Leitsatz (amtlich)
Die schriftliche Anzeige der Überleitung von Rechtsansprüchen nach FürsPflV § 21a vom 1924-02-13 (RGBl 1 1924, 100) ist ein Verwaltungsakt. Wird diese Überleitungsanzeige angefochten, ohne daß der Kindergeldanspruch selbst streitig ist, so handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des Kindergeldgesetzes § 28.
Normenkette
FürsPflV § 21a; KGG § 28 Abs. 1 Fassung: 1954-11-13
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Januar 1958 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I. Der Kläger gewährte als Bezirksfürsorgeverband eines Bayerischen Landkreises seit April 1954 dem Landwirt Kurt H... für dessen minderjährige Kinder Fürsorgeunterstützung. H... ein Flüchtling aus Schlesien, bewirtschaftete (samt Familie) ein landwirtschaftliches Anwesen mit 5 ha Pachtland. Im Januar 1955 erhielt er für die vier jüngsten seiner insgesamt sechs Kinder, nämlich für H..., J..., C... und S..., vom Kläger je 25,- DM Fürsorgeunterstützung, zusammen also 100,- DM.
Nach einer Benachrichtigung durch die beklagte Familienausgleichskasse - FAK - (Schreiben vom 22. Februar 1955), daß H... Antrag auf Gewährung von Kindergeld nach dem Kindergeldgesetz (KGG) gestellt habe und daß ihm ab 1. Januar 1955 für die Kinder H..., J..., C... und S... das Kindergeld zustehe, machte der Kläger seinerseits mit Schreiben vom 24. Februar 1955 bei ihr den Ersatzanspruch für die im Januar 1955 an H... gewährten Fürsorgeunterstützungen von zusammen 100,- DM geltend und bat um Überweisung. Mit weiterem Schreiben (1. März 1955) wies der Kläger die beklagte FAK ausdrücklich darauf hin, daß sein Schreiben vom 24. Februar 1955 eine schriftliche Anzeige nach § 21 a der Reichsverordnung über die Fürsorgepflicht (RFV) vom 13. Februar 1924 (RGBl I 100) darstelle; es handele sich um eine Anspruchsüberleitung kraft Gesetzes. Überdies wurde der Beklagten eine Erklärung des H... (vom 28. Februar 1955) übersandt, worin dieser das Kindergeld für Monat Januar 1955 an den Kläger abtrat. Die Beklagte hielt entgegen, daß der Anspruch auf Kindergeld nicht übertragbar sei und daß sie ohne Anordnung des Vormundschaftsgerichts an den Kläger nicht auszahlen könne. Diesbezügliche Anträge des Klägers lehnte das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - ab (Verfügungen vom 8. und 14. März 1955); seine Beschwerde wurde vom Landgericht (Beschluß vom 4. Mai 1955) zurückgewiesen.
II. Mit Bescheid vom 25. Juli 1955 stellte die Beklagte fest, daß H... für seine Kinder H..., J..., C... und S... vom 1. Januar 1955 an Kindergeld in Höhe von je 25,- DM, insgesamt also 100,- DM, zustehe. Gleichzeitig wurde darin H... mitgeteilt, daß sie das Kindergeld für Januar 1955 bis zur Klärung des vom Kläger erhobenen Ersatzanspruchs einbehalte. Mit Abdruck dieses Bescheids für H erteilte die Beklagte dem Kläger zugleich einen zusätzlichen Bescheid folgenden Inhalts:
"Der vom Bezirksfürsorgeverband R... geltend gemachte Ersatzanspruch für Monat Januar 1955 in Höhe von 100,- DM kann von der Landw. Familienausgleichskasse Oberfr. u. Mittelfr. vorerst nicht befriedigt werden, da die Regelung des § 8 des Kindergeldgesetzes einer Übertragungsmöglichkeit durch Geltendmachung eines Ersatzanspruchs Ihrerseits entgegensteht. Auf den bisher geführten diesbezüglichen Schriftwechsel darf insofern Bezug genommen werden."
Hiergegen erhob der Kläger am 30. Juli 1955 Klage zum Sozialgericht (SG). Er stützte seinen Ersatzanspruch auf § 21 a RFV; Identität, Gleichartigkeit und Gleichzeitigkeit der Leistungen lägen vor. Als Sondervorschrift habe § 21 a RFV Vorrang vor § 8 KGG. Das SG Nürnberg hob den dem Kläger von der Beklagten erteilten Bescheid vom 25. Juli 1955 auf und verpflichtete diese, das H... für seine vier kindergeldberechtigten Kinder für den Monat Januar 1955 ursprünglich zustehende Kindergeld in Höhe von 100,- DM an den Kläger auszuzahlen (Urteil vom 26. März 1956).
Die zugelassene Berufung wurde von der Beklagten wie auch von H.e (als Beigeladenem) eingelegt. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) wies diese Berufungen zurück (Urteil vom 8. Januar 1958). Der gegen die Beklagte erhobene Erstattungsanspruch des Klägers sei im geltend gemachten Umfange nach § 21 a RFV begründet. Es entspreche einem alten anerkannten Grundgedanken des öffentlichen Rechts, daß die Anspruchsberechtigten nach der Verwirklichung ihres Anspruchs dem vorleistenden Fürsorgeträger die Aufwendungen zu erstatten hätten. Der Anspruch auf Kindergeld sei zwar gemäß § 8 KGG anderweit nicht übertragbar und daher auch nicht abtretbar, verpfändbar und pfändbar. In der gesetzlichen Systematik von Leistung und Anrechnung öffentlicher Mittel greife aber das Recht der Anspruchsüberleitung jedenfalls Platz, solange der Gesetzgeber die Anrechenbarkeit, Übertragbarkeit und Rückerstattung nicht ausdrücklich ausschließe. Bei § 8 KGG sei dies nicht der Fall. Er gehe als spätere Vorschrift dem § 21 a RFV auch nicht vor, da beide Normen weitgehend verschiedene gesetzliche Tatbestände beträfen und es daher an einer echten Gesetzeskonkurrenz fehle. Die formellen Voraussetzungen des Anspruchsübergangs nach § 21 a RFV (identische Personen, gleichzeitige und gleichartige Leistungen) seien erfüllt. Revision wurde zugelassen.
III. Die von H... (als Beigeladenem) eingelegte Revision wurde durch Beschluß des erkennenden Senats vom 5. Juni 1959 verworfen, weil sie am 21. März 1958 privatschriftlich und daher nicht formgerecht, die Revision seiner im Armenrecht beigeordneten Prozeßbevollmächtigten vom 23. Oktober 1958 aber ohne Wiedereinsetzungsmöglichkeit nicht fristgerecht eingelegt worden war.
Die Beklagte legte gegen das ihr am 10. März 1958 zugestellte Urteil des LSG am 3. April 1958 Revision ein und begründete diese am 29. April 1958. Sie ist der Auffassung, daß § 8 KGG einer Überleitung des Anspruchs des Klägers nach § 21 a RFV entgegenstehe, ohne Ausnahmen zuzulassen. Das ergebe sich aus Abs. 2 des § 8 KGG, der eine abschließende Regelung aller Fälle enthalte, in denen das Kindergeld auch an dritte Personen ausgezahlt werden könne. Dadurch unterscheide sich § 8 KGG von anderen gesetzlichen Übertragungsverboten, von denen Ausnahmen möglich seien. Im übrigen fehle es aber auch an der für § 21 a RFV erforderlichen Identität der unterstützten Personen; denn die Fürsorgeleistungen seien nur für die Kinder H... (des Beigeladenen) erbracht worden, nicht aber für ihn als nach dem KGG Anspruchsberechtigten selbst.
Die Beklagte beantragte,
die Urteile des SG vom 26. März 1956 und des LSG vom 8. Januar 1958 aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Unter Hinweis auf die seiner Meinung nach zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vertritt er die Auffassung, daß der geltend gemachte Forderungsübergang aus § 21 a RFV sowohl dem Grunde als auch den einzelnen Voraussetzungen nach gerechtfertigt und begründet sei. Darüber hinaus stützt er seinen Anspruch auf die Abtretungserklärung des H... (Beigeladenen) vom 28. Februar 1958.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
IV. Die Revision der Beklagten ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und deswegen zulässig.
Die Revision ist auch begründet.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 24. Februar 1955 - seine weitere schriftliche Mitteilung vom 1. März 1955 ist hierzu lediglich eine Erläuterung - den Übergang des Kindergeldanspruchs des Beigeladenen H... für Januar 1955 zum Ersatz von Fürsorgeleistungen geltend gemacht. Dieser sachliche und rechtliche Inhalt der schriftlichen Erklärungen des Klägers ist unter den Beteiligten unbestritten. Beantwortet wurden sie seitens der beklagten FAK (nach vorausgegangenem Schriftwechsel) zuletzt mit dem an den Kläger gerichteten (zusätzlichen) "Bescheid" vom 25. Juli 1955, in dem sie auf § 8 KGG als Übertragungs- und Zahlungshindernis verwies. Das SG und ihm folgend das LSG haben ihn als "Gegenstand der Klage" behandelt. Den äußeren Umständen nach erscheint dies formell zutreffend. Es entspricht indessen nicht der wirklichen Sach- und Rechtslage. Weder das Gesetz über die Gewährung von Kindergeld und die Errichtung von Familienausgleichskassen (Kindergeldgesetz) vom 13. November 1954 (BGBl I 333) noch die zu seiner Änderung und Ergänzung ergangenen Vorschriften enthalten eine Rechtsgrundlage dafür, daß die beklagte FAK über den Erstattungsanspruch des Klägers im Wege eines eigenen Verwaltungsakts zu entscheiden befugt wäre. Einem diesbezüglichen Verwaltungsentscheid ihrerseits steht zudem die Tatsache einer "Gleichordnung" beider Beteiligten entgegen (vgl. Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit 2. Aufl. § 54 Anm. 6 c). Deshalb stellt der dem Kläger zugefertigte "Bescheid" der Beklagten vom 25. Juli 1955 tatsächlich nur eine Mitteilung darüber dar, daß "der geltend gemachte Erstattungsanspruch vorerst nicht befriedigt werden könne", ohne daß sonst darin eine den Kläger rechtlich bindende Entscheidung zu finden ist. Also war auch die von der Beklagten hinzugefügte Rechtsmittelbelehrung unzutreffend. Das Stammrecht selbst aber, auf das der Kläger die begehrte Erstattung stützte, nämlich der Kindergeldanspruch des Beigeladenen H..., war von der Beklagten durch ihren (dessen Feststellung enthaltenden) Bescheid vom 25. Juli 1955 an diesen anerkannt und, soweit sich dem vom LSG ermittelten Tatbestand entnehmen läßt, von sämtlichen Beteiligten nicht bestritten. Mithin bestand von Rechts wegen für den Kläger kein zwingender Anlaß, wegen zugrunde liegender Ansprüche aus dem Kindergeldrecht den Rechtsweg der Sozialgerichtsbarkeit zu beschreiten.
V. Der "eigentliche Streitgegenstand" zwischen den Beteiligten ist - vom Verwaltungsverfahren an erkennbar - der im Schreiben des Klägers an die beklagte FAK vom 24. Februar 1955 geltend gemachte Ersatzanspruch auf 100,- DM wegen der vorausgegangenen Fürsorgeleistungen. Es ist dies eine Anzeige auf Grund von § 21 a Abs. 1 Satz 1 RFV. Nach dieser Vorschrift, die durch die Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 5. Juni 1931 (RGBl I 279 ff) in den Text der RFV eingefügt wurde, kann der Fürsorgeverband, der auf Grund dieser Verordnung einen Hilfsbedürftigen unterstützt hat, wenn jener für die Zeit der Unterstützung Rechtsansprüche gegen einen Dritten auf Leistungen zur Deckung des Lebensbedarfs hat, durch schriftliche Anzeige an den Dritten bewirken, daß diese Rechtsansprüche zum Ersatz auf ihn übergehen. Ihrem Wesen (Rechtscharakter) gemäß ist die schriftliche Anzeige der Überleitung von Ansprüchen nach § 21 a RFV ein Verwaltungsakt (BVerwG, Urteil vom 3. Juli 1956 in NDV 1957, 89 ff; BVerwG 4, 215 ff; BGH, Urteil vom 29. Februar 1956 in NJW 1956, 790 ff); sie führt auf hoheitsrechtlicher Grundlage, nicht aus partnerschaftlichen Befugnissen fiskalischer oder erwerbswirtschaftlicher Art, den Anspruchsübergang herbei und ersetzt insoweit die Willenserklärung des Betroffenen. Zugleich hat diese Überleitungsanzeige aber Rechtswirkungen nicht allein im Verhältnis der beteiligten Behörden oder Körperschaften untereinander, sondern ebenso bezüglich des Unterstützungsempfängers, der seinen ursprünglichen Anspruch (Stammrecht) gegenüber den Dritten in demselben Umfang regelmäßig einbüßt. Hat eine Anzeige auf Überleitung von Ansprüchen ihre Rechtsgrundlage jedoch in § 21 a RFV, so handelt es sich um einen Verwaltungsakt, für dessen Erlaß wie für dessen Bestand die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts maßgebend sind und bei dessen Anfechtung die Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichte gegeben ist.
Von dieser Rechtslage her mußte der Sachverhalt von den Vorinstanzen ermittelt und gewürdigt werden. Erst danach läßt sich beurteilen, ob öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten des Kindergeldrechts (§ 28 KGG) vorliegen.
VI. Das LSG hat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, ob die Überleitungsanzeige des Klägers vom 24. Februar 1955 durch einen der Beteiligten (etwa durch die Beklagte mit ihren an den Kläger gerichteten "Bescheid" vom 25. Juli 1955 oder sonst) angefochten worden ist. Deshalb ist offen, ob über einen einschlägigen Rechtsbehelf von den hierfür zuständigen Instanzen bereits entschieden wurde. Es bleibt infolgedessen auch ungeklärt, ob der Verwaltungsakt des Klägers vom 24. Februar 1955 für sämtliche Beteiligten in der Sache bindend geworden ist (vgl. § 77 SGG). Diese Feststellungen kann der erkennende Senat selbst nicht treffen; das Urteil des LSG mußte deshalb aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung dorthin zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG). Ergibt sich nach den weiteren Ermittlungen, daß die Überleitungsanzeige als Verwaltungsakt bindend geworden ist, so sind die auftretenden Rechtsfragen, auch soweit sie sich sachlich-rechtlich auf den Bereich der Kindergeldgesetze erstrecken sollten, der Nachprüfung im sozialgerichtlichen Verfahren auf jeden Fall entzogen. Die Klage, die ohnehin auf eine unzutreffende Rechtsmittelbelehrung hin eingereicht wurde, wäre alsdann als unzulässig zu verwerfen. Sind aus dem Raum der Verwaltung Rechtsbestandswirkungen nicht erweislich, so ist der Rechtsstreit an ein Gericht der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verweisen, falls unmittelbare Streitigkeiten aus dem Kindergeldrecht nicht festzustellen sind. Weder die Anfechtung der Überleitungsanzeige noch der Erstattungsanspruch selbst auf Grund von § 21 a RFV betreffen öffentlich-rechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten des KGG.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen
NJW 1961, 1327 |
MDR 1961, 633 |