Leitsatz (amtlich)
Der Versicherte steht, wenn er erstmalig nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraums das Geldinstitut persönlich aufsucht, beim Abheben eines Geldbetrages auch dann nach RVO § 548 Abs 1 S 2 unter Versicherungsschutz, wenn vor ihm bereits von seinem Konto eine andere Person nach Ablauf des Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraums einen Geldbetrag abgehoben hat.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 31. Mai 1976 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 13. November 1975 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist bei einer Firma in H, A-Straße beschäftigt. Am 10. Dezember 1973 verließ er nach Beendigung seiner Arbeit gegen 14.45 Uhr die Betriebsstätte mit seinem Motorrad. Er nahm jedoch nicht den direkten Weg zu seiner Wohnung, sondern befuhr die A-Straße zunächst in entgegengesetzter Richtung, um an einer Tankstelle Ecke G-straße/B-straße zu tanken. Danach wollte er zu dem Geldinstitut fahren, auf das sein Arbeitgeber das Gehalt überwies. Auf dem Weg dorthin verunglückte er an der Ecke B-straße/U-weg. Er zog sich einen Unterschenkelschaftbruch links zu. Die Ehefrau des Klägers hatte von dem Gehaltskonto ihres Mannes am 30. November 1973 einen Betrag von 1.500,- DM abgehoben. Der Arbeitgeber überwies das Gehalt jeweils drei bis vier Tage vor Monatsende.
Die Beklagte lehnte Entschädigungsansprüche ab.
Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 13. November 1975 die Beklagte verurteilt, den Kläger wegen der Folgen des Unfalles vom 10. Dezember 1973 zu entschädigen. Es hat ausgeführt: Das Tanken habe zwar eigenwirtschaftlichen Zwecken gedient. Der Kläger sei aber auf dem Weg zum erstmaligen persönlichen Aufsuchen des Geldinstituts nach Ablauf des Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes verunglückt.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 31. Mai 1976 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage mit folgender Begründung abgewiesen: Der Kläger sei nicht beim erstmaligen Aufsuchen des Geldinstituts nach Ablauf des Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes verunglückt. Die Tatbestandmerkmale "erstmalig" und "persönlich" bildeten keine inhaltliche Einheit. Dies zeige sich nicht nur in der sprachlichen Fassung, sondern folge insbesondere aus der Entstehungsgeschichte der durch das Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz (UVNG) eingefügten Vorschrift. Diese sollte der Entwicklung zur bargeldlosen Lohn- und Gehaltszahlung Rechnung tragen, jedoch eine Besserstellung der Versicherten bei der bargeldlosen Zahlung vermeiden. Daraus werde deutlich, daß beide Tatbestandsmerkmale unabhängig voneinander vorliegen müßten. Unter Versicherungsschutz stehe daher nicht generell das erstmalige persönliche Aufsuchen des Geldinstituts durch den Versicherten, sondern nur das erstmalige Aufsuchen, wenn der Versicherte es persönlich vornehme. Damit sei das erstmalige Aufsuchen des Geldinstituts durch eine andere Person als den Versicherten ebensowenig geschützt wie das Aufsuchen durch den Versicherten, das nicht das erste nach dem Ablauf des Zahlungszeitraumes sei. Der Kläger habe das Geldinstitut am Unfalltage somit nicht mehr erstmalig aufgesucht, weil seine Ehefrau von dem Konto bereits am 30. November 1973 Geld abgehoben habe.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Kläger hat dieses Rechtsmittel eingelegt.
Er trägt vor: Nach der sprachlichen Fassung des § 548 Abs 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bildeten die Worte "erstmalig" und "persönlich" eine inhaltliche Einheit. Auch aus Sinn und Zweck der Regelung lasse sich die von der Beklagten gewünschte Rechtsfolge nicht herleiten. Zweifellos sei es richtig, daß der Gesetzgeber keinen umfassenden Versicherungsschutz für alle Handlungen herstellen wollte, die mit der bargeldlosen Zahlung des Arbeitsentgelts zusammenhängen. Die Eingrenzung des Versicherungsschutzes bei bargeldloser Lohn- oder Gehaltszahlung bedeute jedoch nicht, daß der Gesetzgeber beabsichtige, den Versicherungsschutz entfallen zu lassen, falls nicht der Versicherte selbst erstmalig von seinem Konto Geld abhebe.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision ist begründet.
Der Kläger stand auf dem Weg nach und von dem Auftanken seines Motorrades nicht gemäß § 550 Abs 1 RVO unter Versicherungsschutz. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG war das Tanken nicht erforderlich, um an diesem Tag den Heimweg beenden zu können (vgl BSG SozR Nr 63 zu § 543 RVO aF; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 8. Aufl S. 486 n mit weiteren Nachweisen), und der Unfall ereignete sich auch nicht erst nach dem Erreichen des Weges von dem Ort der Tätigkeit zur Wohnung des Klägers.
Nach der durch das UVNG vom 30. April 1963 (BGBl I 241) neu geschaffenen Vorschrift des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO gilt als versicherte Tätigkeit auch das Abheben eines Geldbetrages bei einem Geldinstitut, auf das der Arbeitgeber den Lohn oder das Gehalt des Versicherten zu dessen Gunsten überweist oder zahlt, wenn der Versicherte erstmalig nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes das Geldinstitut persönlich aufsucht.
Der Kläger beabsichtigte nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, das Geldinstitut, an das sein Arbeitgeber das Gehalt überwies, persönlich aufzusuchen (s. BSGE 26, 234), um Geld abzuheben.
Dem Versicherungsschutz nach § 548 Abs 1 Satz 2 RVO steht nicht entgegen, daß der Kläger erst am 10. Dezember das Geldinstitut persönlich aufsuchen wollte; denn der Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift setzt nicht voraus, daß das Geld alsbald nach Ablauf des Lohnzahlungszeitraumes abgehoben wird (Brackmann aaO S 484 b; Ilgenfritz, BG 1963, 327, 328 und BB 1963, 403, 404).
Der Kläger hat nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG das Geldinstitut am Unfalltag erstmalig nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes persönlich aufsuchen wollen. Seine Ehefrau hatte allerdings bereits am 30. November 1973 nach Eingang der Lohnzahlung Geld abgehoben. Das Geld wurde zwar von ihr noch am letzten Tag des November 1973 abgehoben. Der Lohnzahlungszeitraum gilt aber, wie das LSG mit Recht entschieden hat, mit der - jedenfalls unmittelbar vor dem Monatsende erfolgten - Gutschrift des schon vor Fälligkeit überwiesenen Lohnes als abgelaufen im Sinne des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO (Brackmann aaO; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl, § 548 Anm 87 Nr 1; Ilgenfritz, BG aaO). Damit ist nicht zum Ausdruck gebracht, daß der Lohnzahlungszeitraum immer erst an dem Tage abläuft, an dem der Lohn dem Vermögen des Versicherten durch Gutschrift auf sein Konto zugeflossen ist. Der vorliegende Rechtsstreit bietet keinen Anlaß zu der Entscheidung, ob etwa ein Lohnzahlungszeitraum unabhängig davon ablaufen kann, daß eine Überweisung des Arbeitgebers nicht oder mit Verzögerung erfolgt ist oder die Gutschrift auf dem Konto des Versicherten aus anderen Gründen unterbleibt oder verspätet vorgenommen wird. Diese Fragen erlangen erst Bedeutung, wenn der Versicherte das Geldinstitut vergeblich aufsucht, weil ihm zu Lasten seines Kontos kein Geldbetrag ausgezahlt wird und er im Zusammenhang mit dem Aufsuchen des Geldinstituts einen Unfall erleidet.
Im Schrifttum wird für den Fall, daß eine andere Person als der Versicherte nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes einen Geldbetrag abgehoben hat, der Versicherungsschutz für den Versicherten überwiegend verneint, wenn dieser später selbst einen weiteren Geldbetrag abhebt (Lauterbach aaO § 548 Anm 87 Nr 2; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl, Kennzahl 095 S. 4; Noell/Breitbach, Landwirtschaftliche Unfallversicherung, § 548 Anm 2 b; Schieke, Der Sozialversicherungsbeamte 1963, 155, 156; Rupp, Die Bundesbahn 1966, 573, 575). Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an (ebenso Coenen, Rechtsfragen der bargeldlosen Entlohnung, Diss. Köln, 1969 S. 178; zweifelnd Ilgenfritz, BG aaO).
Der Gesetzeswortlaut steht dem Versicherungsschutz nach § 548 Abs 1 Satz 2 RVO nicht entgegen, wenn vor dem Versicherten schon eine andere Person nach Ablauf des maßgebenden Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes für ihn das Geldinstitut aufgesucht und einen Geldbetrag abgehoben hat. Die Voraussetzung, daß der Versicherte nach Ablauf des Lohnzahlungszeitraumes erstmalig "persönlich" das Geldinstitut aufsucht, spricht sogar mehr dafür, den Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift insoweit nur davon abhängig zu machen, daß er - der Versicherte - persönlich erstmalig das Geldinstitut aufsucht. Dagegen kann nicht, wie das LSG meint, angeführt werden, die Tatbestandsmerkmale erstmalig und persönlich bildeten keine inhaltliche Einheit; denn ein Versicherungsschutz kommt nur in Betracht, wenn der Versicherte selbst persönlich tätig wird. Die gesamte Regelung des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO bezieht sich ausschließlich auf den Versicherten, so daß das Tatbestandsmerkmal "persönlich" unabhängig von seiner Stellung im Satzgefüge sich jedenfalls auch auf das erstmalige Aufsuchen des Geldinstituts durch den Versicherten bezieht. Der Senat übersieht nicht, daß das Tatbestandsmerkmal "persönlich" auch Bedeutung für die Art des Aufsuchens des Geldinstituts hat (s. BSGE 26, 234, 235). Ebenso ist nicht auszuschließen, diese Vorschrift allein nach ihrem Wortlaut dahin auszulegen, es bestehe Versicherungsschutz, wenn das Geldinstitut nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes erstmalig, aber vom Versicherten persönlich aufgesucht wird.
Die Entstehungsgeschichte des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO stützt die vom Senat vertretene Auffassung. Bei der früher gebräuchlichen Lohn- oder Gehaltsauszahlung im Betrieb bestand seit jeher Unfallversicherungsschutz (BSGE aaO). Das Reichsversicherungsamt (RVA) hatte bereits in seiner Entscheidung vom 16. Januar 1888 (AN S. 83) einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Empfang oder den Erkundigungen über die Zahlung des Lohnes angenommen. Dieser Ansicht ist gleichfalls schon frühzeitig das Schrifttum beigetreten, da die Empfangnahme des Lohnes ihrem Wesen nach dem Betrieb zuzurechnen sei; sie sei wesentlich durch den Betrieb und die in ihm geleistete Tätigkeit veranlaßt (Handbuch der Unfallversicherung, Erster Band, 3. Aufl, 1909, S. 108; ebenso RVA-Mitgliederkommentar, Band III, 2. Aufl 1930, § 544 Anm 2 a; Schulte-Holthausen, Unfallversicherung, 4. Aufl 1929, § 544 Anm 13). Als im wachsenden Umfang die Unternehmer zur bargeldlosen Lohn- oder Gehaltszahlung auf Girokonto übergingen, entwickelte sich zunächst eine unterschiedliche Rechtsprechung der Instanzgerichte darüber, ob entsprechend der Entgegennahme des Geldes bei der Barauszahlung im Betrieb auch beim Abheben des Lohnes vom Lohn- oder Gehaltskonto Versicherungsschutz bestand (s. die Nachweise bei Brackmann aaO S. 484). Diese Umstände haben den Gesetzgeber während der Ausschußberatungen des UVNG (s. BT-Drucks. IV/938 - neu -) zur Einfügung des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO bewogen. Er hat den seit jeher angenommenen Versicherungsschutz im Zusammenhang mit der Lohnzahlung den besonderen Verhältnissen des Lohn- oder Gehaltsempfanges durch bargeldlose Überweisung auf ein Lohn- oder Gehaltskonto angepaßt; der Versicherte sollte grundsätzlich nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt sein als bei barer Lohnzahlung im Betrieb. Eine Besserstellung liegt jedoch nicht vor, wenn gegenüber der baren Lohnauszahlung bestehende Besonderheiten der Überweisung des Lohnes oder Gehaltes auf ein Konto bei einem Geldinstitut berücksichtigt werden. Der Senat hat nicht, wie das Berufungsgericht wohl meint, einen Versicherungsschutz nach § 548 Abs 1 Satz 2 RVO nur bei den Vorgängen beim Abheben eines Geldbetrages anerkannt, die am genauesten der früher allein gebräuchlichen Lohn- oder Gehaltsauszahlung im Betrieb entsprechen. Der Senat hat in seinem Urteil vom 28. April 1967 (aaO) lediglich die Barauszahlung am Kassenschalter als den Vorgang angesehen, der am genauesten der Lohn- und Gehaltsauszahlung im Betrieb entspricht. Der Senat hat in dieser Entscheidung jedoch die Vornahme bargeldloser Überweisungen vom Lohn- oder Gehaltskonto als Abheben eines Geldbetrages im Sinne des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO angesehen und damit bereits die Besonderheiten einer Lohn- oder Gehaltszahlung auf ein Konto bei einem Geldinstitut berücksichtigt. Der Gesetzgeber hat durch diese Vorschrift, wie der Senat ebenfalls bereits in seinem Urteil vom 28. April 1967 ausgeführt hat (BSGE aaO S. 236; ebenso BSGE 41, 141, 143), allerdings keinen allumfassenden Versicherungsschutz beim persönlichen Aufsuchen des Geldinstituts in Verbindung mit dem dort geführten Lohn- oder Gehaltskonto gewährleisten wollen. Der Versicherte steht vielmehr nach § 548 Abs 1 Satz 2 RVO nur beim erstmaligen persönlichen Aufsuchen des Geldinstituts nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes unter Versicherungsschutz, allerdings unabhängig davon, ob vor ihm von seinem Konto schon eine andere Person nach Ablauf des Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes einen Geldbetrag abgehoben hat. Damit ist der Versicherte nicht grundsätzlich besser gestellt als bei barer Lohnauszahlung im Betrieb. Vielmehr sind einerseits die gegenüber einer baren Lohnauszahlung bestehenden Besonderheiten berücksichtigt, die ua darin bestehen, daß Kontoinhaber regelmäßig an dem von ihnen bestimmten Tag und in der Regel mehrmals das Geldinstitut im Laufe eines Lohnzahlungszeitraumes aufsuchen (vgl Coenen aaO). Andererseits ist durch die Begrenzung des Versicherungsschutzes ua bei nur einem, und zwar dem ersten persönlichen Aufsuchen des Geldinstituts nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes insoweit grundsätzlich kein weitergehender Versicherungsschutz als bei der baren Lohn- und Gehaltszahlung im Betrieb begründet und zudem hinsichtlich des Versicherungsschutzes beim Abheben eines Geldbetrages im Sinne des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO eine klare dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift entsprechende Grenzziehung gesichert. Demgegenüber wäre die Gegenmeinung, der Versicherte stehe nicht unter Versicherungsschutz, wenn nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes zwar er persönlich erstmalig das Geldinstitut aufsucht, vor ihm aber eine andere Person einen Geldbetrag abgehoben hat, hinsichtlich der Vielzahl der in Betracht kommenden Fallgestaltungen zu im Einzelfall oft nicht überzeugend abgrenzbaren Differenzierungen gezwungen. Die Gegenmeinung müßte sonst zB den Versicherungsschutz auch verneinen, wenn der Beschäftigte aus betrieblichen Gründen, zB weil er im Interesse des Betriebes unerwartet Überstunden machen muß, seine Frau bittet, am Ersten des Monats einen für die nächsten ein oder zwei Tage ausreichenden Betrag abzuheben. Zu prüfen bliebe auch, ob nach der Gegenmeinung der Versicherungsschutz jedenfalls dann nicht mehr gegeben wäre, wenn der Versicherte nur zweifelt, ob es ihm trotz der Überstunden gelingen wird, rechtzeitig Geld abzuheben und die Ehefrau auf Bitten des Versicherten oder aus eigenem Antrieb vorsorglich Geld abhebt. Eine weitere Differenzierung wäre ggf erforderlich, wenn ein anderer ohne Wissen des Versicherten vor ihm - uU unmittelbar vor ihm, als er sich schon auf dem Weg zum Geldinstitut befunden hat - bereits einen Betrag abgehoben hat. In diesem Fall müßte ggf für den Versicherungsschutz nach § 548 Abs 1 Satz 2 RVO erheblich sein, ob die andere Person zum Abheben des Geldes befugt war.
Die Gegenmeinung rechtfertigt sich auch nicht aus der Erwägung, durch die Abhebung des Lohnes oder Gehaltes durch eine andere Person sei dem Versicherten die Verfügungsmöglichkeit über das Geld bereits erstmalig gegeben. Nach § 548 Abs 1 Satz 2 RVO ist der Versicherungsschutz insoweit nicht allein von der Verfügungsmöglichkeit über das Geld abhängig. Auch wenn der Versicherte durch Überweisungsaufträge, die er dem Geldinstitut durch Einstecken in den Briefkasten übermittelt hat, bereits über Teile seines Lohnes oder Gehalts verfügt hat, steht er dennoch unter Versicherungsschutz, wenn er später erstmalig persönlich das Geldinstitut aufsucht (s. BSGE Bd 26 aaO). Schließlich ist entgegen einem Teil des angeführten Schrifttums nicht davon auszugehen, der im Gesetz für den Beschäftigten vorgesehene Versicherungsschutz beim erstmaligen persönlichen Aufsuchen des Geldinstituts nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes werde dadurch "verbraucht", daß eine andere Person vorher diesen Gang unternommen hat. Die Konstruktion eines "Verbrauchens" des Versicherungsschutzes durch die Tätigkeit einer anderen Person ist dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung auch in anderen Bereichen fremd (zB beim Versicherungsschutz nach § 548 Abs 1 Satz 1 und § 550 RVO).
Ausgehend vom Gesetzeswortlaut und gestützt auf die Entstehungsgeschichte ist somit nach Sinn und Zweck des § 548 Abs 1 Satz 2 RVO zugunsten einer möglichst klaren Abgrenzung im Interesse der Rechtssicherheit davon auszugehen, daß der Versicherte gemäß § 548 Abs 1 Satz 2 RVO unter Versicherungsschutz steht, wenn er selbst erstmalig nach Ende eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes persönlich das Geldinstitut aufsucht, unabhängig davon, ob eine andere Person -aus welchen Gründen auch immer - schon früher einen Geldbetrag abgehoben hat.
Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des LSG war unter Aufhebung des angefochtenen Urteils daher die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 1651967 |
BSGE, 119 |