Leitsatz (amtlich)

1. Die in ArVNG Art 2 § 42 Satz 2 geforderten mindestens neun Monatsbeiträge ab 1957-01-01 für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalls können während eines schwebenden Rentenverfahrens auch nach Eintritt des Versicherungsfalls für die Zeit vorher im Wege freiwilliger Beitragszahlung noch wirksam entrichtet werden, wenn der Versicherte bei Stellung des Rentenantrags noch nicht berufs- oder erwerbsunfähig war und die Zulässigkeit der Vergleichsberechnung von der wirksamen Nachentrichtung abhängt; RVO § 1419 Abs 1 ist in diesen Fällen nicht anwendbar.

2. Wirksam nachentrichtete freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung sind hinsichtlich des Rentenbeginns wie rechtzeitig entrichtete Beiträge zu behandeln (Bestätigung BSG 1957-11-28 4 RJ 166/56 = BSGE 6, 136).

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1290 Fassung: 1957-02-23, § 1419 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 31. Januar 1962 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Die am 5. März 1906 geborene Klägerin war früher versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Später hat sie sich weiter versichert, insbesondere hat sie für die Jahre 1949 bis 1955 jeweils rechtzeitig 26 Wochenbeiträge und zuletzt für das Jahr 1956 52 Wochenbeiträge der Klasse II mit dem Jahresaufdruck 56 entrichtet. Im Jahre 1958 leistete sie 9 Monatsbeiträge für 1957 und 4 für 1958.

Im November 1958 beantragte die Klägerin die Gewährung von Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte den Antrag zunächst durch Bescheid vom 19. Januar 1959 wegen fehlender Berufsunfähigkeit ab. Hiergegen erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Speyer.

Nachdem eine im Oktober 1959 durchgeführte Untersuchung eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes ergeben hatte, bewilligte die Beklagte die begehrte Leistung vom 1. Oktober 1959 an. Die Rente wurde jedoch lediglich nach neuem Recht berechnet und in Höhe von 10,10 DM monatlich gezahlt, obwohl die Klägerin im Frühjahr 1960 noch 5 Beiträge zu je 14,-- DM für das Jahr 1958 nachentrichtet hatte. Die Beklagte hielt diese Beiträge für unwirksam, weil sie nach Eintritt der Berufsunfähigkeit geleistet worden waren, so daß eine Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (ArVNG) nicht zulässig sei.

Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab 1. Oktober 1959 Rente wegen Berufsunfähigkeit mit der Maßgabe zu gewähren, daß die Rente gemäß Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnen und der höhere Betrag zu zahlen ist. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Die Vorinstanzen waren übereinstimmend der Auffassung, die Entrichtung der 5 Beiträge im Jahre 1960 für das Jahr 1958 sei wegen des schwebenden Rentenstreitverfahrens zulässig gewesen. Damit seien sämtliche Voraussetzungen für die Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 42 ArVNG erfüllt, nachdem nunmehr auch ab 1. Januar 1957 für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalls für mindestens 9 Monate Beiträge entrichtet seien.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat in seinem Urteil die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit dem Antrag,

das Urteil des LSG vom 31. Januar 1962 und das Urteil des SG vom 23. Mai 1960 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Sie rügt unrichtige Anwendung der §§ 1419 ff Reichsversicherungsordnung (RVO). Im Gegensatz zum früheren Recht sei es nach § 1419 RVO i. d. F. des ArVNG nicht mehr zulässig, nach Eintritt der Berufsunfähigkeit freiwillige Beiträge für Zeiten vorher nachzuentrichten, wenn die Berufsunfähigkeit im Laufe des Rentenverfahrens eingetreten sei. § 1419 RVO werde in § 1420 RVO nicht mehr erwähnt, während im § 1444 Abs. 2 RVO aF § 1443 RVO aF ausdrücklich mit aufgeführt worden sei. Diese Ablehnung der früheren Nachentrichtungsmöglichkeit im neuen Recht hänge mit der Streichung der bisherigen Vorschriften über das Erfordernis einer Erhaltung der Anwartschaft zusammen. Jetzt könne die Anrechenbarkeit früherer Beiträge im allgemeinen nicht mehr verlorengehen. Deswegen sei nunmehr das ausnahmslose Verbot der Nachentrichtung freiwilliger Beiträge nach Eintritt des Versicherungsfalls nicht unbillig. Da die Klägerin sich auch nicht rechtzeitig zu einer Beitragsentrichtung bereit erklärt habe, seien die von ihr im Jahre 1960 für 1958 nachgebrachten Beiträge unwirksam.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

da das angefochtene Urteil richtig sei.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete sowie nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision konnte keinen Erfolg haben. Der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung ist im Ergebnis beizupflichten.

Nach Art. 2 § 42 ArVNG ist bei Versicherungsfällen, die in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1961 eintreten, die Rente nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften über die Zusammensetzung und die Berechnung der Renten einschließlich des Sonderzuschusses des § 36 Abs. 1 aus den bis zum 31. Dezember 1956 zurückgelegten Versicherungszeiten zu berechnen, wenn es für den Berechtigten gegenüber der Berechnung der Rente nach neuem Recht günstiger ist. Das ist bei der Klägerin der Fall, da die beitragsgerechte Rente nur 10,10 DM monatlich beträgt. Dies gilt jedoch nur, wenn aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen die Anwartschaft zu diesem Zeitpunkt nach den bis dahin geltenden Vorschriften erhalten war, und ab 1. Januar 1957 für jedes Kalenderjahr vor dem des Versicherungsfalls für mindestens 9 Monate Beiträge entrichtet worden sind. Die Klägerin hatte die Anwartschaft aus ihren vor dem 1. Januar 1957 geleisteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt erhalten. Sie erfüllt aber auch auf Grund der Nachentrichtung die weitere Voraussetzung, daß ab 1. Januar 1957 für jedes Kalenderjahr vor dem des Versicherungsfalls (1959) mindestens 9 Monatsbeiträge vorliegen. Denn der Auffassung der Beklagten, daß die Nachentrichtung im Jahre 1960 unzulässig gewesen sei, weil die Klägerin nach den nicht angegriffenen und für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen inzwischen, d. h. im Verlauf des Rentenverfahrens, berufsunfähig geworden war, kann nicht gefolgt werden.

Hierzu haben die Vorinstanzen ausgeführt, Sinn und Zweck der neuen Vorschriften der §§ 1419 ff RVO ergäben ganz allgemein, daß damit die früher mögliche Nachentrichtung von Beiträgen nach Eintritt des Versicherungsfalls für eine vorhergehende Zeit, falls ein Rentenverfahren schwebt, nicht beseitigt werden sollte. Daran ist richtig, daß nach § 1442 Abs. 1 RVO aF Pflichtbeiträge und freiwillige Beiträge unwirksam waren, wenn sie nach Ablauf von zwei Jahren nach Schluß des Kalenderjahres, für das sie gelten sollten, entrichtet wurden; nach § 1443 RVO aF durften ferner freiwillige Beiträge und Beiträge über die dem Arbeitsverdienst entsprechende Klasse nach Eintritt des Versicherungsfalls der Invalidität oder des Todes nicht mehr entrichtet werden. Nach § 1444 Abs. 1 RVO aF stand jedoch der Entrichtung der Beiträge im Sinne der §§ 1442, 1443 u. a. eine Bereiterklärung gleich, wenn demnächst die Beiträge in einer angemessenen Frist entrichtet wurden, und nach Abs. 2 dieser Vorschrift wurden in die Fristen der §§ 1442, 1443 nicht eingerechnet Zeiträume, in denen eine Beitragsstreitigkeit oder ein Verfahren über einen Rentenanspruch schwebte. Damit konnten auch noch nach Eintritt der Invalidität zu einer Zeit, während der ein Verfahren über einen Invalidenrentenanspruch schwebte, freiwillige Beiträge entrichtet werden, wenn der Versicherte bei Stellung des Antrages auf Invalidenrente noch nicht invalide war. Der Wortlaut des § 1444 Abs. 2 RVO aF war allerdings nicht ganz eindeutig, wenn er von einer „Frist“ des § 1443 RVO aF sprach, da diese Vorschrift in Wahrheit eine solche nicht enthielt, sondern nur einen Zeitpunkt, nämlich den des Eintritts des Versicherungsfalles. Der Gesetzgeber hatte jedoch, wie aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift sowie aus ihrer Entstehungsgeschichte folgt (vgl. BSG 6, 136, 138), offenbar den Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls als den Endzeitpunkt einer Frist angesehen, innerhalb welcher freiwillige Beiträge entrichtet werden durften.

Demgegenüber sind jetzt, während § 1442 Abs. 1 RVO aF bei der Rentenreform unverändert als § 1418 Abs. 1 RVO übernommen worden ist, die §§ 1443 und 1444 RVO aF durch das ArVNG neu gefaßt und geändert worden. § 1419 Abs. 1 RVO bestimmt nunmehr, daß freiwillige Beiträge und Beiträge der Höherversicherung nach Eintritt der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit oder des Todes für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden dürfen. Dabei ist auch noch der frühere § 1444 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF in jene Vorschrift hineingearbeitet worden. Nach § 1419 Abs. 2 RVO gilt der erste Absatz dieser Bestimmung nicht, wenn sich der Versicherte vorher gegenüber einer zuständigen Stelle zur Entrichtung von Beiträgen für diese Zeiten bereit erklärt hat und die Beiträge binnen angemessener Frist geleistet werden. Nach dieser Neufassung glaubte der Gesetzgeber ersichtlich, in dem dem § 1444 RVO aF entsprechenden § 1420 RVO sowohl in dessen Absatz 1 als auch in dessen Absatz 2 nicht mehr auf § 1419 RVO verweisen zu müssen. Demgemäß heißt es jetzt in § 1420 RVO nur, daß u. a. die Bereiterklärung „der Entrichtung der Beiträge im Sinne des § 1418“ gleichsteht, und in Abs. 2, daß Zeiträume, in denen eine Beitragsstreitigkeit im Vorverfahren oder im Verfahren vor den Sozialgerichten oder in denen ein Verfahren über einen Rentenanspruch schwebt, ua in die Nachentrichtungsfrist des § 1418, nicht eingerechnet werden. Mithin ist jedenfalls nach dem Wortlaut dieser Vorschriften die früher zulässige Nachentrichtung nach Eintritt des Versicherungsfalls bei schwebenden Verfahren beseitigt.

Gleichwohl erscheint es nicht eindeutig klar, ob damit wirklich eine sachliche Änderung gegenüber dem bisherigen Rechtsstand beabsichtigt war. In dem Regierungsentwurf zur Rentenreform (BT-Drucks. Nr. 2437) heißt es zu § 1420 RVO nur: „Die Regelung entspricht dem geltenden Recht. Abs. 2 wurde mit Rücksicht auf die Vorschriften des SGG anders gefaßt.“ Dies könnte dafür sprechen, daß es bei der bisherigen Rechtslage bleiben sollte. Zu Recht weist die Beklagte indes darauf hin, daß die Frage des Rechts zur Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen für den Fall, daß der Versicherungsfall während eines Beitrags- oder Rentenverfahrens eintrat, nach früherem Recht vor allem wegen der Notwendigkeit der Erhaltung der Anwartschaft Bedeutung hatte. Mit der Beseitigung des Erfordernisses der Anwartschaftserhaltung aber war der Hauptanwendungsbereich der früheren Vorschrift des § 1444 Abs. 2 RVO entfallen.

Indes bedarf es hier keiner abschließenden Entscheidung dieser Frage. Jedenfalls erscheint es nicht gerechtfertigt, wie die Beklagte es will (ebenso VerbKomm. 6. Aufl. § 1290 Anm. 6 III b), jetzt die früher vorgesehene Nachbringungsmöglichkeit von freiwilligen Beiträgen schlechthin nicht mehr zuzulassen, wenn der Versicherungsfall im Laufe eines Rentenverfahrens eingetreten ist. Das Motiv, das der bisherigen Regelung zugrunde lag, wonach grundsätzlich die Zeit eines schwebenden Beitrags- oder Rentenverfahrens in die Nachentrichtungsfrist auch dann nicht einzurechnen war, wenn zwischenzeitlich der Versicherungsfall eingetreten war, kann heute in manchen Fällen noch genauso wirksam sein wie früher. Danach sollten alle Versicherten geschützt werden, die in der Überzeugung, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Rentenanspruch zu erfüllen, einen Rentenanspruch erheben und während des Rentenverfahrens keine Beiträge mehr entrichten, weil sie dies auf Grund ihrer Beurteilung der Sach- und Rechtslage nicht mehr für erforderlich halten. § 1444 Abs. 2 RVO aF wollte die Erfahrungstatsache berücksichtigen, daß in der Regel während eines Streitverfahrens weitere freiwillige Beiträge nicht mehr entrichtet wurden (AN 1912, 1191; EuM 2, 312 und 40, 491). Die Frage der ausnahmsweisen Zulässigkeit der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen nach Eintritt des Versicherungsfalls ist aber insbesondere in den Fällen der erst kurz vor der Verkündung des ArVNG eingefügten Übergangsvorschrift des Art. 2 § 42 ArVNG weiterhin von wesentlicher Bedeutung, falls hier während eines schwebenden Beitrags- oder Rentenverfahrens weitere freiwillige Beiträge nicht mehr entrichtet werden, weil bei zwischenzeitlichem Eintritt des Versicherungsfalls Die Gewährung der Vergleichsberechnung nur möglich ist, wenn jährlich mindestens neun Beiträge seit dem 1. Januar 1957 bis zu dem Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalls entrichtet sind. Diese Voraussetzung für die Gewährung der Vergleichsrente entspricht weitgehend den früheren Vorschriften über die Notwendigkeit der Anwartschaftserhaltung (§ 1264 RVO aF), wobei die Zahl der zu entrichtenden Monatsbeiträge sogar noch erhöht worden ist (BSG 11, 254, 256; 15, 271, 279). Unter diesen Umständen besteht insoweit kein Anlaß, an dem früheren Rechtszustand nicht mehr festzuhalten (vgl. auch Niemann, SozVers 1960, 345). Unter Berücksichtigung der erwähnten Interessenlage des Versicherten ergibt sich aus der Tatsache, daß weder in der nachträglich eingefügten Vorschrift des Art. 2 § 42 ArVNG noch an anderer Stelle dieses Gesetzes eine Ausnahme von § 1419 RVO (entsprechend dem früheren § 1444 Abs. 2 in Verbindung mit § 1443 RVO aF) für Fälle der Vergleichsberechnung zugelassen ist, eine Gesetzeslücke, die von den Gerichten durch ergänzende Rechtsfindung im Sinne und nach dem Zweck der ergänzungsbedürftigen Vorschrift geschlossen werden kann und muß (BSG 2, 164, 168), und zwar in der Form, daß an dem in BSG 6, 136 ausgesprochenen Grundsatz festzuhalten ist. Danach dürfen freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung nach Eintritt der Berufsunfähigkeit zu einer Zeit, in der ein Verfahren über einen Rentenanspruch schwebt, noch wirksam entrichtet werden, wenn der Versicherte bei Stellung des Rentenantrags noch nicht berufs- oder erwerbsunfähig war, soweit davon die Anwendbarkeit des Art. 2 § 42 ArVNG abhängt.

Die danach anzunehmende Zulässigkeit der Nachentrichtung hat zur Folge, daß die Klägerin die Voraussetzungen dieser Vorschrift nunmehr erfüllt. Das bedeutet zugleich, daß ihr die höhere Rente nach altem Recht vom Eintritt ihrer Berufsunfähigkeit an zusteht. Diese Auffassung hat der Senat bereits früher vertreten (BSG 6, 136, 141). Sie geht auf eine entsprechende langjährige Rechtsprechung des früheren Reichsversicherungsamts (RVA) zurück (vgl. AN 1894, 79 - RevE Nr. 391 -, EuM 40, 489). Danach hat die Nachbringung von Beiträgen die Wirkung, daß sie für den Rentenbeginn so anzusehen sind, als ob sie schon in dem Zeitpunkt verwendet worden wären, für den sie gelten sollen. Dies hat das RVA auch für freiwillige Beiträge anerkannt (GE Nr. 5196, AN 1938, 196 sowie Schreiben des RVA vom 29.4.1939, AN 1939, 326; ebenso Hartrath, Deutsche Invaliden-Versicherung - DIV - 1936, 191 sowie Bay. LVA, Breithaupt 1953, 60). Dürften die Wirkungen einer nachträglichen Beitragsentrichtung erst im Zeitpunkt der tatsächlichen Entrichtung eintreten, würden sich vor allem bei Pflichtbeiträgen unbillige Ergebnisse einstellen können; hier trifft die Beitragspflicht in erster Linie den Arbeitgeber. Es ist aber nicht angängig, den Versicherten unter den Versäumnissen des Beitragsschuldners leiden zu lassen und seine Rente nur deshalb später beginnen zu lassen, und zwar entweder ganz (soweit hiervon die Erfüllung der Wartezeit abhängt) oder doch wenigstens teilweise (soweit die Nachentrichtung sich rentensteigernd auswirkt), weil die Beiträge nicht rechtzeitig entrichtet worden sind. Die Billigkeitserwägungen, die somit bei Pflichtbeiträgen, die vom Arbeitgeber abzuführen sind, zur Anerkennung ihrer Rückwirkung geführt haben, treffen indes entgegen der Auffassung von Scheerer, SozVers 1962, 368, vielfach in gleicher Weise für Pflichtbeiträge zu, die von den Versicherten (z. B. versicherungspflichtigen Selbständigen) selbst aufzubringen sind, sowie auf freiwillige Beiträge. Insbesondere bei letzteren lassen sich ebenfalls Fälle denken, bei denen den Versicherten an der rechtzeitigen Entrichtung der Beiträge kein Verschulden oder kein erhebliches Verschulden trifft. Dies wird vor allem dann der Fall sein, wenn z. B. der Versicherungsträger ihm zu Unrecht das Recht der freiwilligen Weiterversicherung bestritten hat. Dann aber erscheint es wenig sinnvoll, der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen, die vom Arbeitgeber geschuldet werden, Rückwirkung beizumessen, eine solche aber abzulehnen bei der Nachentrichtung von Pflichtbeiträgen, die der Versicherte selbst aufzubringen hat, oder bei der Nachentrichtung von freiwilligen Beiträgen. In den maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen ist ohnehin nichts davon gesagt, ob eine Nachentrichtung Rückwirkung hat oder nicht. Wenn daher in der Rechtsprechung im Wege der Fortbildung des Rechts der Grundsatz entwickelt worden ist, daß Pflichtbeiträge im Falle der Nachentrichtung so zu behandeln sind, als ob sie während der Zeit, für die sie entrichtet sind, geleistet worden sind, so muß dies auch für freiwillige Beiträge gelten. Folgerichtig hat auch der 12. Senat schon entschieden, daß im Falle der Bereiterklärung die nachgebrachten freiwilligen Beiträge so zu behandeln sind, als ob sie schon während der Zeit entrichtet worden sind, für welche sie nachträglich bestimmt werden (SozR Art. 2 § 42 ArVNG, Bl. Aa 10 Nr. 6). Die Entscheidung des RVA in EuM 47, 23 steht der hier vertretenen Auffassung ebensowenig entgegen wie der Aufsatz von Malkewitz (DIV 1937, 77), da sich beide nur auf die Altersinvalidenrente beziehen und den für das frühere Recht angenommenen Besonderheiten dieses „gleitenden“ Versicherungsfalls Rechnung tragen.

Nach alledem mußte die Revision der Beklagten in vollem Umfange als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2708114

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