Leitsatz (amtlich)

Die Forderung nach der endgültigen Trennung vom Beruf (wegen einer beruflichen Erkrankung an Bronchialasthma) kann nicht so weit gehen, daß vom Erkrankten nicht nur die Aufgabe seines Berufs, sondern auch die Trennung von Ehe und Familie verlangt wird.

 

Normenkette

BKVO 7 Anl 1 Nr. 41 Fassung: 1968-06-20

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 1975 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob der Klägerin Entschädigungsansprüche wegen einer Berufskrankheit i. S. der Nr. 41 der Anlage 1 zur Siebenten Berufskrankheitenverordnung (7. BKVO) zustehen.

Die 1921 geborene Klägerin bewirtschaftete zusammen mit ihrem Ehemann ein landwirtschaftliches Anwesen mit Ackerbau und Viehzucht. Im Jahre 1972 haben die Eheleute die Landwirtschaft an ihre Tochter abgegeben. Die Klägerin erhält seit dem 1. Dezember 1969 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und seit dem 1. Februar 1971 eine solche wegen Erwerbsunfähigkeit.

Die Klägerin leidet an einem Bronchialasthma, weswegen sie seit dem 18. Oktober 1969 arbeitsunfähig war und wiederholt stationär behandelt wurde, u. a. in der Universitätshautklinik in H. Darüber hinaus wurde sie an einem Uterus-Carcinom operiert. Der Ehemann der Klägerin erstattete am 8. April 1970 eine Unfallanzeige und gab an, die Klägerin könne nicht mehr auf dem Hof tätig sein. Der Staatliche Gewerbearzt Dr. K äußerte sich unter Beifügung eines nach Aktenlage erstatteten Gutachtens des Prof. B von der Universitätshautklinik in H. Beide Gutachter vertraten die Auffassung, bei der Klägerin liege eine Allergie, insbesondere gegen Kuhschuppen und Hundehaare vor, und die Voraussetzungen einer Berufskrankheit i. S. der Nr. 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO seien erfüllt. Die Klägerin erklärte auf eine Anfrage der Beklagten, ob und wann sie vom Hof wegziehe, sie könne eine längere Trennung von ihrer Familie seelisch nicht ertragen. Die mit einer räumlichen Trennung verbundenen finanziellen Belastungen könne der Hof nicht tragen. Ihr Ehemann werde in Zukunft vor Betreten der Wohnung sich umziehen und gründlich waschen, damit sie nicht mehr mit dessen Arbeitskleidung in Berührung komme. Seit Ende Oktober 1969 habe sie nicht mehr in der Landwirtschaft mitgearbeitet.

Die Beklagte lehnte die Bewilligung von Leistungen ab, weil die Klägerin ihren bäuerlichen Beruf nicht aufgegeben habe. Sollte sie sich jedoch entschließen, den für ihre Gesundheit schädigenden Umgang mit der Landwirtschaft aufzugeben, werde man die Angelegenheit neu prüfen (Bescheid vom 25. Juli 1972).

In einem für das Sozialgericht (SG) erstatteten Gutachten vertrat Dr. N die Auffassung, bei der Klägerin bestehe als Folge des Asthmaleidens eine chronische Bronchitis, ein Emphysem und eine Herzinsuffizienz mit Neigung zu Unausgeglichenheit bei Belastung. Die hierdurch bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage für die Zeit von Oktober 1969 bis Februar 1971 50% und seitdem 70%. Das SG hat mit Urteil vom 13. September 1973 den angefochtenen Bescheid aufgehoben und festgestellt, daß das Asthma bronchiale mit seinen Folgeerscheinungen eine entschädigungspflichtige Berufskrankheit sei und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Rente nach einer MdE von 50% für die Zeit vom 1. Oktober 1969 bis 15. Februar 1971 und nach einer MdE von 70% ab 16. Februar 1971 zu bewilligen.

Mit ihrer Berufung hat die Beklagte ein Akten-Gutachten von Prof. Dr. V und Dr. W vorgelegt, die einen ursächlichen Zusammenhang des Bronchialasthmas der Klägerin mit ihrer bäuerlichen Berufstätigkeit verneinten. Bei der Klägerin handele es sich um eine chronisch-obstruktive Bronchitis auf entzündlicher Basis. Die früheren Untersuchungen seien mangelhaft gewesen und daher nicht beweiskräftig.

Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG am 13. März 1975 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ua ausgeführt: Es könne dahingestellt bleiben, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Bronchialleiden der Klägerin und schädigenden Berufsstoffen nachgewiesen, bzw. wahrscheinlich sei, weil die Klägerin ihren Beruf nicht aufgegeben habe. Es werde unterstellt, daß sie seit ihrer bronchialen Erkrankung ihre bäuerlichen Arbeiten mehr und mehr eingeschränkt habe und daß sie jetzt schon wegen des inzwischen erreichten hohen MdE-Grades auch keine nennenswerten Arbeiten im bäuerlichen Haushalt mehr verrichte, sie also ihren bäuerlichen Beruf nicht mehr ausübe, d. h. aufgegeben habe. Das Tatbestandsmerkmal der Berufsaufgabe sei dadurch aber nicht erfüllt, weil die Klägerin durch das Verbleiben auf dem Hof nach wie vor den von Prof. B als schädigend bezeichneten Allergenen ausgesetzt sei. Das Tatbestandsmerkmal der Berufsaufgabe i. S. der Nr. 41 der Liste zur BKVO bezwecke einmal, den Betroffenen dafür zu entschädigen, daß er wegen dieser Krankheit gezwungenermaßen den bisher ausgeübten Beruf aufgegeben habe, und das Gesamtgebiet des allgemeinen Arbeitsmarktes ihm nicht mehr voll zugänglich sei. Zum anderen habe die Berufsaufgabe aber auch den Sinn, den Betroffenen von den schädigenden beruflichen Stoffen zu lösen und ihn so der Heilung zuzuführen, mindestens aber auf solche Weise seine Erkrankung wesentlich zu mildern. Das entspreche dem Grundprinzip der Sozialversicherung, wonach heilbare Beschwerden zu heilen und nicht etwa durch Unterlassung von Behandlung und ähnlichen Maßnahmen auf Dauer zu berenten seien. Eine Berufsaufgabe ohne Trennung von der Allergiequelle sei daher keine anspruchsbegründende Tatsache im Sinne der Berufskrankheitenverordnung. Bei der Klägerin liege nur eine formale Berufsaufgabe, jedoch keine tatsächliche Loslösung von der Allergiequelle vor, weil sie weiterhin mit ihren den Hof versorgenden Familienangehörigen zusammenlebe, so daß sich an der Situation, daß schon von den Angehörigen mitgeschleppte Allergene schädigend einwirkten, nichts geändert habe. Dem stehe nicht entgegen, daß die Klägerin eine Trennung von ihrer Familie nicht ertragen könne. Denn es könnten insoweit keine Unterschiede zwischen verheirateten und ledigen bzw. zwischen ungebundenen und familiär oder auf sonstige Weise gebundenen Rentenbewerbern gemacht werden. Ebenso könne der Anspruch nicht davon abhängen, ob der Ehegatte mit der Aufgabe oder einem Wechsel einverstanden sei, bzw. ob ein bäuerlicher Ehegatte willens und in der Lage sei, den Betrieb den gesundheitlichen Erfordernissen des anderen Ehegatten entsprechend umzustellen.

Die Klägerin hat die von dem LSG zugelassene Revision eingelegt und u. a. damit begründet, das LSG habe eine Berufsaufgabe im Sinne des Gesetzes zu Unrecht verneint. Es habe mindestens übersehen, daß das Verlangen, den Hof völlig zu verlassen, gegen fundamentale Grundrechte der Klägerin verstoßen würde. Es sei ihr nicht zuzumuten, über die Aufgabe der eigentlichen Tätigkeit in der Landwirtschaft hinaus auch noch ihre Wohnung zu verlassen und von ihrem Ehemann, der in der Landwirtschaft noch mithelfen müsse, getrennt zu leben. Wenn sie sich dennoch bereiterklärt habe, in der Nähe ein Zimmer anzumieten, so sei die Beklagte ihrerseits verpflichtet gewesen, hierfür Übergangsleistungen zu gewähren. Die Beklagte könne diese Entscheidung nicht davon abhängig machen, daß die Klägerin den Wohnungswechsel zuvor vollzogen habe.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 1975 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 13. September 1973 zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Es wäre unvertretbar, Rente auf Kosten der Allgemeinheit zu zahlen, es aber gleichwohl zuzulassen, daß der Rentenempfänger seine bereits bedrohte Gesundheit in der bisherigen Umgebung weiterhin aufs Spiel setze. Der einzelne müsse es daher in Kauf nehmen, die von ihm begehrte Rente nicht zu erhalten, wenn er auch künftig seine Gesundheit wie bisher gefährde. Andernfalls könne es dazu kommen, daß wegen eines solchen nicht zu billigenden Verhaltens die Rente laufend gesteigert werden müsse. Ein Rentenanspruch könne daher im vorliegenden Fall nur dann ausgelöst werden, wenn die Klägerin sich von der Allergiequelle trenne. Die Revision berufe sich zu Unrecht auf Art. 1, 2 und 6 des Grundgesetzes (GG).

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision der Klägerin führte insoweit zum Erfolg, als das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen war.

Der Senat vermochte der Auffassung des LSG nicht zu folgen, der Entschädigungsanspruch der Klägerin sei schon deshalb unbegründet, weil sie weiterhin auf dem Hof wohne, sich also nicht von der Allergiequelle getrennt und deshalb ihre bäuerliche Berufstätigkeit nicht in dem hier zu fordernden strengen Sinne aufgegeben habe. Das LSG ist davon ausgegangen, daß die Klägerin an einem Asthma bronchiale (mit Folgeerscheinungen) leidet. Ob ein ursächlicher Zusammenhang dieser Erkrankung mit in der Landwirtschaft vorkommenden Substanzen bestehe (wie etwa Kuhschuppen oder Hundehaaren, wogegen sie nach Ansicht mehrerer Gutachter allergisch sein soll), hat es ausdrücklich dahinstehen lassen und nur zu ihren Gunsten unterstellt, sie habe ihre eigentliche bäuerliche Tätigkeit aufgegeben. Hat die Klägerin ihre Krankheit jedoch bei ihrer Berufstätigkeit erlitten (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO), so "gilt" das Asthmaleiden als "Arbeitsunfall", wenn es die Klägerin gezwungen hat, ihre berufliche Beschäftigung aufzugeben (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO i. V. m. Nr. 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO vom 20. Juni 1968 - BGBl I 721).

Nach der ständigen Rechtsprechung des 2. Senats des Bundessozialgerichts (BSG), die auch der erkennende Senat für richtig hält, ist es zur Erfüllung des Tatbestandsmerkmals des Zwanges zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung allerdings erforderlich, daß der Versicherte seinerseits die Folgerungen gezogen und die berufliche Beschäftigung tatsächlich aufgegeben hat (BSG 10, 286, 290; Urteile vom 30. Oktober 1959 - 2 RU 237/57 in SGb 1960, 212, 213; vom 28. April 1967 - 2 RU 154/64 in BG 1967, 358; vom 31. Mai 1967 - 2 RU 114/66 in SozR Nr. 4 zu § 551 RVO; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand Februar 1975, II S. 492 r mit weiteren Hinweisen). Was insoweit für berufliche Hauterkrankungen (Nr. 19 der Anlage zur 5. BKVO = Nr. 46 der Anlage bzw. Anlage 1 zur 6./7. BKVO) gilt, kann bei dem gleichlautenden Verordnungstext bei einem Bronchialasthma (Nr. 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO) nicht anders beurteilt werden. Insoweit ist dem LSG daher grundsätzlich zuzustimmen.

Der 2. Senat des BSG hat jedoch bereits in seinen Entscheidungen vom 30. Oktober 1959 (BSG 10, 286, 291 und SGb 1960, 212, 213, 214) ausgesprochen, einem Entschädigungsanspruch wegen einer beruflichen Hauterkrankung stehe es nicht entgegen, wenn der Versicherte im Einzelfall aus triftigen Gründen seinen Beruf einstweilen noch nicht aufgegeben habe, weil dies unzumutbar sei. Nach der Entscheidung vom 28. April 1967 (BG 1967, 358, 359) bedeutet das jedoch nur, daß die Berufsaufgabe für eine Übergangszeit, die dem Versicherten billigerweise nicht verweigert werden könne, hinausgeschoben werde. Diesen Grundsätzen folgend, hat auch der erkennende Senat einen Entschädigungsanspruch wegen einer beruflichen Hauterkrankung nicht deshalb verneint, weil der Versicherte zwar seine ursprüngliche Tätigkeit aufgegeben, jedoch eine neue Beschäftigung aufgenommen hatte, die sich als ebenfalls hautschädigend erwies, obwohl sie vom staatlichen Gewerbearzt als für den Kläger unschädlich beurteilt worden war (Urteil vom 19. Juni 1975 in SozR 5675 Anl. Nr. 19, 5. BKVO Nr. 2). Wenn danach auch die BKVO bei Hauterkrankungen grundsätzlich bezweckt - was ebenso für das Bronchialasthma gilt -, den Versicherten für alle Zukunft von schädigenden Einwirkungen fernzuhalten, um weitere Verschlimmerungen und Rückfälle zu vermeiden (Podzun, Stand September 1975, Kennzahl 246, S. 12), so kann doch der Entschädigungsanspruch im Einzelfalle nicht versagt werden, wenn es dem Versicherten aus triftigen Gründen unzumutbar ist, einstweilen, wenn auch nur für eine Übergangszeit, seine berufliche Beschäftigung aufzugeben. Ähnliches hat auch in einem Fall der vorliegenden Art zu gelten. Gerade in den Fällen, in denen der berufliche und private Bereich - wie hier auf das innigste miteinander verflochten sind, kann bei der Forderung nach der endgültigen Trennung vom seitherigen Beruf und damit von dessen schädigenden Einwirkungen der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit nicht unberücksichtigt bleiben. Diese Forderung kann jedenfalls nicht soweit gehen, daß von dem Erkrankten nicht nur die Aufgabe seines Berufs, sondern auch die Trennung von Ehe und Familie verlangt wird. Es muß vielmehr genügen, wenn der Versicherte die schädigende Beschäftigung tatsächlich aufgibt und sich soweit wie möglich von den schädigenden Einwirkungen fernhält, sei es auch dadurch, daß er seine Wohnung in einen nahegelegenen anderen Bereich verlegt, soweit dies im Einzelfall zumutbar und geeignet ist, eine Trennung von möglichen schädigenden Kontakten herbeizuführen.

Dabei verkennt der Senat nicht, daß es vorrangig Aufgabe der Unfallversicherung ist, berufliche Gesundheitsschäden zu beseitigen, d. h. zu bessern (§ 556 Abs. 1 Nr. 1 RVO), woraus sich für den Versicherten die Verpflichtung ergibt, sich geeigneten und zumutbaren Heilmaßnahmen nicht zu entziehen (§ 624 Abs. 1 RVO).

Wie aber nach § 624 Abs. 2 RVO dem Versicherten Heilmaßnahmen nicht zumutbar sind, wenn sie seine Gesundheit gefährden, so kann es einem Versicherten, der an einer Berufskrankheit leidet, die in ihrem gesetzlichen Tatbestand den Zwang zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung voraussetzt, nur zugemutet werden, sich soweit von der Gefahrenquelle zu lösen, als dadurch nicht weitere, insbesondere die oben angedeuteten und in diesem Zusammenhang auch ernstlich zu befürchtenden psychischen Schäden verursacht werden. Der von dem LSG gedachte Fall eines gegen Mehl allergischen Bäckers, der zwar seinen Beruf aufgegeben hat, sich aber dennoch "aus alter Anhänglichkeit" regelmäßig oder häufig in der Backstube aufhält, kann mit dem vorliegenden Fall, was keiner näheren Erörterung bedarf, nicht verglichen werden.

Nach den dem LSG bei seiner Entscheidung bekannten Umständen, insbesondere den Berichten über die näheren familiären und häuslichen Umstände, den erstatteten Gutachten sowie den eigenen Angaben der Klägerin und ihres Ehemannes liegt es nahe, daß es der Klägerin vorerst unzumutbar ist, den Hof endgültig zu verlassen und sich dauernd in einer Umgebung aufzuhalten, in der ein Kontakt mit für sie schädigenden Stoffen der Landwirtschaft ausgeschlossen ist.

Wie der 2. Senat des BSG in seinem Urteil vom 30. Oktober 1959 (BSG 10, 286, 291) zutreffend ausgeführt hat, würde das Verlangen des tatsächlich vollzogenen Berufswechsels bzw. der Berufsaufgabe eine Überforderung des Versicherten bedeuten, wenn entgegenstehende triftige Gründe sich aus der sozialen oder wirtschaftlichen Lage des Versicherten oder dem Verhalten des Versicherungsträgers ergeben. In diesem Zusammenhang muß auch der Gesundheitszustand der Klägerin in Betracht gezogen werden; immerhin hat Dr. N (Bl. 7 unten des LSG-Urteils) die durch das Bronchialasthma und seine Folgeerscheinungen verursachte MdE bis zum 14. Februar 1971 auf 50% und danach auf 70% geschätzt, wobei offenbar nicht die möglichen weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch die Folgen der Unterleibsoperation berücksichtigt sind. Hieraus bereits könnte sich ergeben, daß es der Klägerin schon aus körperlichen Gründen nicht zugemutet werden kann, aus dem Familienverband völlig auszuscheiden und sich praktisch allein zu versorgen. Hinzu kommen die bereits angedeuteten psychischen Schäden (auf S. 5/6 des LSG-Urteils ist erwähnt, die Klägerin könne eine längere Trennung von ihrer Familie seelisch nicht ertragen, auch für ihre Angehörigen sei derartiges undenkbar), die eine Trennung vom Ehepartner und der Familie bejahendenfalls vorerst als unzumutbar erscheinen lassen könnten. Zu berücksichtigen wäre schließlich auch die wirtschaftliche Lage, ob nämlich die mit einer solchen Trennung verbundenen finanziellen Belastungen für die Klägerin und ihre Angehörigen tragbar sind, zumal die Beklagte es offenbar abgelehnt hat, der Klägerin bei der von ihr geforderten Trennung von der Gefahrenquelle der Landwirtschaft behilflich zu sein, um Verschlimmerungen zu vermeiden (§ 3 Abs. 1 Satz 1 der 7. BKVO). Eine solche Verpflichtung der Beklagten würde allerdings grundsätzlich nur bestehen, wenn die Klägerin ernsthaft bereit wäre, von dem Hof in eine angemessene Wohnunterkunft fortzuziehen. Solche Erwägungen wären jedoch nur dann von Bedeutung, wenn und sobald es der Klägerin nach dem oben gesagten überhaupt zumutbar wäre, einen Wohnungswechsel vorzunehmen. Hierbei wäre ggf. zu prüfen, ob sich die Situation dadurch geändert hat, daß die Eheleute im Jahre 1972 die Landwirtschaft an ihre Tochter abgegeben haben und dadurch die Möglichkeit gegeben wäre, daß beide Eheleute den Hof verlassen konnten, wodurch der Klägerin wenigstens die Trennung von ihrem Ehemann erspart bliebe. Es kann insoweit nicht eingewendet werden, die familiären Verhältnisse des Versicherten müßten außer acht gelassen werden, weil anderenfalls bei gleichen Krankheitsbildern und gleichen sonstigen Voraussetzungen für die Entschädigung einer Berufskrankheit unterschiedliche Entscheidungen möglich seien. Stellt man es u. a. auf die Zumutbarkeit einer Berufsaufgabe bzw. der Trennung von der Gefahrenquelle ab, was wie oben ausgeführt, bei der Prüfung der Voraussetzungen des Entschädigungsanspruches erforderlich ist, so sind gerade die Besonderheiten des Einzelfalles für die Anspruchsvoraussetzungen maßgebend.

Da das LSG in dieser Richtung keine Feststellungen getroffen hat, konnte der Senat nicht entscheiden, ob der Anspruch der Klägerin, wie es das LSG angenommen hat, bereits deshalb unbegründet ist, weil das Tatbestandsmerkmal der Berufsaufgabe i. S. der Nr. 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO nicht vorliegt.

Da es auf S. 10 des Urteils heißt, die Klägerin könne jetzt keinerlei Arbeiten mehr verrichten, sie beschäftige sich (nur) mit dem Enkelkind, wird es möglicherweise nicht mehr entscheidend darauf ankommen, daß eine Berufsaufgabe dann nicht vorliegt, wenn nur ein "Wechsel des Arbeitsplatzes" vollzogen worden ist, was insbesondere bei Selbständigen der Fall sein kann, die nur einen Teil ihrer bisherigen Tätigkeit aufgegeben habe (vgl. dazu im einzelnen BSG 31, 215 ff; SGb 1960, S. 212, 213, 214; BG 1967, S. 358, 359 sowie das nicht veröffentlichte Urteil des erkennenden Senats vom 22. Oktober 1975 - 8 RU 224/74 und § 777 Nr. 1 RVO, wonach unter Umständen auch der landwirtschaftliche Haushalt als Teil des Unternehmens gilt und deshalb eine Berufsaufgabe noch nicht darin gesehen werden könnte, wenn nur die Arbeiten im Stall oder auf dem Feld eingestellt worden sind).

Sollte sich ergeben, daß, und ggf. für eine bestimmte Zeit, die Voraussetzungen der Nr. 41 der Anlage 1 zur 7. BKVO im oben genannten Sinne erfüllt sind, wird das LSG sodann zu prüfen haben, ob das Bronchialasthma der Klägerin mit seinen Folgeerscheinungen ursächlich auf ihre bäuerliche Tätigkeit zurückzuführen ist. Dabei unterliegt es seiner freien richterlichen Entscheidung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), welche der bereits vorliegenden medizinischen Gutachten es seiner Überzeugungsbildung zugrunde zu legen hat. Andererseits wird es im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht u. U. zu klären haben, ob die früheren Untersuchungen, wie Prof. Dr. V meinte, unzulänglich gewesen sind.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

BSGE, 211

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