Leitsatz (amtlich)
Eine Ausfallzeit kann in den Fällen des RVO § 1259 Abs 1 Nr 1 - 3 nur anerkannt werden, wenn durch sie eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen worden ist.
Folgen mehrere Ausfalltatbestände iS des RVO § 1259 Abs 1 - gleich welcher Art - unmittelbar aufeinander, so kommt es für die Anerkennung einer Ausfallzeit der in den Nr 1 - 3 genannten Art darauf an, ob durch den ersten dieser Ausfalltatbestände eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit unterbrochen worden ist.
Normenkette
RVO § 1259 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1965-06-09, Nr. 2 Fassung: 1965-06-09, Nr. 3 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 1967 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Berechnung des Altersruhegeldes eine Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit zu berücksichtigen ist.
Der Kläger ist am 23. November 1900 geboren. Er war als Dreher versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen einer Lungentuberkulose war er seit Januar 1943 arbeitsunfähig krank. Seit April 1944 bezog er Invalidenrente. Diese wurde ihm später mit Wirkung vom 1. Oktober 1949 an entzogen. Nach seiner Darstellung war er anschließend bis zum 7. Mai 1951 arbeitslos und beim Arbeitsamt als Arbeitsuchender gemeldet. Er nahm am 9. Mai 1951 wieder eine Beschäftigung auf und übte diese bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres aus. Mit Bescheid vom 10. Dezember 1965 bewilligte ihm die Beklagte das Altersruhegeld für die Zeit ab 1. November 1965. Mit der Klage gegen diesen Bescheid begehrte der Kläger die Berücksichtigung der Zeit der Arbeitslosigkeit vom 1. Oktober 1949 bis zum 7. Mai 1951 als Ausfallzeit, weil sie unmittelbar an die Rentenbezugszeit und diese wiederum an eine voraufgegangene Krankheit bedingte Arbeitsunfähigkeit anschließe, durch die ein Beschäftigungsverhältnis unterbrochen worden sei. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblieben. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, Voraussetzung für die Anrechnung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei ua, daß die Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen habe. Dies könne nur dann angenommen werden, wenn sich an die beendete Beschäftigung unmittelbar die Zeit der Arbeitslosigkeit anschließe. Das sei hier nicht der Fall. Vor dem 1. Oktober 1949 habe der Kläger Invalidenrente erhalten und keine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt. § 1259 Abs. 1 Satz 2 RVO lasse erkennen, daß der Gesetzgeber sich generell bei der Neufassung durch das Rentenversicherungs-Änderungsgesetz (RVÄndG) mit dem Zusammentreffen verschiedener Ausfallzeiten befaßt und Lösungen angestrebt habe, so daß eine Gesetzeslücke nicht vorliege, wenn für aufeinanderfolgende Ausfallzeiten der Nr. 3 und 6 keine Regelung getroffen sei. Es könne auch nicht übersehen werden, daß die Arbeitslosigkeit nie eine Ausfallzeit sein könne, wenn sie vor der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Beschäftigung liege. Das Versicherungsverhältnis des Klägers sei aber seit 1944 mit der Gewährung der Invalidenrente gleichsam abgeschlossen, weil der Kläger von diesem Zeitpunkt an versicherungsfrei gewesen sei und auch keine Möglichkeit gehabt habe, weitere Beiträge für einen "höherwertigen" Versicherungsfall zu entrichten.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 1259 Abs. 1 RVO und meint, die Zeit der Arbeitslosigkeit müsse mit der vorausgegangenen Krankheitszeit und der Rentenbezugszeit als eine Einheit angesehen werden.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 13. Oktober 1967 und des Urteils des SG Duisburg vom 14. November 1966 sowie in Abänderung des Bescheides vom 10. Dezember 1965 die Beklagte zu verurteilen, bei der Berechnung des Altersruhegeldes als weitere Ausfallzeiten die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 1. Oktober 1949 bis 7. Mai 1951 anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist insofern begründet, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen wird.
Das LSG hat keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Kläger - wie er behauptet - in der Zeit vom 1. Oktober 1949 bis zum 7. Mai 1951 arbeitslos und als Arbeitsuchender beim Arbeitsamt gemeldet war. Stimmen diese Behauptungen aber und hat der Kläger darüber hinaus in dieser Zeit Leistungen der in § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO genannten Art bezogen oder aus den in dieser Vorschrift aufgeführten Gründen nicht bezogen, so ist diese Zeit entgegen der Auffassung des LSG grundsätzlich als Ausfallzeit nach § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO anzuerkennen und gemäß § 1258 RVO bei der Ermittlung der Anzahl der Versicherungsjahre zu berücksichtigen.
Zwar ist die weitere Voraussetzung des § 1259 Abs. 1 Nr. 3 RVO, daß die Arbeitslosigkeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen haben muß, dem Wortlaut dieser Vorschrift nach nicht erfüllt, weil die Arbeitslosigkeit nicht unmittelbar an ein Beschäftigungsverhältnis anschließt. Der Kläger war nämlich vor der streitigen Zeit der Arbeitslosigkeit nicht beschäftigt, hatte Invalidenrente a. R. bezogen und war unmittelbar vor der Invalidenrentenbezugszeit arbeitsunfähig krank gewesen. Allerdings lag unmittelbar vor der Zeit der Arbeitsunfähigkeit ein Beschäftigungsverhältnis, das durch die Arbeitsunfähigkeit unterbrochen worden ist.
Der Senat ist der Auffassung, daß es in einem solchen Fall, in dem unmittelbar vor dem streitigen Ausfalltatbestand ein anderer Ausfalltatbestand oder eine Kette lückenlos aneinandergereihter Ausfalltatbestände, gleich welcher Art, liegt, für die Anerkennung von Ausfallzeiten der in den Nrn. 1 bis 3 genannten Art genügt, daß unmittelbar vor dem ersten dieser Ausfalltatbestände ein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat, das durch diesen unterbrochen worden ist.
Zweck des § 1259 RVO ist nämlich, dem Versicherten durch Zuerkennung einer "Ausfallzeit" einen angemessenen Ausgleich für unverschuldeten, auf Arbeitsunfähigkeit, Krankheit, Arbeitslosigkeit etc. beruhenden Beitragsausfall zu gewähren und ihn damit vor Nachteilen zu bewahren, die er andernfalls dadurch erleiden würde, daß er durch diese, von ihm nicht zu vertretenden Umstände für bestimmte Zeiten vom Erwerbsleben ausgeschlossen war (BSG SozR RVO § 1259 Nr. 20 Bl. Aa 23 Rücks). Wie sich schon aus dem Begriff "Ausfallzeit" ergibt, sollen diejenigen Beiträge ausgeglichen werden, die wegen eines gesetzlich anerkannten Ausfalltatbestandes "ausfallen". Sie können aber "wegen" eines solchen Ausfalltatbestandes nur ausgefallen sein, wenn der Versicherte während dieser Zeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen wäre, falls der Ausfalltatbestand nicht eingetreten wäre (BSG SozR RVO § 1259 Nr. 22). Während der Gesetzgeber in § 1259 Abs. 1 Nrn. 5 und 6 ohne weiteres unterstellt, daß während einer solchen Zeit ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hätte, der Versicherte also gearbeitet hätte und für ihn Beiträge entrichtet worden wären, wenn der betreffende Ausfalltatbestand nicht eingetreten wäre und er in Nr. 4 dies dann unterstellt, wenn der Versicherte innerhalb einer bestimmten Zeit nach dem Ende des Ausfalltatbestandes eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hat, unterstellt er dies in den Nrn. 1, 2, 2 a und 3 nur dann, wenn der Versicherte unmittelbar vor dem Beginn des Ausfalltatbestandes gearbeitet hat und für ihn Beiträge entrichtet worden sind, wenn bei. W. vorher ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen und dieses durch den Ausfalltatbestand unterbrochen worden ist. Da es naturgemäß nicht möglich ist festzustellen, ob der Versicherte während der Dauer eines Ausfalltatbestandes gearbeitet hätte und für ihn Beiträge entrichtet worden wären, wenn er nicht krank oder arbeitslos etc. gewesen wäre, stellt es der Gesetzgeber in dieser letzteren Gruppe von Fällen verbindlich darauf ab, ob vor dem Ausfalltatbestand ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat und unterstellt, daß sich dieses während des anschließenden Ausfalltatbestandes fortgesetzt hätte, wenn dieser nicht eingetreten wäre. Entscheidend ist also, ob der Versicherte vor der streitigen Ausfallzeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist oder ob dies nicht der Fall gewesen ist.
Hiervon abweichend können allerdings in dieser Hinsicht die vor dem Beginn des streitigen Ausfalltatbestandes liegen den Arbeitsverhältnisse des Versicherten dann nicht maßgebend sein, wenn sie in einer - vorhergehenden - Ausfallzeit liegen. Denn während einer Ausfallzeit kann von diesen beiden Alternativen, daß der Versicherte beschäftigt ist oder daß er nicht beschäftigt ist, begrifflich nur die eine dieser Alternativen vorliegen, daß der Versicherte nicht beschäftigt ist. Würde er nämlich beschäftigt sein, würde keine Auszeit vorliegen können. Eine Zeit aber, während welcher begrifflich nur eine dieser beiden maßgebenden Alternativen denkbar ist, ist ungeeignet, Leitbild dafür zu sein, ob der anschließende Ausfalltatbestand als Ausfallzeit anzuerkennen ist. In den Fällen, in denen der streitigen Ausfallzeit ein anderer Ausfalltatbestand oder eine Reihe anderer Ausfalltatbestände unmittelbar vorangeht, kann es daher naturgemäß nur darauf ankommen, ob dem ersten dieser unmittelbar aufeinanderfolgenden Ausfalltatbestände ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorhergegangen ist. Ist dies der Fall, so können alle anschließenden Ausfalltatbestände der in § 1259 Abs. 1 Nrn 1 bis 3 RVO genannten Art als Ausfallzeiten anerkannt werden, falls auch deren übrige Voraussetzungen vorliegen.
Diese Auffassung wird durch § 1259 Abs. 1 Satz 2 RVO idF durch Art. 1 § 1 Nr. 22 b des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (RVÄndG) vom 9. Juni 1965 (BGBl I, 476) bestätigt. Der Gesetzgeber dieser Vorschrift geht davon aus, daß Ausfallzeiten unmittelbar aufeinander folgen können, daß sie also auch dann anerkannt werden müssen, wenn einer solchen Ausfallzeit kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis unmittelbar vorangegangen ist, obwohl dies nach dem Wortlaut des § 1259 RVO für den betreffenden Ausfalltatbestand verlangt wird. Der Gesetzgeber kann, da er in diesen Fällen kaum auf das Erfordernis eines vorhergehenden Beschäftigungsverhältnisses verzichten wollte, nur davon ausgegangen sein, daß in einem solchen Fall das versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnis vor dem ersten der aufeinanderfolgenden Ausfalltatbestände vorgelegen haben muß. Aus dem Umstand, daß der Gesetzgeber nur für die Fälle der Nrn. 1, 2 a und 3 eine solche Regelung getroffen hat, kann nicht geschlossen werden, daß bei allen anderen Ausfalltatbeständen das Aufeinanderfolgen von Ausfallzeiten in diesem Sinne nicht anerkannt werden sollte. Die Beschränkung auf die Nrn. 1, 2 a und 3 des Satzes 1 erklärt sich lediglich daraus, daß nur in diesen Fällen gesetzlich eine mindestens einmonatige Ausfallzeit verlangt wird und daher nur für diese Fälle die vom Gesetzgeber in Satz 2 gewollte Erleichterung erforderlich war, daß bei mehreren aufeinanderfolgenden Ausfalltatbeständen insgesamt eine einmonatige Ausfallzeit genügen sollte (Schriftl. Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik, BT-Drucks. IV Nr. 3233 S. 5 zu § 1259 RVO).
Das Urteil des 1. Senats des BSG vom 26. Juli 1962 (BSG SozR RVO § 1259 Nr. 17) stand dieser Entscheidung nicht entgegen, da - anders als in dem vorliegenden Fall - in jenem Fall unmittelbar vor der ersten der aufeinanderfolgenden Ausfallzeiten kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen hat; die der Invalidenrentenbezugszeit vorhergehende Zeit der Arbeitslosigkeit konnte - abweichend von dem vorliegenden Fall - keine Ausfallzeit sein, weil diese Zeit der Arbeitslosigkeit vor dem 1. Oktober 1927 lag und sie daher nach der Rechtsprechung des BSG nicht anerkannt werden kann (vgl. SozR Nr. 13 zu § 1259 RVO).
Da der Senat als Revisionsgericht die für die Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit noch erforderlichen Tatsachenfeststellungen nicht selbst treffen kann, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen