Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. keine Überprüfung in der Revisionsinstanz: gewillkürte Änderung der Zusammensetzung der Beteiligten
Orientierungssatz
In der Revisionsinstanz ist eine gewillkürte Änderung der Zusammensetzung der Beteiligten nicht zulässig.
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Urteil vom 14.12.1960) |
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 14. Dezember 1960 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der im Kraftwerk W. der R. Eisen- und Stahlwerke beschäftigt gewesene Kläger stürzte am 14. August 1956 auf der Arbeitsstätte in einen 1,6 m tiefen Kanalschacht und erlitt hierdurch Hautabschürfungen sowie Prellungen am rechten Arm und Rücken.
Die Landesversicherungsanstalt (LVA) für das Saarland (Abt. Allgemeine Unfallversicherung - UV -) versagte mit Bescheid vom 21. Mai 1958 die begehrte Unfallentschädigung, weil die Verletzungsfolgen bereits seit März 1956 abgeklungen und die noch vorhandenen Beschwerden auf eine unfallfremde abnorme seelische Unfallreaktion zurückzuführen seien.
Die vom Kläger hiergegen eingelegte Berufung hat das Oberversicherungsamt (OVA) für das Saarland durch Urteil vom 27. Juni 1958 zurückgewiesen. Das hierauf beim Landesversicherungsamt (LVAmt) für das Saarland eingeleitete Rekursverfahren ist mit Wirkung vom 1. Januar 1959 als Berufungsverfahren auf das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland übergegangen.
In den verschiedenen Rechtszügen hat der Kläger die LVA für das Saarland (Abt. Allgemeine UV) als Beklagte bezeichnet. Mit Schreiben vom 4. Juli 1960 hat die Bezirksverwaltung Saarbrücken der Süddeutschen Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft (BG) dem LSG mitgeteilt, daß auf Grund des Gesetzes zur Neuordnung der Sozialversicherungsträger im Saarland (SOGS) vom 28. März 1960 nunmehr sie zuständig geworden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG sind der Kläger mit seinen Bevollmächtigten und als Vertreter der Beklagten ein Angestellter der Süddeutschen Eisen- und Stahl-BG erschienen. Das LSG hat durch Urteil vom 14. Dezember 1960 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Im Urteil findet sich die Bemerkung, daß die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG gemäß dem SOGS für die Streitsache des Klägers als Beklagte zuständig geworden sei. Das LSG hat die Revision zugelassen, weil "über Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (Ursachenzusammenhang von neurotischen Erscheinungen mit einem Arbeitsunfall)" zu entscheiden gewesen sei.
Der Bevollmächtigte des Klägers hat mit Schriftsatz vom 27. März 1961 Revision zum Bundessozialgericht (BSG) eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 14. Juni 1961 begründet.
Die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG hat mit Schreiben vom 20. Juli 1961 mitgeteilt, daß in der Streitsache des Klägers nach dem SOGS die Zuständigkeit von der LVA für das Saarland (Abt. Allgemeine UV) auf die BG der Feinmechanik und Elektrotechnik übergegangen sei. Ihre Bezirksverwaltung Saarbrücken habe für die LVA Saar die Abwicklungsarbeiten für den Übergang der einzelnen Unfallsachen auf die nunmehr zuständigen Unfallversicherungsträger des Bundesgebiets vorgenommen. Das dieser Abwicklungsstelle unterlaufene Versehen könne im vorliegenden Rechtsstreit nicht die Zuständigkeit der Süddeutschen Eisen- und Stahl-BG begründen.
Der Bevollmächtigte des Klägers ist im Schriftsatz vom 7. September 1961 hingegen der Meinung gewesen, daß das Berufungsgericht die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG - von dieser unwidersprochen - als Beklagte angesehen und die Revision sich somit gegen diese BG als Beklagte zu richten habe; ein Parteiwechsel sei im Revisionsverfahren nicht möglich.
Der Bevollmächtigte der Süddeutschen Eisen- und Stahl-BG hat im Schriftsatz vom 13. Oktober 1961 die Revision für unbegründet gehalten, weil ein Entschädigungsanspruch schon mangels Unfallfolgen, ein solcher Anspruch aber keinesfalls gegen die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG gegeben sei. Er hat deren Behandlung als Beklagte dieses Verfahrens zwar als bedenklich angesehen, aber auch eingeräumt, daß das Revisionsvorbringen über die katastermäßige Zugehörigkeit des Unfallbetriebs zur BG der Feinmechanik und Elektrotechnik gem. § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) für das Revisionsgericht unbeachtlich sei.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
II
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 SGG sind gegeben.
Die - durch Zulassung statthafte (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) - Revision ist begründet.
Der Kläger hält den von der LVA für das Saarland (Abt. Allgemeine UV), die nach der seinerzeitigen Gesetzgebung des Saarlandes der zuständige Versicherungsträger gewesen ist, am 21. Mai 1958 erteilten Bescheid für rechtswidrig. Jener Versicherungsträger ist in den Rechtsmittelverfahren vor dem OVA und dem LVAmt für das Saarland sowie zunächst im Berufungsverfahren vor dem LSG für das Saarland der richtige Beklagte gewesen. Mit Wirkung vom 1. April 1960 ist seine Zuständigkeit für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung auf die in § 15 SOGS genannten BGen im Wege der Rechtsnachfolge (§ 18 SOGS) übergegangen (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 30. März 1962 - BSG 17, 15, 17). Er hatte zwar die Aufgaben der Unfallversicherung längstens bis zum Ablauf eines Jahres nach Inkrafttreten des SOGS im Auftrage und für Rechnung der nunmehr zuständigen BG so lange und so weit wahrzunehmen, als diese ihre Aufgaben noch nicht übernommen hatte. Dies ändert aber nichts daran, daß mit dem Inkrafttreten des SOGS die nach § 15 SOGS in Frage kommende BG der zuständige Versicherungsträger geworden ist. In den bei den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit anhängigen Streitverfahren ist in den Fällen des § 15 SOGS mit Rücksicht auf die in § 18 SOGS festgelegte Rechtsnachfolge auf Seiten des Versicherungsträgers kraft Gesetzes ein Wechsel der Beteiligten eingetreten (vgl. Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 41 II 2 a). Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des SOGS ist der nunmehr vom erkennenden Senat zu entscheidende Rechtsstreit beim LSG für das Saarland anhängig gewesen. Die LVA für das Saarland (Abt. Allgemeine UV) ist damals aus dem Verfahren ausgeschieden. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß nach dem SOGS an ihre Stelle die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG getreten ist. Diese BG hält sich nunmehr nicht für zuständig; sie glaubt, daß die BG der Feinmechanik und Elektrotechnik Rechtsnachfolgerin der LVA für das Saarland (Abt. Allgemeine UV) ist. Dem Senat ist eine rechtliche Prüfung, wer anstelle dieses Versicherungsträgers im Rechtsstreit Beklagter geworden ist, nicht möglich, weil das angefochtene Urteil des Berufungsgerichts keine Feststellungen tatsächlicher Art enthält, die eine Entscheidung dieser Rechtsfrage zuließen. Das Berufungsgericht hat - ohne seine Entscheidung zu begründen - die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG offenbar deshalb als Rechtsnachfolgerin der LVA für das Saarland angesehen, weil jene BG im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom 4. Juli 1960 ihre Zuständigkeit nach dem SOGS behauptet und der Kläger hiergegen keine Einwendungen erhoben hatte.
Die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG konnte mit dieser Erklärung ihre Zuständigkeit nicht etwa "anerkennen" mit der Folge, daß hieran sie und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit gebunden wären. Gegenstand eines Anerkenntnisses kann allein der erhobene Anspruch sein (Rosenberg aaO § 131 I 2; vgl. auch § 101 Abs. 2 SGG). Jene Erklärung hat vielmehr die rechtliche Bedeutung, daß die Süddeutsche Eisen- und Stahl-BG, sollte sie im anhängigen Rechtsstreit in Wirklichkeit nicht Rechtsnachfolgerin der LVA für das Saarland (Abt. Allgemeine UV) sein, nicht ohne weiteres und insbesondere nicht gegen den Willen des Klägers aus dem Rechtsstreit wieder ausscheiden kann, zumal sie, ohne daß der Kläger dem widersprochen hat, von sich aus als Beklagte in das bereits in der Berufungsinstanz schwebende Verfahren eingetreten ist. Es bedarf somit vorliegendenfalls keiner Entscheidung, ob der nicht kraft Gesetzes erfolgte, sondern gewillkürte Eintritt eines Beteiligten als Beklagter in den Rechtsstreit während des Berufungsverfahrens nach den Vorschriften über die Änderung der Klage (so BSG 10, 97, 102) oder als eine Parteiänderung, für die die Regeln der Klageänderung nicht gelten (so BGHZ 21, 285, 287 - mit Anmerkungen von Lent in JZ 1956, 762 und von Bötticher in MDR 1958, 330 - zustimmend Rosenberg aaO § 41 III 2) zu beurteilen ist. In der Revisionsinstanz ist eine gewillkürte Änderung der Zusammensetzung der Beteiligten ohnehin nicht zulässig (RGZ 160, 204, 212; Rosenberg aaO § 41 III 1). Eine im Zusammenhang mit einem kraft Gesetzes eingetretenen Wechsel eines Beteiligten von einem Versicherungsträger abgegebene prozeßrechtlich bedeutsame Erklärung entbindet indessen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht von der Prüfung, ob dieser Versicherungsträger wirklich als Schuldner des vom Versicherten erhobenen Anspruchs in Frage kommt. Da das LSG diese Prüfung offensichtlich unterlassen hat, der Senat aber - wie bereits dargetan - mangels tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts sie nicht vornehmen kann, ist das angefochtene Urteil des LSG schon aus diesem Grunde aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Vordergericht zurückzuverweisen (vgl. SozR Nr. 6 zu § 163 SGG).
Bei seiner erneuten in der Sache zu treffenden Entscheidung wird sich das Berufungsgericht mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Frage der sog. Unfallneurose zu befassen haben (vgl. BSG 18, 173).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Fundstellen