Entscheidungsstichwort (Thema)

Soldaten auf Zeit. objektiver Maßstab

 

Leitsatz (amtlich)

BVG § 45 Abs 3 S 3 ist auf den Wehrdienst eines Soldaten auf Zeit, den dieser auf Grund freiwilliger Verpflichtung für eine Dienstzeit von mehr als 3 Jahren geleistet hat, nicht anwendbar.

Von der Waise nicht zu vertretende Gründe für eine Verzögerung der Ausbildung (BVG § 45 Abs 3 S 4) sind Umstände, die zwingend von außen in das Leben der Waise eingreifen, deren Eintritt der Jugendliche also in der Regel nicht beeinflussen kann.

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat die Waise in der Zeit zwischen Schulabgang und Wehrdienst schon eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen, dann steht dies der Berücksichtigung einer späteren, hiermit nicht zusammenhängenden akademischen Ausbildung als Grundlage für eine nach BVG § 45 Abs 3 S 1 Buchst a über das 18. Lebensjahres hinaus bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres verlängerte Waisenrente nicht entgegen (vergleiche BSG 1965-07-07 12 RJ 180/62 = BSGE 23, 166 und 1967-03-21 9 RV 1048/64 = BSGE 26, 186 und 1967-06-27 9 RV 878/65 = BSGE 27, 16.

Auf Soldaten auf Zeit, die sich für eine Dienstzeit von mehr als 3 Jahren - also mehr als das Doppelte des Grundwehrdienstes (nach dem seit März 1962 geltenden Wehrpflichtgesetz - verpflichtet haben, ist BVG § 45 Abs 3 nicht anwendbar.

Einer Waise, die als Soldat auf Zeit freiwillig gedient hat, ist die Rente für die Dauer von 18 Monaten über das 27. Lebensjahr hinaus nur zu gewähren, wenn die freiwillige Dienstzeit 3 Jahre nicht überschritten hat.

Da es in BVG § 45 Abs 3 S 4 nicht um ein Verschuldensproblem geht, kommt nur ein objektiver Maßstab zur Beurteilung des "Einstehenmüssen" für die Verzögerung in Betracht.

 

Normenkette

BVG § 45 Abs. 3 S. 3 Fassung: 1966-12-28, S. 4 Fassung: 1966-12-28, S. 1 Buchst. a Fassung: 1966-12-28

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. April 1971 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der im Juli 1941 geborene Kläger, dessen Vater im Kriege vermißt und später für tot erklärt wurde, erhielt Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diese Rente wurde mit Ablauf Juli 1959 eingestellt, weil der Kläger das 18. Lebensjahr vollendet und eine 1955 nach Abgang von der Oberschule begonnene kaufmännische Lehre damals schon abgeschlossen hatte. Von Juli 1959 bis Juni 1963 leistete der Kläger seinen Wehrdienst, den er durch freiwillige Verpflichtung auf vier Jahre ausdehnte. Schon während des Wehrdienstes bereitete er sich in Volkshochschulkursen auf die mittlere Reife vor, anschließend besuchte er ein Abendgymnasium bis zur Reifeprüfung im Februar 1967. Nachdem der Kläger sodann im April 1967 an der Universität F das Studium der Philosophie und Psychologie begonnen hatte, wurde ihm die Waisenrente wieder gewährt; sie wurde wegen Vollendung des 27. Lebensjahres zum 1. August 1968 erneut eingestellt. Der Kläger beantragte die Weitergewährung der Rente über das 27. Lebensjahr hinaus, weil er sein Studium noch nicht beendet habe; um das erstrebte Berufsziel (Psychotherapeut) zu erreichen, habe er vorerst ein 12-semestriges Medizinstudium aufgenommen und müsse danach weiter Psychologie studieren. Der Antrag wurde durch Bescheid vom 18. Juli 1968 abgelehnt. Der Widerspruch, den der Kläger mit seiner Benachteiligung als Absolvent des zweiten Bildungsweges begründete, wurde durch Bescheid vom 4. März 1969 zurückgewiesen:

Nach § 45 Abs. 3 Satz 4 BVG werde Waisenrente nach vollendetem 27. Lebensjahr als Rechtsanspruch nur bei Verzögerung der Ausbildung aus einem von der Waise nicht zu vertretenden Grunde weitergewährt; eine solche Verzögerung sei bei der Ausbildung des Klägers nicht erkennbar; da der Kläger vier Jahre Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr gewesen sei, träfen die Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG auf ihn nicht zu. Rentengewährung im Wege des Härteausgleichs nach § 89 BVG komme nicht in Betracht, da ein begründeter Ausnahmefall beim Kläger nicht vorliege.

Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Berlin durch Urteil vom 6. Februar 1970 den Beklagten unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Hinterbliebenenversorgung nach Maßgabe des BVG über den 31. Juli 1968 hinaus weiter zu zahlen: Da der Kläger von Juli 1959 bis Juni 1963 als Soldat auf Zeit freiwillig Wehrdienst geleistet habe, der auf den Grundwehrdienst anzurechnen war, habe sich die für das beabsichtigte Studium erforderliche Schulausbildung um diese Zeit verzögert. Diese Verzögerung führe nach § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG zwingend zur Weiterzahlung der bis zum vollendeten 27. Lebensjahr bewilligten Waisenrente für die Dauer bis zu drei Jahren, sofern das Studium solange fortdauere, und zwar ohne Rücksicht auf den Ausbildungsweg - insbesondere einen Wechsel der Ausbildung - sowie auf eine längere freiwillige Dienstverpflichtung. Davon abgesehen habe der Kläger auch den für den späten Studienbeginn verantwortlichen Wechsel der Ausbildung nicht zu vertreten; beim Schulabgang 1955 und Beginn der kaufmännischen Lehre sei der Kläger nämlich noch nicht geschäftsfähig gewesen; das 21. Lebensjahr habe er erst 1962 vollendet, als er bereits den freiwilligen Wehrdienst leistete, der unstreitig eine Verpflichtung auf mindestens vier Jahre erforderte; anschließend habe er zielstrebig die Voraussetzungen für das Studium geschaffen und dieses nach Ablegung der Reifeprüfung unverzüglich begonnen; die Verzögerung des Studiums infolge der kaufmännischen Lehre wie auch durch das vierte Jahr der Wehrdienstverpflichtung habe somit auf dem Kläger nicht zuzurechnenden Gründen beruht, deshalb folge sein Rechtsanspruch auch aus § 45 Abs. 3 Satz 4 BVG. Dem Kläger stehe hiernach Waisenrente auch für die zur Beendigung des Studiums erfolgereiche Studienzeit nach dem 31. Juli 1968 zu. - In der Rechtsmittelbelehrung ist die Berufung als unzulässig nach § 148 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bezeichnet worden.

Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin durch Urteil vom 8. April 1971 die Klage abgewiesen: Die Berufung sei nicht nach § 148 Nr. 2 SGG ausgeschlossen, denn sie betreffe nicht das Ende der Versorgung, sondern die Frage, ob dem Kläger die Waisenrente nach Vollendung des 27. Lebensjahres überhaupt weiter zu gewähren sei (BSG 3, 217, 222; 7, 46, 48). Die strikten Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 BVG für die Weitergewährung der Waisenrente seien nicht gegeben, da die Berufsausbildung des Klägers nicht durch die Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht, sondern dadurch verzögert worden sei, daß er auf Grund freiwilliger Verpflichtung als Soldat auf Zeit mehr als drei Jahre gedient habe. Die Behauptung des Klägers, eine Dienstzeit von nicht mehr als drei Jahren gebe es für Soldaten auf Zeit nicht, treffe nicht zu. Davon abgesehen komme eine Verzögerung der Ausbildung durch Wehrdienst auch gar nicht in Betracht, wenn man den bisherigen Lebensweg des Klägers berücksichtige; insoweit sei bedeutsam, daß der Kläger bereits über eine abgeschlossene Kaufmannslehre verfügte, als er die vierjährige Verpflichtung bei der Bundeswehr einging; mit dieser Verpflichtung habe er offenbar sich von seiner bisherigen Berufsausbildung lösen und ein neues, völlig eigenständiges Berufsbild entstehen lassen wollen, wofür auch die Vorbereitung auf das Abitur, dessen Ablegung und die Aufnahme des Studiums sprächen. Da schließlich für den vorliegenden Fall die Sätze 2 und 3 des § 45 Abs. 3 als lex specialis Vorrang hätten, könne der Kläger aus Satz 4 dieser Vorschrift keine Rechte herleiten. Im übrigen hänge die "Vertretbarkeit" nicht mit der Geschäftsfähigkeit des Klägers zusammen; vom Kläger nicht zu vertretende Verzögerungsgründe der im BMA-Rundschreiben vom 22. September 1961 (BVBl 1961, 140 Nr. 80) genannten Art seien aber nicht ersichtlich. Bezüglich der Rentenfortzahlung im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 BVG könne dem Beklagten eine Ermessensverletzung - auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des zweiten Bildungsweges (BMA Rundschreiben vom 10. März 1971, BVBl 1971, 31 Nr. 36) - nicht vorgeworfen werden. - Das LSG hat die Revision zugelassen.

Gegen das am 22. Juni 1971 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. Juli 1971 Revision eingelegt und sie innerhalb der verlängerten Frist folgendermaßen begründet: Die in § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG vorgeschriebene entsprechende Geltung des Satzes 2 bedeute, daß auch eine freiwillige Dienstverpflichtung nicht von vornherein - wie das LSG angenommen habe - eine Verzögerung der Ausbildung ausschließe. Das LSG habe den Begriff "Dienstzeit von nicht mehr als drei Jahren" mißdeutet. Bei sinnvoller Gesetzesanwendung sei dieser Begriff dahin zu verstehen, daß denjenigen Soldaten auf Zeit, welche die kürzeste regelmäßige Dienstzeitverpflichtung eingegangen seien, die Waisenrente weiter zu zahlen sei. Die kürzeste freiwillige Dienstzeit habe jedoch 1959 vier Jahre betragen, eine Verpflichtung auf nur drei Jahre habe es damals nicht gegeben. Die Formulierung "Dienstzeit von nicht mehr als drei Jahren" sei daher als ein Redaktionsversehen aufzufassen und sinngemäß so zu deuten, daß die Dienstzeit gemeint sei, zu der sich der Freiwillige in der Regel mindestens - vier Jahre - verpflichten müsse; dies sei erforderlich, damit es objektiv ermöglicht werde, daß Soldaten auf Zeit überhaupt in den Genuß der gesetzlichen Regelung gelangen können. Da es 1959 ausnahmslos nur eine vierjährige Dienstzeit gegeben und der Kläger sich dementsprechend verpflichtet habe, erfülle er die Voraussetzung des § 45 Abs. 3 Satz 2 und 3 BVG.

Hilfsweise rügt die Revision außerdem Verletzungen des § 45 Abs. 3 Satz 4 und des § 89 BVG, ohne hierzu näheres auszuführen.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Berlin vom 6. Februar 1970 zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).

II

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Wie das LSG in Einklang mit der von ihm zitierten Rechtsprechung (vgl. außerdem BSG 30, 90) zutreffend angenommen hat, betraf die Berufung des Beklagten nicht lediglich das "Ende der Versorgung" im Sinne des § 148 Nr. 2 SGG, sondern die Frage, ob dem Kläger nach Vollendung des 27. Lebensjahres ein Waisenrentenanspruch überhaupt - dem Grund nach - zugestanden hat; die Berufung war daher zulässig.

Der Umstand, daß der Kläger in der Zeit zwischen Schulabgang und Wehrdienst schon eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen hatte, stand der Berücksichtigung einer späteren, hiermit nicht zusammenhängenden akademischen Ausbildung als Grundlage für eine gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 Buchst. a BVG über das 18. Lebensjahr hinaus bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres verlängerte Waisenrente nicht entgegen (vgl. BSG 23, 166; 26, 186, 188; 27, 16, 18; SozR Nr. 40 und 47 zu § 1267 RVO; VV Nr. 11 Satz 2 zu § 33 b BVG; siehe auch zum Steuerrecht BFH Betrieb 1970, 1059; 1971, 1189). Der Beklagte hat mithin zu Recht dem Kläger von April 1967 an die Waisenrente wieder gewährt. Streitig ist, ob der Kläger die Rentenzahlung nur bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres (Juli 1968) oder darüber hinaus beanspruchen kann. Die hierfür maßgebenden Vorschriften, die inhaltlich denen für Erziehungsbeihilfe (§ 27 Abs. 3 BVG) und Kinderzuschlag (§ 33 b Abs. 4 BVG) entsprechen, finden sich in § 45 Abs. 3 Satz 2 bis 4 BVG i. d. F. des 3. NOG vom 28. Dezember 1966; die aus Art. I Nr. 18 des Vierten Anpassungsgesetzes KOV (4. AnpGKOV) vom 24. Juli 1972 (BGBl I, 1284) ab 1. Januar 1973 sich ergebende neue Satzbezeichnung bleibt hier außer Betracht.

§ 45 Abs. 3 Satz 2 BVG scheidet für den Kläger ohne weiteres aus, da dieser nicht lediglich seine Wehr- oder Ersatzdienstpflicht erfüllt, sondern aufgrund freiwilliger Verpflichtung als Soldat auf Zeit länger gedient hat. Für diesen Personenkreis fehlte es im Versorgungsrecht - wie in den entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften bis heute (§§ 583 Abs. 3, 595, 1267 RVO, § 44 AVG) - bis Ende 1966 an einer den besonderen Verhältnissen Rechnung tragenden Vorschrift. Eine derartige Sonderregelung brachte das 3. NOG mit der Einfügung des Satzes 3, wonach Satz 2 entsprechend gilt für den auf den Grundwehrdienst anzurechnenden Wehrdienst, den ein Soldat auf Zeit aufgrund freiwilliger Verpflichtung für eine Dienstzeit von nicht mehr als 3 Jahren geleistet hat sowie für einen diesem freiwilligen Wehrdienst entsprechenden Vollzugsdienst der Polizei bei Verpflichtung auf nicht mehr als 3 Jahre. Der Kläger, der sich auf die erste dieser Alternativen beruft, vertritt - übereinstimmend mit dem SG Urteil - die Ansicht, eine freiwillige Verpflichtung für eine Dienstzeit von nicht mehr als 3 Jahren habe es im Juli 1959, als er seinen Bundeswehrdienst begann, noch gar nicht gegeben, vielmehr habe damals die kürzeste freiwillige Dienstzeit 4 Jahre betragen. Diese Behauptung trifft jedoch nicht zu, vielmehr hat es stets Dienstverpflichtungen für weniger als 4 Jahre gegeben (vgl. auch BVerwG 32, 338, 345, 346). § 40 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 (BGBl I 114) schrieb für Soldaten auf Zeit nur Höchstdienstzeiten vor; das 3. Änderungsgesetz vom 28. März 1960 (BGBl I 206) führte für Offiziersbewerber eine Mindestdienstzeit von 3 Jahren ein (§ 40 Abs. 1 Satz 3). Für andere Bewerber, soweit sie - wie der Kläger - nach dem 30. Juni 1937 geboren waren, bestand aufgrund des Ministerialerlasses vom 8. September 1958 (MinBl BMV 1958, 558) die Möglichkeit, einen verlängerten Grundwehrdienst von 18 Monaten als Soldat auf Zeit abzuleisten (I 2 a); ältere Bewerber konnten sich damals (regelmäßig) auf 4 Jahre, (ausnahmsweise) auch auf 3 Jahre verpflichten (I 3 a). Nach dem Ministerialerlaß vom 2. Oktober 1959 (MinBl BMV 1959, 706) wurden für die Laufbahnen der Unteroffiziere und Mannschaften auch Bewerber zugelassen, die sich für die Dauer von 2 Jahren als Soldaten auf Zeit verpflichten wollten. Dieser Regelung folgte dann der Ministerialerlaß vom 19. März 1960 (MinBl BMV 1960, 197), der nunmehr für nach dem Juni 1937 Geborene den auf 18 Monate verlängerten Grundwehrdienst (I 2 a) und "im übrigen" (I 3 a) als Mindestdienstzeitverpflichtung 2 bzw. 3 Jahre, als anzustrebenden "Regelfall" 4 Jahre vorsah. Die Ministerialerlasse von 1963 und 1967, die erst nach dem Ausscheiden des Klägers aus der Bundeswehr ergingen, können außer Betracht bleiben. - Hiernach kann jedenfalls bei dem 1941 geborenen Kläger nicht die Rede davon sein, daß ihm während seiner Wehrdienstzeit keine andere Wahl geblieben sei, als sich für mindestens 4 Jahre zur Dienstleistung bei der Bundeswehr zu verpflichten. Damit ist einmal dem von der Revision vorgetragenen Argument, § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG beruhe auf einem Redaktionsversehen, die Grundlage entzogen. Zugleich spricht dies auch gegen die vom SG vertretene - mit dem damals nicht ganz eindeutigen Gesetzeswortlaut allenfalls noch zu vereinbarende - Auslegung des § 45 Abs. 3 Satz 3, wonach bei Soldaten auf Zeit Verzögerungen der Ausbildung für einen Zeitraum bis zu 3 Jahren zu berücksichtigen wären. Ist nämlich davon auszugehen, daß es sehr wohl Dienstzeitverpflichtungen für nur 3 Jahre (und noch kürzere Zeit) gegeben hat und gibt, so erweist sich die im Gesetz gebrauchte Formulierung "von nicht mehr als 3 Jahren" als eine Anspruchsvoraussetzung schlechthin und nicht lediglich als eine zeitliche Höchstbegrenzung für das Ausmaß der zu berücksichtigenden Verzögerung. Die "entsprechende" Geltung des Satzes 2 "für den auf den Grundwehrdienst anzurechnenden Wehrdienst" eines Soldaten auf Zeit bedeutet also, daß dieser Wehrdienst als Verzögerungstatbestand nur anerkannt wird, soweit er auf den Grundwehrdienst - Dauer zunächst 12 Monate (Gesetz vom 24.12.1956, BGBl I 1017, Wehrpflichtgesetz Neufassung vom 14.1.1961, BGBl I S. 30), dann 18 Monate (2. Änderungsgesetz vom 22.3.1960 BGBl 1 169) - anzurechnen ist. Ebenso wird der den Grundwehrdienst übersteigende Wehrdienst von Soldaten auf Zeit übrigens bei Vorschriften behandelt, die eine Sonderregelung wie § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG nicht enthalten und deshalb eine "entsprechende" Gesetzesanwendung auf den freiwilligen Wehrdienst im Wege der Rechtsprechung erfordern (vgl. LSG Hamburg, Breithaupt 1971, 574; Hessisches LSG, ZfS 1972, 154; SG Hamburg SGb 1969, 68; OVG Rheinland-Pfalz FEVS 13, 139).

Auf Soldaten auf Zeit, die sich für eine Dienstzeit von mehr als 3 Jahren - also mehr als das doppelte des Grundwehrdienstes (nach dem seit März 1962 geltenden Wehrpflichtgesetz) - verpflichtet haben, ist hiernach § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG nicht anwendbar. Dies erscheint dadurch gerechtfertigt, daß mit zunehmender Länge der Dienstverpflichtung das Element der Freiwilligkeit gegenüber der Erfüllung einer allgemeinen Staatsbürgerpflicht in den Vordergrund rückt und andererseits auch die materiellen Vorteile, die einem Soldaten auf Zeit geboten werden (Aus- und Weiterbildung, Übergangsgebührnisse, Übergangsbeihilfe, vgl. §§ 4 5, 11, 12 Soldatenversorgungsgesetz vom 26. Juli 1957 BGBl I 785 und Neufassung vom 8. September 1961 BGBl I 1686) erheblich mehr ins Gewicht fallen, so daß die Weitergewährung von Waisenrente nicht mehr so zwingend geboten ist wie bei den Wehrpflichtigen, deren Ausbildung ohne ihr Zutun allein durch die Ableistung des Grundwehrdienstes verzögert wurde.

Die hier vertretene Auffassung wird bestätigt durch die - vom LSG noch nicht berücksichtigte - Neufassung des § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG in Art. I Nr. 16 des 1. AnpGKOV vom 26. Januar 1970 (BGBl I 121). Darin ist dem Wehrdienst der Soldaten auf Zeit und dem Polizeivollzugsdienst als 3. Verzögerungstatbestand die Tätigkeit als Entwicklungshelfer hinzugefügt worden, und der ganze Satz schließt jetzt mit den Worten "für einen der Dauer des Grundwehrdienstes entsprechenden Zeitraum". Diese Worte beziehen sich nicht etwa nur auf die Entwicklungshelfer, sondern auf alle drei in § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG genannten Arten von freiwilliger Dienstleistung, die nach den Vorstellungen des Gesetzgebers gleich zu behandeln sind (BT-Drucks. VI/77 Begründung zu Nr. 3; BR-Drucks. 609/69 Begründung B zu Art. I Nr. 3). Hiernach ist nunmehr zweifelsfrei klargestellt, daß einer Waise, die als Soldat auf Zeit freiwillig gedient hat, die Rente für die Dauer von 18. Monaten über das 27. Lebensjahr hinaus zu gewähren ist, aber nur, wenn die freiwillige Dienstzeit 3 Jahre nicht überschritten hat.

Da der Kläger 4 Jahre lang Wehrdienst als Soldat auf Zeit geleistet hat, ist somit § 45 Abs. 3 Satz 3 BVG auf ihn nicht anwendbar. Dahingestellt kann bleiben, ob auch das Erfordernis der Kausalität zwischen Wehrdienst und Ausbildungsverzögerung (vgl. SozR Nr. 40 zu § 1267 RVO) hier deshalb nicht erfüllt ist, weil der Kläger - selbst wenn er keinen Wehr- oder Ersatzdienst geleistet hätte - mit dem von ihm erwählten Studium keinesfalls bis Juli 1968 fertig geworden wäre (vgl. SozR Nr. 47 zu § 1267 RVO). Ebenso bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Ansicht, von einer wehrdienstbedingten Verzögerung des Studiums könne nur die Rede sein, wenn schon vor Heranziehung zum Wehrdienst der Entschluß zum Studieren bestanden habe (vgl. van Nuis-Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen V/91, Anm. 5 a zu § 45 BVG).

Zu § 45 Abs. 3 Satz 4 BVG rügt die Revision zwar eine Gesetzesverletzung, ohne jedoch näher anzugeben, inwiefern das LSG diese Vorschrift unrichtig angewandt haben könnte. Als die Ausbildung verzögernde Umstände kämen beim Kläger insoweit der vorzeitige Schulabgang und die Absolvierung der kaufmännischen Lehre in Frage, die dem Kläger 4 Jahre Zeitverlust einbrachten. Dem LSG ist darin beizupflichten, daß es für die Frage, ob sich die Ausbildung aus einem von der Waise nicht zu vertretenden Grunde verzögert hat, nicht auf die Geschäftsfähigkeit der Waise ankommt. Da es hier nicht um ein Verschuldensproblem geht, kommt nur ein objektiver Maßstab zur Beurteilung des "Einstehenmüssens" für die Verzögerung in Betracht. Ob ein geeigneter Maßstab aus dem zum Härteausgleich ergangenen BMA-Rundschreiben vom 22. September 1961 (BVBl 1961, 140 Nr. 80) und den darin angeführten Beispielen zu gewinnen ist, kann unerörtert bleiben. Überzeugend hat nach Meinung des Senats der BFH für eine gleichartige steuerrechtliche Vorschrift den Grundsatz aufgestellt, nicht zu vertreten seien Umstände, die zwingend von außen in das Leben des Jugendlichen eingreifen, deren Eintritt der Jugendliche also in der Regel nicht beeinflussen könne (BFH Betrieb 1971, 2096). Neben Erkrankungen kämen hierbei z. B. auch Finanzierungsschwierigkeiten in Betracht (vgl. BFH aaO; anders SozR Nr. 40 zu § 1267 RVO, da diese Vorschrift eine dem § 45 Abs. 3 Satz 4 BVG entsprechende Regelung nicht enthält); auch dürften wohl, da § 45 Abs 3 Satz 4 BVG allein auf von der Waise zu vertretende Umstände abhebt, Fehlentscheidungen der Erziehungsberechtigten (vgl. BFH aaO; BAG JVBl 1965, 157) in Fällen der vorliegenden Art nicht zum Nachteil der Waise berücksichtigt werden. Selbst wenn aber der Anwendungsbereich des § 45 Abs. 3 Satz 4 BVG so weit gezogen wird, ergeben sich nach dem Akteninhalt keine Anhaltspunkte dafür, daß die Ausbildung des Klägers durch solche von außen in seinen Entwicklungsgang eingreifende Faktoren ungünstig beeinflußt worden sein könnte. Auch zur Rentengewährung im Wege des Härteausgleichs (§ 89 BVG) enthält die Revisionsbegründung nur die nicht näher begründete allgemeine Rüge einer Gesetzesverletzung. Das LSG hat insoweit auf das BMA-Rundschreiben vom 10. März 1971 (BVBl 1971, 31 Nr. 36) Bezug genommen, worin auch die Belange derjenigen berücksichtigt sind, die ein Hochschulstudium im sogenannten zweiten Bildungsweg anstreben; gegen die Auffassung des LSG, die angefochtenen Bescheide stünden mit diesen allgemeinen Richtlinien im Einklang, hat die Revision keine begründeten Einwände erhoben; sie hat auch nicht dargetan, inwiefern etwa aus besonderen, im BMA-Rundschreiben nicht angeführten Gründen - z. B. außergewöhnliche Befähigung des Klägers zum Beruf des Psychotherapeuten - eine Leistungsgewährung im Wege des Härteausgleichs geboten erscheinen könnte.

Die Revision ist somit nicht begründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 55

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