Leitsatz (amtlich)
Eine der stationären Krankenpflege von Lungenkranken dienende Anstalt ist jedenfalls dann "Krankenhaus" (RVO § 184 Abs 1 S 1), wenn sie auf die Behandlung akuter Tuberkulose-Leiden eingerichtet ist und solche Behandlungen durchführt.
Leitsatz (redaktionell)
Sind die zeitlichen Anspruchsvoraussetzungen des RVO § 1244a nicht erfüllt (versicherungspflichtige Beschäftigung von mindestens 6 Kalendermonaten innerhalb der letzten 24 Monate oder Erfüllung der Wartezeit nach RVO § 1246 Abs 3), so besteht unter den Voraussetzungen des RVO § 184 Anspruch auf Gewährung von Krankenpflege.
Normenkette
RVO § 184 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1911-07-19, § 1244a Fassung: 1959-07-23, § 1246 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 12. Januar 1965 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Beigeladene B (B.) ist freiwilliges Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Bei einer Reihenuntersuchung während seines Studiums am 5. Mai 1960 wurde bei ihm eine aktive Lungentuberkulose (Lungen-Tbc.) festgestellt. Er befand sich deshalb seit dem 23. Mai 1960 in der Lungenklinik S (Bez. B) in stationärer Behandlung. Der klagende Sozialhilfeträger übernahm gegenüber der Lungenklinik die Kosten vorbehaltlich der Ermittlung eines anderen Kostenträgers. Auf Grund der Mitteilung des Klägers vom 2. August 1960 an die Beklagte erkannte diese mit Schreiben vom 15. September 1960 den Leistungsanspruch ihres Mitgliedes B. für die Dauer von 26 Wochen bis zur Aussteuerung - 21. November 1960 - an, und zwar in Höhe eines Zuschusses von täglich 15,- DM zu dem wirklichen Kostenaufwand.
Auf die Bitte des B. genehmigte der Kläger die Verlegung in das Sanatorium F (Nördlicher Schwarzwald) zur weiteren stationären Behandlung. B. wurde am 1. Juli 1961 aus der Lungenklinik S entlassen und am 3. Juli 1961 in das Sanatorium F aufgenommen.
In dem Bericht der Lungenfachärztin Dr. A, F., vom 25. Oktober 1961 an den Kläger heißt es u.a., der zu Beginn mit Großcavernisierung (Bildung eines krankhaften Hohlraums in der Lunge) einhergehende Lungenprozeß bedürfe noch der Weiterführung des Heilverfahrens, zumal noch nicht sicher Restzerfall ausgeschlossen sei. Nach dem Entlassungsbericht des Chefarztes Dr. G und der Lungenfachärztin Dr. A vom 10. Januar 1962 wurde B. am 6. Januar 1962 mit acht Wochen Schonung aus dem Sanatorium F entlassen. In dem Bericht heißt es u.a., bei dem im Sanatorium durchgeführten klimatischen Heilverfahren, "unterstützt durch konstitutionell und gezielt ausgerichtete homöopathische Medikamente" habe sich das Allgemeinbefinden des B. noch ganz wesentlich gebessert, ... gegen die Wiederaufnahme der Vorbereitungsarbeiten für die bevorstehende Abschlußprüfung seines - des B. - Architekturstudiums sei nichts einzuwenden.
Mit Schreiben vom 23. Mai 1962 teilte der Kläger der Beklagten unter Hinweis auf das am 1. August 1961 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. Juli 1961 - LeistungsverbesserungsG - (BGBl I 913) mit, daß B. ab 1. August 1961 noch einen Anspruch auf einen Zuschuß zu den durch die Heilbehandlung entstandenen Kosten gegen die Beklagte bis zum 6. Januar 1962 habe. Gleichzeitig meldete der Kläger unter Hinweis auf § 27 Abs. 1 des Gesetzes über die Tuberkulosehilfe vom 23. Juli 1959 - THG - (BGBl I 513) einen entsprechenden Ersatzanspruch bei der Beklagten an und erbat außerdem für die Zeit vom 22. November 1960 bis 31. Juli 1961 den Abgeltungsbetrag von 1,- DM je Tag auf Grund des Abschnittes III des Erlasses des Reichsarbeitsministers vom 2. November 1943 (AN S. 485). Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 30. August 1962 sowie auf Gegenvorstellung des Klägers vom 14. Mai 1963 erneut mit Schreiben vom 4. Juni 1963 die Gewährung von Leistungen ab, weil es sich nicht um eine akute, sondern um eine langwierige Erkrankung mit Heilstättenbehandlung gehandelt habe, für die in erster Linie andere Leistungsträger zuständig seien; außerdem sei die für die Gewährung eines Zuschusses nach § 22 ihrer Versicherungsbedingungen erforderliche vorherige Antragstellung unterblieben.
Der Kläger hat nunmehr Klage erhoben und beantragt, die Beklagte, hilfsweise die Landesversicherungsanstalt (LVA), zu verurteilen, ihm Ersatz für die aufgewendeten Kosten der stationären Behandlung des B. in dem Sanatorium F. für die Zeit vom 1. August 1961 bis zum 6. Januar 1962 zu leisten sowie für die Zeit vom 3. bis zum 31. Juli 1961 den Abgeltungsbetrag zu zahlen. Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiladung der LVA dem Hauptantrag stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Beigeladene B. gehöre nicht zu dem in § 1244a der Reichsversicherungsordnung (RVO) bezeichneten Personenkreis und habe keinen Anspruch auf Maßnahmen des zuständigen Rentenversicherungsträgers. Denn er habe in den der Feststellung der aktiven Lungen-Tbc. (Mai 1960) vorausgegangenen 24 Kalendermonaten keine Beiträge für mindestens sechs Kalendermonate für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet und auch nicht die Wartezeit des § 1246 RVO erfüllt. Die Zeit des Studiums sei keine anrechnungsfähige Ersatzzeit.
Hingegen seien die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte nach §§ 1 und 7 THG begründet. Denn die stationäre Behandlung der Tbc. in der Zeit vom 3. Juli 1961 bis zum 6. Januar 1962 sei Krankenhauspflege gewesen. Bei der Verlegung in das Sanatorium F handele es sich um eine Fortsetzung der stationären Behandlung bei einer noch klinisch aktiven Lungen-Tbc. Im Arztbericht vom 25. Oktober 1961 werde die Weiterführung des Heilverfahrens begrenzt bis Anfang Februar 1962 für erforderlich gehalten. Daß bis zur Entlassung aus F. am 6. Januar 1962 mit acht Wochen Schonung die intensive ärztliche Behandlung im Vordergrund gestanden habe, ergäben die Ausführungen im Entlassungsbericht vom 10. Januar 1962.
Demnach sei vom medizinischen Standpunkt aus die Weiterbehandlung des Beigeladenen B. notwendig gewesen. Die Beklagte habe daher nicht Krankenhauspflege ablehnen können, ohne ihr Ermessen zu überschreiten.
Da Krankenhauspflege im gleichen Umfange wie Krankengeld zu gewähren sei, und zwar in den durch § 183 Abs. 2 RVO bzw. in § 26 Nr. 5 der Versicherungsbedingungen der Beklagten gezogenen Grenzen, sei die Beklagte dem Kläger ersatzpflichtig. Vom 3. bis 31. Juli 1961 sei auch der Abgeltungsbetrag von täglich 1,- DM zu zahlen. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Sie trägt vor: Im vorliegenden Fall sei die beigeladene LVA zur Kostenübernahme verpflichtet. Dies ergebe sich aus § 1244a RVO und aus § 1 der Vereinbarung zwischen den Trägern der Renten- und Krankenversicherung über die Durchführung von Maßnahmen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit vom 15. September 1958. Es stehe fest, daß es sich bei der Fachschul- und Hochschulausbildung des Beigeladenen B. um eine Ausfallzeit handele. Es könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, daß solche Zeiten zum Nachteil des Versicherten nicht auf die Wartezeit angerechnet würden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen vom 12. Januar 1965 und das Urteil des SG Hannover vom 17. April 1964 aufzuheben und die beigeladene LVA zu verurteilen, die Heilbehandlungskosten zu übernehmen,
hilfsweise,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die beigeladene LVA beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene B. ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Revision ist nicht begründet.
Es bestehen keine Ansprüche gegen die beigeladene LVA. Nach § 1244a RVO haben Versicherte, die an aktiver behandlungsbedürftiger Tbc. erkrankt sind, ... Anspruch auf Maßnahmen nach §§ 1236 bis 1244 RVO wegen dieser Erkrankung gegen den Träger der Rentenversicherung. Versichert im Sinne dieser Vorschrift ist derjenige, für den in den der Feststellung der Behandlungsbedürftigkeit vorausgegangenen 24 Kalendermonaten Beiträge für mindestens sechs Kalendermonate für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit entrichtet sind oder der die Wartezeit nach § 1246 Abs. 3 RVO erfüllt hat. Diese Voraussetzungen sind jedoch nicht gegeben. Nach den Feststellungen des LSG sind in den vorausgegangenen 24 Kalendermonaten keine Beiträge für sechs Monate entrichtet worden. Auch ist die Wartezeit von 60 Kalendermonaten nach § 1246 Abs. 3 RVO nicht erfüllt. Auf die Wartezeit sind nach § 1250 RVO nur anzurechnen die Beitragszeiten sowie die Ersatzzeiten des § 1251 RVO. Die Tatbestände des § 1251 RVO sind bei dem Kläger nicht gegeben. Entgegen der Ansicht der Beklagten sind auf die Wartezeit nicht die Ausfallzeiten des § 1259 RVO anzurechnen, insbesondere also nicht die Zeiten eines Studiums. B. war daher bei der beigeladenen LVA nicht versichert im Sinne des § 1244a RVO und hat keinen Anspruch auf Übernahme der Kosten durch sie.
Auf die Vereinbarung vom 15. September 1958 kann sich die beklagte Krankenkasse nicht beziehen. Wie der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 15. März 1967 (SozR RVO § 1244a Nr. 5) ausgesprochen hat, ist § 1 dieser Vereinbarung seit dem Inkrafttreten des THG nicht mehr anwendbar.
Dagegen sind die Ansprüche gegen die Beklagte begründet. Nach § 27 Abs. 1 THG hat der Landesfürsorgeverband, der Leistungen der Tbc.-Hilfe nach den §§ 1 Abs. 2, 8 Abs. 5 Satz 4 oder Abs. 6 THG anstelle einer anderen zur Gewährung der Hilfe verpflichteten Stelle erbracht hat, die für zuständig erachtete Stelle unverzüglich über die von ihm eingeleiteten Maßnahmen zu unterrichten; die zuständige Stelle hat dem Landesfürsorgeverband die verauslagten Kosten zu erstatten, wobei auf die Erstattungsansprüche gegen die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung die §§ 1531 bis 1543 RVO entsprechende Anwendung finden. Es kommt demnach darauf an, ob der Beigeladene B. einen Anspruch gegen die beklagte Ersatzkasse auf Ersatz der betreffenden Kosten hat.
Für die Ansprüche des B. - als eines nichtversicherungspflichtigen Mitglieds im Sinne des § 7 der Versicherungsbedingungen der Beklagten - sind das Satzungsrecht der Beklagten, d.h. die schon erwähnten Versicherungsbedingungen maßgebend. Sie sehen in § 26 vor, daß den nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern in der gleichen Weise wie den versicherungspflichtigen Krankenhauspflege gewährt werden kann. Wie bei den versicherungspflichtigen Mitgliedern (bei diesen auf der Grundlage des § 184 RVO) ist daher auch bei den nichtversicherungspflichtigen Mitgliedern die Krankenhauspflege Ermessensleistung des Versicherungsträgers; dabei ist allerdings das Ermessen dadurch wesentlich begrenzt, daß eine vom medizinischen Standpunkt aus notwendige Krankenhauspflege grundsätzlich nicht versagt werden darf (vgl. BSG 9, 232, 235; Urteil vom 21. November 1961, SozR SGG § 150 Nr. 35).
Dies räumt auch die Beklagte ein. Sie meint jedoch, der Beigeladene B. habe sich nicht in Krankenhauspflege befunden, sondern nur Kur und Verpflegung in einer Heilstätte oder einem Sanatorium im Sinne des § 22 ihrer Versicherungsbedingungen erhalten. Dem kann nicht gefolgt werden. Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, kommt es für die Frage, ob die Anstalt ein Krankenhaus im Sinne von § 184 RVO, § 26 der Versicherungsbedingungen der Beklagten darstellt, nicht auf die Bezeichnung, sondern darauf an, ob dort Personen, die an einer akuten Krankheit leiden, eine im Vordergrund stehende intensive ärztliche Behandlung und anstaltsmäßige Pflege zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit erfahren. Ob moderne Lungenheilstätten überhaupt noch als Anstalten angesehen werden können, in denen die Patienten "in erster Linie nicht durch ärztliche Behandlung, sondern auf andere Weise der Genesung zugeführt werden" (vgl. RVA Grunds. Entscheidung Nr. 2714 vom 27. Juni 1922, AN 1922, 420, 421), kann in diesem Zusammenhang offenbleiben. Jedenfalls sind Heilstätten wie das Sanatorium F, die auf die Behandlung akuter Tbc.-Leiden eingerichtet sind und diese - wenn auch meist unter Verzicht auf bestimmte Möglichkeiten der großen Lungenchirurgie - durchführen, Krankenhäuser im Sinne des § 184 RVO (vgl. auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 16. Aufl., § 184 Anm. 2b). Demnach hat sich der Beigeladene B. in der streitigen Zeit in Krankenhauspflege befunden.
Nach den von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellungen des LSG war diese Krankenhauspflege auch notwendig. Bei B. lag im Zeitpunkt seiner Einweisung in das Sanatorium F eine noch klinisch aktive Lungen-Tbc. vor, die Krankenhauspflege erforderte.
Demnach ist die Beklagte dem Kläger in dem Umfang ersatzpflichtig, wie es das erstinstanzliche Urteil festgestellt hat.
Die Revision der Beklagten muß daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen