Leitsatz (amtlich)
Die Tätigkeit eines Lehrassistenten im Ausland während einer Zeit der Beurlaubung vom Studium ist keine Berufsausbildung für den Lehrerberuf iS des § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG (Anschluß an BSG 1975-09-18 4 RJ 295/74 = DRV 1976, 129).
Leitsatz (redaktionell)
Es wird an der Rechtsprechung festgehalten, daß die Tätigkeit als Lehrassistent an ausländischen Schulen im Rahmen eines Fremdsprachenstudiums keine Berufsausbildung iS von § 2 Abs 2 S 1 Nr 1 BKGG darstellt.
Eine Ausnahme hiervon wird nur dann auszunehmen sein, wenn während des Auslandsaufenthaltes neben der Tätigkeit als Lehrassistent die Ausbildung an einer Hochschule oder entsprechenden Sprachenschule unter überwiegender Inanspruchnahme der Zeit und der Arbeitskraft des Auszubildenden weitergeführt wird.
Normenkette
BKGG § 2 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 10.03.1981; Aktenzeichen L 7 Kg 14/80) |
SG Hildesheim (Entscheidung vom 27.06.1980; Aktenzeichen S 10 Kg 13/78) |
Tatbestand
Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt verpflichtet ist, dem Kläger Kindergeld für seine Tochter U für die Zeit zu zahlen, in der sie als Lehrassistentin an Schulen in England tätig gewesen ist.
Der Kläger bezog ab 1975 Kindergeld für zwei eheliche Kinder. Die 1956 geborene Tochter U. besuchte bis Mai 1975 das Gymnasium und studierte ab Wintersemester 1975 Englisch und bildende Kunst an der Pädagogischen Hochschule Niedersachsen mit dem Berufsziel Volksschullehrerin. Ab Wintersemester 1977 bis Sommersemester 1978 war sie vom Studium für eine Tätigkeit als Fremdsprachen- oder Lehrassistentin an zwei Schulen in England beurlaubt. Für diese Tätigkeit erhielt sie eine Ausbildungsbeihilfe vom englischen Staat in Höhe von umgerechnet ca 500,-- DM monatlich. Ihre Tätigkeit bestand in einer Hilfeleistung für die englischen Deutschlehrer und in einer wöchentlich 12-stündigen Unterrichtung der Schüler in deutscher Konversation. Daneben nahm sie wöchentlich einmal je zwei Stunden an englischen Sprachkursen teil, deren Ergebnis ihr mit dem "Certificate of Prificiency in English, Grade C" durch die Universität Cambridge im Juni 1978 bescheinigt wurde.
Die Lehrassistententätigkeit ist für die Zulassungsprüfung nicht vorgeschrieben und wird auf die Studiendauer auch nicht angerechnet. Der zuständige Kultusminister vertritt die Ansicht, daß es sich bei der Lehrassistententätigkeit um eine unselbständige, schulpraktische Tätigkeit handele, die nicht durch Veranstaltungen ergänzt werde, wie sie in Vorbereitungsseminaren üblich und erforderlich seien. Die Tätigkeit sei jedoch für eine künftige Fremdsprachenlehrerin "sehr wünschenswert" und von großem Nutzen; sie habe "in sich selbst Ausbildungscharakter". Auch das zuständige Prüfungsamt empfiehlt einen Aufenthalt in dem berufsentsprechenden Sprachgebiet. Vermittelt werden die Lehrassistentenstellen durch den Pädagogischen Austauschdienst der ständigen Kultusministerkonferenz, der dafür Werbung betreibt und über den die Bewerbung zu erfolgen hat.
Die Beklagte stellte die Kindergeldzahlung mit Ablauf des Dezember 1977 ein, nachdem der Kläger trotz Mahnung keine Studienbescheinigungen für das Sommersemester 1977 und das Wintersemester 1977/78 vorgelegt hatte. Als sie im Mai 1978 auf Rückfrage bei der Pädagogischen Hochschule von der Beurlaubung der Tochter des Klägers erfuhr, hob sie die Bewilligung des Kindergeldes für die Zeit von Oktober 1977 bis Dezember 1977 auf und forderte den zu Unrecht gezahlten Betrag von 140,-- DM (2 Monate) zurück (Bescheid vom 22. August 1978; Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 1978).
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat der auf Aufhebung des Entziehungs- und Rückforderungsbescheides gerichteten Klage stattgegeben (Urteil vom 27. Juni 1980) und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die Berufung nach Abgabe eines Teilanerkenntnisses durch die Beklagte und Annahme desselben durch den Kläger zurückgewiesen (Urteil vom 10. März 1981).
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 2 Abs 2, § 22, § 13 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG).
Sie beantragt,
die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und die Abweisung
der Klage.
Der Kläger ist nicht vertreten. Er hat sich zur Revision nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat dem Kläger zu Recht das Kindergeld für die Tochter U. ab Oktober 1977 entzogen und eine Überzahlung von 140,-- DM zurückgefordert.
Das LSG ist zunächst entsprechend der Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vom 10. März 1981 zutreffend davon ausgegangen, daß nicht nur ein Kindergeldanspruch für die Monate Oktober bis Dezember 1977 und die daraus geltend gemachte Überzahlung, sondern der Anspruch für den gesamten Beurlaubungszeitraum der Tochter U. bis September 1978 umstritten sei. Dazu bestand schon nach dem Sinngehalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 1978, der eine Ausbildungsunterbrechung ab Oktober 1977 für die Dauer des Auslandsaufenthaltes annahm, begründeter Anlaß. Gegenstand des Klagebegehrens vor dem SG war nach dem Antrag des Klägers zwar nur die Anfechtung und Aufhebung des Entziehungs- und Rückforderungsbescheides vom 22. August 1978, allerdings aber eben in Gestalt des Widerspruchsbescheides. Dem hat das SG in den Gründen seiner Entscheidung Rechnung getragen, indem es ausführte, dem Kläger stehe auch während der Beurlaubungszeit seiner Tochter U. Kindergeld zu. Danach waren mit der Aufhebung der angefochtenen Bescheide die bewilligten Leistungen auf der bisherigen Grundlage weiter zu gewähren. So haben es auch die Beteiligten und das LSG gesehen, weshalb es auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Einstellung der Kindergeldzahlung unter Heranziehung des § 66 Abs 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB 1) in diesem Zusammenhang nicht ankam.
Nicht gefolgt werden kann den Vorinstanzen allerdings hinsichtlich der rechtlichen Einordnung der Lehrassistentenzeit als Berufsausbildung und den daraus herzuleitenden Rechtsfolgen. Nach § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG werden Kinder, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, nur berücksichtigt, wenn sie sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden. Da das über 18 Jahre alte Kind des Klägers eine Schulausbildung abgeschlossen und eine Ausbildung zum Beruf einer Lehrerin bereits begonnen hatte, ist es allenfalls denkbar, die hier streitige Zeit als Berufsausbildung zu werten. Die Tätigkeit der Tochter des Klägers in England als Fremdsprachenassistentin ist jedoch keine Berufsausbildung.
Welche Betätigungen als Berufsausbildung anzusehen sind, ist nicht allgemein geregelt, sondern nach dem Sinn und Zweck des Kindergeldrechts zu ermitteln. Wegen der Funktionsgleichheit von Kindergeld, Kinderzuschuß und Waisenrente können dabei die zu §§ 1262 und 1267 Reichsversicherungsordnung (RVO) entwickelten Grundsätze herangezogen werden (BSG SozR 5870 § 2 Nr 2). Nicht jede Aus-, Weiter- oder Fortbildung, die ein Kind nach Vollendung des 18. Lebensjahres betreibt, ist Berufsausbildung im Sinne dieser leistungsrechtlichen Vorschriften. Es muß sich um eine Ausbildung handeln, die dazu dient, die Fähigkeiten zu erlangen, die die Ausübung des zukünftigen Berufs ermöglichen (BSG SozR 2200 § 1267 Nr 19 mwN).
Sind die Betätigungen, die diesem Ziel dienen, in einer Ausbildungsordnung abschließend festgelegt, so besteht grundsätzlich keine Möglichkeit, weitere Betätigungen als Leistungszeiten wegen Berufsausbildung iS des § 2 Abs 2 Nr 1 BKGG anzuerkennen. Was in Ausbildungsvorschriften, -ordnungen oder -plänen festgelegt ist, kann sozialrechtlich grundsätzlich nicht abweichend beurteilt werden. Das Bundessozialgericht (BSG) hat allerdings als Berufsausbildung auch Zeiten anerkannt, in denen ein Kind eine von ihm nicht zu vertretende Pause zwischen zwei Ausbildungsabschnitten sinnvoll im Hinblick auf den angestrebten Beruf nutzt (BSG SozR Nr 38 zu § 1267 RVO; BSGE 32, 120 = SozR Nr 42 zu § 1267 RVO; SozR 2200 § 1267 Nr 2). Für eine solche gesetzesergänzende Rechtsprechung (so SozR 2200 § 1267 Nr 23) besteht aber dann kein Anlaß, wenn sich der Auszubildende von der vorgeschriebenen Ausbildung beurlauben läßt, um eine Tätigkeit auszuüben, die im Hinblick auf den angestrebten Beruf durchaus sinnvoll sein mag.
Die Ausbildung zum Beruf einer Lehrerin ist nämlich im einzelnen geregelt. Eine Fremdsprachenassistentenzeit ist nicht vorgeschrieben. Sie ist auch nicht etwa zusammen mit anderen Ausbildungsarten zur Wahl gestellt. Sie wird schließlich nicht als Ausbildungszeit angerechnet, auch nicht zum Teil. Es ist durchaus einzuräumen, daß es sachgerecht wäre, für die Ausbildung mehr Freiräume zu lassen und es den Auszubildenden mehr als bisher freizustellen, sich zeitweise eine geeignete Ausbildungsart selbst zu wählen. Dies mag besonders deshalb hier angebracht sein, weil die Fremdsprachenassistentenzeit von Berufsbildungsfachleuten dringend empfohlen wird, wie das LSG festgestellt hat. Dieses Ziel ist aber bildungspolitischer Art und bildungsrechtlich noch nicht durchgesetzt.
Der Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG zu den Au-pair-Mädchen-Fällen (Urteil vom 29. Oktober 1969 - 12 RJ 440/63 - in Mitteilungen LVA Berlin 1970, 65; Urteil vom 30. Januar 1973 - 7 RKg 28/70 - in Dienstblatt der BA - Rechtsprechung - 1697 a, Kindergeld, § 2) geht fehl. Dort handelte es sich um Berufe, für die keine bestimmte Ausbildung vorgeschrieben und nicht einmal ein durch allgemeine Übung festgefügter Ausbildungsgang festzustellen war. Deshalb hat es die Rechtsprechung in diesen Fällen weitgehend dem Auszubildenden überlassen, welchen Ausbildungsweg er wählt und insbesondere auch, welchen Empfehlungen er folgt.
Dem Urteil des 8b Senats vom 26. Juli 1979 (SozR 1500 § 150 Nr 18) ist nichts zu entnehmen, was für die Auffassung des LSG in dem damals angefochtenen Urteil vom 26. September 1978 L 7 Ka 20/77 (Breithaupt 1979, 473) spräche.
Außerdem hat die Beklagte zu Recht hervorgehoben, daß das LSG die Rechtsauffassung des BSG im Urteil vom 18. September 1975 - 4 RJ 295/74 - (Bericht über dieses Urteil und zustimmende Anm v Tannen in DRV 1976, 192), die uneingeschränkt auch auf die Kindergeldrechtsprechung zu übertragen ist, nicht zu widerlegen vermocht hat. Es fehlt nämlich hier an einer rechtlich geordneten Berufsausbildung durch einen zur Vervollkommnung der englischen Sprachkenntnisse verantwortlichen Ausbilder. Allein die denkbare Möglichkeit, eine zusätzliche Schulung und Übung während der Ausbildungsunterbrechung könne für das künftige Berufsziel wünschenswert und förderungswürdig sein, erfüllt die an ein Ausbildungsverhältnis zu stellenden Forderungen nicht. Diese Auffassung steht im Einklang mit der des Bundesministers für Jugend und Familie vom 29. Februar 1976, mitgeteilt vom Hessischen Minister des Inneren - I B 22-P 1500 A-44 - (Staatsanzeiger HE 1976, 426). Eine Ausnahme wird nur dann angenommen, wenn während des Auslandsaufenthaltes neben der Tätigkeit als Lehrassistent die Ausbildung an einer Hochschule oder entsprechenden Sprachenschule unter überwiegender Inanspruchnahme der Zeit und der Arbeitskraft des Auszubildenden weitergeführt wird. So aber ist der Sachverhalt hier nicht. Den zuständigen Ministerien bleibt es vorbehalten, das Leistungsstreben von Lehrassistenten im Rahmen der vorgeschriebenen Ausbildungsgänge angemessen und sachgerecht zu berücksichtigen und anzuerkennen.
Da der Kläger es versäumt hat, trotz mehrfacher Mahnungen die Studienbescheinigungen Sommersemester 1977 und Wintersemester 1977/78 vorzulegen, er also seiner Mitwirkungspflicht aus § 60 Abs 1 Nr 2 SGB 1 nicht nachgekommen ist, war die Beklagte berechtigt, gemäß § 66 Abs 1 SGB 1 die Leistung bis zur Nachholung der Mitwirkung zu versagen und schließlich zu entziehen (Art II § 1 Nr 13 SGB 1 iVm § 22 BKGG aF). Das Recht zur Rückforderung der Überzahlung beruht darauf, daß der Kläger die erforderliche Sorgfalt durch sein Verhalten in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 13 Nr 1 BKGG aF). Daran hat auch Art II § 37 iVm § 24 Sozialgesetzbuch -Verwaltungsverfahren- (SGB 10) nichts geändert. Den dafür erforderlichen Formalien unter Fristsetzung hat die Beklagte in Beachtung des § 13 Nr 1 BKGG aF genügt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgesetzbuch.
Fundstellen