Ermessensentscheidung. Das Ermessen kann erst einsetzen, wenn ein atypischer Fall vorliegt (BSG aaO jeweils mwN).
Die Frage, wann es sich um einen atypischen Fall handelt, in dem eine Ermessensentscheidung getroffen werden muß, ist nach dem Zweck der jeweiligen Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X und der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Diese müssen im Hinblick auf die mit der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts verbundenen Nachteile, insbesondere der aus § 50 Abs. 1 SGB X folgenden Erstattungspflicht, vom Normalfall in besonderer Weise abweichen (BSG aaO).
Ein solcher Ausnahmefall ist hier gegeben. Die Beklagte hat in ihren dem Kläger übersandten Merkblättern darauf hingewiesen, daß vermögenswirksame Leistungen bei der Ermittlung der Bruttobezüge nicht zu berücksichtigen seien, und dadurch beim Kläger die Annahme hervorgerufen, daß diese Leistungen keinen Wegfall des Kindergeldanspruchs herbeiführen können. Der Kläger durfte sich auf die Richtigkeit dieser Information verlassen und brauchte nicht damit zu rechnen, nachträglich einer Erstattungsforderung der Beklagten ausgesetzt zu werden. Die Beklagte hat damit einen besonderen Vertrauenstatbestand geschaffen, der sie zu einer Ermessensausübung verpflichtet hätte, wenn sie sich – entgegen ihren früheren Hinweisen – auf eine Berücksichtigung der vermögenswirksamen Leistungen berufen hätte. Hierauf wollte sich die Beklagte aber gerade nicht berufen, da sie von einer unzutreffenden Rechtsauffassung ausging. Das Verwaltungshandeln der Beklagten ist nicht typischerweise mit solchen Fehlern behaftet. Bei einer solchen atypischen Sachlage muß die Beklagte eine Ermessensentscheidung darüber treffen, ob sie von ihrem Aufhebungsrecht Gebrauch machen will.
Daran fehlt es hier. Die Beklagte hat keine Ermessensentscheidung getroffen, weil hierzu infolge ihrer unrichtigen Rechtsauffassung aus ihrer Sicht kein Anlaß bestanden hat. Die fehlende Ermessensausübung führt zur Rechtswidrigkeit der rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldbewilligung. Entgegen der Ansicht des LSG kann nicht davon ausgegangen werden, das Ermessen der Beklagten sei auf Null reduziert, denn die Möglichkeit sachgerechter Ermessenserwägungen kann nicht ganz ausgeschlossen werden.
Da nach allem die Aufhebung der Kindergeldbewilligung für M. keinen Bestand hat, fehlt auch dem Rückforderungsanspruch nach § 50 Abs. 1 SGB X die rechtliche Grundlage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen