Leitsatz (redaktionell)

VuVO § 1 vom 1960-03-03:

Die VuVO auf einen Fall anzuwenden, in dem die Versicherungskarten weder beim Versicherten noch bei seinem Arbeitgeber noch nach den Umständen des Falles auf dem Wege zum Versicherungsträger abhanden gekommen sind, erscheint bedenklich.

 

Normenkette

VuVO § 1 Abs. 1 Fassung: 1960-03-03

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 26. Januar 1962 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der am 15. November 1887 geborene Kläger, der das Schuhmacherhandwerk erlernt hat, beantragte am 30. Mai 1958, also mit 70 Jahren, die Gewährung von Rente wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Die Beteiligten streiten darüber, ob die hierfür erforderliche Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten zurückgelegt ist. Die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) hat dies verneint und den Rentenantrag durch Bescheid vom 3. Dezember 1958 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe durch Urteil vom 26. Februar 1960 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat durch Urteil vom 26. Januar 1962 auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) verurteilt, dem Kläger Altersruhegeld vom 1. Januar 1957 an zu gewähren.

Der Kläger hat in den vorhandenen Quittungskarten Nr. 1 bis 8 für die Zeit vom April 1905 bis Juni 1920 insgesamt 366 Wochenbeiträge zur Arbeiterrentenversicherung entrichtet. Außerdem sind 53 Monate Ersatzzeiten nachgewiesen, was insgesamt eine Versicherungszeit in der Arbeiterrentenversicherung von 138 Monaten ergibt.

Weitere Beitragsnachweise fehlen, insbesondere ist ein Beitragskonto weder bei der BfA noch bei der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (RfA) zu ermitteln.

Der Kläger hatte sich im März 1921 selbständig gemacht, ohne sich zunächst weiter zu versichern. Als er das Altersruhegeld beantragte, gab er an, am 1. Januar 1939 in die Handwerkerversorgung eingetreten und dort bis zur Zerstörung seines Wohnortes Pforzheim im Februar 1945 versichert gewesen zu sein. Ein Lebensversicherungsvertrag habe nicht bestanden. Eigene Unterlagen habe er nicht mehr, weil er im Februar 1945 sein Geschäft und seine Wohnung durch den auf Pforzheim verübten feindlichen Großangriff verloren habe. Dem Antrag fügte der Kläger eine Bescheinigung der Kreishandwerkerschaft Pforzheim vom 27. Mai 1958 bei, wonach am 23. Februar 1945 alle bei der Kreishandwerkerschaft Pforzheim befindlichen Versicherungsunterlagen durch Kriegseinwirkung vernichtet worden waren; es sei ohne weiteres möglich, so heißt es darin weiter, daß sich darunter auch die Versicherungskarten Nr. 1 und 2 des Klägers befunden hätten, von denen dieser behaupte, sie seien 1944 bei ihr abgegeben worden. Die Kreishandwerkerschaft habe damals, nachdem wiederholt der Eingang der Karten von der früheren RfA nicht bestätigt worden sei, die aufgerechneten Karten über einen längeren Zeitraum hinweg zurückbehalten.

Die beigeladene BfA hatte den Rentenantrag an die beklagte LVA als zuständigen Versicherungsträger zur weiteren Veranlassung mit der Mitteilung übersandt, daß ein Beitragskonto für den Kläger nicht zu ermitteln sei; aus einer Schriftwechselkarte der RfA gehe hervor, daß jener am 15. Mai 1939 Versicherungsfreiheit in der Angestelltenversicherung (offenbar aufgrund einer Lebensversicherung) geltend gemacht und somit keine Beiträge geleistet habe; er sei auch zur Entrichtung von freiwilligen Beiträgen nicht berechtigt gewesen.

Das LSG sieht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme als erwiesen bzw. als glaubhaft gemacht an, daß der Kläger für die Zeit vom 1. Januar 1939 an bis zur Jahreswende 1944/1945 noch wirksam Beiträge zur Handwerkerversorgung entrichtet habe, womit eine Versicherungszeit von mehr als 180 Kalendermonaten glaubhaft gemacht sei. Da die Versicherungsunterlagen für die Beitragszeit in der Handwerkerversorgung nach den Angaben des Klägers durch Kriegseinwirkung vernichtet worden seien und er nicht unter § 1 des Fremdrentengesetzes (FRG) vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) falle, komme als Rechtsgrundlage § 1 der Verordnung über die Feststellung von Leistungen aus den gesetzlichen Versicherungen bei verlorenen, zerstörten, unbrauchbar gewordenen oder nicht erreichbaren Versicherungsunterlagen (Versicherungsunterlagen-Verordnung - VuVO -) vom 3. März 1960 (BGBl I 137) in Betracht. Dem stehe nicht entgegen, daß der Versicherungsfall mit dem Inkrafttreten der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze am 1. Januar 1957 eingetreten und die VuVO nach ihrem § 23 erst am 1. Januar 1959 in Kraft getreten sei. Nach den § 13 ff. der genannten VO fänden deren §§ 1 bis 10 auch auf frühere Versicherungsfälle Anwendung. Danach genüge für die Feststellung der rechtserheblichen Tatsachen zu deren Nachweis die Versicherungsunterlagen dienten, die Glaubhaftmachung dieser Tatsachen, wenn glaubhaft gemacht sei, daß die Quittungs- oder Versicherungskarten bei dem Arbeitgeber oder dem Versicherten oder nach den Umständen des Falles auf dem Wege zum Versicherungsträger zerstört, verlorengegangen oder unbrauchbar geworden seien. Aufgrund dieser VO könne die streitige Zeit vom 1. Januar 1939 an als Versicherungszeit mindestens insoweit angerechnet werden, daß der Kläger die Wartezeit erfüllt und einen Rentenanspruch erworben habe, “weil die wirksame Entrichtung von Beiträgen zur Handwerkerversorgung spätestens im Jahre 1941 rückwirkend vom 1. Januar 1939 glaubhaft gemacht„ sei.

Insoweit sei nämlich “überwiegend wahrscheinlich, daß der Kläger zufolge einer zwischen 1941 und 1943 durchgeführten Kontrolle der Versicherungsverhältnisse in der Handwerkerversorgung die Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1939 an nachentrichtet„ habe, und daß die ersten beiden aufgerechneten Versicherungskarten bei der Handwerkerschaft Pforzheim, die letzte Versicherungskarte bei dem Kläger anläßlich der Zerstörung Pforzheims gegen Kriegsende verlorengegangen seien. Wenn auch gewisse Zweifel bestehen könnten, ob die Versicherungsunterlagen damals von dem (1949 gestorbenen) Oberinspektor L oder einem anderen Kontrollbeamten überprüft worden seien, so seien doch die übereinstimmenden Schilderungen der Vorgänge im Zusammenhang mit der Nachentrichtung der Beiträge zur Handwerkerversorgung, die der Kläger und die hierzu gehörten Zeugen gegeben hätten, mit ihren Einzelheiten überzeugend und glaubhaft. Damit sei dargetan, daß dem Kläger mehrere Versicherungskarten ausgestellt worden seien, daß sie auch teilweise aufgerechnet worden seien, und daß er nur noch die letzte Versicherungskarte in einem Besitz gehabt hätte. Da ferner durch die Bediensteten der Kreishandwerkerschaft bestätigt worden sei, daß die aufgerechneten Versicherungskarten nicht mehr nach Berlin weitergeleitet worden seien, und da ferner die fast völlige Zerstörung von Pforzheim durch den großen Luftangriff offenkundig sei, müsse der Verlust der Versicherungsunterlagen als überwiegend wahrscheinlich angesehen werden.

Dazu führt das LSG in rechtlicher Hinsicht noch aus, bei der Beurteilung des Anspruchs seien die Vorschriften der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze vom 23. Februar 1957 anzuwenden (Art. 2 § 5 ArVNG, Art. 2 § 6 AnVNG). Der Versicherungsfall des Altersruhegeldes sei beim Kläger vor dem 1. Januar 1957 noch nicht eingetreten, obwohl er bereits am 15. November 1952 das 65. Lebensjahr vollendet hätte, da jener nach früherem Recht erst mit der Antragstellung eingetreten sei. Bis zum 31. Dezember 1956 habe der Kläger aber keine Rente begehrt, vielmehr habe er erstmals im Mai 1958 Altersruhegeld beantragt. Aus den §§ 62 Abs. 1 AVG, 1290 RVO in Verbindung mit § 1 VuVO ergebe sich zugleich, daß die Rente vom 1. Januar 1957 an und nicht erst vom Inkrafttreten der VuVO am 1. September 1959 an zu zahlen sei. Im übrigen sei für die Bewilligung und Feststellung des Altersruhegeldes nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene zuständig, weil der Kläger seine letzten Beiträge zur Handwerkerversorgung entrichtet habe, die in die Zuständigkeit der BfA fiele. Das neue Handwerkerversicherungsgesetz (HwVG) vom 8. September 1960 (BGBl I 737) mit seiner gegenteiligen Regelung komme nicht in Betracht. Nach § 75 Abs. 5 SGG hätte schließlich die Beigeladene auch ohne weiteres verurteilt werden können.

Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die beklagte LVA und die beigeladene BfA haben dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Karlsruhe vom 26. Februar 1960 zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt zunächst, zwar sei der Versicherungsfall durch die Antragstellung am 30. Mai 1958 zum 1. Januar 1957 eingetreten. Gerade deswegen aber hätte die Leistung nach den §§ 16, 18 der VuVO vom 3. März 1960 höchstens vom 1. Januar 1959 an zugebilligt werden dürfen. Im übrigen habe das LSG die erhobenen Beweise falsch gewürdigt. Nach den protokollierten Angaben habe der Kläger selbst erklärt, daß er seinerzeit die Versicherungskarten Nr. 1 und 2 dem Herrn L im Gebäude der Kreishandwerkerschaft in Pforzheim abgegeben habe. Herr L sei jedoch kein Angestellter der Kreishandwerkerschaft Pforzheim gewesen, sondern ein Kontrollbeamter der RfA aus Freiburg. Wenn die Behauptungen des Klägers zuträfen, hätte somit Herr L die Karten angenommen haben müssen; dieser hätte dann aber auch die Versicherungskarten an die RfA weitergeleitet. Dort lägen jedoch Versicherungskarten nicht vor. Damit könne die ganze Darstellung nicht stimmen. Über die eigene Darstellung des Klägers, daß er die Versicherungskarten dem Herrn L abgegeben habe, sei das LSG einfach hinweggegangen. Nach alledem könne man selbst dann, wenn man unterstelle, daß der Kläger seine letzte Versicherungskarte verloren habe, nicht als glaubhaft gemacht ansehen, daß die Wartezeit erfüllt sei. In der beim Kläger verlorengegangenen Karte könnten nur 24 Monats-Beitragsmarken enthalten gewesen sein. Damit sei die gesetzliche Wartezeit für ein Altersruhegeld niemals erfüllt.

Die beigeladene BfA rügt unrichtige Anwendung der §§ 1 ff. VuVO. Es wäre allenfalls § 1 Abs. 1 Satz 2 der VO vom 3. März 1960 in Betracht gekommen, wonach die Glaubhaftmachung der rechtserheblichen Tatsachen auch dann genüge, wenn glaubhaft gemacht sei, daß die Quittungs- oder Versicherungskarte beim Arbeitgeber oder Versicherten oder nach den Umständen des Falles auf dem Wege zum Versicherungsträger zerstört, verlorengegangen oder unbrauchbar geworden seien. Dagegen scheide § 1 Abs. 1 Satz 1 der genannten VO aus, weil im Konten-Archiv der BfA nur wenige Kontengruppen infolge Vernichtung nicht vorhanden seien; diese Konten seien buchstabengruppenmäßig bekannt; der Name des Klägers sei darin nicht enthalten. In § 1 Abs. 1 Satz 2 VuVO sei aber grundsätzlich nur auf die letzte Versicherungskarte des Versicherten abgestellt. Für die übrigen Versicherungskarten hätte daher der volle Beweis geführt werden müssen. Außerdem habe das LSG es auch verabsäumt, genau zu bestimmen, wieviel Beiträge geleistet worden seien; es habe sich vielmehr auf den Ausspruch beschränkt, daß der Kläger jedenfalls soviel Beiträge entrichtet habe, daß zusammen mit den übrigen die Wartezeit erfüllt sei. Das sei nicht angängig gewesen. Auf jeden Fall schließlich hätte der Anspruch des Klägers auf die Zeiträume nach dem 31. Dezember 1958 beschränkt werden müssen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig und wiederholt sein Vorbringen, daß seine Versicherungskarten bei der Handwerkskammer Pforzheim beim Luftangriff auf die Stadt vernichtet worden seien. Es sei bekannt, daß die Handwerkskammer Pforzheim zahlreiche Versicherungskarten nicht an die RfA nach Berlin geschickt habe, um sie vor der Vernichtung zu bewahren; daß sie ausgerechnet in Pforzheim zerstört werden würden, sei nicht vorauszusehen gewesen.

II.

Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen sind begründet. Das angefochtene Urteil unterliegt durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Zutreffend ist zwar das LSG für die Prüfung des erhobenen Anspruchs auf Altersruhegeld von der VuVO ausgegangen. Durch § 1256 Abs. 3 e RVO idF des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 25. Februar 1960 war der Bundesarbeitsminister ausdrücklich ermächtigt worden, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates diese VO auch auf Versicherungsfälle auszudehnen, die vor ihrem Inkrafttreten eingetreten sind. Nach ihren §§ 13, 16 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 und 2 ist sie somit auf jeden Fall anzuwenden, unabhängig davon, ob der Versicherungsfall bereits 1952 bei Vollendung des 65. Lebensjahres oder zum 1. Januar 1957 oder im Mai 1958 mit der Antragstellung eingetreten ist. Stets ist die Rente unter Berücksichtigung der §§ 1 bis 10 VuVO - notfalls erneut - festzustellen.

Der vom LSG vorgenommenen Auslegung des § 1 dieser VO kann jedoch nicht gefolgt werden. Danach genügt beim Fehlen der Versicherungsunterlagen die Glaubhaftmachung der rechtserheblichen Tatsachen einmal dann, wenn das Karten- oder Kontenarchiv des Versicherungsträgers völlig vernichtet ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VuVO). Das trifft für das Kontenarchiv der früheren RfA bzw. der beigeladenen BfA nicht zu. Allerdings bestimmt § 1 Abs. 2 weiter, daß die Glaubhaftmachung auch bei teilweiser Vernichtung genügt, wenn die Unterlagen in dem vernichteten Teil aufzubewahren gewesen wären. Das trifft aber für den Kläger nicht zu. Bei der BfA fehlt nur eine kleine Anzahl der Unterlagen von Versicherten mit den Anfangsbuchstaben F, G, K und L (vgl. DAngVers 1961, 90). Unter diese Gruppen fällt der Kläger nicht. Schließlich genügt nach § 1 Abs. 1 Satz 2 eine Glaubhaftmachung dann, wenn glaubhaft gemacht ist, daß die Quittungs- oder Versicherungskarte beim Arbeitgeber oder Versicherten oder nach den Umständen des Falles auf dem Wege zum Versicherungsträger zerstört, verlorengegangen oder unbrauchbar geworden ist.

Nach der eigenen Darstellung des Klägers sollen jedoch die beiden ersten Versicherungskarten seiner Handwerkerversorgung bei der Kreishandwerkerschaft Pforzheim aufbewahrt und dort verlorengegangen sein. Diese soll als Ausgabestelle für die Versicherungskarten für die Handwerker (vgl. den RAM-Erlaß vom 22. Mai 1939, AN S. 272) ihrer Verpflichtung nach § 22 der Beitragsordnung der Angestelltenversicherung vom 21. November 1924 (RGBl I 745) zur Weitergabe der abgegebenen und aufgerechneten alten Versicherungskarten an die RfA spätestens zum Schlusse eines jeden Kalendervierteljahres nicht nachgekommen sein, sondern die Karten stattdessen jahrelang bei sich behalten haben, weil sie der Auffassung gewesen sei, bei ihr wären sie sicherer aufgehoben. Die Versicherungskarten Nr. 1 und 2 wären alsdann weder beim Versicherten noch bei seinem Arbeitgeber noch nach den Umständen des Falles auf dem Wege zum Versicherungsträger abhandengekommen. Auch für einen solchen Fall die VuVO anzuwenden, erscheint bedenklich. In der amtlichen Begründung zur VuVO (vgl. Bundesrats-Drucksache 44/60 S. 4 der Begründung) heißt es ausdrücklich, in den Bereich der VO würden nicht alle Fälle eingezogen, in denen der Verlust von Unterlagen, die sich auf Zeiten vor dem 1. Januar 1950 beziehen, behauptet werde. Einbezogen seien nur die in Abs. 1 und 2 aufgezählten Fälle. Sei das Karten- oder Kontenarchiv ganz oder teilweise erhalten, so spreche das Nichtvorhandensein von Unterlagen, die bei ordnungsmäßiger Bewahrung in den erhaltenen Teilen des Archivs gefunden werden müßten, dagegen, daß ein Versicherungsverhältnis bestanden habe. Behaupte der Versicherte, entgegen der sich aus dem Karten- oder Kontenarchiv ergebenden Vermutung, daß er versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei, so müsse er das beweisen. M werde allerdings die an diesen Beweis zu stellenden Anforderungen nicht überspannen dürfen, wenn es sich um Zeiten vor dem 1. Juli 1945 handele. Indes bedarf es keiner abschließenden Entscheidung dieser Frage.

Jedenfalls hätte sich das LSG hinsichtlich der Versicherungskarten Nr. 1 und 2 nur dann mit der Glaubhaftmachung begnügen dürfen, wenn glaubhaft gemacht war, daß jene bei der Kreishandwerkerschaft Pforzheim vernichtet worden sind, als sie sich auf dem Wege zur RfA befanden. Das aber hätte nur angenommen werden dürfen, wenn die Versicherungskarten lediglich vorübergehend an die RfA nicht weitergeleitet worden sind, wie es die Kreishandwerkerschaft Pforzheim auch selbst nur behauptet hat, indem sie angab, seit 1944 Quittungskarten wegen der Luftangriffe auf Berlin und die öffentlichen Verkehrsmittel zurückbehalten zu haben (vgl. die Erklärung vom 23.12.1959, Bl. 36 der SG-Akte). Nach den Angaben des Klägers sollen die Versicherungsunterlagen jedoch bereits seit 1943 zurückbehalten worden sein und nach den “Feststellungen„ des LSG soll dies sogar schon seit 1941 so gehandhabt worden sein. Das LSG hat somit eine für 1944 wahrscheinliche Praxis der Kreishandwerkerschaft Pforzheim als bereits für das Frühjahr 1943 üblich angenommen. Indem es das getan hat, hat es die ihm gesetzten Grenzen des Rechts zur freien Beweiswürdigung überschritten. Dafür, daß in jener Art und Weise bereits in den Jahren 1941 bis 1943 verfahren wurde, war nichts dargetan. Diese Verletzung des § 128 SGG ist von der Beklagten auch gerügt worden. Der Kläger will (siehe seine Darstellung in den Sitzungsprotokollen vom 7. Juli 1961 und 26. Januar 1962) die beiden ersten Quittungskarten für die Jahre 1939/40 und 1941/42 im Frühjahr 1943 jeweils an verschiedenen, mehrere Wochen auseinanderliegenden Tagen vollgeklebt mit Versicherungsmarken dem genannten Herrn L in der Kreishandwerkerschaft abgegeben haben. Daß dieser die Karten der Kreishandwerkerschaft gegeben hat, und daß diese dann die Karten fast zwei Jahre lang entgegen ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht an die RfA weitergeleitet hat, sind letztlich nur Vermutungen. In seinem Schriftsatz vom 4. Oktober 1962 muß der Kläger zudem zugeben, daß die Versicherungskarten sehr wohl auch nach Freiburg gegangen und von dort aus an die RfA geschickt und auf diesem Wege verlorengegangen sein können. Dabei müßten sogar zwei Versicherungskarten abhandengekommen sein, die zu verschiedenen Zeiten abgegeben worden sein sollen, und verschiedene Wege genommen haben können. Letztlich wird somit aus dem Fehlen von Versicherungskarten bei der RfA bzw. der BfA geschlossen, daß sie nur auf dem Wege dorthin verlorengegangen sein können, und daraus weiter die Anwendbarkeit der VuVO gefolgert. Das aber verstößt gegen den Sinn der VuVO und bedeutet zugleich eine Verletzung des § 128 SGG.

Aus der bei der BfA vorhandenen Karte ergibt sich zudem, daß der Kläger Versicherungsfreiheit nach § 4 des Gesetzes über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk - HVG - vom 21. Dezember 1938 (RGBl I 1900) geltend gemacht haben muß. Das setzt voraus, daß einmal ein entsprechender Lebensversicherungsvertrag bestanden hat. Die Geltendmachung der Versicherungsfreiheit äußerte sich alsdann darin, daß der Handwerker es unterließ, Beiträge zur Versicherung zu entrichten, da die Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes eintrat (vgl. die Kommentare zum Gesetz über die Altersversorgung für das Deutsche Handwerk von Haß/Glanzmann, § 4 Note 29, und von Wankelmuth, § 4 Anm. 4 S. 75). Lediglich die “Halbversicherung„ nach § 5 mußte von der Ausgabestelle “bewilligt„ werden. Auf die Versicherungsfreiheit konnte allerdings verzichtet werden; außerdem endete sie, wenn keine ausreichende Lebensversicherung mehr bestand (§ 8 Abs. 1 und 2 HVG). Ein Verzicht mit rückwirkender Kraft war jedoch nicht möglich (vgl. Haß/Glanzmann aaO § 8 Note 22). Dagegen war eine Befreiung nach § 15 AVG aF wegen Vollendung des 50. Lebensjahres aufgrund der §§ 3 Nr. 2, 38 Abs. 2 der Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des HVG vom 13. Juli 1939 (BGBl I 1255) ausgeschlossen. Was der Kläger hierzu vorgetragen hat, kann somit ohnehin nicht zutreffen.

Unter diesen Umständen muß die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, da der Senat mangels ausreichender Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden kann. Das LSG wird erneut zu prüfen haben, ob es als erwiesen oder als glaubhaft gemacht ansieht, daß der Kläger für die gesamte Zeit von 1939 bis Ende 1944 oder Anfang 1945 Beiträge entrichtet hat. Da aber bisher nicht feststeht, daß die für eine Altersrente erforderliche Wartezeit von 180 Kalendermonaten Versicherungszeit nachgewiesen ist, sieht der Senat keinen Anlaß zu Ausführungen darüber, wie die Rechtslage wäre, wenn eine solche Rente in Betracht käme.

Es bleibt jedoch die Möglichkeit, daß das LSG als glaubhaft gemacht ansieht, daß die letzte Gebrauchsversicherungskarte beim Kläger abhanden gekommen ist. Damit wäre dann immerhin der entsprechende Brückenbeitrag des § 1249 RVO vorhanden, was ausreichen würde, um dem Kläger, falls bei ihm vor 1957 der Versicherungsfall der Invalidität eingetreten ist, eine entsprechende Rente (vgl. hierzu auch BSG 6, 142 sowie 9, 210) zu gewähren. Dabei wird jedoch das LSG besonders prüfen müssen, wie es zu erklären sein soll, daß der Kläger, wenn seine Anwartschaft aus den bis Ende 1923 entrichteten Versicherungszeiten nicht erloschen war, sich nach 1945 nicht mehr um seine Versicherung gekümmert, auch keine Nachentrichtungen vorgenommen hat (vgl. hierzu VerbKomm., 5. Aufl., § 1442 RVO aF Note 2 zu I b) und vor allem nicht bereits viel früher mit einem entsprechenden Rentenantrag an die Beklagte oder die Beigeladene herangetreten ist. Bald nach 1945 hätte noch manches geklärt, insbesondere hätte der wichtige Zeuge L gehört werden können. Stattdessen hat der Kläger seit Kriegsende 13 Jahre verstreichen lassen und seit Vollendung seines 65. Lebensjahres weitere 5 Jahre, bis er Rentenansprüche erhoben hat.

Bei der abschließenden Entscheidung wird das LSG schließlich auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2708106

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