Orientierungssatz
Der Rentenantrag beinhaltet eine Willenserklärung, für die BGB § 130 Abs 2 gilt (vgl BSG vom 1970-04-09 8 RV 587/68). Nach dieser Vorschrift ist es auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ohne Einfluß, daß der Antragsteller nach Abgabe und vor Eingang der Erklärung bei dem Versicherungsträger gestorben ist.
Normenkette
AVG § 65 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1288 Abs. 2 Fassung: 1957-02-23; BGB § 130 Abs. 2 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Juli 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger als Rechtsnachfolger (Alleinerbe) seiner Mutter gemäß § 65 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) deren Hinterbliebenenbezüge für Februar 1973 verlangen kann.
Der Vater des Klägers bezog bis zum Tod am 31. Januar 1973 von der Beklagten Altersruhegeld. Am 7. Februar 1973 unterzeichnete die Mutter des Klägers einen an die Beklagte adressierten formlosen Antrag auf Gewährung von Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann. Sie übergab dieses Schreiben dem Kläger zur Weiterleitung an die Beklagte. Vor Eingang des Antrages am 19. Februar 1973 bei der Beklagten verstarb die Mutter des Klägers am 11. Februar 1973. Den Antrag des Klägers, ihm als Alleinerben die seiner verstorbenen Mutter für Februar 1973 zustehende Witwenrente auszubezahlen, lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 20. Juli 1973).
Die hiergegen erhobene Klage war erfolgreich. Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts (SG) zurück. Es ging unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in BSGE 8, 147 davon aus, daß die in den Urteilsgründen des SG zugelassene Berufung zulässig sei. Der Anspruch der verstorbenen Mutter des Klägers sei entstanden gewesen, so daß er aufgrund der Erbfolge in das Vermögen des Klägers habe übergehen können. Nach dem hier anzuwendenden § 130 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) sei es für die Wirksamkeit der Willenserklärung (Rentenantrag) ohne Einfluß, wenn der Erklärende nach deren Abgabe gestorben sei. Die Verstorbene habe hier durch die Übergabe des Schreibens vom 7. Februar 1973 an ihren Sohn noch zu Lebzeiten alles veranlaßt, um den Antrag auf Gewährung von Hinterbliebenenrente in Richtung auf die Beklagte in Bewegung zu setzen. Damit habe sie auch mit einem Zugehen beim Adressaten rechnen können. Der Ansicht der Beklagten, daß zur Fortführung des Verfahrens nach § 65 Abs. 2 AVG der Rentenantrag vor dem Tode der Berechtigten dem Adressaten auch zugegangen sein müsse, könne nicht gefolgt werden. Anderenfalls würden Bedeutung und Wirksamkeit des § 130 Abs. 2 BGB aufgehoben (Urteil vom 16. Juli 1975).
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung der §§ 65 AVG, 130 BGB durch das Berufungsgericht.
Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Augsburg vom 31. Januar 1974 die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision ist nicht begründet.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Berufungszulassung allein in den Urteilsgründen des SG rechtswirksam ist und demzufolge eine Sachentscheidung zu treffen war. Der erkennende Senat schließt sich insoweit der vom 10. Senat des BSG im Urteil vom 11. November 1976 - 10 RV 181/75 - vertretenen Rechtsauffassung an.
Das LSG hat zu Recht angenommen, daß der Anspruch auf Hinterbliebenenrente gemäß § 65 Abs. 2 AVG erhoben war und deswegen der Kläger zur Fortsetzung des Verfahrens und zum Bezug der Rente für den Monat Februar 1973 berechtigt ist. Ein Anspruch auf Rente ist im Sinne dieser Vorschrift jedenfalls dann erhoben, wenn ein Rentenantrag rechtswirksam gestellt worden ist. Wie bereits der 8. Senat des BSG im Urteil vom 9. April 1970 - 8 RV 587/68 - entschieden hat, beinhaltet der Rentenantrag eine Willenserklärung, für die § 130 Abs. 2 BGB gilt. Der Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Entscheidung für Rentenanträge, die vor dem Inkrafttreten des Sozialgesetzbuches (SGB) am 1. Januar 1976 (Art. II § 23 Abs. 1 SGB) gestellt worden sind, abzuweichen. Anders als § 59 SGB, der künftig die Ansprüche der Rechtsnachfolger auf Geldleistungen von einem im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten festgestellten Anspruch oder von einem anhängigen Verwaltungsverfahren abhängig macht, ist es nach der hier anwendbaren Vorschrift des § 130 Abs. 2 BGB auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ohne Einfluß, daß die Mutter des Klägers nach Abgabe und vor Eingang ihrer Erklärung bei der Beklagten gestorben ist.
Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts (RG) hat das BSG in der Entscheidung vom 9. April 1970 aaO zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 BGB verlangt, daß der Erklärende alles getan haben muß, was seinerseits erforderlich war, um die Wirksamkeit der Erklärung herbeizuführen. Dies ist dann der Fall, wenn er die von ihm abgefaßte Erklärung entweder an den Empfangsberechtigten abgesandt oder in anderer Weise derart in den Rechtsverkehr gebracht hat, daß er mit ihrem Zugehen beim Empfangsberechtigten rechnen konnte (vgl. RGZ 170, 380, 382). Dabei genügt es, daß sich der Erklärende zur Weiterleitung seiner Erklärung eines Dritten, z. B. eines Boten, bedient (vgl. hierzu auch BGHZ 48, 374, 379/380).
Nach den Feststellungen des LSG, an welche der Senat gemäß § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gebunden ist, sind diese Voraussetzungen hier erfüllt. Wegen ihrer Krankheit und des damit verbundenen Krankenhausaufenthalts hatte die Witwe den von ihr unterzeichneten Antrag auf Gewährung einer Rente ihrem Sohn - dem Kläger - zur Weiterleitung übergeben. Er war mithin ihr Bote. Auf diese Weise hatte sie alles getan, um davon ausgehen zu können, daß ihre Willenserklärung dem Versicherungsträger auch zugehen würde. Gemäß § 130 Abs. 2 BGB hatte somit ihr Tod keinen Einfluß mehr auf die Wirksamkeit ihres Rentenantrags.
Entgegen der Ansicht der Beklagten liegt in der Anwendung des § 130 Abs. 2 BGB auch nicht eine Verlegung des Wirksamkeitszeitpunktes der Erklärung vom Moment des Zugangs auf den der Abgabe. Ersetzt wird vielmehr nur das allgemeine Wirksamkeitserfordernis, daß der Erklärende auch bei Zugang der Willenserklärung noch lebt. Dagegen ist für die Wirksamkeit weiterhin erforderlich, daß der Zugang - wie hier vom LSG ebenfalls festgestellt - erfolgt ist.
Wie der Senat bereits wiederholt ausgeführt hat, ist eine andere Entscheidung nur dann geboten, wenn die Willenserklärung auf Gewährung einer Rente nicht - wie hier - vom Berechtigten zu Lebzeiten, sondern erst nach dessen Tod vom Rechtsnachfolger abgegeben wird (vgl. hierzu die Urteile vom 29.1. und 26.3.1963 - 1 RA 243/62 und 1 RA 182/60 - sowie BSGE 15, 157). In diesen Fällen sind die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 BGB nicht gegeben und deswegen bleibt auch für eine Rentenbezugsberechtigung im Sinne des § 65 Abs. 2 AVG kein Raum.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen