Leitsatz (amtlich)
Ruht der Anspruch auf Krankengeld nach RVO § 189 wegen Weiterzahlung des Arbeitsentgelts, so setzt der Bezug des Krankengeldes iS des RVO § 183 Abs 5 nicht erst mit dem Ende des Ruhens, sondern bereits zu dem in RVO § 182 Abs 3 geregelten Zeitpunkt ein.
Normenkette
RVO § 189 Fassung: 1930-07-26, § 183 Abs. 5 Fassung: 1961-07-12, § 182 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12, Abs. 5 Fassung: 1965-08-24
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 3. März 1970 und das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13. März 1969 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auszahlung einer Rentennachzahlung in Höhe von 2.536,80 DM hat.
Der Kläger, der im Erzbergbau als Grubensteiger beschäftigt war und seit dem 1. April 1963 die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) bezog, war seit dem 22. Juni 1965 arbeitsunfähig krank. Sein Arbeitgeber zahlte ihm das Gehalt bis zum 30. September 1965. Die Beklagte gewährte dem Kläger anstelle des Krankengeldes einen "Baren Zuschuß zur Krankenpflege" für die Zeit vom 1. Oktober 1965 bis zum 30. September 1966. Mit Bescheid vom 20. März 1968 gewährte die Beklagte dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit für die Zeit vom 1. September 1965 an. Von der aufgelaufenen Rentennachzahlung behielt sie 2.536,80 DM ein, weil sie davon ausging, daß die Knappschaftsrente nach § 183 Abs. 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) auf den "Baren Zuschuß zur Krankenpflege" anzurechnen sei. Dies teilte sie dem Kläger am 8. Mai 1968 mit. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 13. März 1969 unter Abänderung der Benachrichtigung vom 8. Mai 1968 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 30. August 1968 verurteilt, dem Kläger den zur Befriedigung eines Ersatzanspruchs der knappschaftlichen Krankenkasse einbehaltenen Betrag von 2.536,80 DM auszuzahlen. Das SG hat die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 3. März 1970 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, dem Kläger sei die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit nicht während des Bezuges von Krankengeld zugebilligt worden. In der Zeit bis zum 30. September 1965, während der das Krankengeld geruht habe, habe der Kläger kein Krankengeld im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO bezogen. Das Beziehen von Krankengeld sei nicht dem Bestehen eines Anspruchs gleichzustellen. Der Bezug von Krankengeld beginne vielmehr erst mit dem Zeitpunkt, von dem an Krankengeld zu gewähren, d. h. tatsächlich zu zahlen sei. Das sei im vorliegenden Falle der 1. Oktober 1965. Die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit habe aber bereits früher begonnen, so daß die Voraussetzungen des § 183 Abs. 5 RVO nicht vorlägen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht die Beklagte eine Verletzung des § 183 Abs. 5 RVO geltend. Sie trägt vor, der "Bare Zuschuß zur Krankenpflege" stehe rechtlich dem Krankengeld gleich, so daß auf ihn § 183 Abs. 5 RVO anzuwenden sei. Dem Kläger sei die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit während des Bezuges von Krankengeld zugebilligt worden. Zwar habe der Krankenpflegezuschuß erst am 1. Oktober 1965 eingesetzt, der Kläger habe aber bereits vorher einen Anspruch darauf gehabt, der nach § 189 Abs. 1 RVO lediglich geruht habe. Entscheidend für die Anwendung des § 183 Abs. 5 RVO sei nicht der Zeitpunkt, von dem an das Krankengeld tatsächlich zu zahlen sei, sondern der Zeitpunkt, von dem an der Anspruch bestehe. Das Ruhen setze aber ein Bestehen des Anspruchs voraus. Daß die Zeiten des Ruhens eines Krankengeldanspruchs in die Bezugszeiten einbezogen werden müssen, ergebe sich insbesondere aus dem von § 183 Abs. 5 RVO verfolgten Zweck. Die Vorschrift wolle verhindern, daß derjenige Versicherte das volle Krankengeld neben der Rente wegen Berufsunfähigkeit erhalte, bei dem das Krankengeld aus dem höheren Lohn errechnet werde, den der Versicherte vor Eintritt der Berufsunfähigkeit bezogen habe. Das sei aber auch der Fall, wenn der Anspruch auf Krankengeld über den Beginn der Rente wegen Berufsunfähigkeit hinaus geruht habe.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13. März 1969 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen und damit das Urteil des SG bestätigt.
Die Beklagte war berechtigt, den Rentennachzahlungsbetrag von 2.536,80 DM einzubehalten.
Die Beklagte hat dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit während des Bezuges von Krankengeld zugebilligt. Es mag dahingestellt bleiben, ob der "Bare Zuschuß zur Krankenpflege" in den Beschlüssen des Vorstands und der Vertreterversammlung der früheren Ruhrknappschaft vom 24. Mai 1965 bzw. 28. Mai 1965 eine ausreichende Rechtsgrundlage hat, da er tatsächlich gewährt und nicht Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist. Es handelt sich bei dem "Baren Zuschuß zur Krankenpflege" um eine besondere Form des Krankengeldes für bestimmte Versichertengruppen, die keinen Anspruch auf echtes Krankengeld haben, auf das aber die Vorschriften über das echte Krankengeld entsprechend anzuwenden sind. Der Kläger hat zwar den "Baren Zuschuß zur Krankenpflege" erst nach Beginn der Rente wegen Berufsunfähigkeit (1. September 1965), nämlich vom 1. Oktober 1965 an, tatsächlich ausgezahlt erhalten. Das steht jedoch der Annahme nicht entgegen, daß der Kläger diesen bereits vorher im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO bezogen hat. Wie der 3. Senat bereits entschieden hat, regelt § 182 Abs. 3 RVO den Beginn des Krankengeldes und damit auch den Bezug desselben im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO (BSG Bd. 28 S. 117). Unter Bezug des Krankengeldes im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO ist also der Beginn des Krankengeldanspruchs zu verstehen, unabhängig davon, von welchem Zeitpunkt an das Krankengeld wirklich gezahlt wird. Wesentlich ist, daß der Beginn der Rente wegen Berufsunfähigkeit in die Bezugszeit des Krankengeldes fällt. Zur Bezugszeit des Krankengeldes rechnen aber auch die Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld wegen Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach § 189 Abs. 1 Satz 1 RVO ruht (vgl. BSG Bd. 27 S. 66). Allein diese Auslegung wird dem Sinn des § 183 Abs. 5 RVO gerecht. Die Vorschrift will einerseits verhindern, daß ein Versicherter neben der Rente wegen Berufsunfähigkeit das volle Krankengeld erhält, das sich aus seinem höheren, vor Eintritt der Berufsunfähigkeit bezogenen Arbeitsverdienst errechnet. Andererseits soll nach dieser Vorschrift derjenige Versicherte neben dem Anspruch auf die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit einen Anspruch auf das volle Krankengeld haben, der den Anspruch auf das im allgemeinen geringere Krankengeld erst im Zustand der Berufsunfähigkeit erworben hat. Diesem gesetzgeberischen Zweck widerspräche es, wenn man unter "Bezug" des Krankengeldes im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO nur den Zeitraum verstände, für den der Versicherte das Krankengeld tatsächlich ausgezahlt erhält. Wollte man die Zeiten des Ruhens des Krankengeldes aus der Bezugszeit ausklammern, so entstände regelmäßig das vom Gesetzgeber nicht gewollte Ergebnis, daß der Versicherte neben der Rente wegen Berufsunfähigkeit das volle Krankengeld erhält, obwohl sich dieses aus dem höheren Verdienst errechnet, den der Versicherte vor dem in § 182 Abs. 3 RVO geregelten Beginn des Krankengeldes und damit auch vor dem Zeitraum des Ruhens erzielt hat. Kann es danach für den Bezug des Krankengeldes im Sinne des § 183 Abs. 5 RVO nur auf den in § 182 Abs. 3 RVO geregelten Beginn des Krankengeldanspruchs ankommen, und zwar auch dann, wenn der Anspruch für eine bestimmte Zeit ruht, so bedeutet das für den vorliegenden Fall, daß die Rente wegen Berufsunfähigkeit dem Kläger während des Bezuges des "Baren Zuschusses zur Krankenpflege" zugebilligt wurde; denn der Anspruch darauf war nach § 182 Abs. 3 RVO bereits am 23. Juni 1969 entstanden. Der "Bare Zuschuß zur Krankenpflege" ist daher um den Betrag der für den gleichen Zeitraum gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit zu kürzen. Die Beklagte hat also in Höhe von 2.536,80 DM zuviel "Baren Zuschuß zur Krankenpflege" gezahlt. Nach § 183 Abs. 5 RVO letzter Halbsatz geht insoweit bei rückwirkender Gewährung der Rente der Rentenanspruch auf die Kasse über. Diese Vorschrift kann allerdings für die Beklagte nicht wörtlich gelten, da sie in einer Rechtsperson Rentenversicherungsträger und Träger der Krankenversicherung ist. Es ist aber davon auszugehen, daß § 183 Abs. 5 RVO letzter Halbsatz die Beklagte in Höhe des zuviel gezahlten Zuschusses zur Krankenpflege zur Aufrechnung mit der Rentennachzahlung berechtigt. Die Beklagte hat den zuviel gezahlten Betrag von 2.536,80 DM danach mit Recht von der Rentennachzahlung einbehalten.
Die begründete Revision der Beklagten führt zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Abweisung der Klage.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen