Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 24.06.1992; Aktenzeichen L 5 Ka 1/91)

SG Hannover (Urteil vom 07.11.1990)

 

Tenor

Auf die Revision der Beigeladenen zu 2) werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Juni 1992 und des Sozialgerichts Hannover vom 7. November 1990 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat den Beigeladenen zu 1) deren außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Feststellung eines sonstigen Schadens.

Die Beigeladenen zu 1), zur kassenärztlichen Versorgung zugelassene Ärzte für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe, führten als Belegärzte an einem Krankenhaus am 14. August 1985 bei einer – bei der damaligen AOK für den ehemaligen Kreis Aschendorff-Hümmling in Papenburg (AOK P.) versicherten – Patientin eine gynäkologische Operation durch. Nachdem es während der anschließenden stationären Behandlung zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Patientin gekommen war und auch eine Revisionsoperation keine Besserung gebracht hatte, ließen die Beigeladenen zu 1) die Patientin am 21. August 1985 mittels Hubschraubers in das Universitäts-Klinikum Münster verlegen. Dort wurde die Patientin am selben Tage nochmals operiert und bis zum 30. September 1985 stationär behandelt.

Die AOK P. beantragte im Juni 1986 über den klagenden AOK-Landesverband Niedersachsen bei dem Prüfungsausschuß die Feststellung eines ihr entstandenen sonstigen Schadens in Höhe von 15.151,75 DM. Die Beigeladenen zu 1) hätten bei der postoperativen Betreuung der Patientin kunstfehlerhaft gehandelt und damit den längeren Krankenhausaufenthalt der Patientin schuldhaft verursacht.

Der Prüfungsausschuß lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 16. Januar 1987). Der beklagte Beschwerdeausschuß wies den Widerspruch der AOK P. zurück (Bescheid vom 26. Januar 1988).

Das hiergegen von dem Kläger im eigenen Namen angerufene Sozialgericht (SG) Hannover hat den angefochtenen Bescheid des Beklagten aufgehoben und ihn verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden (Urteil vom 7. November 1990). Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufungen der Beigeladenen zu 1) und des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 24. Juni 1992). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, bei der Neufassung des ab 1. Oktober 1990 geltenden Bundesmantelvertrages-Ärzte ≪BMV-Ä nF≫ (hier: § 39), durch den Ansprüche der Krankenkassen wegen eines Behandlungsfehlers des Kassenarztes nunmehr dem bürgerlichen Recht zugewiesen worden seien, handele es sich insoweit um eine materiell-rechtliche Änderung, die sich auf das anhängige Verfahren nicht auswirke. Der Beklagte sei damit weiterhin zuständig. In der Sache sei dem SG zu folgen. Der Beklagte habe den ihm bei der Feststellung des sonstigen Schadens zustehenden Beurteilungsspielraum nicht zutreffend ausgefüllt, weil nicht erkennbar sei, welche Maßstäbe er seiner Beurteilung zugrunde gelegt habe.

Die Beigeladene zu 2) rügt mit der vom LSG zugelassenen Revision eine Verletzung materiellen Rechts; entgegen der früheren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ (Hinweis auf BSGE 55, 144, 150 = SozR 2200 § 368n Nr 26) seien die Prüfungseinrichtungen nie zuständig gewesen, über einen sonstigen Schaden wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers zu entscheiden. Der Begriff des sonstigen Schadens iS des § 34 Abs 3 BMV-Ä in der bis zum 30. September 1990 geltenden Fassung (aF) habe durch Behandlungsfehler verursachte Schäden nicht erfaßt. Dies werde nunmehr in der Regelung des § 39 BMV-Ä (nF) klargestellt. Als neue verfahrensrechtliche Bestimmung gelte § 39 BMV-Ä ab Wirksamwerden des Vertrages, so daß er auch im anhängigen Rechtsstreit zu beachten sei.

Die Beigeladene zu 2) beantragt,

unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts Hannover vom 7. November 1990 und des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Juni 1992 die Klage des AOK-Landesverbandes Niedersachsen abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er ist im einzelnen der Auffassung, daß er befugt gewesen sei, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Beklagten einzulegen. Im übrigen sei es für den anhängigen Rechtsstreit bei der Zuständigkeit des Beklagten verblieben.

Der Beklagte und die Beigeladenen zu 1) haben sich im Revisionsverfahren nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die von der Beigeladenen zu 2), der KÄV Niedersachsen, mit Schriftsatz vom 20. September 1992 eingelegte Revision ist zulässig.

Sie ist insbesondere ordnungsgemäß begründet worden. Gemäß § 164 Abs 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat der Revisionsführer die Revision innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Anlaß zu Zweifeln daran, daß die Revisionsbegründung vom 9. Oktober 1992 auch der Beigeladenen zu 2) als Revisionsführerin zuzurechnen ist, könnte hier deshalb bestehen, weil die Revisionsbegründungsschrift auf Bl 8 die Formulierung enthält „Seitens des Beklagten wird beantragt …”. Das könnte, vor allem unter Berücksichtigung dessen, daß der Beklagte Berufungskläger war und durch den Vertreter der Beigeladenen zu 2) als Prozeßbevollmächtigtem vertreten wurde und wird, darauf hindeuten, daß die Revisionsbegründung durch den Beklagten, somit nicht durch die Beigeladene zu 2) erfolgte. In diesem Falle wäre die Revision nicht ordnungsgemäß begründet worden. Dieser Deutung steht jedoch der Revisionsbegründungsschriftsatz in seiner Gesamtheit entgegen. Weder aus der sonstigen Formulierung des Textes noch aus der Form der Revisionsbegründungsschrift ergeben sich weitere Hinweise darauf, daß die Revisionsbegründung dem Beklagten zuzurechnen ist. Die Revisionsbegründungsschrift trägt vielmehr den Briefkopf der Beigeladenen zu 2) und enthält auf den einzelnen Seiten des Schriftsatzes die Kennzeichnung als Schreiben der Beigeladenen zu 2). Auch die Unterzeichnung des Schriftsatzes durch den Vertreter der Beigeladenen zu 2) weist nicht darauf hin, daß dieser für den Beklagten handeln wollte. Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, daß es sich trotz der irreführenden Formulierung auf Bl 8 der Revisionsbegründungsschrift um eine solche der Beigeladenen zu 2) handelt.

Die Beigeladene zu 2) ist auch materiell beschwert. Die für die Zulässigkeit ihres Rechtsmittels erforderliche materielle Beschwer durch das angefochtene Urteil (vgl dazu BSGE 69, 25, 30 = SozR 3-4100 § 116 Nr 1; BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 12) folgt daraus, daß die Beigeladene zu 2) für den Fall der Feststellung eines „sonstigen Schadens” iS des § 34 Abs 3 BMV-Ä aF, § 38 Abs 3 BMV-Ä nF durch die Prüfungseinrichtungen den festgestellten Schaden der AOK P. zu ersetzen hätte (§ 35 Satz 1 BMV-Ä aF, § 42 Satz 1 BMV-Ä nF).

Die Revision der Beigeladenen zu 2) ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen zur Abweisung der Klage.

Diese ist unzulässig. Dem Kläger, einem Landesverband der Primärkassen, fehlt zunächst für die von ihm im eigenen Namen erhobene Anfechtungs- und Verpflichtungsklage das Rechtsschutzbedürfnis. Er hat nicht schlüssig dargelegt, daß er dadurch, daß der Beklagte die Feststellung des von der AOK P. geltend gemachten Schadensersatzanspruchs dieser gegenüber abgelehnt hat, iS des § 54 Abs 1 Satz 2 SGG beschwert ist. Insbesondere hat der Kläger nicht schlüssig behauptet, daß ihm ein Rechtsanspruch auf Erlaß des beantragten Verwaltungsaktes zustehe. Er kann dies auch nicht; denn er ist durch die Ablehnung des Antrages der AOK P. weder finanziell noch ansonsten in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen. Insoweit unterscheidet sich die Rechtslage von der, die der Rechtsprechung des Senats zur Beschwer der Landesverbände bei Entscheidungen der Prüfungs- und Beschwerdeausschüsse im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung zugrunde lag (s BSGE 60, 69, 71 f = SozR 2200 § 368n Nr 42). In der genannten Entscheidung war bereits auf Zweifel hinsichtlich der Beschwer der Landesverbände durch Entscheidungen der Prüfgremien über Schadensersatzansprüche der Krankenkassen hingewiesen worden (BSGE aa0, 72 = SozR aa0). Selbst im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung ist von der neueren Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 16. Juni 1993 – 14a RKa 4/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen; vgl auch BSG SozR 3-2500 § 106 Nr 12) die Klagebefugnis der Landesverbände verneint worden, wenn sich die Wirtschaftlichkeitsprüfung auf konkrete Fälle bezog, von denen nur eine einzelne Kasse betroffen war.

Der Kläger war auch hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs der AOK P. nicht prozeßführungsbefugt. Entgegen der von ihm vertretenen Auffassung bietet die bis zum Inkrafttreten des SGB V am 1. Januar 1989 gültig gewesene, hier noch anzuwendende Vorschrift des § 368n Abs 5 Satz 5 Reichsversicherungsordnung (RVO) keine ausreichende Grundlage für eine Prozeßführungsbefugnis. Durch die genannte Bestimmung war den Landesverbänden der Krankenkassen ausdrücklich ein eigenständiges Beschwerderecht gegen Entscheidungen der Prüfungsausschüsse eingeräumt worden. Die Beschwerdebefugnis bezog sich aber allein auf den von § 368n Abs 5 RVO erfaßten Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung und damit nur auf solche Entscheidungen der Prüfungsausschüsse, die im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung ergangen waren. Zu den – den Prüfungsgremien gesetzlich vorgeschriebenen – Aufgaben der Wirtschaftlichkeitsprüfung gehört aber die Feststellung eines „sonstigen Schadens” iS des § 34 Abs 3 BMV-Ä aF, § 38 Abs 3 BMV-Ä nF nicht. Diese Schadensfeststellungskompetenz ist den Prüfungsgremien vielmehr, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, durch die Partner des BMV-Ä zugewiesen worden (s zuletzt BSGE 69, 264, 265 = SozR 3-5540 § 38 Nr 1). Daraus ergibt sich, daß die in § 368n Abs 5 Satz 5 RVO festgelegte Beschwerdebefugnis und das aus ihr folgende Anfechtungsrecht sich nicht auf die Verfahren zur Feststellung eines sonstigen Schadens iS der genannten BMV-Ä-Vorschriften erstrecken.

Aus dem BMV-Ä läßt sich ein eigenständiges Beschwerderecht der Landesverbände ebenfalls nicht herleiten. Hiernach sind allein die betroffenen Krankenkassen befugt, die Feststellung eines sonstigen Schadens bei dem Prüfungsausschuß geltend zu machen. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 8 der damals geltenden Prüfvereinbarung, der dem Kläger nach dessen Vortrag als Landesverband das Antragsrecht auf Feststellung eines sonstigen Schadens einräumte, eine Prozeßführungsbefugnis begründen konnte; denn der Kläger hat gerade nicht in seiner Funktion als Landesverband die Feststellung eines sonstigen Schadens bei dem Prüfungsausschuß beantragt, sondern diesen Anspruch für die betroffene AOK geltend gemacht.

Der Kläger kann sich für die Zulässigkeit seiner Klage schließlich nicht auf Vertrauensschutzgesichtspunkte berufen. Anders als bei dem der Entscheidung des 14a-Senats des BSG (aa0) zugrundeliegenden Sachverhalt konnte er im vorliegenden Verfahren unter Berücksichtigung der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade nicht darauf vertrauen, daß er berechtigt war, einen der AOK P. zustehenden Anspruch im eigenen Namen gerichtlich zu verfolgen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1174326

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