Leitsatz (amtlich)

Der Unterhaltsbeitrag gemäß EheG § 60 ist Unterhalt "nach den eherechtlichen Vorschriften" im Sinne des BVG § 42 Abs 1 S 1.

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Verwaltungsbehörden der KOV und die Gerichte der SGb haben mit Ausnahme der Schuldfrage selbständig zu beurteilen, ob die Voraussetzungen des EheG § 60 vorliegen.

 

Normenkette

BVG § 42 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1950-12-20; EheG § 60 Fassung: 1946-02-20

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 24. Januar 1958 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die Klägerin heiratete im Jahre 1942 den ehemaligen Berufssoldaten J F. F ist 1944 schwer verwundet worden und bezog wegen der Gesundheitsstörungen

"Zustand nach Hirnverletzung mit großem Defekt im rechten Stirnbein und rechten Scheitelbein, letzterer in der Hinterhauptgegend, steifer Lähmung an der linken Seite und Beeinträchtigung der psychischen Abläufe"

Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 100 v. H. Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts (LG.) Regensburg vom 21. Juli 1949 - 4 R 944/48 - ist die Ehe der Klägerin auf die Klage des Ehemannes und ihre Widerklage aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden. Am 9. Oktober 1949 ist der frühere Ehemann der Klägerin gestorben. In dem Leichenschauschein sind als Ursachen seines Todes Herzversagen und Lungenödem, als Nachkrankheit Schlafmittelvergiftung, als Begleitkrankheit Lähmung der linken Körperhälfte und als Grundleiden Steckschuß im Gehirn angegeben. Der aus der Ehe der Klägerin mit J Fa hervorgegangenen Tochter R. ist daraufhin Waisenrente nach dem Bayerischen Körperbeschädigten-Leistungsgesetz (BKBLG) und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) gewährt worden.

Im Mai 1951 hat die Klägerin beantragt, ihr Hinterbliebenenrente nach dem BVG zu gewähren. Das Versorgungsamt (VersorgA.) R hat diesen Antrag mit Bescheid vom 13. November 1951 abgelehnt, weil der geschiedene Ehemann der Klägerin nicht verpflichtet gewesen sei, dieser Unterhalt zu gewähren, so daß die Voraussetzungen des § 42 BVG nicht erfüllt seien. Die hiergegen gerichtete Berufung (alten Rechts) der Klägerin hat das Oberversicherungsamt (OVA.) Landshut zurückgewiesen.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Rekurs eingelegt, der nach Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Bayerische Landessozialgericht (LSG.) übergegangen ist. Das LSG. hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt: Die Klägerin habe nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG keinen Anspruch auf Witwenrente; denn der gemäß § 60 des Ehegesetzes (EheG) in Betracht kommende Unterhaltsbeitrag, der ausschließlich von Billigkeitserwägungen einer erst von dem ordentlichen Gericht zu treffenden Entscheidung abhänge, könne weder als echter Unterhaltsanspruch aufgefaßt noch unmittelbar aus eherechtlichen Vorschriften hergeleitet werden. Der vom Bundesminister für Arbeit (BMA.) in seinem Erlaß vom 16. Februar 1954 (BVBl. 1954 S. 38) vertretenen gegenteiligen Ansicht könne nicht gefolgt werden, weil sie dem § 42 BVG widerspreche, der, wie die Entstehungsgeschichte und Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift ergäben, grundsätzlich die alleinige oder überwiegende Schuld des Verstorbenen voraussetze. Der Anspruch der Klägerin sei auch bei Anwendung dieses Erlasses und damit des § 60 EheG unbegründet. Die Klägerin habe bereits vor ihrer Heirat als Verkäuferin gearbeitet, sie sei 45 Jahre alt, in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt und daher in der Lage, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Sie sei jetzt in dem Molkereigeschäft ihrer Schwester als Verkäuferin tätig und verdiene nach deren Angaben 138 DM monatlich. Daneben führe sie den Haushalt ihres vierundachtzigjährigen pflegebedürftigen Vaters, der Eigentümer zweier Häuser sei, die allerdings nur eine geringe Miete einbrächten. Für ihre Wohnung habe sie monatlich 15 DM zu zahlen. Auch der Lebensunterhalt der Tochter R der Klägerin könne als sichergestellt angesehen werden; sie erhalte monatlich etwa 115 DM aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge und werde von der Schwester der Klägerin teilweise verpflegt. Demgegenüber würde der geschiedene Ehemann der Klägerin etwa 300 DM monatlich nach dem Gesetz zu Artikel 131 des Grundgesetzes (G 131) erhalten. Bei dieser Sachlage entspräche es nicht der Billigkeit, dem geschiedenen Ehemann eine Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Klägerin aufzuerlegen. Der Anspruch der Klägerin lasse sich schließlich auch nicht aus § 42 Abs. 1 Satz 2 BVG herleiten, weil die Ehe nicht wegen Geisteskrankheit (§ 45 EheG), sondern wegen Eheverfehlungen im Sinne von § 43 EheG aus beiderseitigem Verschulden geschieden worden sei. Insoweit seien die Versorgungsbehörden und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an das Ehescheidungsurteil gebunden. Davon abgesehen hätten bei F nach einem Gutachten des Hirnverletztenheims M vom 25. Januar 1949 nicht einmal geistige Störungen im Sinne von § 44 EheG vorgelegen.

Das LSG. hat die Revision zugelassen.

Mit der Revision hat die Klägerin beantragt,

1. unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen LSG. vom 24. Januar 1958, des Urteils des OVA. Landshut vom 16. Februar 1953 und des Bescheides des VersorgA. Regensburg vom 13. November 1951 den Beklagten zu verurteilen, ihr ab 1. Mai 1951 bis 31. Mai 1960 Witwenrente nach dem BVG in gesetzlicher Höhe zu gewähren,

2. hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen;

3. den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

Die Klägerin leitet die Statthaftigkeit ihrer Revision aus § 162 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGG her und rügt eine Verletzung der §§ 1, 38, 39 und 42 BVG, 60 EheG sowie 103 und 128 SGG durch das LSG. Sie ist der Ansicht, daß bei einer Scheidung der Ehe aus beiderseitigem Verschulden der bedürftige Teil einen Rechtsanspruch auf den in § 60 EheG vorgesehenen Unterhaltsbeitrag habe, sobald dessen Voraussetzungen erfüllt seien. § 60 EheG gewähre einen echten Unterhaltsanspruch, der sich nur der Höhe nach von den Ansprüchen aus §§ 58, 61 EheG unterscheide. Es bedürfe insbesondere keines sogen. Zubilligungsurteils, um den Anspruch entstehen zu lassen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts seien die Voraussetzungen des § 60 EheG auch erfüllt. Die Feststellung des LSG., daß der Klägerin nach Abzug der Miete monatlich 123 DM zur Verfügung ständen, rechtfertige für sich allein nicht die Annahme, daß sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten könne; es komme vielmehr auf die gesamten Verhältnisse des Einzelfalles an. Tatsächlich ständen ihr erheblich weniger als 123 DM monatlich für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung, da sie von diesem Betrag neben den erforderlichen Aufwendungen für Heizung, Strom, Gas, Versicherungen, Bekleidung usw. auch noch Ausgaben für Medikamente und kleinere Kurmittel zur Erhaltung ihrer Gesundheit bestreiten müsse. Das LSG. habe insoweit den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt und damit gegen § 103 SGG verstoßen. Es hätte die erforderlichen Informationen durch Rückfrage bei der Arbeitgeberin der Klägerin oder durch Befragung der Klägerin selbst erlangen können. Das Berufungsgericht habe darüber hinaus auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des geschiedenen Ehemannes der Klägerin nur unvollständig erfaßt. Es hätte durch Rückfrage bei dessen Erben und beim VersorgA. aufklären müssen, ob ihm nicht auch noch Kriegsbeschädigtenrente zugestanden hätte und welche sonstigen Vermögenswerte, wie etwa Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, vorhanden gewesen wären. Auch insoweit habe das LSG. seine Sachaufklärungspflicht verletzt und damit zugleich die Grenzen seines Rechts der freien Beweiswürdigung überschritten. Das LSG. habe ferner den Begriff der Billigkeit in § 60 EheG verkannt. Die Zubilligung eines Unterhaltsbeitrages hätte nicht nur wegen der beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse der Billigkeit entsprochen, sondern auch deshalb, weil die zur Ehescheidung führende wesentliche Ursache nicht in dem Verhalten der Klägerin, sondern in der überaus schweren Kriegsbeschädigung F. gelegen habe. Nur mit Rücksicht darauf sei diesem nicht die alleinige oder überwiegende Schuld an der Scheidung auferlegt worden, obwohl es die tatsächlichen Verhältnisse erfordert hätten. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch sei schließlich auch nach § 42 Abs. 1 Satz 2 BVG begründet, die insoweit vom LSG. vertretene Rechtsauffassung sei unzutreffend.

Der Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, daß das LSG. die von der Klägerin als verletzt gerügten gesetzlichen Vorschriften ohne Rechtsirrtum angewendet hat.

Die vom LSG. gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassene Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 Abs. 1 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.

Die Klägerin begehrt Geschiedenenrente nach dem BVG für die Zeit vom 1. Mai 1951 bis zum 31. Mai 1960. Dieser Anspruch ist nach § 42 BVG in der bis zum Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 geltenden Fassung zu beurteilen.

Sie rügt in erster Linie eine unrichtige Anwendung des § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG durch das Berufungsgericht. Nach dieser Vorschrift erhält die frühere Ehefrau des Verstorbenen im Falle der Scheidung oder Aufhebung der Ehe Rente, wenn dieser nach den eherechtlichen Vorschriften Unterhalt zu gewähren hätte. Die Gewährung einer Versorgungsrente hängt hiernach davon ab, ob die geschiedene Ehefrau nach den Vorschriften des hier allein in Betracht kommenden Ehegesetzes vom 20. Februar 1946 im Zeitpunkt der Geltendmachung des Versorgungsanspruchs unterhaltsberechtigt wäre, wenn ihr früherer Ehemann noch leben würde (BSG. 9 S. 86). Diese Frage haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit selbständig zu beurteilen (BSG. a. a. O.; BSG. in SozR. RVO § 1265 Bl. Aa 2 Nr. 3); sie sind hierbei an den Schuldausspruch des Ehescheidungsurteils, der als Gestaltungsurteil für und gegen alle wirkt, gebunden (BSG. 10 S. 171 mit weiteren Nachweisen). Da nach dem rechtskräftigen Urteil des LG. Regensburg vom 21. Juli 1949 sowohl die Klägerin als auch deren früherer Ehemann schuld an der Scheidung sind, jedoch keiner die überwiegende Schuld trägt, kommt als Grundlage eines etwaigen gesetzlichen Unterhaltsanspruchs der Klägerin nur § 60 EheG in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann dem Ehegatten, der sich nicht selbst unterhalten kann, ein Beitrag zu seinem Unterhalt zugebilligt werden, wenn und soweit dies mit Rücksicht auf die Bedürfnisse und die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des anderen Ehegatten und der nach § 63 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen der Billigkeit entspricht; die Beitragspflicht kann zeitlich begrenzt werden.

Das LSG. hat unter Hinweis auf Palandt (BGB, Anm. 3 zu §§ 60 und 63 EheG) und ein Urteil des OVA. Hildesheim (ZfS. 1954 S. 42) die Ansicht vertreten, der Unterhaltsbeitrag nach § 60 EheG sei kein Unterhalt "nach den eherechtlichen Vorschriften" im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG, weil er ausschließlich von Billigkeitserwägungen einer erst von dem ordentlichen Gericht zu treffenden Entscheidung abhänge, also weder als echter Unterhaltsanspruch aufgefaßt noch unmittelbar aus eherechtlichen Vorschriften hergeleitet werden könne; ferner setze § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG grundsätzlich die alleinige oder überwiegende Schuld des Verstorbenen an der Ehescheidung voraus. Der Senat vermag dieser Ansicht nicht zu folgen. Weder der Wortlaut noch der Wortsinn des § 42 BVG bieten einen Anhalt dafür, daß ein Anspruch auf Geschiedenenrente nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift nur besteht, wenn der Verstorbene für allein oder überwiegend schuldig erklärt worden ist. Zwar war im Regierungsentwurf zum BVG (Bundestagsdrucksache Nr. 1333, S. 19 und 59) in Anlehnung an die beamtenrechtliche Regelung Geschiedenenrente als Kannleistung nur für den Fall der alleinigen oder überwiegenden Schuld des Verstorbenen vorgesehen. Daraus kann jedoch, nachdem § 42 BVG auf einen Änderungsvorschlag des Bundesrates hin (Bundestagsdrucksache Nr. 1333, S. 77) eine vom Regierungsentwurf erheblich abweichende, weitere Fassung erhalten hat, nicht geschlossen werden, daß § 42 BVG in seiner endgültigen Fassung im Sinne des nicht zum Gesetz erhobenen Regierungsentwurfs auszulegen sei. Im übrigen wäre ein etwa dahingehender Wille des Gesetzgebers unbeachtlich, da er im Gesetz selbst keinen Ausdruck gefunden hat (vgl. BSG. 6 S. 252 (255); 8 S. 140). Die gegenteilige nicht näher begründete Ansicht des LSG. kann auch nicht aus § 42 Abs. 1 Satz 2 BVG, der die Gewährung der Geschiedenenrente im Falle einer Scheidung der Ehe wegen Geisteskrankheit regelt, hergeleitet werden. Die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG sind daher nicht nur dann erfüllt, wenn die Unterhaltspflicht des geschiedenen Ehemannes auf § 58 EheG beruht; Geschiedenenrente ist vielmehr in allen Fällen zu gewähren, in denen sich eine Unterhaltsverpflichtung aus den die gesetzliche Unterhaltspflicht regelnden eherechtlichen Vorschriften ergibt.

Das LSG. irrt auch insoweit, als es annimmt, daß § 60 EheG keinen unmittelbar aus den eherechtlichen Vorschriften folgenden Rechtsanspruch auf Unterhalt gewähre. In Schrifttum und Rechtsprechung würde die Frage nach der Rechtsnatur der Beitragspflicht nach § 60 EheG nicht einheitlich beantwortet. Während insbesondere Scanzoni (Komm. zum EheG 38, Anm. 2 zu § 68, und DR 1940 S. 2246) und ihm folgend das Kammergericht (DR 1941 S. 658, 942 und 2412) unter Hinweis auf den Wortlaut des Gesetzes ("kann ein Beitrag" zum Unterhalt "zugebilligt werden"; "Bedürftiger" statt "Berechtigter") das Vorliegen eines Rechtsanspruchs leugnen und annehmen, daß ein solcher erst durch das Zubilligungsurteil, dem rechtsgestaltende Wirkung zukomme, entsteht, sind u. a. das Reichsgericht (IV 229/39 vom 6.1.1940, zitiert von Scanzoni in DR 1940 S. 2246), von Godin (Komm. zum EheG 46, 2. Aufl., Anm. 2 zu § 60), Hoffmann-Stephan (Komm. zum EheG 46, Anm. 4 zu § 60) und der Bundesgerichtshof - BGH - (Urteil vom 16.2.1955, Lindenmaier-Möhring Nr. 1 zu § 60 EheG) der Meinung, daß § 60 EheG dem Bedürftigen einen rechtlichen Anspruch gewährt und daß dieser Anspruch, sofern seine Voraussetzungen vorliegen, kraft Gesetzes schon mit der Rechtskraft der Ehescheidung wenigstens dem Grunde nach entsteht, ohne daß es hierzu einer richterlichen Entscheidung bedarf. Der Senat hält die von letzteren vertretene Ansicht für zutreffend. Zwar mag nach dem Wortlaut des § 60 EheG manches dafür sprechen, daß ein Anspruch auf den Unterhaltsbeitrag erst mit der richterlichen Entscheidung, die eine auf § 60 EheG gestützte Klageforderung zuerkennt, entsteht. Jedoch zwingt der Wortlaut zu dieser Auslegung nicht. Bereits aus der amtlichen Begründung zu § 68 EheG 38 (Deutsche Justiz 1938 S. 1111), der mit § 60 EheG 46 wörtlich übereinstimmt, ergibt sich, daß durch die Gesetzesfassung ein Rechtsanspruch nicht ausgeschlossen werden sollte; denn dort ist ausdrücklich von einem "Unterhaltsanspruch" und von einer "Unterhaltspflicht" die Rede. Im übrigen wäre es, worauf der BGH. a. a. O. mit Recht hinweist, ganz außergewöhnlich, daß dem Richter die Möglichkeit gegeben sein sollte, den Unterhaltsbeitrag zu versagen, wenn er alle Voraussetzungen des § 60 EheG bejaht. Es ist daher kein innerer Grund ersichtlich, warum der Gesetzgeber den Anspruch aus § 60 EheG hinsichtlich seiner Entstehung anders behandelt haben sollte als sonstige Unterhaltsansprüche. Ob es sich bei dem Anspruch aus § 60 EheG um einen "echten" Unterhaltsanspruch oder - im Hinblick darauf, daß er von Billigkeitserwägungen abhängt und nicht auf den vollen Unterhalt, sondern nur auf einen zeitlich begrenzbaren Beitrag zum Unterhalt gerichtet ist - um einen Unterhaltsanspruch minderer Qualität handelt (vgl. Hoffmann-Stephan, a. a. O., Anm. 4 zu § 60; Palandt, BGB, 19. Aufl., Anm. 3 zu § 60 EheG; Soergel, BGB, 8. Aufl., Anm. 2 zu § 60 EheG, u. a.), kann dahingestellt bleiben; denn hierauf kommt es bei der nach § 42 BVG anzustellenden Prüfung, ob der Verstorbene nach den eherechtlichen Vorschriften Unterhalt zu gewähren hätte, nicht an. Die Anwendbarkeit des § 60 EheG im Rahmen des § 42 BVG wird auch nicht dadurch gehindert, daß die Beitragspflicht nach § 60 EheG im Gegensatz zu den Ansprüchen aus § 58 EheG nicht als Nachlaßverbindlichkeit auf die Erben übergeht, sondern mit dem Tode des Verpflichteten erlischt (§ 70 Abs. 1 und 3 EheG); denn nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG kommt es nur darauf an, ob die geschiedene Frau unterhaltsberechtigt wäre, wenn ihr früherer Ehemann noch lebte.

Die Entscheidung über den Anspruch der Klägerin hängt somit davon ab, ob für die Klägerin im Zeitpunkt der Antragstellung die Voraussetzungen einer Unterhaltsberechtigung nach § 60 EheG gegeben waren. Bei der hiernach anzustellenden Prüfung befinden sich die Versorgungsbehörden und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - abgesehen davon, daß sie von Amts wegen zu ermitteln haben - in derselben Lage wie die mit einer Klage aus § 60 EheG befaßten ordentlichen Gerichte. Sie haben mithin wie diese alle für die Zubilligung des Unterhaltsbeitrages bedeutsamen Umstände, nämlich die Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie die Erwerbsfähigkeit des bedürftigen Ehegatten, die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse und die Bedürfnisse des beitragspflichtigen Ehegatten, der unterhaltspflichtigen Verwandten des Bedürftigen und der minderjährigen unverheirateten Kinder des Beitragspflichtigen nach billigem Ermessen zu berücksichtigen. Dagegen haben sich die Billigkeitserwägungen, die § 60 EheG vorschreibt, nicht auch auf sonstige Umstände, wie etwa die Schuldfrage, zu erstrecken (vgl. von Godin, a. a. O., Anm. 5 zu § 60; BGH. a. a. O.). Die Revisionsrüge, das LSG. habe den in § 60 EheG enthaltenen Begriff der Billigkeit verkannt, weil es nicht berücksichtigt habe, daß die eigentliche Ursache der Ehescheidung nicht in dem Verhalten der Klägerin, sondern in der schweren Kriegsbeschädigung F s gelegen habe, greift daher nicht durch.

Das LSG. hat, obwohl seiner Meinung nach ein Rentenanspruch nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG schon deshalb entfällt, weil § 60 EheG keine Unterhaltspflicht nach eherechtlichen Vorschriften begründe, auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 EheG im einzelnen geprüft und verneint. Ob es hierbei seine Sachaufklärungspflicht und die Grundsätze der freien Beweiswürdigung dadurch verletzt hat, daß es, wie die Revision rügt, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Klägerin und ihres früheren Ehemannes nicht genügend erforscht hat, kann dahingestellt bleiben; denn seine Entscheidung stellt sich aus anderen Gründen als richtig dar.

§ 60 EheG gewährt nur demjenigen Ehegatten einen Anspruch, der sich nicht selbst unterhalten kann. Diese Voraussetzungen sind nach der herrschenden Meinung, von der abzuweichen kein Anlaß besteht, in der Regel nur dann erfüllt, wenn der den Unterhaltsbeitrag beanspruchende Ehegatte nicht nur vermögens- und einkommenslos, sondern auch erwerbsunfähig ist, weil er erst dann "sich nicht selbst unterhalten kann" (vgl. Hoffmann-Stephan, a. a. O., Anm. 5 zu § 60; von Godin, a. a. O., Anm. 3 zu § 60; Palandt, a. a. O., Anm. 2 zu § 60 EheG; Soergel, a. a. O., Anm. 2 zu § 60 EheG). Nur wenn besondere Umstände vorliegen, die bisher nicht berufstätige Frau etwa erst einer Ausbildung bedarf, um eine ihren Fähigkeiten entsprechende Arbeit aufnehmen zu können, wird von dem Erfordernis der Erwerbsunfähigkeit abzusehen sein. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG., die insoweit mit der Revision nicht angegriffen und daher für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), ist die im Zeitpunkt der Antragstellung 39 Jahre alte Klägerin in ihrer Erwerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt gewesen und hat bereits vor ihrer Verehelichung als Verkäuferin gearbeitet. Diese Feststellungen allein rechtfertigen den Schluß, daß die Klägerin imstande ist, sich selbst zu unterhalten. Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, ob und in welchem Umfang sie ihre Fähigkeiten tatsächlich nutzt und wieviel sie im einzelnen verdient. Da weder im Berufungs- noch im Revisionsverfahren besondere Umstände geltend gemacht worden sind, die die Zubilligung eines Unterhaltsbeitrages trotz Erwerbsfähigkeit der Klägerin rechtfertigen könnten, sind die Voraussetzungen des § 60 EheG schon deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht erwerbsunfähig ist. Damit steht zugleich fest, daß der Anspruch der Klägerin auf Geschiedenenrente nach § 42 Abs. 1 Satz 1 BVG unbegründet ist. Die insoweit auf eine Verletzung der §§ 1, 38, 39 und 42 Abs. 1 Satz 1 BVG, 60 EheG und 103, 128 SGG gestützte Revision mußte daher im Ergebnis erfolglos bleiben.

Die Revision der Klägerin ist schließlich auch unbegründet, soweit sie ihren Anspruch auf § 42 Abs. 1 Satz 2 BVG stützt und sich gegen die angeblich unrichtige Anwendung dieser Vorschrift durch das Berufungsgericht wendet. Nach dieser Vorschrift erhält die frühere Ehefrau auch ohne die Voraussetzungen des Abs. 1 Rente, wenn die Ehe wegen Geisteskrankheit des Verstorbenen geschieden oder aufgehoben worden ist, die Geisteskrankheit in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung (§ 1) gestanden hat und der Beschädigte an den Folgen dieser Schädigung gestorben ist. Das LSG. ist ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß die tatsächliche Frage, ob die Ehe "wegen Geisteskrankheit des Verstorbenen" geschieden worden ist, allein nach dem Inhalt des Ehescheidungsurteils beurteilt werden kann und muß (vgl. Schieckel, BVG, 2. Aufl., Anm. 5 zu § 42). Das rechtskräftige Urteil des LG. Regensburg vom 21. Juli 1949 ergibt eindeutig, daß das Gericht, das bei F aufgrund eines Sachverständigengutachtens weder eine Geisteskrankheit noch eine ernstere geistige Störung für vorliegend erachtet hat, die Ehe der Klägerin wegen beiderseitiger schwerer Eheverfehlungen im Sinne des § 43 EheG geschieden hat. Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob § 42 Abs. 1 Satz 2 BVG nur dann Platz greift, wenn die Ehe aus § 45 EheG (Aufhebung der geistigen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten durch Geisteskrankheit) geschieden worden ist, oder ob auch eine Scheidung aus § 44 EheG (Zerrüttung der Ehe wegen eines auf einer geistigen Störung beruhenden Verhaltens, das nicht als Eheverfehlung betrachtet werden kann) den Anspruch auf Geschiedenenrente nach der zweiten Alternative des § 42 BVG auszulösen vermag. Die Voraussetzungen des § 42 Abs. 1 Satz 2 BVG sind somit im vorliegenden Fall, wie das LSG. zutreffend entschieden hat, nicht erfüllt, und es kann dahingestellt bleiben, ob die schweren Verwundungsfolgen F. der tiefere Grund der Ehezerrüttung gewesen sind.

Die Revision der Klägerin war daher gemäß § 170 Abs. 1 SGG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 166

NJW 1961, 382

MDR 1961, 265

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