Leitsatz (amtlich)
Die Nachversicherungsregelung der Rentenversicherungsneuregelungsgesetze (RVO § 1232, AVG § 9 beide idF vor dem RVÄndG vom 1965-06-09) schließt von ihrem Inkrafttreten (1957-03-01) an auch die Fälle als Nachversicherungsfälle ein, in denen die beamtenrechtliche Versorgung erst nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung wegfällt.
Orientierungssatz
Ergibt sich aus dem im Gesetz erkennbar gewordenen Sinn und Zweck einer Regelung, daß der Gedanke des Gesetztes in dem Wortlaut der Regelung nicht deutlich genug Ausdruck gefunden hat, so ist eine berichtigende Auslegung geboten.
Normenkette
RVO § 1232 Fassung: 1957-02-23; AVG § 9 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 20. März 1962 und des Sozialgerichts Hamburg vom 25. Januar 1960 sowie die Bescheide der Beklagten vom 22. Oktober 1958 und vom 26. Mai 1959 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin und der Beigeladenen einen neuen Bescheid über die Nachversicherung des Bernhard Sch zu erteilen.
Die Beklagte hat der Revisionsklägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten; im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Bernhard S (Sch.), geboren am 13. April 1893, war technischer Bundesbahn-Inspektor und Beamter auf Lebenszeit. Er wurde zum 1. Mai 1958 wegen Erreichung der Altersgrenze (mit Ruhegehalt) in den Ruhestand versetzt. Wegen Verfehlungen aus der Zeit von 1951 bis 1956 wurde gegen Sch. am 30. Mai 1956 ein Dienststrafverfahren eingeleitet. Durch Urteil des Landgerichts (LG) Hamburg vom 29. April 1958 wurde Sch. wegen fortgesetzten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zum Nachteil der Bundesbahn zu 1 Jahr und 9 Monaten Gefängnis verurteilt. Dieses Urteil wurde am 6. Mai 1958 rechtskräftig. Sch. verlor daraufhin mit Ablauf des Monats Mai 1958 seine Rechte als Ruhestandsbeamter und damit auch sein Ruhegehalt (§§ 162, 48 des Bundesbeamtengesetzes - BBG -). Er begehrte darauf die Nachversicherung für die Zeit, in der er als Beamter versicherungsfrei beschäftigt war. Die Beklagte lehnte die Nachversicherung ab, weil Sch. bei seinem Ausscheiden aus dem Beamtenverhältnis noch einen Anspruch auf beamtenrechtliche Versorgung gehabt und seine Versorgung erst später verloren habe; die Voraussetzungen der Nachversicherung nach § 9 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) lägen deshalb nicht vor (Bescheid vom 22. Oktober 1958 und Widerspruchsbescheid vom 26. Mai 1959). Die Bundesbahn, der frühere Dienstherr des Sch., von dem die Leistung der Nachversicherungsbeiträge begehrt wird, schloß sich der Auffassung der Beklagten an.
Mit der Klage machte Sch. geltend, die Nachversicherung sei zu Unrecht abgelehnt worden; es könne für die Nachversicherung keinen Unterschied machen, ob ein Beamter schon ohne Versorgungsanspruch aus dem Dienst ausscheide oder erst als Ruhestandsbeamter die bereits gewährte beamtenrechtliche Versorgung verliere; eine unterschiedliche Behandlung der aktiven Beamten und der Ruhestandsbeamten in bezug auf die soziale Sicherung bei Wegfall der beamtenrechtlichen Versorgung verstoße gegen Art. 3 des Grundgesetzes (GG).
Das Sozialgericht (SG) Hamburg lud die Deutsche Bundesbahn zum Verfahren bei. Es wies die Klage mit Urteil vom 25. Januar 1960 ab.
Die Berufung des Sch. wies das Landessozialgericht (LSG) Hamburg mit Urteil vom 20. März 1962 zurück: Nach der hier maßgeblichen Vorschrift des § 9 AVG (idF vor dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz - RVÄndG - vom 9. Juni 1965) komme es für die Frage, ob eine Nachversicherung durchzuführen sei, allein darauf an, ob zur Zeit des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung ein Anspruch auf beamtenrechtliche Versorgung bestanden habe. Der Kläger habe bei seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Erreichung des 65. Lebensjahres zum 1. Mai 1958 Anspruch auf Versorgung nach den Vorschriften des Beamtenrechts gehabt; erst mit der Rechtskraft des Urteils des LG Hamburg vom 29. April 1958, also am 6. Mai 1958, habe er diesen Anspruch nach § 162 Abs. 1 Ziff. 1 i. V. m. § 48 BBG kraft Gesetzes verloren. Der Kläger sei daher nicht ohne Versorgung aus der versicherungsfreien Beschäftigung ausgeschieden, er habe seine Versorgung vielmehr erst später verloren. Ein Nachversicherungsfall sei daher nicht gegeben. Diese Rechtslage entspreche auch der Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts - RVA - (vgl. AN 1938, IV S. 53). Es sei nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber in den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen eine andere Regelung habe treffen wollen. Wenn das Gesetz Ruhestandsbeamte, die ihre beamtenrechtliche Versorgung verlieren, von der Nachversicherung ausschließe, so führe dies zwar zu Härten; ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) liege jedoch nicht vor.
Das LSG ließ die Revision zu.
Sch. legte fristgemäß und formgerecht Revision ein. Er beantragte,
die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Nachversicherung für die Zeit seiner versicherungsfreien Beschäftigung als Beamter durchzuführen.
Er führte dazu aus, das LSG habe § 9 AVG unrichtig angewandt; nach Sinn und Zweck der Nachversicherungsregelung durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze seien auch Ruhestandsbeamte, die ihre Versorgung verlieren, nachzuversichern; eine unterschiedliche Behandlung von aktiven Beamten, die schon ohne beamtenrechtlichen Versorgungsanspruch aus der Beschäftigung ausscheiden, und von Ruhestandsbeamten, die ihre Versorgung später verlieren, sei nicht gerechtfertigt und verstoße gegen Art. 3 GG, weil in beiden Fällen das gleiche Bedürfnis für eine soziale Sicherung durch die Sozialversicherung bestehe.
Die Beklagte beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beigeladene schloß sich diesem Antrag an.
Sch. ist im Laufe des Revisionsverfahrens verstorben. Der Rechtsstreit wird von seiner Ehefrau Auguste Marie S als Rechtsnachfolgerin nach § 65 Abs. 2 AVG fortgesetzt.
II
Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -); sie ist auch begründet. Streitig ist, ob der Ehemann der Revisionsklägerin (Sch.) für die Zeit seiner versicherungsfreien Beschäftigung als Beamter (bis 30. April 1958) nachzuversichern ist.
Da Sch. schon zu Lebzeiten den Bescheid angefochten hat, in dem die Nachversicherung von der Beklagten abgelehnt worden ist, ist die Ehefrau als Rechtsnachfolgerin befugt, das Klagebegehren zu verfolgen; zwar ist hier nicht ein Anspruch auf Rente im Streit, sondern - als "Vorstufe" des Anspruchs auf Rente - ein Anspruch auf Nachversicherung; auf diesen Fall ist § 65 Abs. 2 AVG entsprechend anzuwenden.
Die Frage, ob Sch. nachzuversichern ist, ist - wie das LSG zutreffend angenommen hat - nach den Nachversicherungsvorschriften der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23. Februar 1957 (idF vordem RÄndG vom 9. Juni 1965) zu beurteilen; diese Vorschriften sind am 1. März 1957 in Kraft getreten (Art. 3 § 8 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - ArVNG -, Art. 3 § 7 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -). Nach dem hier maßgebenden § 9 Abs. 1 AVG besteht die Nachversicherungspflicht, wenn Personen aus der Beschäftigung ausscheiden, während der sie nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 bis 5 AVG oder nach § 8 Abs. 1 AVG (als Beamte oder gleichgestellte Personen) versicherungsfrei waren, ohne daß ihnen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine lebenslängliche Versorgung ... gewährt wird; sie sind nachzuversichern für die Zeit, in der sie sonst in der Rentenversicherung der Angestellten versicherungspflichtig gewesen wären. Nach dem Gesetzeswortlaut ist die Nachversicherung an das - "unversorgte" - Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung geknüpft; dieses Ausscheiden ist der Versicherungsfall, der das besondere Versicherungsverhältnis der Nachversicherung entstehen läßt und die Pflicht zur Nachentrichtung von Beiträgen begründet. Der Zeitpunkt des Ausscheidens bestimmt das anzuwendende Recht (BSG 1, 219), den Beitragssatz (§ 124 Abs. 1 AVG), den Beginn der Fristen für den Aufschub (§ 125 Abs. 1 Buchst. d AVG); das Ausscheiden begrenzt auch den nachzuversichernden Zeitraum. Nach dem Gesetzeswortlaut kommt es für die Frage, ob eine Nachversicherung durchzuführen ist, auf den Zeitpunkt des Ausscheidens an; eine Nachversicherungspflicht besteht danach nur, wenn im Zeitpunkt des Ausscheidens keine beamtenrechtliche Versorgung gewährt wird. Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 AVG läßt insoweit keine Änderung des bisherigen Nachversicherungsrechts erkennen (vgl. auch § 18 AVG aF; § 1242 a der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF; RVA in AN 1938 IV S. 53).
Nach dem Gesetzeswortlaut liegt ein Nachversicherungsfall nicht vor, wenn die Versorgung nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung wegfällt, also nicht in den Fällen, in denen Ruhestandsbeamte den Anspruch auf das Ruhegehalt auf Grund strafrechtlicher Verurteilung nach § 162 i. V. m. § 48 BBG verlieren oder wenn ihnen das Ruhegehalt im Disziplinarverfahren aberkannt wird, weil in diesen Fällen in dem nach dem Gesetzeswortlaut maßgeblichen Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung eine beamtenrechtliche Versorgung (noch) gewährt worden ist. Sch. hat, als er zum 1. Mai 1958 wegen Erreichung der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt wurde, noch einen Anspruch auf das beamtenrechtliche Ruhegehalt gehabt; er hat diesen Anspruch erst auf Grund des am 6. Mai 1958 rechtskräftig gewordenen Strafurteils mit Ablauf des Monats Mai 1958, also nach dem Ausscheiden aus seiner versicherungsfreien Beschäftigung, verloren. Der hier vorliegende Sachverhalt wird von dem Gesetzeswortlaut des § 9 Abs. 1 AVG also nicht als Nachversicherungsfall erfaßt. Für die Rechtsanwendung kommt es jedoch nicht nur auf die Subsumtion eines bestimmten Sachverhalts unter den Gesetzeswortlaut an, vielmehr ist der Wortlaut auch an dem Sinnzusammenhang der Gesetzesvorschrift zu messen. Ergibt sich aus dem im Gesetz erkennbar gewordenen Sinn und Zweck einer Regelung, daß der Gedanke des Gesetzes in dem Wortlaut der Regelung nicht deutlich genug Ausdruck gefunden hat, so ist eine berichtigende Auslegung geboten (BSG 14, 238, 239 mit weiteren Hinweisen). Es ist daher zu prüfen, ob eine sinngemäße Anwendung des § 9 Abs. 1 AVG in der Weise zulässig und geboten ist, daß auch Personen, die nach ihrem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung ihre beamtenrechtliche Versorgung verlieren, nachzuversichern sind. Eine ergänzende Rechtsfindung in diesem Sinne setzt weiter voraus, daß sich die Notwendigkeit der Ausdehnung der gesetzlichen Regelung auf den hier zu beurteilenden Tatbestand aus dem Gesetz selbst entnehmen läßt; auch die Entstehungsgeschichte des Gesetzes kann als Stütze für eine solche ergänzende Rechtsfindung dienen.
Die Grundgedanken der Nachversicherung sind bereits in der Begründung zur ersten Nachversicherungsregelung durch die Verordnung vom 13. Februar 1924 (RGBl I S. 62) dargelegt (RABl 1924 S. 95). Die Nachversicherung bezweckt danach die soziale Sicherung durch die Sozialversicherung der (abhängig beschäftigt gewesenen) Personen, bei denen im Hinblick auf eine anderweitige (beamtenrechtliche) Versorgung Versicherungsfreiheit bestanden hat, denen dann aber später doch keine Versorgung aus ihrer versicherungsfreien Beschäftigung gewährt wird; sie will diese Personen nachträglich in die Sozialversicherung einbeziehen und ihre versicherungsfreien Beschäftigungszeiten sozialversicherungsrechtlich "honorieren", wenn die Aussicht auf beamtenrechtliche Versorgung, die zur Versicherungsfreiheit geführt hat, unerfüllt geblieben ist; sie will verhindern, daß es für diese Personen keine soziale Sicherung ihres Alters und ihrer Hinterbliebenen gibt, daß sie "jedes Schutzes beraubt" sind. Die Nachversicherung beruht ferner auf der Erwägung, daß bei der Bemessung des Gehalts versicherungsfreier Personen auf den später entstehenden beamtenrechtlichen Versorgungsanspruch Rücksicht genommen wird und daß es deshalb gerechtfertigt ist, in allen Fällen, in denen die versicherungsfreie Beschäftigung endet und - gleichviel aus welchem Grunde - eine Versorgung nicht gewährt wird, dem Dienstherrn die Pflicht aufzuerlegen, für die versicherungsfreie Beschäftigung nachträglich Beiträge zu entrichten. Den Versicherungsträgern wird dabei ganz bewußt zugemutet, auch ungünstige Versicherungswagnisse zu übernehmen.
Die unterschiedlichen - Nachversicherungsregelungen vor den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen haben diesem Grundgedanken der Nachversicherung allerdings nicht mehr voll entsprochen; die Nachversicherung ist nach 1933 durch beamtenrechtliche und besondere sozialversicherungsrechtliche Vorschriften - entgegen ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung - eingeschränkt worden (vgl. u. a. § 141 des Deutschen Beamtengesetzes - DBG - vom 26. Januar 1937; § 1242 a RVO idF der Verordnung vom 17. März 1945 und Sozialversicherungsanordnung - SVA - Nr. 14). Um so deutlicher läßt jedoch die Nachversicherungsregelung der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze das Ziel erkennen, die Grundgedanken der Nachversicherung (wieder) voll zu verwirklichen und ein vollkommenes und in sich geschlossenes System der sozialen Sicherung für die Personen zu schaffen, die wegen der Aussicht auf beamtenrechtliche Versorgung zunächst versicherungsfrei sind, dann aber doch keine Versorgung erhalten und deshalb des Schutzes der Sozialversicherung bedürfen. Der Wille des Gesetzes, für frühere Beamte, die ohne beamtenrechtliche Versorgung sind, ein geschlossenes System der sozialen Sicherung zu schaffen, ergibt sich aus der Ausgestaltung des neuen Nachversicherungsrechts und seiner Abstimmung mit dem Beamtenrecht. Das Gesetz folgt auch insoweit dem allgemeinen Grundgedanken, allen abhängig Beschäftigten eine ihrem Arbeitsleben entsprechende soziale Sicherung ihres Alters und ihrer Hinterbliebenen zu verschaffen und sie so zu stellen, daß sie auch nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis in ihrem Lebenskreis verbleiben können und vor dem sozialen Abstieg bewahrt werden. Dabei wird, wenn die soziale Sicherung im Wege der Nachversicherung zu erfolgen hat, der Vorbereitungsdienst der Beamten - "ohne Rücksicht darauf, ob während dieser Zeit Entgelt bezogen worden ist" - nachversicherungsfähig (§ 9 Abs. 2 AVG = § 1232 Abs. 2 RVO); auch stehen die jeweils gültigen Vorschriften über die Versicherungspflichtgrenze der Nachversicherung nicht entgegen (Art. 2 § 4 Abs. 1 Satz 3 und 4 AnVNG); schließlich ist der nachzuversichernde Zeitraum insofern erweitert, als Ersatzzeiten nicht mehr ausgenommen sind. Der Grundgedanke des Gesetzes, durch die Nachversicherung alle Fälle zu erfassen, in denen die Aussicht auf beamtenrechtliche Versorgung weggefallen ist, zeigt sich auch darin, daß die Einschränkungen der Nachversicherung, die dem Ziel der umfassenden Regelung entgegengestanden haben, beseitigt worden sind. So gelten jetzt die Nachversicherungsverbote des § 141 DBG vom 26. Januar 1937 (zB beim Ausscheiden aus dem Dienst durch Disziplinarurteil oder wegen strafgerichtlicher Verurteilung), soweit sie landesrechtlich noch bestanden haben, nicht mehr; auch die Vorschriften, nach denen die Nachversicherung "wegen unehrenhaften oder freiwilligen" Ausscheidens zu unterbleiben hatte (§ 1242 a RVO idF der Verordnung vom 17. März 1945 und SVA Nr. 14), sind weggefallen. Durch Art. 2 § 4 Abs. 2 Satz 1 AnVNG (= Art. 2 § 3 Abs. 2 Satz 1 ArVNG) ist die Geltung des § 9 AVG (= § 1232 RVO) sogar auf die Personen erstreckt worden, deren Nachversicherung in der Zeit vor dem Inkrafttreten der Neuregelungsgesetze auf Grund des § 1242 a RVO idF der VO vom 17. März 1945 oder der SVA Nr. 14 unterblieben ist, "es sei denn, daß § 141 Abs. 2 Satz 1 DBG die Nachversicherung ausschloß"; doch auch dann ist nach Satz 2 des Art. 2 § 4 Abs. 2 AnVNG (= Art. 2 § 3 Abs. 2 ArVNG) die Nachversicherung "in Fällen besonderer Härte" durchzuführen, d. h. insbesondere dann, wenn - wie sich aus § 2 der Nachversicherungs-Härte-Verordnung vom 28. Juli 1959 (BGBl I 550) ergibt - ohne Nachversicherung keine hinreichende Sicherung für den Fall der Berufsunfähigkeit, des Alters und für die Hinterbliebenen gewährleistet ist. Bemerkenswert ist schließlich, daß Art. 6 § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG) sogar für Zeiten des ausländischen öffentlichen Dienstes eine - allerdings fiktive - Nachversicherung vorsieht. Die neue Nachversicherungsregelung sieht danach erkennbar das Schutzbedürfnis, das durch den Ausfall der beamtenrechtlichen Versorgung entstanden ist, als entscheidend für die Notwendigkeit der Nachversicherung an. Dieses Schutzbedürfnis besteht allein wegen des Umstandes, daß keine beamtenrechtliche Versorgung gewährt wird; es kommt nicht mehr darauf an, warum sie nicht gewährt wird; es ist auch nicht wesentlich, wann es zum Wegfall der beamtenrechtlichen Versorgung gekommen ist; der Zeitpunkt des Wegfalles dieser Versorgung berührt das Schutzbedürfnis nicht. Das Bestreben der neuen gesetzlichen Nachversicherungsregelung, dem Schutzgedanken umfassende Geltung zu verschaffen, verlangt die Nachversicherung auch in den Fällen, in denen die beamtenrechtliche Versorgung nach dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung wegfällt. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber dem Zeitpunkt des Ausscheidens aus der versicherungsfreien Beschäftigung in dem Sinn hat Bedeutung beimessen wollen, daß nur die Fälle des Fehlens der beamtenrechtlichen Versorgung beim Ausscheiden für die Nachversicherung in Betracht kommen sollen, obwohl in den Fällen des späteren Wegfalls der Versorgung das gleiche Schutzbedürfnis für eine soziale Sicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung besteht. Ein sachlich gerechtfertigter Grund, diese Fälle unterschiedlich zu behandeln, ist nicht erkennbar. Ein solcher Grund kann auch nicht aus der Erwägung hergeleitet werden, die Sozialversicherung erstrebe grundsätzlich die Vorsorge für einen künftigen Versicherungsfall, deshalb sei die Nachversicherung von Ruhestandsbeamten systemwidrig; für die Nachversicherung gilt dieser Grundsatz in keinem Falle; sie ist eine besondere Art der sozialen Sicherung; hier wird ein Versicherungsverhältnis immer erst nachträglich begründet. Die Nachversicherung von Ruhestandsbeamten ist auch keine Besonderheit im System der Rentenversicherung; sie ist schon früher bekannt gewesen (vgl. zB die Siebente Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 2. April 1935, RGBl I S. 448; § 2 Abs. 4 der Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 21. Dezember 1935, RGBl I S. 1524; § 72 des Gesetzes zu Art. 131 GG und jetzt § 9 AVG idF des RVÄndG vom 9. Juni 1965). Ob der Verlust des beamtenrechtlichen Versorgungsanspruchs bereits beim Ausscheiden (bei der Versetzung in den Ruhestand) vorliegt oder die Versorgung erst später verlorengeht, hängt häufig von Zufälligkeiten ab, zB vom Zeitpunkt der Entdeckung dienstlicher Verfehlungen, vom Beginn und Gang der Ermittlungen, von der Dauer eines Straf- oder Disziplinarverfahrens; ob es noch vor der Versetzung des Beamten in den Ruhestand zu einem den Verlust des Versorgungsanspruchs begründenden Straf- oder Disziplinarurteil gekommen ist oder erst später, kann nicht entscheidend sein; es kann nicht unterstellt werden, daß der Gesetzgeber die soziale Sicherung von Zufälligkeiten hat abhängig machen wollen. Im vorliegenden Falle wäre zB die Nachversicherung des Sch. auch nach dem Gesetzeswortlaut des § 9 AVG - unstreitig - zu bejahen, wenn das Strafverfahren wenige Tage früher zum rechtskräftigen Abschluß gekommen wäre; das wäre schon der Fall gewesen, wenn Sch. - und die Staatsanwaltschaft - in der Verhandlung vor dem LG Hamburg am 29. April 1958 auf Rechtsmittel verzichtet hätten.
Wenn der Gesetzeswortlaut die Fälle des Verlustes der beamtenrechtlichen Versorgung nach dem Ausscheiden aus dem Dienst nicht ausdrücklich erfaßt, so ist dies nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, daß er in den hier entscheidenden Wendungen im wesentlichen noch an frühere gesetzliche Vorschriften (§ 18 AVG aF, § 1242 a RVO aF) anknüpft, die zu einem Zeitpunkt erlassen worden sind, in dem es des Schutzes von Ruhestandsbeamten durch Begründung einer Nachversicherungspflicht nicht bedurft hat, weil der Ruhegeldanspruch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst grundsätzlich nicht mehr entziehbar gewesen ist. Erst die nach 1933 erlassenen beamtenrechtlichen Vorschriften haben an bestimmte strafgerichtliche Verurteilungen von Ruhestandsbeamten auch versorgungsrechtliche Folgen geknüpft und die Beschränkung der disziplinargerichtlichen Verfolgbarkeit von Ruhestandsbeamten aufgehoben (§§ 33 ff des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30. Juli 1933 - RGBl I 433; Art. 1 Ziff. 3 des Preußischen Gesetzes zur Änderung des Dienststrafrechts vom 18. August 1934, Gesetzessammlung S. 355). Die Folge davon aber ist, daß der Schutzgedanke der Nachversicherungsregelung jetzt auch die "schutzbedürftig gewordenen" Fälle des späteren Wegfalls der beamtenrechtlichen Versorgung erfassen muß. Wenn § 9 AVG in seiner endgültigen Fassung von der Fassung eines Vorentwurfs abweicht, in dem die Fälle des Wegfalls der Versorgung nach dem Ausscheiden ausdrücklich als Nachversicherungsfälle bezeichnet sind, so ist daraus nicht zu schließen, daß diese Frage zwar erwogen, dann aber im Gesetz abweichend von dem Vorentwurf im Sinne der Rechtsprechung des RVA zu dem früheren Recht (AN 1938 IV S. 53) geregelt worden sei. Es ist nicht ersichtlich, daß sich Regierung und Parlament mit dieser Frage besonders befaßt haben; sie haben vollends nicht den Willen bekundet, frühere Einschränkungen der Nachversicherung, die dem Grundgedanken der umfassenden sozialen Sicherung aller Arbeitnehmer widersprechen, aufrechtzuerhalten. Es kann deshalb nur angenommen werden, daß damals übersehen worden ist, den Wortlaut des Gesetzes dem klaren Sinngehalt der neuen Nachversicherungsregelung anzupassen; dies mag damit zusammenhängen, daß es sich hier um eine nur einen geringen Personenkreis berührende Einzelfrage gehandelt hat; sie ist - gemessen an den sonstigen Problemen der Rentenreform, denen sich der Gesetzgeber gegenübergesehen hat - nur von untergeordneter Bedeutung und Tragweite gewesen.
Das RVÄndG vom 9. Juni 1965 hat durch Art. 1 § 2 Nr. 8 Buchst. b die Vorschrift des § 9 AVG ergänzt und einen neuen Abs. 4 eingefügt, in dem deutlich gemacht ist, daß die Absätze 1 bis 3 AVG auch anzuwenden sind, wenn Personen, die versicherungsfrei gewesen sind und eine beamtenrechtliche Versorgung beziehen, ihren Anspruch auf diese Versorgung ganz und auf Dauer verlieren . Damit ist also klargestellt, daß auch die Fälle, in denen einem Ruhestandsbeamten das Ruhegehalt durch disziplinargerichtliches oder strafgerichtliches Urteil aberkannt wird, Nachversicherungsfälle sind; "diese Regelung" hat "eine bestehende Lücke, die als Härte anzusehen ist", schließen sollen, wie es in der Begründung des Regierungsentwurfes zum RVÄndG, BT-Drucks. IV 2572, S. 24, heißt. Das RVÄndG hat jedoch insoweit nicht neues Recht geschaffen, es hat den Sinngehalt, den schon die Nachversicherungsregelung in den Neuregelungsgesetzen gehabt hat, verdeutlicht und Zweifel beseitigt.
Art. 1 § 2 Nr. 8 Buchst. b RVÄndG ist in den Übergangsvorschriften dieses Gesetzes unter den Vorschriften, die rückwirkend vom 1. Januar 1957 (Inkrafttreten des Neuregelungsgesetzes) in Kraft treten, nicht besonders erwähnt (Art. 5 § 10 Buchst. a); ein Hinweis auf diese Vorschrift paßt auch nicht dorthin, denn die Nachversicherungsregelung der Neuregelungsgesetze ist erst am 1. März 1957 in Kraft getreten (Art. 3 § 7 AnVNG); es fehlt deshalb in den Übergangsvorschriften eine besondere Vorschrift über das Inkrafttreten der Änderung des § 9 AVG. Es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber Art. 1 § 2 Nr. 8 Buchst. b als eine der "übrigen Vorschriften" angesehen hat, deren Inkrafttreten auf den 1. Juli 1965 festgesetzt worden ist. Eine Gesetzesauslegung, wie sie dem jetzt ergänzten Gesetzeswortlaut entspricht, ist deshalb auch schon für die Zeit von dem Inkrafttreten der Nachversicherungsregelung in den Neuregelungsgesetzen (1. März 1957) an möglich. Einer ausdrücklichen Rückwirkungsvorschrift hat es insoweit nicht bedurft, weil Art. 1 § 2 Nr. 8 Buchst. b nur wiedergibt, was bei sinngemäßer Auslegung des Gesetzes (seit dem 1. März 1957) auch bisher schon Rechtens gewesen ist (vgl. auch die Urteile des Bundessozialgerichts vom 25. August 1965, 5 RKn 72/61, und vom 29. September 1965, 5 RKn 38/62).
Danach entsteht seit dem Inkrafttreten der Nachversicherungsregelung in den Neuregelungsgesetzen (1. März 1957) nicht nur mit dem Ausscheiden aus der versicherungsfreien Beschäftigung ohne Versorgung ein Anspruch auf Nachversicherung, sondern ebenso bei späterem Verlust der Versorgung, sofern die sonstigen Voraussetzungen der Nachversicherung erfüllt sind. In diesen Fällen tritt, soweit im Gesetz die sonstigen Voraussetzungen und die Durchführung der Nachversicherung an den Zeitpunkt des Ausscheidens anknüpfen, an die Stelle dieses Zeitpunktes der Zeitpunkt des Verlustes der Versorgungsbezüge (vgl. auch § 124 Abs. 1 AVG idF des RVÄndG). Die Voraussetzungen der Nachversicherung sind danach im vorliegenden Fall gegeben; Sch., der seine Versorgungsbezüge im Mai 1958, also nach dem Inkrafttreten der Nachversicherungsregelung der Neuregelungsgesetze, verloren hat, ist nachzuversichern; dabei sind die Vorschriften des RVÄndG entsprechend anzuwenden.
Da das LSG die Rechtslage unzutreffend beurteilt hat, ist die Revision begründet. Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben; der Anspruch auf Nachversicherung ist begründet; die Beklagte hat der Klägerin und der Beigeladenen einen neuen Bescheid über die Nachversicherung des Sch. zu erteilen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen