Leitsatz (amtlich)
1. Nach AFuU § 24 Abs 2 (Fassung: 1971-09-09) sind die Vorschriften AFuU (Fassung: 1969-12-18) auf alle Antragsteller anzuwenden, die vor dem 1972-01-01 in eine Maßnahme eingetreten sind, gleichgültig, ob ihnen Leistungen schon zugesagt oder bewilligt worden waren.
2. Zur Frage, wann ein Veranstalter, der durch Vorverlegung des Maßnahmebeginns auf einen Zeitpunkt vor dem Stichtag (hier: 1972-01-01) des Inkrafttretens einer neuen - ungünstigeren - Förderungsregelung die Möglichkeit nutzt, den Teilnehmern die - günstigeren - Förderungsbedingungen nach dem alten Rechtszustand zu verschaffen, rechtsmißbräuchlich handelt.
Normenkette
AFuU § 24 Abs. 2 Fassung: 1971-09-09; AFG § 39 Fassung: 1969-06-25, § 151 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; BGB § 226 Fassung: 1896-08-18, § 826 Fassung: 1896-08-18, § 242 Fassung: 1896-08-18; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23, Art. 20 Abs. 3 Fassung: 1949-05-23
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. September 1974 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der vom Kläger in der Zeit vom 29. Dezember 1971 bis 10. März 1972 besuchte Lehrgang nach den (günstigeren) Vorschriften der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18. Dezember 1969 - AFuU 1969 - (ANBA 1970, 85) oder nach der veränderten Fassung vom 9. September 1971 - AFuU 1971 - (ANBA 1971, 797) zu fördern ist.
Der Kläger ist von Beruf Programmierer. Er beantragte am 21. Juni 1971 die Förderung eines Lehrgangs des Control-Data-Instituts in F, der auf die Zeit vom 3. Januar 1972 bis 10. März 1972 festgelegt war. Maßnahmeziel war die Fortbildung zum Systemanalytiker. Die Beklagte bewilligte für diesen Lehrgang die Gewährung der vollen Lehrgangs- und Aufnahmegebühren in Höhe von 3.000,- DM (Bescheid vom 14. September 1971). Mit Schreiben vom 6. Oktober 1971 verständigte das Control-Data-Institut das Arbeitsamt und kurz darauf auch den Kläger, daß der Lehrgang für Systemanalyse auf die Zeit vom 29. Dezember 1971 bis 10. März 1972 vorverlegt worden sei. Inzwischen waren die Änderungen der AFuU bekanntgegeben worden. Das Arbeitsamt unterrichtete mit Schreiben vom 22. Oktober 1971 den Kläger davon, daß der Verwaltungsrat der BA für die Zeit ab 1. Januar 1972 eine Neufassung der AFuU beschlossen habe, die auf Teilnehmer anzuwenden sei, die eine Fortbildung oder Umschulung nach dem 1. Januar 1972 begännen. Nach dieser Änderung könnten in Zukunft Lehrgangsgebühren nur noch im Rahmen bestimmter Höchstbeträge übernommen werden. In Anwendung der ab 1. Januar 1972 geltenden AFuU 1971 setzte die Beklagte die dem Kläger zugebilligten Lehrgangsgebühren auf 494,75 DM herab (Bescheid vom 28. Januar 1972). Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen das Urteil des Sozialgerichts (SG) Dortmund vom 29. Mai 1973 und die Bescheide der Beklagten abgeändert. Es hat die Auffassung vertreten, daß der vom Kläger besuchte Lehrgang nach den Vorschriften der AFuU 1969 zu fördern sei. Zur Begründung hat das LSG noch ausgeführt: Die Vorschrift des § 24 Abs. 2 AFuU 1971 lege fest, daß diese Anordnung nur auf Antragsteller anzuwenden sei, die vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an (1. Januar 1972) in eine Maßnahme eintreten. Die weiteren Regelungen, wonach Antragstellern, die vor diesem Zeitpunkt eine Maßnahme begonnen haben und denen Leistungen bewilligt oder zugesagt worden seien, diese Leistungen auch weiter zu gewähren seien, enthalte lediglich eine Erläuterung des zuvor aufgestellten Grundsatzes in zwei wichtigen Punkten. Die Beklagte könne sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der Maßnahmeträger in rechtsmißbräuchlicher Weise den Beginn des Lehrgangs vorverlegt habe. Es sei grundsätzlich nicht rechtsmißbräuchlich, sich auf eine bevorstehende Rechtsänderung einzurichten und so zu planen, daß eine sich möglicherweise verschlechternde Regelung für die Lehrgangsteilnehmer nicht wirksam werde. Der Unterricht habe am 29. Dezember 1971 begonnen und der Kläger habe den Unterricht auch besucht.
Mit der-zugelassenen - Revision rügt die Beklagte eine unrichtige Anwendung des § 24 Abs. 2 AFuU 1971. Die Voraussetzungen für die Anwendung der AFuU 1969 seien im vorliegenden Fall nicht gegeben. Dem Kläger sei zwar schon vor dem 31. Dezember 1971 eine Leistung bewilligt worden, jedoch für einen Zeitraum ab 3. Januar 1972. Entgegen der Auffassung des LSG sei im übrigen die Neufassung auch auf solche Antragsteller anzuwenden, die zwar schon vorher eine Maßnahme begonnen hätten, denen aber weder eine Leistung bewilligt noch zugesagt worden sei. In diese Gruppe falle auch der Kläger, denn ihm sei für die am 29. Dezember 1971 beginnende Maßnahme eine Leistung weder zugesagt noch bewilligt worden. Die Verschiebung des Lehrgangsbeginns sei im übrigen rechtsmißbräuchlich, so daß hieraus keine Ansprüche für den Kläger hergeleitet werden könnten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet.
Die Beklagte ist verpflichtet, den vom Kläger in der Zeit vom 29. Dezember 1971 bis 10. März 1972 besuchten Lehrgang des Control-Data-Instituts in Frankfurt/Main nach den Vorschriften der AFuU 1969 zu fördern.
Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 AFuU 1971 ist die neue Fassung der AFuU am 1. Januar 1972 in Kraft getreten. Gleichzeitig ist die AFuU 1969 i. d. F. der ersten Änderungsanordnung vom 30. September 1970 außer Kraft getreten (§ 24 Abs. 1 Satz 2 AFuU 1971). Durch § 24 Abs. 2 AFuU 1971 wird klargestellt, daß Anknüpfungspunkt für den zeitlichen Geltungsbereich der beiden Anordnungen der Beginn der Maßnahme sein soll. § 24 Abs. 2 Satz 1 bestimmt, daß die AFuU 1971 auf Antragsteller anzuwenden ist, die vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an in eine Maßnahme eintreten. Nach Satz 2 und 3 der genannten Vorschrift werden für Antragsteller, die vor diesem Zeitpunkt eine Maßnahme begonnen haben, bewilligte oder zugesagte Leistungen weitergewährt. Die sprachliche Fassung deutet darauf hin, daß eine begonnene Förderungsmaßnahme entweder nur nach altem oder nur nach neuem Recht, d. h. von ihrem Beginn an einheitlich behandelt werden soll. Dies gilt jedenfalls, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine einheitliche zeitlich zusammenhängende Maßnahme handelt. Hätte der Anordnungsgeber eine Differenzierung in dem Sinne erstrebt, daß mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts dessen Voraussetzungen auch für die weitere Förderung einer bereits begonnenen Maßnahme gelten sollten, so wäre unverständlich, warum dies nicht auch für die in § 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 AFuU 1971 genannten Fälle bewilligter oder zugesagter Förderungsleistungen maßgebend sein sollte. Allein die Tatsache, daß Leistungen bewilligt und zugesagt waren, kann eine unterschiedliche Behandlung gegenüber solchen Maßnahmen, für die Leistungen nicht bewilligt oder zugesagt waren, bei denen aber alle Anspruchsvoraussetzungen vorgelegen haben, nicht rechtfertigen. Bewilligung und Zusage stehen nämlich unter dem Vorbehalt des § 151 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG). Danach werden Entscheidungen, durch die Leistungen nach dem AFG bewilligt worden sind, insoweit aufgehoben, als die Voraussetzungen für diese Leistungen nicht vorgelegen haben oder weggefallen sind. Wäre in § 24 Abs. 2 AFuU 1971 Anknüpfungspunkt für eine Förderung nach der AFuU der Zeitraum, für den Leistungen bewilligt wurden, so wären mit dem Inkrafttreten neuen Rechts Voraussetzung und Höhe der Leistungen neu zu beurteilen und unter Entziehung bisher zugesagter höherer Leistungen neu festzustellen. Gerade diese Konsequenz hat der Anordnungsgeber in § 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 AFuU 1971 aber nicht gezogen. Dies spricht neben dem Wortlaut des § 24 AFuU 1971 dafür, daß die Teilnahme an vor dem 1. Januar 1972 begonnenen Maßnahmen einheitlich nach der alten Regelung der AFuU 1969 oder den - ungünstigeren - Vorschriften der AFuU 1971 gefördert werden sollten.
Mit Recht hat das LSG ausgeführt, daß im vorliegenden Fall noch das - günstigere - alte Förderungsrecht der AFuU 1969 anzuwenden ist. Allerdings läßt sich dieses Ergebnis nicht - wie das Berufungsgericht angenommen hat - im Wege eines Umkehrschlusses aus § 24 Abs. 2 AFuU 1971 herleiten. Dabei wird nämlich übersehen, daß sich nur aus § 24 Abs. 2 Satz 1 AFuU 1971 durch Umkehrschluß die Anwendung der AFuU 1969 auf alle Antragsteller ergibt, die vor dem 1. Januar 1972 in eine Maßnahme eingetreten sind. Aus der Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 AFuU 1971 läßt sich dagegen mittels Umkehrschlusses die gegenteilige - von der Revision vertretene - Auffassung begründen, wonach Antragsteller - wie der Kläger -, die vor dem 1. Januar 1972 eine Maßnahme begonnen haben, denen dafür aber Leistungen noch nicht bewilligt oder zugesagt waren, nach dem neuen - ungünstigeren - Recht der AFuU 1971 zu fördern sind. Dennoch ist dem LSG darin zuzustimmen, daß § 24 Abs. 2 Satz 1 AFuU 1971 als abschließende Regelung anzusehen ist. Jede andere Auslegung begegnet nämlich verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie würde sowohl gegen das grundsätzliche Verbot der Rückwirkung von Gesetzen als auch gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) verstoßen.
Das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) garantiert Rechtssicherheit, die ihrerseits für den Bürger vor allem Vertrauensschutz bedeutet (BVerfGE 18, 429, 439; ferner BVerfGE 23, 12, 32; 7, 89, 92; 13, 261, 271). Aus dem Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in ständiger Rechtsprechung die verfassungsrechtlichen Grenzen einer Rückwirkung von Gesetzen bestimmt. Es hat die Grenzziehung für eine zulässige Rückwirkung da gesucht, wo ein Gesetz rückwirkende Eingriffe in Rechte oder Rechtslagen des Staatsbürgers vornimmt, mit denen dieser in dem Zeitpunkt, von dem ab sie gelten sollen, nicht rechnen konnte und die er bei einer verständigen Vorausschau im privaten und beruflichen Bereich nicht zu berücksichtigen brauchte (BVerfGE 1, 264, 280; 8, 274, 304). Dies gilt auch für Fälle der sog. unechten (retrospektiven) Rückwirkung. Sie liegt vor, wenn Normen zwar unmittelbar nur auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirken, damit aber zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich im ganzen entwerten (BVerfGE 14, 288, 297; 11, 139, 146). Ein solcher Fall würde hier vorliegen, wenn auch diejenigen Maßnahmen der neuen Regelung unterworfen würden, die vor dem 1. Januar 1972 begonnen haben. Es würde an einen in der Vergangenheit liegenden Sachverhalt (Eintritt des Antragstellers in die Maßnahme), auf den bereits die AFuU 1969 anzuwenden war, nachträglich eine neue Gesetzeslage geknüpft. Bei solchen Fällen unechter Rückwirkung ist der Vertrauensschutz verletzt, wenn das Gesetz einen entwertenden Eingriff vornimmt, mit dem der Staatsbürger nicht rechnen, den er also bei seinen Dispositionen nicht berücksichtigen konnte (BVerfGE 14, 288, 297, 298 mit weit. Nachw.)
Bei einer rückwirkenden Anknüpfung der AFuU 1971 an bereits vor ihrem Inkrafttreten begonnene Maßnahmen würde das Vertrauen der Antragsteller in den Fortbestand des durch die AFuU 1969 geregelten Förderungsrechts beeinträchtigt. Die Teilnahme an einer Bildungsmaßnahme erfordert langfristige private und berufliche Planungen. Sie ist mit nicht unerheblichen Risiken (z. B. Aufgabe des Arbeitsplatzes, u. U. Wohnungswechsel) verbunden. Bei diesen Planungen spielen finanzielle Dispositionen naturgemäß eine entscheidende Rolle. Der Antragsteller muß insbesondere langfristig übersehen können, in welchem Umfang er mit einer finanziellen Förderung rechnen kann, wie hoch dementsprechend sein eigener finanzieller Beitrag zu sein hat. Diese Dispositionen würden grundlegend in Frage gestellt, wenn an die Stelle des zunächst geltenden Förderungsrechts der AFuU 1969 nachträglich das wesentlich ungünstigere Förderungsrecht der AFuU 1971 treten würde.
Der Vertrauensschutz des Klägers in die Geltung der AFuU 1969 wird auch nicht dadurch aufgehoben, daß die Beklagte die AFuU 1971 in den Amtl. Nachrichten der BA vom 26. November 1971 (ANBA 1971, 797), also noch vor Beginn der vom Kläger besuchten Maßnahme, bekanntgemacht hat und der Kläger mit Schreiben vom 22. Oktober 1971 davon unterrichtet worden ist. Das BVerfG hat allerdings in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, daß das Vertrauen des Bürgers in den Bestand des geltenden Rechts von dem Zeitpunkt an nicht mehr schutzwürdig ist, in dem der Bundestag ein rückwirkendes Gesetz beschlossen und sich lediglich die Verkündung des Gesetzes verzögert hat (BVerfGE 8, 274, 304, 305; 13, 261, 273; 14, 288, 298; 23, 12, 33; ebenso BSGE 37, 144, 148). Das gilt jedoch dann nicht, wenn - wie hier - für den Kläger aus dem Text der Anordnung (und der Benachrichtigung der Beklagten) eine solche Rückwirkung nicht mit hinreichender Deutlichkeit erkennbar war und deshalb auch in seine Planungen nicht einbezogen werden konnte. Dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnete Gründe des gemeinen Wohls, die eine Rückwirkung der AFuU 1971 auf Fallgestaltungen der vorliegenden Art rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Ebensowenig wird das verfassungsrechtliche Verbot der Rückwirkung von Normen dadurch in Frage gestellt, daß das AFG (§ 151 Abs. 1) einen Vertrauensschutz in die Wirksamkeit von Bescheiden nicht kennt (vgl. BSG SozR 4100 § 151 Nr. 1). Denn § 151 AFG vermag als Norm des einfachen Rechts nicht höherrangiges Verfassungsrecht (Verbot der Rückwirkung von Gesetzen) zu durchbrechen.
Entgegen der Auffassung der Revision folgt aus dem verfassungsrechtlich abgesicherten Grundsatz des Vertrauensschutzes bereits, daß § 24 Abs. 2 AFuU 1971 eine unterschiedliche Behandlung von Teilnehmern, denen Leistungen bereits bewilligt oder zugesagt waren (§ 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 AFuU 1971) gegenüber solchen, die zwar ebenfalls alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllen, jedoch eine positive Verwaltungsentscheidung noch nicht erhalten hatten, nicht zulässig ist.
Eine derartige Differenzierung würde außerdem gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Allerdings ist es in erster Linie eine Entscheidung des Gesetzgebers, welche Elemente der zu ordnenden Lebensverhältnisse als maßgebend für eine gleiche oder ungleiche Behandlung im Recht angesehen werden sollen (BVerfGE 6, 280; 9, 10; 21, 26). Auch bei vergleichbaren Tatbeständen sind gesetzliche Differenzierungen nicht schlechthin unzulässig. Der Gleichheitssatz wird jedoch dann verletzt, wenn für eine gesetzliche Unterscheidung sachlich einleuchtende Gründe nicht vorliegen, die Unterscheidung also willkürlich ist (BVerfGE 35, 272). Der Normgeber darf bei der näheren Abgrenzung nicht sachwidrig differenzieren; Regelungen, die innerhalb eines vergleichbaren Personenkreises einzelne Gruppen bevorzugen oder benachteiligen, müssen für eine an der Gerechtigkeit orientierten Betrachtungsweise den geregelten Lebensverhältnissen entsprechen und durch vernünftige sachlich einleuchtende Gründe gerechtfertigt sein (BVerfGE 38, 187, 197, 198). Mit diesen Verfassungsgrundsätzen wäre es unvereinbar, wenn eine Übergangsregelung es in das Belieben der Verwaltung stellen würde, durch eine entsprechende Bearbeitungsdauer die Anwendung der einen oder anderen Fassung der AFuU herbeizuführen. Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung zwischen den in § 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 AFuU 1971 genannten Fällen und Sachverhalten der vorliegenden Art besteht nicht. Dieser könnte allenfalls darin liegen, daß diejenigen, denen Leistungen bereits zugesagt oder bewilligt worden sind, einen stärkeren Vertrauensschutz beanspruchen können. Ein solcher Vertrauensschutz für Bescheide und Zusagen ist aber - wie das Bundessozialgericht (BSG) (SozR 4100 § 151 Nr. 1) bereits entschieden hat - im Bereich des AFG ausdrücklich ausgeschlossen (§ 151 AFG). Schutzwürdig ist im einen wie dem anderen Fall nur das in allen Fällen gleichermaßen bedeutsame Vertrauen auf die bei Beginn der Maßnahme bestehenden normativen Anspruchsgrundlagen. Es fehlt deshalb an einem sachlichen Grund für Differenzierungen, wie sie der Wortlaut des § 24 Abs. 2 Satz 2 und 3 AFuU 1971 nahelegen könnte.
Diese Gründe zwingen dazu, § 24 Abs. 2 Satz 1 AFuU 1971 als eine abschließende Regelung in dem Sinne zu verstehen, daß die AFuU 1971 nur auf Antragsteller anzuwenden ist, die vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens - 1. Januar 1972 - an in eine Maßnahme eingetreten sind. Hierzu gehört der Kläger nicht.
Der Anspruch des Klägers auf Förderung der umstrittenen Maßnahme nach der AFuU 1969 ist auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die von ihm besuchte Maßnahme, deren Beginn ursprünglich für den 3. Januar 1972 vorgesehen war, auf den 29. Dezember 1972 vorverlegt worden ist.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß die Vorverlegung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmißbrauchs (vgl. BSGE 7, 199 ff, 200 mit weiteren Nachw.; BSG SozR Nr. 9 zu § 242 BGB) nicht zu beanstanden ist. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß jeder Bürger gesetzlich gewährte Vergünstigungen ohne Einschränkung in Anspruch nehmen kann, sofern er die entsprechenden Voraussetzungen dafür erfüllt. Regelmäßig kann deshalb auch jeder Bürger die durch Gesetz oder Satzung vorgesehenen Fristen nutzen, um noch fristgerecht die Voraussetzungen für Vergünstigungen zu schaffen. Wenn der Gesetz- oder Satzungsgeber die Ausnutzung dieser Fristen nicht wünscht, so liegt es bei ihm, dies durch entsprechende Regelungen sicherzustellen (vgl. insoweit auch das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des erkennenden Senats vom 29. Oktober 1975 - 12 RJ 192/74 -). Andernfalls können nur ganz besondere Umstände eine schutzwürdige Erwartung begründen, die Zeit werde nicht genutzt. Der Verwaltungsrat der BA hat sich in § 24 Abs. 2 AFuU 1971 dafür entschieden, durch eine Stichtagsregelung das Förderungsrecht der AFuU 1969 von demjenigen der AFuU 1971 zeitlich abzugrenzen. Da Anknüpfungspunkt für die Anwendung einer der beiden Anordnungen allein der Beginn der Maßnahme sein sollte, mußte die Beklagte davon ausgehen, daß Maßnahmeträger versuchen würden, nach Bekanntwerden der Änderung der AFuU 1969 noch die günstigeren Förderungsbedingungen alten Rechts für die Teilnahme an ihren Maßnahmen auszunutzen. Ungeachtet dessen hat die Beklagte diese Möglichkeit in der AFuU 1971 nicht ausgeschlossen. Es ist kein Anhalt ersichtlich, der auch ohne eine solche Regelung die Erwartung hervorrufen konnte, die Frist werde nicht durch Vorverlegung von Maßnahmen genutzt. Vor allem ist aus dem Normzweck der Vorschriften des AFG nichts derartiges zu entnehmen. Die in § 39 AFG ausgesprochene Ermächtigung zum Erlaß von Anordnungen, die Voraussetzungen, Art und Höhe der Leistungen regeln, soll eine schnelle Anpassung an die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt und die Leistungsfähigkeit der Beklagten ermöglichen (Begründung zum Reg. Entw. BT-Drucks. V/2291 zu § 38 Abs. 3, S. 66). Eine solche Anpassung bringt aber auch Härten für die betroffenen Bürger mit sich, deren Milderung durch Anpassungsfristen deshalb sogar eine naheliegende, wenn nicht gar gebotene Lösung ist. Die Vorverlegung der vom Kläger besuchten Bildungsmaßnahmen zur Ausnutzung der günstigeren Förderungsbedingungen muß daher als zulässig angesehen werden.
Eine Förderung nach der AFuU 1969 wäre allerdings dennoch ausgeschlossen, wenn die Festsetzung (Vorverlegung) des Maßnahmebeginns nur zum Schein erfolgt wäre, die Maßnahme also tatsächlich erst später begonnen hätte. Nach den unangefochtenen Feststellungen des LSG war dies jedoch nicht der Fall.
Aufgrund dieses Ergebnisses brauchte nicht mehr entschieden zu werden, ob überhaupt ein Rechtsmißbrauch des Maßnahmeträgers Auswirkungen auf die Rechte der Teilnehmer haben kann und ob die Beklagte nicht in solchen Fällen auf Ansprüche gegen den Maßnahmeträger zu verweisen wäre.
Nach allem kann die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen
Haufe-Index 1647944 |
BSGE, 263 |