Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob den Beschädigten des Saarlandes bei der Umstellung der nach saarländischem Recht gewährten Versorgungsbezüge auf das BVG ein Ausgleich nach EGBVG SL Art 1 § 4 Abs 1 auch dann zu zahlen ist, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei der Umstellung unter 25 % liegt.
Leitsatz (redaktionell)
Der 9. Senat des BSG schließt sich der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG zur Anwendung des BVGSLEG Art 1 § 4 Abs 1 S 1 vom 1961-08-16 an.
Normenkette
BVGSaarEG Art. 1 § 4 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1961-08-16
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 22. Oktober 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Beim Kläger sind "entzündliche Veränderungen und Wucherungen im rechten Siebbeinbereich nach operativer Entfernung eines Stecksplitters" als Schädigungsfolgen anerkannt. Dafür wurde nach den saarländischen Vorschriften Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25. v. H. bewilligt. Bei einer Nachuntersuchung des Klägers im Jahre 1962 wurde die MdE auf otologischem Gebiet nur noch mit 10 v. H. und 1963 insgesamt mit 20 v. H. beurteilt. Darauf wurde die MdE mit Umanerkennungsbescheid vom 7. Oktober 1963 für die genannten Gesundheitsstörungen rückwirkend ab 1. Juni 1960 nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) auf 20 v. H. herabgesetzt und die Rentenzahlung Ende November 1963 eingestellt. Ein besonderes berufliches Betroffensein wurde verneint. Nach erfolglosem Widerspruch verurteilte das Sozialgericht (SG) für das Saarland den Beklagten mit Urteil vom 17. Mai 1966, dem Kläger über den 31. Mai 1960 hinaus Rente nach einer MdE von 25. v. H. zu gewähren; im übrigen wurde die Klage, die auf Gewährung einer Rente von mindestens 30 v. H. wegen besonderer beruflichen Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG gerichtet war, abgewiesen. Das SG verneinte eine wesentliche Änderung der Verhältnisse und ein besonderes berufliches Betroffensein, hielt die Versorgungsbehörde jedoch für verpflichtet, wegen der vom Gesetzgeber den Versorgungsberechtigten des Saarlandes eingeräumten persönlichen Besitzstandswahrung Rente nach der seitherigen MdE zu gewähren. Auf die Berufung des Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 22. Oktober 1968 das SG-Urteil auf und wies die Klage ab. Die Anschlußberufung des Klägers, mit der er wenigstens die Gewährung eines Ausgleichs nach Art. I § 4 des Gesetzes zur Einführung des Bundesversorgungsgesetzes im Saarland vom 16. August 1961 (EGBVG-Saar - BGBl I, 1292 -) unter Zugrundelegung einer MdE von 25 v. H. begehrt hatte, wurde zurückgewiesen. Das LSG vertrat die Auffassung, in den anerkannten Schädigungsfolgen sei zwar keine wesentliche Änderung i. S. des § 62 Abs. 1 BVG eingetreten, der Beklagte sei jedoch auch ohne einen solchen Nachweis zur Neufeststellung des MdE-Grades ab 1. Juni 1960 berechtigt gewesen. Denn nach der Rechtsprechung aller 3 für die Kriegsopferversorgung zuständigen Senate des Bundessozialgerichts (BSG), der sich das LSG anschließe, sei die Versorgungsverwaltung nach Einführung des BVG im Saarland befugt gewesen, bei der Umstellung der Rentenbezüge nach dem BVG die Verhältnisse und die MdE zugrunde zu legen, die sich aus ihren neuen Ermittlungen, insbesondere nach den ärztlichen Beurteilungen ergäben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich die Verhältnisse seit der letzten Feststellung nach saarländischem Recht wesentlich geändert hätten. Aus Art. I § 3 Satz 4 EGBVG-Saar könne nicht eine Garantie des rechtlichen Besitzstandes für die saarländischen Versorgungsberechtigten hergeleitet werden. Ein Ausgleich nach Art. I § 4 EGBVG-Saar komme nicht in Betracht, wenn - wie hier - nach den Vorschriften des BVG die MdE mit unter 25 v. H. (hier mit insgesamt 20 v. H.) neu festgesetzt werde und dem Beschädigten nach dem BVG somit keine Bezüge zustünden.
Mit der zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des Art. I § 4 Abs. 1 Satz 1 des EGBVG-Saar. Das LSG habe zu Unrecht aus dem Wortlaut dieser Vorschrift den Schluß gezogen, ein Ausgleich sei davon abhängig, daß auch nach dem BVG tatsächlich Versorgungsbezüge zu zahlen seien. Dem Versorgungsberechtigten sei als Minimum der Betrag garantiert, der ihm zustünde, wenn das Reichsversorgungsgesetz (RVG) weiterhin anzuwenden wäre. Insoweit sei das Fortbestehen des § 57 RVG zu fingieren. Sei nach dem RVG eine Rente nach einer MdE von 100 v. H. bezogen worden und werde nun eine MdE von 30 v. H. ermittelt, so habe der Versorgungsberechtigte Anspruch auf den Differenzbetrag. Das gleiche müsse aber auch dann gelten, wenn statt der seitherigen MdE von 25 v. H. ab 1. Juni 1960 nur noch eine MdE von 20 v. H. angenommen werde. Hier müßten die gleichen Grundsätze angewandt werden wie im Falle des Art. I § 4 Abs. 1 Satz 2 EGBVG-Saar, der bestimme, daß dann, wenn nach dem BVG Versorgungsbezüge infolge Anrechnung von Einkommen nicht zu zahlen seien, ein Ausgleich zu gewähren sei. Ebenso schreibe Art. I § 5 EGBVG-Saar vor, daß ein Ausgleich zustehe, wenn das BVG für den seither versorgten Personenkreis keine Versorgung mehr vorsehe. Daraus ergebe sich, daß die saarländischen Kriegsopfer ihren persönlichen Besitzstand behalten sollten.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als das LSG die Anschlußberufung des Klägers zurückgewiesen hat und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger unter Zugrundelegung eines MdE-Grades von 25 v. H. einen Ausgleich zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für richtig.
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sachlich konnte sie jedoch keinen Erfolg haben.
Streitig ist nur noch, ob dem Kläger (ab dem Zeitpunkt der Renteneinstellung nach den Vorschriften des BVG, d. h. ab 1. Dezember 1963) ein Ausgleich nach Art. I § 4 Abs. 1 EGBVG-Saar zusteht. Nach dieser gemäß Art. III § 4 EGBVG-Saar am 1. Juni 1960 wirksam gewordenen Vorschrift ist dann, wenn der Gesamtbetrag der nach dem BVG zu zahlenden Versorgungsbezüge niedriger ist als der Gesamtbetrag, der bei Anwendung der Rechtsvorschriften des Saarlandes zu zahlen wäre, ein Ausgleich in Höhe des jeweiligen Unterschiedsbetrages zu gewähren (Satz 1). Entsprechendes gilt, wenn nach dem BVG Versorgungsbezüge infolge Anrechnung von Einkommen nicht zu zahlen sind (Satz 2). Die in Satz 1 getroffene Regelung - der Fall des Satzes 2 ist hier nicht gegeben - setzt aber voraus, daß nach dem Bezug von Versorgung auf Grund des saarländischen Rechts weiter nach dem BVG Versorgung gewährt wird. Denn der Satz 1 verlangt ausdrücklich, daß zwei Beträge (Gesamtbeträge) - nach dem BVG und nach früherem Recht - einander gegenüberzustellen sind und der Unterschiedsbetrag hiernach ermittelt wird. Im vorliegenden Fall stehen Leistungen nach dem BVG jedoch nicht mehr zu, weil die MdE unter 25 v. H. liegt.
Wenn die Revision meint, dem Kläger sei nach dieser Vorschrift trotzdem ein Ausgleich zu gewähren, weil sinngemäß von den nach seitherigem Recht zu gewährenden Bezügen keine Bezüge abgezogen werden könnten, wenn (nach dem BVG) keine zu zahlen seien, und daß in jedem Falle ein Ausgleich zustehe, weil die bei der Einführung des BVG innegehabte seitherige Rechtsposition solange erhalten bleibe, bis sich eine wesentliche Änderung ergebe, so kann ihr nicht zugestimmt werden. Daß die Versorgungsbezüge bei der Umstellung auf das BVG nach den Bestimmungen des BVG und damit auf Grund des tatsächlich bestehenden MdE-Grades ohne den Nachweis einer wesentlichen Änderung zu ermitteln sind, ist unter den Beteiligten nicht mehr streitig (vgl. hierzu BSG in SozR Nr. 2 zu EGBVG-Saar Art. I § 2 - Ca 4 -). Insoweit ist also die bisher innegehabte Rechtsposition jedenfalls nicht geschützt. Jedoch sollte dem saarländischen Beschädigten der persönliche Besitzstand nach Maßgabe des § 4 EGBVG-Saar erhalten bleiben (vgl. BSG aaO Ca 5 Rs). Dieser persönliche Besitzstand kann aber nicht weiter gehen, als er im Gesetz vorgesehen ist. Hätte der Gesetzgeber auch für Fälle der vorliegenden Art einen Ausgleich gewähren wollen, so hätte er dies in der allgemeinen Vorschrift über die Gewährung von Ausgleichszahlungen des Art. I § 4 Abs. 1 Satz 1 zum Ausdruck bringen, d. h. einen entsprechenden Satz oder Halbsatz anfügen müssen, der etwa hätte lauten können: "Sind nach dem BVG keine Versorgungsbezüge mehr zu zahlen, so sind die bei Anwendung der Rechtsvorschriften des Saarlandes zustehenden Bezüge so lange weiter zu gewähren, bis Verhältnisse eintreten, bei deren Vorliegen die Versorgung nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes ebenfalls entzogen worden wäre". Eine nahezu gleichlautende Vorschrift hat der Gesetzgeber in Art. I § 5 Abs. 2 EGBVG-Saar getroffen, jedoch ausdrücklich nur für die Fälle, in denen das BVG für einen Personenkreis, dem nach bisherigen Rechtsvorschriften des Saarlandes Versorgung zugestanden hat, keine Versorgung vorsieht (§ 5 Abs. 1 EGBVG-Saar). Hieraus ist zu folgern, daß es nicht auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht, wenn nicht für alle Fälle, in denen nach dem BVG keine Leistungen mehr zustehen, - damit auch für Fälle der vorliegenden Art - Ausgleich nach § 4 vorgesehen werde, sondern daß die nicht ausdrücklich geregelten Fälle bewußt von der Ausgleichsregelung ausgeschlossen sein sollten. In gleichem Sinne ist der Umstand zu werten, daß. Art. I § 4 Abs. 1 Satz 2 EGBVG-Saar eine Ausnahme von der allgemeinen Regelung des Satzes 1 dieser Vorschrift nur für die Fälle vorgesehen ist, in denen nach dem BVG Versorgungsbezüge infolge Anrechnung von Einkommen nicht zu zahlen sind. Die Hinweise der Revision auf die Vorschriften des Art. I § 4 Abs. 1 Satz 2 und des § 5 EGBVG-Saar vermögen sonach die Rechtsauffassung des Klägers nicht zu stützen; vielmehr wird die vom LSG vertretene Auffassung bei einem Vergleich dieser Bestimmungen mit der hier strittigen Vorschrift eher bestätigt.
Darüber hinaus entspricht das gewonnene Ergebnis aber auch dem Sinn des Ausgleichs nach Artikel I § 4 EGBVG-Saar. Diese Vorschrift trägt - wie der 8. Senat des BSG im Urteil vom 2. Februar 1971 - 8 RV 47/70 - (vgl. auch das Urteil dieses Senats vom 8. Dezember 1970 - 8 RV 677/69 -) ausgeführt hat, dem Umstand Rechnung, daß trotz wesentlicher Erhöhung der Versorgungsleistungen des BVG durch das Erste Neuordnungsgesetz die Leistungen nach dem saarländischen Recht zum Teil immer noch höher gelegen haben als nach dem BVG (vgl. auch Wilke, KOV 1961, 171, 173). Sie sollte den Besitzstand für "bessere Saarleistungen" wahren und die saarländischen Kriegsopfer davor schützen, daß sie bei der Umanerkennung Leistungen nach dem BVG erhalten, die noch nicht das bisherige höhere Niveau der Saarlandversorgung erreicht haben. Mit den seither eingetretenen und wohl noch künftig zu erwartenden Anhebungen der Versorgungsleistungen des BVG verringert sich aber dieser "Niveauunterschied" zunehmend. Insofern hat der Ausgleich seiner Zweckbestimmung nach den Charakter einer früher oder später auslaufenden Übergangsleistung. Diesem Sinn des Ausgleichs widerspräche es jedoch, wenn er über die gesetzliche Sondervorschrift hinaus ganz allgemein dann gewährt werden müßte, wenn Leistungen nach dem BVG überhaupt nicht (mehr) zustehen. In diesen Fällen müßte der Ausgleich (bei gleichbleibenden Verhältnissen) den betreffenden Beschädigten bis an ihr Lebensende gezahlt werden, weil ein allmähliches "Auslaufen" infolge Anhebung der Bezüge nach dem BVG nicht möglich ist, wenn nach dem BVG der einen Anspruch rechtfertigende Mindestgrad der MdE nicht gegeben ist. Damit würden aber gerade diejenigen Versorgungsberechtigten, die - wie der Kläger - in verhältnismäßig geringem Grade in ihrer Erwerbsfähigkeit beeinträchtigt sind, gegenüber den übrigen Versorgungsberechtigten des Saarlandes bevorzugt. Für eine solche Absicht bietet das Gesetz keinen Anhalt.
Wenn der Kläger die Versagung eines Ausgleichs in seinem Fall für unbillig hält, so mag dies zwar verständlich sein. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Gerichts, die vom Gesetzgeber gewollte Lösung daraufhin zu überprüfen, ob sie vom Standpunkt eines Beteiligten aus die zweckmäßigste oder gerechteste denkbare Lösung darstellt (vgl. BVerfG Bd. 4, 18 ff). Überdies hat der Gesetzgeber bei dieser Ausgleichsregelung auch in Betracht ziehen können, daß es einem jahrzehntealten Grundsatz entspricht, in der KOV für Schädigungsfolgen, die eine MdE von unter 25 v. H. bedingen, keine Geldleistungen (Versorgungsrenten) zu gewähren (vgl. hierzu auch § 24 RVG). Hinzu kommt, daß auch bei der Umanerkennung der vor dem 1. Oktober 1950 im Bundesgebiet gewährten Versorgungsleistungen ganz allgemein die Renten entzogen wurden, wenn die MdE bei der Umstellung auf das BVG mit weniger als 25 v. H. bemessen wurde (vgl. § 86 Abs. 1 Satz 3 BVG). Die saarländischen Kriegsopfer sind sonach insoweit nicht schlechter gestellt worden als die Kriegsbeschädigten des übrigen Bundesgebietes.
Nach alledem ist der Anspruch des Klägers unbegründet, weil in seinem Fall Leistungen nach dem BVG wegen des Vorliegens einer MdE von unter 25 v. H. nicht mehr zustehen und deshalb nach Art. I § 4 EGBVG-Saar auch kein Ausgleich zu gewähren ist.
Da das Urteil des LSG somit nicht zu beanstanden ist, war die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen