Leitsatz (amtlich)

DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 9 Abs 3 gilt auch, wenn - an Stelle wiederkehrender Bezüge - eine Kapitalentschädigung ohne den Willen des Berechtigten gewährt wird.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 3 u 4 DV § 9 Abs. 3 Fassung: 1968-02-28

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Dezember 1971 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Kläger erhält wegen Schädigungsfolgen die Grundrente von 70 v. H. gemäß § 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ausgleichsrente wird seit 1957 wegen der Höhe des anzurechnenden Einkommens nicht mehr gezahlt. Beim Berufsschadensausgleich, den der Kläger seit 1964 bezog, wurde als derzeitiges Bruttoeinkommen (§ 30 Abs. 4 Satz 1 BVG und § 9 DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG) neben der Rente aus der Arbeiterrentenversicherung ein Ruhegeld von monatlich 7,60 DM berücksichtigt, das der Kläger von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) erhielt. Für dieses Ruhegeld wurde der Kläger von der VBL gemäß § 59 Abs. 1 ihrer Satzung durch Bescheid vom 17. Januar 1968 mit Wirkung ab 1. Januar 1967 abgefunden; die Abfindungssumme, die sich auf den elffachen Jahresbetrag (1.003,20 DM) belief, wurde unter Abzug des bis März 1968 gezahlten Ruhegeldes in Höhe des verbleibenden Restes (889,20 DM) Ende Januar 1970 an den Kläger ausgezahlt.

Im Neufeststellungsbescheid vom 2. Mai 1968 erklärte das Versorgungsamt, die abgefundene "Zusatzrente" werde für die Dauer des Abfindungszeitraumes - bis 31. Dezember 1977 - weiterhin angerechnet. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Bescheid vom 19. September 1968 zurückgewiesen. In den hernach erteilten Bescheiden vom 28. Januar, 18. August, 15. September und 17. Dezember 1969 wurde die Zusatzrente von 7,60 DM ebenfalls als Teil des monatlichen Bruttoeinkommens berücksichtigt.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Landshut durch Urteil vom 17. Dezember 1970 unter Änderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verpflichtet, der Feststellung der einkommensabhängigen Versorgungsleistungen den von der VBL gewährten Abfindungsbetrag (nur) im Januar 1970 zugrunde zu legen, (im übrigen) ab 1. April 1968 diese Leistungen ohne Anrechnung der VBL-Zusatzrente zu gewähren: § 9 Abs. 3 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG sei nur bei solchen Kapitalentschädigungen anzuwenden, die der Berechtigte gewünscht habe, nicht dagegen im Fall einer Zwangsabfindung. Eine solche Kapitalabfindung, die selbständigen Charakter habe, sei in sinngemäßer Anwendung des § 60 a Abs. 6 BVG nur im Monat der Zahlung als derzeitiges Bruttoeinkommen bei der Feststellung des Berufsschadensausgleichs zu berücksichtigen; für die übrige Zeit ab Einstellung der laufenden Zahlung müsse der der Abfindung zugrundeliegende Zusatzrentenbetrag unberücksichtigt bleiben.

Auf die zugelassene Berufung des Beklagten hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 16. Dezember 1971 (AmtsBl Bayer. AM 1972 B 13 = Breithaupt 1972, 503) die Klage abgewiesen.

Mit seiner vom LSG zugelassenen, form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Revision beantragt der Kläger

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut zurückzuweisen.

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 9 Abs. 3 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG; zur Begründung nimmt er auf das seiner Ansicht nach zutreffende Urteil des SG Bezug.

Der Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Er pflichtet der vom LSG vertretenen Auffassung bei.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden.

II

Die zulässige Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Zutreffend sind die Vorinstanzen und die Beteiligten davon ausgegangen, daß das Ruhegeld, das dem Kläger bis zum 31. März 1968 von der VBL monatlich in Höhe von 7,60 DM gezahlt wurde, als "derzeitiges Bruttoeinkommen aus früherer Tätigkeit" gemäß § 30 Abs. 4 Satz 1 BVG bei der Ermittlung des für den Berufsschadensausgleich maßgebenden Einkommensverlustes zu berücksichtigen war; bei diesem Ruhegeld handelte es sich um - privatrechtlich geregelte - "Bezüge aus früheren Dienstleistungen" im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 1 DVO 1964 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (über das Wesen derartiger Geldleistungen und ihre Abgrenzung gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung vgl. BSG 21, 5; Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des öffentlichen Dienstes, Einleitung A 10 f.).

Diese Rechtslage änderte sich mit Wirkung vom 1. Januar 1967 in zweifacher Hinsicht: Aufgrund von §§ 106 Abs. 1, 93 Abs. 2 und 10, 59 Abs. 1 Satz 1 sowie Abs. 2 der VBL-Satzung vom 22. Juli 1966 (BAnz. Nr. 239 vom 22. Dezember 1966) wurde das bisherige Ruhegeld des Klägers in eine "Versicherungsrente" umgewandelt, welche, da sie den Monatsbetrag von 20,- DM nicht überschritt, von Amts wegen abzufinden war; dies vollzog sich mit dem Bescheid der VBL vom 17. Januar 1968. - Nach §§ 15, 9 Abs. 3 DVO vom 28. Februar 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (BGBl I, 194) galt ab 1. Januar 1967 folgende Regelung:

"Wird anstelle der Leistungen im Sinne der Absätze 1 und 2 eine Kapitalentschädigung gewährt, so gilt als derzeitiges Bruttoeinkommen ein Betrag in Höhe des der Kapitalentschädigung zugrundegelegten Rentenbetrags"; auf diese Bestimmung, gegen deren Rechtsgültigkeit nach Ansicht des Senats keine Bedenken bestehen, hat der Beklagte seine mit der Klage angefochtenen Bescheide gestützt, in denen bis Ende 1977 - also vom 1. Januar 1967 an 11 Jahre lang - der tatsächlich nicht mehr ausgezahlte Monatsbetrag von 7,60 DM zum derzeitigen Bruttoeinkommen des Klägers gerechnet wird.

Dies steht - wie auch das SG nicht verkannt hat - mit dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG in Einklang. Das SG meint indessen, es würde zu unbilligen und ungerechten Ergebnissen führen, wenn "Zwangsabfindungen", die ohne Zutun und Einflußnahme des Berechtigten erfolgten, ebenso behandelt würden wie Rentenkapitalisierungen auf Antrag des Berechtigten; der Zweck des § 9 Abs. 3, eine Besserstellung des Versorgungsberechtigten infolge einer Kapitalentschädigung zu verhindern, gelte nur bei einer vom Leistungsempfänger gewollten, nicht aber bei einer ihm aufgezwungenen Abfindung. - Mit Recht hat das LSG diese Auffassung abgelehnt. Ihr steht zunächst rein mathematisch entgegen, daß im vorliegenden Fall, wo es sich um ein umgestelltes VBL-Ruhegeld handelt, die wegen der Geringfügigkeit des Betrages erfolgte Abfindung von Amts wegen (§ 59 Abs. 1 Satz 1 VBL-Satzung) in genau derselben Weise berechnet wird wie bei der nur auf Antrag des Berechtigten (§ 59 Abs. 1 Satz 2) vorzunehmenden Abfindung von Versicherungsrenten im Monatsbetrag von mehr als 20,- DM (§ 59 Abs. 2 VBL-Satzung nebst Tabellen); irgendeine Schlechterstellung des Klägers gegenüber einem Ruhegeldempfänger, der die Abfindung seinerzeit beantragt hatte, liegt also keineswegs vor. Auch im übrigen ist - wie das LSG zutreffend dargelegt hat - nicht einzusehen, inwiefern die Einbeziehung einer gegen den Willen des Empfängers gewährten Abfindung in die Vorschrift des § 9 Abs. 3 DVO 1968 zu unbilligen oder ungerechten Ergebnissen führen sollte. Im Falle einer Weiterzahlung der Versicherungsrente über den 31. März 1968 hinaus hätte der Kläger eine "Dynamisierung" dieser Rente nicht zu erwarten gehabt (vgl. Gilbert/Hesse aaO, B 247 Anm. 1 zu § 56 VBL-Satzung). Bei jeder Abfindung, die ein Rentenbezieher anstelle der laufenden Monatsrente erhält, ist es dem Abgefundenen möglich, von dem erhaltenen Kapital jeweils nur Teilbeträge in Höhe der bisherigen Monatsrente zu verbrauchen und die noch nicht verbrauchte Summe verzinsbar anzulegen; dadurch ergäbe sich im Falle des Klägers eine Nutzungsdauer, die den vom Versorgungsamt in 11 Jahre Bezugszeit umgedeuteten Abfindungsfaktor 132 sogar erheblich übersteigen würde (vgl. Gilbert/Hesse aaO B 270 Anm. 1 zu § 59). Der Umstand, daß der Kläger diese Möglichkeit nicht genutzt, sondern den Abfindungsbetrag sofort für dringend notwendige Anschaffungen verbraucht hat, kann - wie das LSG zutreffend ausgeführt hat - eine andere Beurteilung nicht rechtfertigen (siehe auch BSG 25, 262, 267). Letztlich würde somit die vom SG vertretene Ansicht zu einer durch nichts begründeten Bevorzugung des Klägers gegenüber den Versorgungsberechtigten führen, die eine Abfindung ihres VBL-Ruhegeldes beantragt haben. Eine entsprechende Anwendung des § 60 a Abs. 6 BVG, wie sie dem SG vorschwebt, verbietet sich übrigens schon wegen des grundlegenden Unterschieds zwischen den in jener Vorschrift genannten, laufende Bezüge ergänzenden "Sonderleistungen" und den in § 9 Abs. 3 DVO 1968 geregelten Fällen, in denen laufende Bezüge durch Kapitalentschädigung abgelöst worden sind.

Nach der Auffassung des Senats spielt es also bei der Anwendung des § 9 Abs. 3 DVO 1968 zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG keine Rolle, ob eine an die Stelle laufender Einnahmen tretende Kapitalentschädigung dem Berechtigten auf sein Betreiben oder aber ohne sein Zutun gewährt worden ist. Der Senat sieht diese Auffassung auch durch die vergleichbare Regelung in § 1278 Abs. 2 Nr. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) bestätigt; danach gilt im Hinblick auf die Ruhensvorschrift des Abs. 1 eine abgefundene Verletztenrente für die Zeit als fortlaufend, für welche die Abfindung bestimmt ist; diese Regelung gilt aber zweifellos nicht nur für Rentenabfindungen auf Antrag (§§ 604, 607 RVO), sondern auch für die Fälle des § 616 RVO, in denen die Initiative allein beim Versicherungsträger liegt (vgl. Hoernigk/Jorks, Rentenversicherung, Anm. 4 a zu § 1278 RVO; Schwarz, Kompaß 1970, 234, 236, 237).

Die Revision ist hiernach unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1669441

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