Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivildienstbeschädigung. Grenzbereich zwischen Versorgungs- und Haftpflichtrecht. stationäre Behandlung im Allgemeinkrankenhaus
Leitsatz (amtlich)
1. Gesundheitliche Schäden, die ein Zivildienstleistender infolge ambulanter oder stationärer Heilbehandlung von Krankheiten erleidet, die selber keine Zivildienstbeschädigung sind, beruhen nicht auf zivildiensteigentümlichen Verhältnissen.
2. Behandlungsschäden sind nicht nach Versorgungsrecht zu entschädigen, wenn für die Durchführung der Behandlung freie Arztwahl besteht.
Orientierungssatz
1. Die Tatbestandsalternative "durch die dem Zivildienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt wurden" (§ 47 Abs 2 ZDG), erfaßt einen Teil der Schädigungen, die im Grenzbereich zwischen Versorgungsrecht und Haftpflichtrecht geschehen. Es sind die Schädigungen gemeint, die nach dem Sinn und Zweck der beiden Entschädigungsrechtsgebiete dem Versorgungsrecht zugewiesen werden müssen. Das liegt dann nahe, wenn die Behandlung durch Sanitätsoffiziere durchgeführt worden ist, und vor allem dann, wenn dem Dienstleistenden keine andere Wahl gelassen worden ist, als sich von solchen Ärzten behandeln zu lassen.
2. Stationäre Behandlung in Allgemeinkrankenhäusern unter Umständen und Bedingungen, die sich von den normalen Umständen des Zivillebens nicht unterscheiden, insbesondere keine außergewöhnlichen Verhältnisse erkennen lassen, die durch die Eigenart des Dienstes gekennzeichnet sind und die Belastungen übersteigen, die bei sonst gleichem Sachverhalt auch bei Ausübung einer Beschäftigung als Arbeitnehmer hingenommen würden, können nicht als dem Zivildienst eigentümlich angesehen werden.
Normenkette
ErsDiG § 47 Abs 1 S 1; SVG § 81 Abs 2 Nr 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 23.09.1987; Aktenzeichen L 10 V 180/85) |
SG Köln (Entscheidung vom 09.04.1985; Aktenzeichen S 12 V 294/82) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger wegen eines Diabetes mellitus als Zivildienstschaden Versorgungsrente zu gewähren ist.
Der 1957 geborene Kläger, der Anfang März 1980 seinen Dienst als Zivildienstleistender aufnehmen sollte, war zu diesem Zeitpunkt wegen eines rheumatischen Fiebers in hausärztlicher Behandlung und arbeitsunfähig erkrankt. Bei der Tauglichkeitsuntersuchung auf Veranlassung des Bundesamtes für den Zivildienst (BAZ) ergab sich der Verdacht auf eine Sarkoidose (Morbus Boeck); der Kläger war zunächst nicht zivildienstfähig. Der Hausarzt überwies ihn in stationäre Behandlung. Im Krankenhaus stellte sich als Nebenfolge der hochdosierten Corticoidtherapie zur Behandlung des Morbus Boeck ein Diabetes mellitus ein. Die spätere Untersuchung des Klägers durch das BAZ im Juni 1980 ergab, daß der Kläger endgültig nicht zivildienstfähig war. Er wurde aus dem Zivildienst entlassen.
Der Kläger begehrt Versorgung wegen des Diabetes mellitus, weil diese Erkrankung als Nebenfolge einer angezeigten und erfolgreichen Behandlung des Morbus Boeck eingetreten sei, die den Zweck gehabt habe, ihn wieder dienstfähig zu machen. Schon aus diesem Grunde handele es sich um ein Versorgungsleiden. Dem hat sich das Sozialgericht (SG) angeschlossen und zur Zahlung einer Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH verurteilt (Urteil vom 9. April 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen, weil der Sachverhalt nicht die Anspruchsvoraussetzungen nach dem Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz -ZDG-) für ein Versorgungsleiden erfülle (Urteil vom 23. September 1987). Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 47 ZDG und der §§ 103 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sein Gesundheitsschaden sei auf dem Zivildienst eigentümliche Verhältnisse zurückzuführen, weil der Kläger - anders als sonstige Arbeitnehmer - seine Zivildienstfähigkeit habe erhalten müssen. Er habe seinen behandelnden Arzt nicht frei wählen können, und die Einweisung durch den Hausarzt sei auf Weisung des BAZ erfolgt.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts vom 9. April 1985 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das LSG hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil dem Kläger keine Versorgung nach dem ZDG zusteht.
Nach § 47 Abs 1 Satz 1 ZDG erhält ein Dienstpflichtiger, der eine Zivildienstbeschädigung erlitten hat, nach Beendigung des Dienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Fraglich ist schon, ob überhaupt eine Schädigung vorliegt. Daß die Zuckerkrankheit die Folge einer auch nur im Ergebnis falschen Behandlung sei, ist von keiner Seite behauptet worden. Die Zuckerkrankheit ist vielmehr als Nebenfolge der Behandlung in Kauf genommen worden, und sie dürfte auch im Vergleich zu einer nicht behandelten Sarkoidose das wesentlich geringere Übel sein.
Wenn das LSG trotzdem davon ausgegangen ist, daß der Kläger im Zivildienst nicht geheilt, sondern geschädigt wurde, dann wohl deshalb, weil der Kläger behauptet, er habe die Äußerungen des Arztes, der die Eingangsuntersuchung durchführte, als Befehl empfunden. Daraus hat das LSG offenbar geschlossen, der Kläger hätte sich nicht behandeln lassen, wenn ihm die Gefahr der Zuckerkrankheit erklärt worden wäre und er sich gegen die Behandlung hätte wehren können. Ob dieser Schluß des LSG gerechtfertigt ist, kann unentschieden bleiben. Denn auch wenn man ihn für gerechtfertigt hält und daraus ableitet, der Kläger sei nach seiner Vorstellung geschädigt und diese Vorstellung sei beachtlich, ist der Entschädigungsanspruch nicht begründet.
Die Schädigung ist nämlich - insoweit ist dem LSG uneingeschränkt zu folgen - jedenfalls keine Zivildienstbeschädigung. § 47 ZVG definiert in den Abs 2 und 3, unter welchen Voraussetzungen eine Schädigung dem Zivildienst angerechnet wird. Keiner der Tatbestände wird vom Kläger erfüllt. Es bedarf keiner weiteren Darlegung, daß der Gesundheitsschaden weder durch eine Dienstverrichtung noch durch einen während der Ausübung des Zivildienstes erlittenen Unfall herbeigeführt worden ist. Sie beruht auch nicht auf einem Unfall während einer Heilmaßnahme (§ 47 Abs 3 Nr 2 Buchst b ZDG).
Das LSG hat unangegriffen und daher für den erkennenden Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, daß der Diabetes mellitus durch die Behandlung des Morbus Boeck als einem eingebrachten Leiden entstanden ist. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung darüber, ob die Behandlungsfolgen überhaupt als Unfall bezeichnet werden könnten. Jedenfalls sind weder Beamte (vgl §§ 31, 33 BeamtVG) noch Soldaten (vgl § 81 Abs 2 Nr 2 des Soldatenversorgungsgesetzes -SVG- und hierzu BSG SozR 3200 § 81 Nrn 22 und 27) versorgungsrechtlich gegen die Folgen ärztlicher Fehlbehandlung geschützt, sofern eingebrachte Leiden, also solche Leiden behandelt werden, die nicht ihrerseits den Betroffenen zum Verletzten iS der Unfallfürsorge bzw zum Beschädigten iS des Versorgungsrechts machen. Auch bei Zivildienstleistenden wird der evtl Unfallschutz bei Heilbehandlung nach § 47 Abs 3 Nr 2 Buchst b ZDG auf die mittelbaren Folgen einer Zivildienstbeschädigung begrenzt (ebenso in der Unfallversicherung - BSGE 46, 283).
Die Schädigung ist auch nicht "durch die dem Zivildienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden" (§ 47 Abs 2 ZDG). Durch diese Tatbestandsalternative wird ein Teil der Schädigungen erfaßt, die im Grenzbereich zwischen Versorgungsrecht und Haftpflichtrecht geschehen. Es sind die Schädigungen gemeint, die nach dem Sinn und Zweck der beiden Entschädigungsrechtsgebiete dem Versorgungsrecht zugewiesen werden müssen. Das liegt dann nahe, wenn die Behandlung durch Sanitätsoffiziere durchgeführt worden ist, und vor allem dann, wenn dem Dienstleistenden keine andere Wahl gelassen worden ist, als sich von solchen Ärzten behandeln zu lassen.
Zu Recht hat das LSG im angefochtenen Urteil die dem Zivildienst eigentümlichen Verhältnisse in enger Anlehnung an die Rechtsprechung zu den dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnissen (vgl hierzu BSGE 37, 282, BSG SozR 3500 § 80 Nrn 2, 20, 27) dahin definiert, daß es solche sind, die von den Verhältnissen des zivilen Lebens abweichen und den besonderen Verhältnissen des Zivildienstes zuzurechnen sind (vgl auch Harrer/Haberland, Zivildienstgesetz, Kommentar mit ergänzenden Vorschriften, 2. Aufl Stand 1975 § 47 Anm 2). Schäden nach Heilbehandlungen sind im soldatischen Bereich nur dann dem militärischen Dienst eigentümlich, wenn und soweit sie dadurch bestimmt werden, daß die Behandlung durch Militärärzte oder Offiziere des Sanitätsdienstes zwanghaft (BSG aaO Nr 20), ohne freie Wahl unter Ärzten und Krankenhäusern in truppenärztlicher Versorgung - stationär im Lazarett oder ambulant im Sanitätsbereich (BSG aaO Nr 2) - durchgeführt wird. Stationäre Behandlung in Allgemeinkrankenhäusern unter Umständen und Bedingungen, die sich von den normalen Umständen des Zivillebens nicht unterscheiden, insbesondere keine außergewöhnlichen Verhältnisse erkennen lassen, die durch die Eigenart des Dienstes gekennzeichnet sind und die Belastungen übersteigen, die bei sonst gleichem Sachverhalt auch bei Ausübung einer Beschäftigung als Arbeitnehmer hingenommen würden, können nicht als dem Zivildienst eigentümlich angesehen werden (vgl in diesem Sinne zur Wehrdiensteigentümlichkeit BSG aaO Nr 27). Anders als bei Soldaten wird man die Verhältnisse im Zivilleben seltener von denen der Dienstverpflichteten abgrenzen können, weil bei Verrichtung von Zivildienst eine weitgehende Eingliederung der Betroffenen in das Zivilleben erhalten bleibt. Das ZVG regelt die Verhältnisse der Dienstleistenden teilweise wie solche von Arbeitnehmern (§§ 14a, 15a § 32 Abs 1 Satz 1 ZDG), weist teilweise Ähnlichkeiten mit dem Beamtenrecht auf (§§ 24 ff, § 32 Abs 1 Satz 2, § 33 ZDG) und nimmt auch Bezug auf Vorschriften des SVG (§ 35 Abs 1 ZDG). Heilfürsorge wird aber nicht - wie für Wehrpflichtige - nach dem SVG geleistet, sondern nach § 35 Abs 3 ZDG durch Verträge mit Körperschaften und Verbänden der Heilberufe zur Sicherstellung der Heilfürsorge; mittels dieser Verträge erhält der Dienstpflichtige eine Krankenversorgung entsprechend der Reichsversicherungsordnung aufgrund eines Behandlungsscheins. Er wird im Krankheitsfall behandelt wie ein Arbeitnehmer (vgl auch Völz/Wystrychowski, Der Zivildienst 1982 S 10 f; Harrer/Haberland aaO § 35 Anm 3e und 6). Zivildienstleistende einerseits und Soldaten andererseits unterscheiden sich demnach maßgeblich darin, wie ihnen Heilfürsorge gewährt wird. Die Dienstleistenden haben freie Arztwahl; weder im ambulanten noch im stationären Bereich ist ihre Situation daher von dem Status als Dienstleistender geprägt. Wie jeder Arbeitnehmer kann der Dienstleistende Einfluß auf die Behandlung durch freie Arztwahl nehmen.
Die Behandlung eingebrachter Krankheiten wird auch nicht dadurch zu einem dem Zivildienst eigentümlichen Risiko, weil sich der Dienstleistende nach § 39 ZDG ärztlichen Untersuchungen zur Prüfung der Zivildienstfähigkeit stellen muß und - ebenso wie die Soldaten (§ 14 Abs 4 Satz 1 SVG) und die Beamten (vgl BVerwG NJW 1984, 677 = DÖD 1983, 275) - alles in seinen Kräften stehende zu tun hat, um seine Gesundheit zu erhalten oder wiederherzustellen (§ 40 Abs 1 Satz 1 ZDG). Läßt der Dienstleistende ein vorbestehendes bedrohliches Leiden stationär behandeln, so tritt der Zivildienst (also die Verpflichtung des § 40 Abs 1 ZDG) so weit hinter das allgemeine menschliche Eigeninteresse an Gesunderhaltung oder Heilung zurück, daß die zivildiensteigentümlichen Verhältnisse nicht mehr als wesentliche Ursache angesehen werden können. Das gilt besonders dann, wenn lediglich die Diagnose im Zusammenhang mit der Tauglichkeitsuntersuchung gestellt, aber auf die Durchführung der Behandlung kein Einfluß genommen wird. Die vom Kläger gegen die entsprechenden Feststellungen des LSG erhobenen Verfahrensrügen sind nicht begründet. Denn nach dem zutreffenden rechtlichen Ausgangspunkt des LSG ist insoweit nicht entscheidend, ob der vom BAZ mit der Tauglichkeitsuntersuchung beauftragte Arzt die Behandlung im weitesten Sinn "veranlaßt", er also ursächlich geworden ist, weil ohne seine Diagnose später die behandelnden Ärzte keine Therapie eingeleitet hätten. Frei von Rechtsirrtum und Verfahrensfehlern hat das LSG aus dem - insoweit nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen - Sachverhalt den Schluß gezogen, daß durch den gesamten Vorgang die freie Arztwahl des Klägers nicht beeinträchtigt war. Allein hierauf kommt es an.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen