Leitsatz (amtlich)
Hat ein Versicherter für einen nach dem Ausscheiden aus dem Versicherungsverhältnis eingetretenen Versicherungsfall Anspruch auf Kassenleistungen auf Grund einer Weiterversicherung nach RVO § 313 Abs 2, so entfällt die Nachwirkung aus dem früheren Versicherungsverhältnis gemäß RVO § 214. Dies gilt auch dann, wenn der Versicherte aus dem Weiterversicherungsverhältnis keinen Anspruch auf Krankengeld hat, ihm jedoch bei Anwendbarkeit des RVO § 214 ein Anspruch auf Krankengeld zustünde (Ergänzung zu BSG 1961-06-27 3 RK 62/59 = BSGE 14, 278 = SozR Nr 4 zu § 182 RVO und SozR Nr 4 zu § 214 RVO).
Normenkette
RVO § 214 Fassung: 1911-07-19, § 313 Abs. 2 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Auf die Revision der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse F wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 26. Mai 1964 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger war vom 18. September 1962 bis 29. März 1963 bei der Firma K S in F als Zimmerer versicherungspflichtig beschäftigt und als solcher Mitglied der beigeladenen Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) F. Vom 1. bis 18. April 1963 war er arbeitsunfähig krank. Am 18. April 1963 beantragte er bei der Beklagten AOK W die freiwillige Weiterversicherung nach § 313 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Den Antrag des Klägers, ihm für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit Krankengeld zu gewähren, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 4. September 1963). Den Widerspruch des Klägers wies sie zurück: Dem Kläger stände kein Krankengeld zu, weil § 214 RVO als Ausnahmevorschrift nur dann Anwendung finde, wenn die Krankenhilfe nicht anderweitig sichergestellt sei (Bescheid vom 17. Januar 1964).
Durch Urteil vom 26. Mai 1964 hob das Sozialgericht (SG) Würzburg die angefochtenen Bescheide der Beklagten auf und verurteilte die AOK F, dem Kläger das Krankengeld zu gewähren, das ihm auf Grund der mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung vom 1. bis 18. April 1963 nach Gesetz und Satzung zustehe. Es folgte im wesentlichen der Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg vom 13. August 1963 (Breithaupt 1963, 1036). Dies hatte ausgeführt, der Grundsatz, daß § 214 RVO nur dann Anwendung finde, solange nicht ein Anspruch auf Grund der Weiterversicherung nach § 313 RVO entstehen könne, finde dort seine Begrenzung, wo sich der Unterschied zwischen Pflicht- und Weiterversicherung bemerkbar mache. Es wäre ein unbilliges und mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbarendes Ergebnis, wenn man demjenigen, der freiwillig ein Mehr tue - nämlich Beiträge zahle - ein Weniger an Leistungen geben würde als dem, der ohne jede Beitragszahlung Leistungsansprüche erhebe. Der Auffassung des Reichsversicherungsamts (RVA) in AN 1929, 215 könne nicht mehr gefolgt werden. Im übrigen habe sich die Rechtslage gegenüber dieser Entscheidung dadurch geändert, als durch den Erlaß des früheren Reichsarbeitsministers (RAM) vom 15. Dezember 1939 (AN 39, 554) die Krankenkassen (KK) ermächtigt worden seien, für freiwillig Weiterversicherte Ansprüche auf Barleistungen ganz auszuschließen. Die Berufung wurde zugelassen.
Nach der Verkündung des Urteils hat der Kläger zur Niederschrift des SG erklärt, er sei mit einer Sprungrevision einverstanden.
Gegen dieses Urteil hat die AOK F Sprungrevision eingelegt und innerhalb der Revisionsfrist eine beglaubigte Abschrift des genannten Protokolls eingereicht. Sie beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des SG Würzburg vom 26. Mai 1964 die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: § 214 RVO stelle eine Ausnahmeregelung dar und habe den Zweck, einem wegen Erwerbslosigkeit aus der KK ausgeschiedenen Versicherten als Nachwirkung des Versicherungsverhältnisses beitragsfreien Versicherungsschutz zu gewähren, der ihm sonst fehlen würde. Wenn sich nach Beendigung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses an die Pflichtversicherung eine - wenn auch eingeschränkte - Weiterversicherung lückenlos anschließe, so bestehe auch nach dem Ausscheiden Versicherungsschutz, und es fehle daher der Grund für die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 214 Abs. 1 RVO. Der Kläger habe durch den Antrag auf die Weiterversicherung dargetan, daß er die Leistungen aus der Weiterversicherung (Regelleistungen und Mehrleistungen) - wenn auch ohne Anspruch auf Barleistungen - sichergestellt haben möchte. Damit hätte er sich seiner Ansprüche aus § 214 RVO - Ansprüche, die nur auf Regelleistungen beschränkt seien und Mehrleistungen ausschlössen - begeben.
Die Beklagte schließt sich dem Antrag und den Ausführungen der Beigeladenen an.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten. Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Revision der AOK F ist zulässig.
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Frage, ob der Kläger gegen die Beigeladene einen Anspruch auf Krankengeld für die Zeit vom 1. bis 18. April 1963 hat. Es handelt sich mithin um einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen (drei Monaten), bei der die Berufung nach § 144 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen wäre, wenn nicht das SG die Berufung im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen hätte. In einem solchen Fall ist die Sprungrevision zulässig (vgl. BSG 1, 69).
Der Kläger hat sich nach Verkündung des Urteils des SG zu Protokoll über die mündliche Verhandlung mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden erklärt, und dieses Protokoll ist in beglaubigter Abschrift zwar nicht der Revisionsschrift beigefügt worden, aber noch innerhalb der Revisionsfrist eingegangen. Damit ist dem Erfordernis des § 161 Abs. 1 Satz 2 SGG genügt (BSG 12, 230 = SozR SGG § 161 Bl. Da 6 Nr. 14; SozR SGG § 161 Bl. Da 3 Nr. 6).
Die mithin zulässige Revision ist auch begründet.
Gemäß § 214 Abs. 1 RVO verbleibt demjenigen Versicherten, der die dort näher genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, der Anspruch auf die Regelleistungen der Kasse, wenn der Versicherungsfall während der Erwerbslosigkeit und binnen drei Wochen nach dem Ausscheiden eintritt. Daß diese Voraussetzungen bei dem Kläger vorliegen, steht außer Zweifel und ist auch zwischen den Beteiligten unstreitig. Die AOK F meint nur, der Anspruch des Klägers entfalle deswegen, weil er sich nach § 313 RVO freiwillig weiterversichert habe und sich mithin lückenlos ein Versicherungsschutz anschließe. Diese Rechtsansicht ist nicht zu beanstanden.
Nach § 313 Abs. 2 Satz 2 RVO hat der freiwillig Weiterversicherte für eine Erkrankung, die in der zweiten oder dritten Woche nach dem Ausscheiden eintritt, Anspruch auf die Kassenleistungen, wenn er die Anzeige in der ersten Woche gemacht hat. Wäre also der Kläger erst in dieser Zeit erkrankt, dann hätte er für diese Erkrankung noch keine Leistungen nach § 313 RVO zu beanspruchen; es stünden ihm vielmehr Leistungen nach § 214 RVO zu (vgl. RVA GE Nr. 2223, AN 1916, 576). Der Kläger ist aber bereits in der ersten Woche nach dem Ausscheiden arbeitsunfähig geworden. Die Ausnahmebestimmung des § 313 Abs. 2 Satz 2 RVO über die Leistungsversagung findet aus diesem Grunde keine Anwendung. Das bedeutet, daß die AOK Würzburg Krankenhilfeleistungen für den am 1. April 1963 eingetretenen Versicherungsfall der Arbeitsunfähigkeit zu gewähren hatte.
Der Umfang dieser Leistungen richtet sich nach der Satzung, die für solche Fälle nur eine Versicherung ohne Anspruch auf Krankengeld vorsieht (Abschn. IV § 28 Abs. 6 der Satzung der Beklagten). Diese Beschränkung ist auch zulässig. Das Bundessozialgericht (BSG) hat entschieden, daß der Erlaß des RAM vom 15. Dezember 1939 (AN S. 554) rechtsverbindlich ist und die KKen - infolge inhaltlicher Änderung des § 215 Abs. 2 und 3 RVO - ermächtigt sind, in der Satzung die Gewährung von Krankengeld und Hausgeld - bei entsprechender Ermäßigung der Beiträge - für Weiterversicherte auszuschließen, wie es § 215 Abs. 2 RVO für die freiwillig der Versicherung Beigetretenen vorsieht (BSG 12, 157 = SozR RVO § 215 Bl. Aa 1 Nr. 1). Das hat zur Folge, daß der Kläger mit Rücksicht auf die Satzung der AOK W aus der Weiterversicherung keinen Anspruch auf Krankengeld hatte.
Entgegen der Auffassung des SG kann hieraus jedoch nicht gefolgt werden, daß in einem solchen Falle ein Anspruch auf Krankengeld als Nachwirkung des früheren Versicherungsverhältnisses nach § 214 Abs. 1 Satz 1 RVO besteht. Schon das RVA (GE Nr. 3435, AN 1929, 215 = EuM Bd. 24, 353 Nr. 141) hat die Auffassung vertreten, § 313 Abs. 2 Satz 2 RVO enthalte eine Einschränkung dahingehend, daß § 214 RVO nur anwendbar sei, solange ein Anspruch auf Grund der Weiterversicherung nicht entstehen könne (so auch RVA GE Nr. 4993 in AN 1936, 233).
Nun darf zwar nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Entscheidungen des RVA zu einer Zeit ergangen sind, als der genannte Erlaß des RAM vom 15. Dezember 1939 (aaO) noch nicht galt. Damals bestand also auch für die Weiterversicherten grundsätzlich ein Anspruch auf Krankengeld, wenn auch möglicherweise in einer niedrigeren Lohnstufe. Nach dem jetzt geltenden Recht i.V.m. der Satzung der AOK besteht allerdings überhaupt kein Anspruch auf Krankengeld.
Diese weitergehende Beschränkung der Ansprüche des Weiterversicherten kann jedoch nicht dazu führen, die vom RVA zutreffend hervorgehobene Subsidiarität des § 214 Abs. 1 RVO gegenüber § 313 Abs. 2 RVO in einem solchen Falle preiszugeben. Seinem Grundgedanken nach, eine Lücke im Versicherungsschutz zu schließen, kann § 214 Abs. 1 RVO keine Anwendung finden, wenn der aus dem Beschäftigungsverhältnis Ausgeschiedene anderweitig den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung genießt, selbst wenn diese Sicherung nicht voll dem früheren Versicherungsschutz entspricht. Zutreffend hat bereits das RVA darauf hingewiesen, daß § 214 RVO eine Ausnahmevorschrift ist, die die Kassen zu Leistungen ohne Gegenleistungen verpflichtet, und ihrer Natur nach nur Platz greift, wenn die Krankenhilfe nicht anderweitig sichergestellt ist (GE Nr. 3435 aaO und GE Nr. 4993 aaO). Mit Recht hat das RVA (GE Nr. 5554 AN 1944, 83) in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß dann, wenn sich lückenlos eine andere Krankenversicherung anschließe, der besondere Grund für das Eingreifen der Schutzvorschrift des § 214 RVO fehle. Dies erhelle deutlich aus Abs. 3 der Vorschrift, wonach der Rechtsanspruch auf die Regelleistungen gem. Abs. 1 aaO wegfalle, sobald der Erwerbslose auf Grund des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) versichert sei. Dieser Absatz enthalte einen allgemeinen Grundgedanken, der entsprechend in den übrigen in Betracht kommenden Fällen zu beachten sei.
Diese Gedankengänge hat sich der erkennende Senat voll zu eigen gemacht (BSG 14, 278, 279; Urt. v. 25. Mai 1966 - 3 RK 25/62 - in SozR RVO § 214 Nr. 4). Zwar behandelten diese Entscheidungen das Zusammentreffen der Nachwirkung nach § 214 RVO mit einer unmittelbar an das bisherige Versicherungsverhältnis anschließenden Mitgliedschaft als Rentenbezieher. In dem hier entscheidenden Punkt, daß das neue Versicherungsverhältnis keinen Anspruch auf Krankengeld gibt, gleichen sich jedoch die schon entschiedenen Fälle mit dem vorliegenden. Was daher für das Verhältnis der Rentnerkrankenversicherung zu § 214 RVO gilt, muß auch im Falle der Weiterversicherung Anwendung finden.
Insbesondere kann demnach hier wie dort nicht der Gesichtspunkt durchgreifen, daß derjenige, der auf Grund neuer oder fortgeführter Mitgliedschaft den Schutz der KrV genießt, nicht schlechter stehen dürfe als derjenige, der nach dem Ausscheiden aus dem früheren Versicherungsverhältnis unversichert geblieben ist. Abgesehen davon, daß - wie dargelegt - Zweck des § 214 RVO nicht Wahrung des Besitzstands, sondern subsidiäre Bereitstellung des Schutzes der KrV ist, werden bei dieser Gegenüberstellung zwei Rechtspositionen miteinander verglichen, die durchaus verschiedenartig sind. Hat der unversichert gebliebene "Erwerbslose" regelmäßig aus dem früheren Versicherungsverhältnis einen Anspruch auf Krankengeld, so kann der Versicherte im Rahmen des neuen oder fortgeführten Versicherungsverhältnisses jedoch Ansprüche auf Mehrleistungen erwerben, die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht gegeben sind (vgl. BSG, SozR RVO § 214 Nr. 4, Bl. Aa 3 R. und früher schon RVA, GE Nr. 4993; AN 1936, 233, 234).
Demnach mußte auf die Sprungrevision der AOK F das Urteil des SG, das Krankengeld zugebilligt hatte, aufgehoben und die Klage abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen