Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Revisionsbegründung

 

Orientierungssatz

Die Zulässigkeit der Revision hängt davon ab, daß der Revisionskläger zu jedem einzelnen Streitpunkt mit selbständigem Streitstoff eine sorgfältige, nach Umfang und Zweck zweifelsfreie Begründung gibt. Das gilt nicht nur für Verfahrens-, sondern auch für sachlich-rechtliche Revisionsangriffe (vgl BSG 1976-12-13 12 RK 46/76 = SozR 1500 § 164 Nr 5). Die Revisionsbegründung muß somit bei materiell-rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden ist (vgl BSG 1979-01-02 11 RA 54/78 = SozR 1500 § 164 SGG Nr 12). Die Revision muß mithin erkennen lassen, daß eine Prüfung und rechtliche Durchdringung des im Urteil abgehandelten Rechtsstoffes vorgenommen worden ist.

 

Normenkette

SGG § 164 Abs 2 S 1 Fassung: 1974-07-30; SGG § 164 Abs 2 S 3 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 20.01.1983; Aktenzeichen L 16 Kr 56/82)

SG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.03.1982; Aktenzeichen S 34 Kr 55/81)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte der Bewilligung der kieferorthopädischen Behandlung einer Tochter des Klägers zustimmen muß.

Der Kläger, der die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, ist bei der Beklagten gegen Krankheit pflichtversichert. Seinen Antrag, für seine in Spanien lebende, im Jahre 1971 geborene Tochter A eine kieferorthopädische Behandlung zu bewilligen, hat der spanische Versicherungsträger mit der Begründung abgelehnt, daß es sich insoweit (nach spanischem Recht) um eine Kannleistung handele, die nicht erforderlich sei. Diesen ablehnenden Bescheid hat der Kläger der Beklagten vorgelegt, die sich in einem vorangegangenen Rechtsstreit vergleichsweise verpflichtet hatte, in einem solchen Fall dem Kläger einen rechtsmittelfähigen Bescheid zu erteilen. In ihrem dementsprechend ergangenen Bescheid vom 7. November 1980 hat die Beklagte daraufhin dem Kläger mitgeteilt, daß sie keine Möglichkeit habe, den nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Spanischen Staat über Soziale Sicherheit vom 4. Dezember 1973, BGBl II Nr 33 vom 6. August 1977 S 687 (Deutsch-Spanisches Abkommen über Soziale Sicherheit bzw Abkommen) zuständigen spanischen Versicherungsträger zu der beantragten Leistungsgewährung zu verpflichten. Mit seinem Widerspruch hat der Kläger geltend gemacht, daß der spanische Versicherungsträger die Leistung nur dann gewähre, wenn die Beklagte vorher zugestimmt habe. Die Beklagte hat dem Widerspruch nicht stattgegeben. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Nach § 205 Reichsversicherungsordnung (RVO) erhielten Versicherte für die unterhaltsberechtigten Kinder nur dann Krankenhilfe, wenn sie sich gewöhnlich im Geltungsbereich dieses Gesetzes aufhielten. Hielten sich Angehörige des Versicherten, wie seine Tochter A., in Spanien auf, so erhielten diese gemäß Art 14 des Abkommens Leistungen nach Maßgabe des Art 16 des Abkommens. Nach Art 16 Absätze 1, 2, Buchst a des Abkommens bestimmten sich bei Sachleistungen - wie hier - Ausmaß sowie Art und Weise der Leistungsgewährung nach den Rechtsvorschriften, die für den Träger des Aufenthaltsortes gelten. Der Anspruch richte sich daher nach spanischem Recht. Zwar dürften Sachleistungen von erheblicher Bedeutung nur gewährt werden, wenn der zuständige Träger vorher zugestimmt habe (Art 16 Abs 2 Buchst b des Abkommens), so daß der Anspruch des Klägers gegen den spanischen Versicherungsträger - da eine Sachleistung von erheblicher Bedeutung begehrt werde - von der vorherigen Zustimmung des deutschen Versicherungsträgers abhänge. Hier liege aber weder eine Verpflichtung noch eine Veranlassung vor, die Zustimmung zu erteilen. Nach Art 17 des Abkommens sei in den Fällen des Art 16 der zuständige Träger verpflichtet, dem Träger des Aufenthaltsortes, der die Leistungen gewährt hat, die Aufwendungen zu erstatten, entweder gegen Nachweis der tatsächlichen Aufwendungen oder unter Zugrundelegung von Pauschalbeträgen; letzteres sei bei den deutschen Kassen der Fall. Der in Ziffer 24 der Durchführungsvereinbarung der Verbindungsstellen für die Krankenversicherung (Anlage zu Rdschr Nr 61/1977 der deutschen Verbindungsstelle vom 28. Oktober 1977 - vgl Plöger/Wortmann, Deutsche Sozialversicherungsabkommen mit ausländischen Staaten, XII, Spanien, S 87 ff -) - DurchfVereinb - vorgesehenen Anfrage des nach Art 16 Abs 2 Buchst b des Abkommens aushelfenden Trägers beim zuständigen Träger bedürfe es bei Pauschalerstattungen nicht (Ziffer 25 DurchfVereinb) .

Mit der Klage (auf Aufhebung der Bescheide und Erteilung der Zustimmung) hat der Kläger die Ansicht vertreten, die Beklagte könne den spanischen Versicherungsträger veranlassen, dem Antrag zu entsprechen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage als unzulässig abgewiesen und dazu ausgeführt, daß dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehle und daß die Klage auch unbegründet sei, da das Abkommen der Beklagten lediglich ein Prüfungsrecht gebe, ob der Gewährung von Sachleistungen aus der Sicht des deutschen Versicherungsträgers Einwendungen entgegenstehen würden. Mit der Berufung hat der Kläger geltend gemacht, daß der spanische Versicherungsträger die Leistung nach deutschen Rechtsvorschriften gewähren müsse, wenn die Beklagte die Zustimmung erteile; da die Zustimmung des deutschen Versicherungsträgers erforderlich sei, könnten die spanischen Rechtsvorschriften keine Anwendung finden. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen. Der Klage fehle es zwar nicht am Rechtsschutzinteresse; sie habe aber materiell-rechtlich keinen Erfolg. Aus Art 16 Abs 2 des Abkommens ergebe sich deutlich, daß für die Sachleistungen grundsätzlich das Recht des Aufenthaltsstaates maßgeblich sein und hiervon nur die ausdrücklich herausgestellte Ausnahme bezüglich der Leistungsdauer gelten solle. Der zuständige Träger des Staates, in dem das Versicherungsverhältnis besteht, habe zwar ein Mitwirkungsrecht insoweit, als Sachleistungen von erheblicher Bedeutung nur gewährt werden dürften, wenn der zuständige Träger vorher zugestimmt habe. Die nach außen wirksam werdende Entscheidung verbleibe jedoch dem Träger des Aufenthaltslandes. Dieser brauche sich auch nur dann um die Zustimmung zu bemühen, wenn er die Sachleistung gewähren wolle. Dem Versicherten müsse zwar ein entsprechendes Antragsrecht eingeräumt werden, daraus folge aber nicht, daß auch ein Anspruch auf Zustimmung bestehe. Da der aushelfende Träger die Leistung hier abgelehnt habe, sei die Zustimmung mit Recht verweigert worden.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Unter Wiederholung seiner vor den Tatsacheninstanzen geäußerten Rechtsansicht beantragt er, das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 1983 - L 16 Kr 56/82 - und das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 3. März 1982 - S 34 Kr 55/81 - aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verurteilen, die Zustimmung zur kieferorthopädischen Behandlung seiner Tochter A. zu erteilen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig, da sie (innerhalb der Revisionsbegründungsfrist) nicht hinreichend begründet wurde.

Die Revision ist zu begründen (§ 164 Abs 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Zulässigkeit der Revision hängt davon ab, daß der Revisionskläger zu jedem einzelnen Streitpunkt mit selbständigem Streitstoff eine sorgfältige, nach Umfang und Zweck zweifelsfreie Begründung gibt. Das gilt nicht nur für Verfahrens-, sondern auch für sachlich-rechtliche Revisionsangriffe (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 5, 12, 20 jeweils mwN; BGH LM Nr 22 zu § 554 ZPO; BGH MDR 1974, 1015; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Komm ZPO, 40. Aufl 1982, Anm 4 C zu § 554). Der gesetzgeberische Zweck eines solchen Begründungszwanges liegt darin, aussichtslose Revisionen nach Möglichkeit von vornherein zu verhindern (BSG aaO, Nr 5; vgl RGZ 123, 38). Der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers hat daher dem Revisionsgericht die Gründe darzulegen, die aufgrund der von ihm vorgenommenen Überprüfung das Urteil als unrichtig erscheinen lassen (BSG, BGH, jeweils aaO). Die Revisionsbegründung muß somit bei materiell- rechtlichen Rügen darlegen, daß und warum eine revisible Rechtsvorschrift auf den vom Tatsachengericht festgestellten Sachverhalt nicht oder nicht richtig angewandt worden sei (BSG SozR 1500 § 164 SGG Nr 12, 20). Obwohl es zwar bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht darauf ankommt, ob die Revisionsbegründung den Revisionsangriff auch trägt (BGH NJW 1981, 1453), so muß diese Begründung aber doch rechtliche Erwägungen anstellen, die das Urteil als unrichtig, die Rechtsnorm als "verletzt" (§ 164 Abs 3 Satz 3 SGG) erscheinen lassen (BSG aaO). Die Revision muß - mit anderen Worten - erkennen lassen, daß der Prozeßbevollmächtigte des Revisionsklägers eine Prüfung und rechtliche Durchdringung des im Urteil abgehandelten Rechtsstoffes vorgenommen hat (Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 2. Aufl 1981, RdNr 9 zu § 164 SGG mwH). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Soweit die Revisionsschrift (über die bloßen Feststellungen zum Sach- und Streitstand hinaus) überhaupt rechtliche Begründungssätze enthält, werden in erster Linie bloße Rechtsergebnisse - die bisherigen Rechtsansichten des Klägers - hingestellt. Aber auch die (zwei) darüber hinausgehenden Sätze, die den - materiell unrichtigen - Schluß von der Zustimmungsbedürftigkeit auf die Anwendbarkeit deutschen Rechts enthalten, gehen mit keinem Wort auf die rechtliche Argumentation des angegriffenen Urteils ein. Da dies hinter den obengenannten, an eine Revisionsbegründung zu stellenden Erfordernissen zurückbleibt, war die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654769

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