Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 24.09.1991) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. September 1991 aufgehoben und der Rechtsstreit an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Klägerin behauptet seit Jahren in verschiedenen Verfahren in verschiedenen Bundesländern, der Tod ihres Ehemannes im Jahre 1983 sei auf Schädigungsfolgen zurückzuführen. Entschieden worden ist aber bisher nur über Geldansprüche, die davon abhängen, ob diese Behauptung zutrifft. Über die Behauptung selbst ist nur als Vorfrage in den Gründen der entsprechenden Bescheide und Urteile, nicht aber in einem Entscheidungsausspruch entschieden worden.
In dem hier anhängigen Verfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz durch Urteil vom 24. September 1991 über zwei Ansprüche, derentwegen die Klägerin vergeblich eine Zugunstenentscheidung (§ 44 des Sozialgesetzbuchs – Verwaltungsverfahren – ≪SGB X≫) des Beklagten beantragt hatte, wiederum abschlägig entschieden: Über den Anspruch auf Witwenrente anstelle des zugebilligten Anspruchs auf Witwenbeihilfe und über den Anspruch auf erhöhtes Bestattungsgeld. Über den Anspruch auf Witwenrente hat es allerdings nur eine klageabweisende Prozeßentscheidung getroffen. Über den Anspruch auf Bestattungsgeld hat es eine Sachentscheidung getroffen und das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Koblenz vom 24. September 1990 bestätigt.
Die Sachentscheidung zur Witwenrente hat es mit der Begründung abgelehnt, der hierauf gerichtete Anspruch sei vor dem LSG Niedersachsen anhängig. Dort habe die Klägerin nämlich eine Wiederaufnahmeklage gegen ein Urteil erhoben, durch das ihre Klage auf Witwenrente rechtskräftig abgewiesen worden sei. Ihre jetzige Klage gegen die Ablehnung eines Zugunstenbescheides sei kraft Gesetzes (§ 96 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) dort anhängig. Daß jenes Verfahren zum Ruhen gebracht worden sei, stehe nicht entgegen.
Die Klage wegen Bestattungsgeld hat das LSG in Übereinstimmung mit früheren Entscheidungen mit der Begründung abgewiesen, nach dem vorliegenden ärztlichen Gutachten könne nicht erkannt werden, daß der Beschädigte an den Folgen seiner Kriegsbeschädigung gestorben sei. Über die unmittelbare Todesursache lägen nur Verdachtsdiagnosen vor. Nach den von der Klägerin neuerdings vorgelegten ärztlichen Meinungsäußerungen über die Todesursache verblieben erhebliche Zweifel daran, ob ein Kriegsleiden für den Tod verantwortlich gemacht werden könne oder daß der Tod auch nur erheblich beschleunigt worden sei. Ein weiteres ärztliches Gutachten, wie es die Klägerin beantrage, sei nicht geeignet, die Zweifel zu beseitigen.
Das LSG hat die Revision nur bezüglich seiner Entscheidung zugelassen, über die Witwenrente nicht sachlich zu entscheiden.
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hinsichtlich der klageabweisenden Sachentscheidung über das Bestattungsgeld hat der Senat durch Beschluß vom heutigen Tag zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie beantragt,
die Urteile des LSG Rheinland-Pfalz vom 24. September 1991 und des SG Koblenz vom 24. September 1990 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 9. März 1989 zu verurteilen, im Zugunstenverfahren unter Rücknahme des Bescheides vom 12. Juli 1984 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 12. März 1987 eine Witwenrente gemäß § 38 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit der Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Das LSG durfte die Klage auf Witwenrente nicht mit der Begründung abweisen, sie sei bei einem anderen Gericht rechtshängig. Durch die Wiederaufnahmeklage gegen das Urteil des LSG Niedersachsen, das den die Witwenrente ablehnenden Bescheid des Beklagten rechtskräftig bestätigt hat, ist kein Verfahren in Gang gesetzt worden, in dem auch über den die Witwenrente abermals ablehnenden Bescheid zu entscheiden ist. Das LSG räumt ein, daß der Wortlaut des § 96 SGG (iVm § 153 SGG) nicht erfüllt sei, meint aber, aus prozeßwirtschaftlichen Gründen sei eine erweiternde Auslegung in dem Sinne möglich, daß auch im Wiederaufnahmeverfahren das Verfahren über einen Zugunstenbescheid einbezogen werden könnte. Diese Auffassung ist nicht zu begründen, solange, wie hier, noch nicht über die Zulässigkeit der Wiederaufnahmeklage entschieden ist.
Richtig ist allerdings, daß auch eine unzulässige Klage oder eine unzulässige Berufung ein Verfahren in Gang setzt, in dem ein abändernder oder ersetzender Verwaltungsakt Streitgegenstand werden kann. Denn ob eine Klage oder eine Berufung unzulässig ist, erweist sich erst nach Abschluß des Verfahrens. Solange ist die Sache rechtshängig; der angefochtene Verwaltungsakt wird grundsätzlich nicht bindend (vgl Meyer-Ladewig SGG 4. Aufl § 97 RdNr 10).
Allein durch die Erhebung der Wiederaufnahmeklage wird aber die rechtskräftig abgeschlossene Streitsache nicht wieder rechtshängig. Das ist erst der Fall, wenn feststeht, daß zulässige Wiederaufnahmegründe geltend gemacht werden und daß die Wiederaufnahmegründe auch tatsächlich vorliegen, so daß die Rechtskraft der ergangenen Entscheidung einer erneuten Verhandlung nicht mehr entgegensteht. Davon ist erst dann auszugehen, wenn durch ein Zwischenurteil die Rechtskraft beseitigt ist oder wenn das Gericht ohne eine solche ausdrückliche Entscheidung in eine Sachprüfung eintritt und über den angefochtenen Verwaltungsakt verhandelt (vgl zur Dreistufigkeit des Wiederaufnahmeverfahrens Meyer-Ladewig aaO § 179 Nr 9). Erst von diesem Zeitpunkt an können neue Verwaltungsakte nach § 96 SGG Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens werden. – Wenn man schon mit dem LSG Rheinland-Pfalz davon ausgeht, daß die rechtskräftige Bestätigung eines die Sozialleistung ablehnenden Bescheides die Klägerin nicht daran hinderte, von der Verwaltung eine erneute rechtsmittelfähige Sachprüfung zu verlangen (vgl hierzu BSG SozR 1300 § 44 Nr 33), ist es auch nicht einleuchtend, die gerichtliche Überprüfung der auf einer neuen Grundlage getroffenen Verwaltungsentscheidung an ein Gerichtsverfahren zu knüpfen, das sich vorerst nur mit jener früheren rechtskräftigen Gerichtsentscheidung befaßt.
Das Prozeßurteil des LSG kann nicht deshalb im Ergebnis bestätigt werden, weil die der Klägerin bewilligte Witwenbeihilfe wegen der Erwerbsunfähigkeit des Beschädigten dieselbe Höhe wie die Witwenrente hat (§ 48 Abs 2 BVG). Zwar fehlt der Klägerin das Rechtsschutzinteresse für ihren Zahlungsantrag. Die Sozialgerichte sind aber nicht an die Fassung der Anträge gebunden, sondern müssen ermitteln, was die Kläger in Wirklichkeit wollen (§ 123 SGG). Hier drängt es sich auf, daß die Klägerin die im Sozialgerichtsverfahren gebotene Möglichkeit wahrnehmen will, den Antrag auf Feststellung zu stellen, daß der Tod ihres Ehemannes die Folge einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist (§ 55 Abs 1 Nr 3 SGG). Daß ein berechtigtes Interesse an einer solchen Feststellung besteht, zeigt gerade der vorliegende Fall, in dem die Vielzahl von Leistungsverfahren vermieden worden wäre, wenn bereits am Anfang der Streitigkeiten über die Grundlage der Leistungsansprüche eine der Bindung oder der Rechtskraft fähige Entscheidung getroffen worden wäre.
Da die Rechtskraft des Urteils über das Bestattungsgeld nicht die in den Gründen getroffene Entscheidung über die Zusammenhangsfrage zwischen Schädigung und Tod umfaßt, besteht insoweit keine Bindung des LSG. Da das LSG jedenfalls wegen der sich ständig ändernden Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern in anderer Besetzung entscheidet, wird es auch tatsächlich in eigener Verantwortung prüfen, ob den Ausführungen zur Zusammenhangsfrage in dem Urteil über das Bestattungsgeld zu folgen ist. Im übrigen ist durch § 44 SGB X dafür Sorge getragen, daß im Ergebnis Entscheidungen, in denen die Zusammenhangsfrage unterschiedlich beurteilt wird, nicht auf Dauer aufrechterhalten werden.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen