Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorrangigkeit des Erstattungsanspruchs gemäß § 104 SGB 10 gegenüber dem Abzweigungsanspruch gemäß § 48 SGB 1
Leitsatz (amtlich)
Der Erstattungsanspruch des Trägers der Jugendhilfe nach § 104 SGB 10 hat Vorrang vor dem Anspruch auf Abzweigung nach § 48 SGB 1.
Normenkette
SGB I § 48; SGB X § 104 Abs. 1 Sätze 4, 1
Verfahrensgang
SG Gießen (Entscheidung vom 15.01.1986; Aktenzeichen S 15 J 138/83) |
Hessisches LSG (Entscheidung vom 22.11.1988; Aktenzeichen L 12 J 338/86) |
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte den Kinderzuschuß zur Versichertenrente des Beigeladenen zu 2) gemäß § 48 des Sozialgesetzbuches - Allgemeiner Teil - (SGB I) an die Klägerin auszuzahlen hat.
P. S. , geboren am 20. September 1968, ist die Tochter des Beigeladenen zu 2). Nachdem für sie zunächst Leistungen in Form einer Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt worden waren, wurde seit dem 1. Oktober 1977 diese als Maßnahme der Jugendhilfe nach dem Gesetz für Jugendwohlfahrt (JWG) gewährt. P. S. befindet sich bei der Klägerin und ihrem Ehemann in Pflege. Der Kreisausschuß des Beigeladenen zu 1) gewährt eine Familienpflegehilfe, die beispielsweise laut Bescheid vom 21. Oktober 1987 monatlich 857,00 DM betrug. Darin ist ein Erziehungsbeitrag in Höhe von 150,00 DM enthalten. Zahlungsempfänger ist der Ehemann der Klägerin.
Der Beigeladene zu 2) bezieht von der Beklagten seit dem 1. Februar 1976 Versichertenrente wegen Erwerbsunfähigkeit mit einem Kinderzuschuß gemäß § 1262 der Reichsversicherungsordnung (RVO), der wegen seiner Tochter Petra gewährt wird. Seit Dezember 1976 zahlt die Beklagte diesen Kinderzuschuß an den Beigeladenen zu 1) aus.
Einen Antrag der Klägerin vom 13. Februar 1979, den Kinderzuschuß an sie auszuzahlen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 1980 ab. Am 20. Juli 1982 wiederholte die Klägerin diesen Antrag, dem die Beklagte jedoch nicht entsprach. Sie wies darauf hin, sie zahle den Kinderzuschuß aufgrund der Überleitungsanzeige vom 26. April 1977 an den Kreisausschuß des Beigeladenen zu 1), und sie halte sich an diese Überleitungsanzeige gebunden. Einen rechtsbehelfsfähigen Bescheid könne sie der Klägerin nicht erteilen.
Das Sozialgericht (SG) hat die von der Klägerin erhobene Klage abgewiesen und das Landessozialgericht (LSG) die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteile vom 15. Januar 1986 und 22. November 1988). Das Berufungsgericht hat ausgeführt, eine allgemeine Leistungsklage sei hier zulässig, weil die Beklagte es abgelehnt habe, einen Bescheid zu erteilen. Unterhalt für P. S. gewähre iS des § 48 Abs 1 SGB I der Beigeladene zu 1) und nicht die Klägerin. Deshalb könne diese den Kinderzuschuß zur Versichertenrente des Beigeladenen zu 2) nicht beanspruchen.
Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom LSG zugelassenen Revision angefochten. Sie trägt vor, die Entscheidung des Berufungsgerichts beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des § 48 SGB I. Das LSG verkenne, daß die Klägerin und ihr Ehemann P. S. Unterhalt gewährten, obwohl Pflegegeld gezahlt werde. Die Leistungen der Klägerin und ihres Ehemannes seien nach den Grundsätzen zu beurteilen, die das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 31. März 1982 (SozR 1200 § 48 Nr 5) für den Fall aufgezeigt habe, daß ein Pflegevertrag geschlossen worden sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Kinderzuschuß für P. S. aus der Versicherung des Beigeladenen zu 2) rückwirkend ab 1. Dezember 1976 abzüglich eines Betrages in Höhe von monatlich DM 50,00 seit dem 1. Oktober 1977 an die Klägerin zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag, sieht jedoch die Revision der Klägerin als unbegründet an.
Der Beigeladene zu 2) ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
Die vom LSG zugelassene Revision der Klägerin ist statthaft. Die Revision ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, somit also zulässig. Der Senat hat die Voraussetzungen des § 164 Abs 2 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als noch erfüllt angesehen. Nach dieser Vorschrift muß die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm bezeichnen. Diesen Erfordernissen wird die Revisionsbegründung hier gerecht. Ein Mangel des Berufungsverfahrens ist von der Klägerin nicht gerügt worden. Satz 3 des § 164 Abs 2 SGG umschreibt nicht umfassend den notwendigen Inhalt einer Revisionsbegründung. Sie muß auch Darlegungen darüber enthalten, aus welchen Gründen und mit welchen Erwägungen die Vorentscheidung angegriffen wird und weshalb deren Aussagen als unrichtig angesehen werden (so BSG in SozR 1500 § 164 Nr 20 mwN). In der Revisionsbegründung der Klägerin wird zwar knapp, aber noch ausreichend zum Ausdruck gebracht, daß entgegen der Auffassung des LSG die vom BSG im Urteil vom 31. März 1982 (SozR 1200 § 48 Nr 5) entwickelten Grundsätze hier angewendet werden müßten. Die Revision ist jedoch im Ergebnis nicht begründet.
Die Klägerin hat eine allgemeine ("reine") Leistungsklage erhoben. Das zeigen die in allen drei Instanzen gestellten Sachanträge. Nicht die Aufhebung oder Änderung eines Verwaltungsaktes begehrt die Klägerin, sondern die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung. Diese Leistungsklage hat das LSG als zulässig angesehen, weil die Beklagte es abgelehnt habe, einen Bescheid zu erteilen. Dazu beruft sich das LSG auf Entscheidungen des BSG vom 25. Oktober 1984 und 17. Dezember 1986 (BSGE 57, 211, 212; 61, 100, 102). Darin ist ausgeführt worden, eine reine Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG auf Auszahlung der vollen Rente sei zulässig, wenn der Versicherungsträger eine Entscheidung durch Verwaltungsakt ablehne. Diese Rechtsprechung des BSG zur Zulässigkeit einer Leistungsklage kann auf den Rechtsstreit der Klägerin nicht ohne weiteres übertragen werden. Während es sich in den Urteilen vom 25. Oktober 1984 und 17. Dezember 1986 (aaO) um Ansprüche handelte, auf die ein Rechtsanspruch besteht, betrifft § 48 SGB I grundsätzlich eine Ermessensentscheidung (so die ständige Rechtsprechung des BSG, vgl Urteil vom 28. Juli 1987 in SozR 1200 § 48 Nr 12 mwN). Bei Ermessensansprüchen ist aber das Gericht in der Regel nicht befugt, das der Verwaltung eingeräumte Ermessen auszuüben und abschließend zu entscheiden.
Im Gegensatz zum LSG, das einen dem Klageverfahren vorausgegangenen Verwaltungsakt verneint ist, ist der erkennende Senat der Auffassung, daß die Beklagte im Falle der Klägerin einen anfechtbaren Verwaltungsakt erlassen hat. Einen Antrag der Klägerin vom 13. Februar 1979 auf Zahlung des Kinderzuschusses an sie hat die Beklagte am 14. Juli 1980 abgelehnt. Auf den erneuten Antrag der Klägerin vom 20. Juli 1982 antwortete die Beklagte im Schreiben vom 10. Dezember 1982, der Kinderzuschuß werde weiterhin an den Beigeladenen zu 1) gezahlt. Im Schreiben der Beklagten an die Bevollmächtigten der Klägerin vom 5. Januar 1983 heißt es dann, an die Überleitungsanzeige des Beigeladenen zu 1) sei die Beklagte gebunden. Die Entscheidung des BSG vom 31. März 1982 (aaO) könne in diesem Fall nicht angewendet werden. Im Schreiben vom 25. Januar 1983 ist ausgeführt worden, die Beklagte sehe keine Möglichkeit, den gewünschten rechtsbehelfsfähigen Bescheid zu erteilen. Die Klägerin sei an dem Verwaltungsverfahren nicht beteiligt, und sie sei auch nicht "Drittbetroffene" iS des § 37 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X). Schließlich hat die Beklagte am 7. Februar 1983 auf den bisherigen Schriftwechsel verwiesen und der Klägerin anheimgestellt, Klage zu erheben.
Das LSG hat im Tatbestand des angefochtenen Urteils das Schreiben der Beklagten vom 14. Juli 1980 als Bescheid qualifiziert. Darin ist den Bevollmächtigten der Klägerin im wesentlichen mitgeteilt worden, der Kinderzuschuß zur Rente des Beigeladenen zu 2) werde an den Beigeladenen zu 1) gezahlt. Ebenso wie dieses Schreiben als Bescheid anzusehen ist, muß auch in der Ablehnung des Antrags vom 20. Juli 1982 ein Verwaltungsakt iS des § 31 Satz 1 SGB X gesehen werden. Das gilt um so mehr, als es sich um eine Bestätigung des Bescheides vom 14. Juli 1980 handelt. So hat das BSG (vgl SozR Nr 94 zu § 77 SGG) bereits entscheiden, daß der Bescheid, in dem sich eine Verwaltung auf die Bindungswirkung früher erlassener Bescheide beruft, ein Verwaltungsakt ist (vgl auch Bundesverwaltungsgericht - BVerwG - in Buchholz 310 § 75 Nr 5).
Zwar hat die Beklagte bei der Ablehnung des erneut am 20. Juli 1982 gestellten Antrags auf Auszahlung des Kinderzuschusses an die Klägerin keine Begründung für eine Ermessensentscheidung gegeben, wie das § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X fordert (vgl Urteil des erkennenden Senats in SozR 1300 § 45 Nr 39 sowie BSGE 64, 36, 38 und das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil vom 15. Februar 1990 - 7 RAr 28/88 - mwN). Infolge einer "Ermessensreduzierung auf Null" war hier aber eine Ermessensentscheidung nicht möglich. Die Entscheidung der Beklagten verdichtete sich zu einer Entscheidung über einen Rechtsanspruch; denn der Erstattungsanspruch des Beigeladenen zu 1) war vorrangig vor einem etwaigen Anspruch der Klägerin aus § 48 SGB I, den die Beklagte schon aus diesem Grunde abzulehnen hatte. Jede andere Entscheidung wäre rechtswidrig gewesen (vgl BSG, Urteile vom 28. Juli 1987 aaO und vom 29. Oktober 1987 in SozR 1200 § 48 Nr 13 mwN). Der Verwaltungsakt der Beklagten ist folglich nicht infolge von Mängeln bei der Ermessensausübung rechtswidrig.
Auch erübrigt sich das für eine Anfechtungsklage gegen eine Ermessensentscheidung - wie sie § 48 SGB I normalerweise erfordert - nach § 78 SGG grundsätzlich notwendige Vorverfahren. Dieses ist gemäß Abs 2 Satz 1 dieser Vorschrift dann nicht erforderlich, wenn die Aufhebung oder Abänderung eines Verwaltungsaktes begehrt wird, der eine Leistung betrifft, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Wegen der bereits erwähnten "Ermessensreduzierung auf Null" bedarf es hier somit ausnahmsweise des Vorverfahrens nicht.
Der Beigeladene zu 1) gewährt dem Pflegekind der Klägerin seit 1977 Maßnahmen iS des § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 3 JWG nach § 6 Abs 1 JWG. § 5 Abs 1 Satz 1 Nr 3 JWG betrifft die Pflege und Erziehung von Kindern im schulpflichtigen Alter außerhalb der Schule. Werden Minderjährigen solche Hilfen zur Erziehung gewährt, so gehört hierzu gemäß § 6 Abs 2 JWG der in einer Familie außerhalb des Elternhauses des Minderjährigen gewährte notwendige Lebensunterhalt. Ist eine Maßnahme zur schulischen oder beruflichen Bildung einschließlich der Berufsvorbereitung eingeleitet worden, so kann diese Maßnahme über den Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit hinaus fortgesetzt werden (§§ 5 Abs 1 Nr 7, 6 Abs 3 Satz 1 JWG).
Die Kosten dieser Erziehungshilfen haben nach § 81 Abs 1 JWG - soweit dem Minderjährigen und seinen Eltern die Aufbringung der Mittel aus ihren Einkommen und Vermögen nicht zuzumuten ist - die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu tragen, die für die Gewährung der Hilfen für einzelne Minderjährige zuständig sind. Zu Beginn der Maßnahmen in den Jahren 1976, 1977 konnte das Jugendamt nicht nach der damals geltenden Vorschrift des § 1531 RVO aF Ersatz seiner Aufwendungen von der Beklagten verlangen. Bei der Jugendhilfe handelte es sich nicht um eine Unterstützung eines in § 1531 RVO aF genannten Trägers (vgl BSG in SozR 2200 § 183 Nr 7 und § 185b Nr 4). Der Beigeladene zu 1) konnte nach § 82 JWG iVm § 90 des BSHG Ansprüche gegen Dritte auf sich überleiten und hat von dieser Befugnis mit einer Überleistungsanzeige auch Gebrauch gemacht. § 90 BSHG ist durch Art 2 § 14 Nr 8 des Gesetzes vom 4. November 1982 (BGBl I, 1450) zum SGB X - Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten - mit Wirkung ab 1. Juli 1983 geändert worden. Abs 1 Satz 1 des § 90 BSHG hat folgende Fassung erhalten: "Hat ein Hilfeempfänger oder haben Personen nach § 28 für die Zeit, für die Hilfe gewährt wird, einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger iS von § 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den anderen bewirken, daß dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht." Die Vorschrift gilt folglich nicht mehr für Ansprüche gegen die Beklagte, da diese Leistungsträger iS des § 12 iVm § 23 Abs 2 Nr 1 SGB I ist.
Dem Beigeladenen zu 1) steht als Träger der Jugendhilfe nun ein Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X gegen die Beklagte zu. Diese Vorschrift ist in das SGB X durch Art 1 des Gesetzes vom 4. November 1982 eingefügt worden, und gemäß Art 2 § 21 dieses Gesetzes sind nach dessen Vorschriften bereits begonnene Verfahren zu Ende zu führen. Was insoweit zur Ablösung des § 1531 RVO aF durch § 104 SGB X entschieden worden ist (vgl BSG in SozR 1300 Art 2 § 21 Nr 1), hat auch hier entsprechend zu gelten.
Der Erstattungsanspruch in § 104 Abs 1 SGB X regelt den Ausgleich zwischen vor- und nachrangig verpflichteten Leistungsträgern. An den in Satz 1 vorausgesetzten gleichartigen Leistungen der Träger (vgl BSG Urteil vom 22. September 1988 in BSGE 64, 96, 98 mwN) fehlt es hier möglicherweise. Die vom Jugendamt des Beigeladenen zu 1) dem Pflegekind der Klägerin gewährten Maßnahmen der Jugendhilfe sind von der Rentengewährung durch die Beklagte an den Beigeladenen zu 2) zu unterscheiden. Letztlich ist diese Frage hier aber nicht entscheidend; denn bei fehlender Gleichartigkeit ist in diesem Fall nach § 104 Abs 1 Satz 4 SGB X dessen Satz 1 entsprechend anzuwenden, wenn ua von einem Träger der Jugendhilfe Aufwendungsersatz geltend gemacht oder ein Kostenbeitrag erhoben werden kann. Damit soll eine ungerechtfertigte Bereicherung des Berechtigten - hier des Rentenempfängers - in den Fällen vermieden werden, in denen die Träger der Sozialhilfe, Kriegsopferfürsorge und der Jugendhilfe zwar zur Vorausleistung verpflichtet oder berechtigt sind, aber vom Leitungsberechtigten wieder Kostenersatz beanspruchen können (so BSG Urteil vom 22. September 1988 aaO).
Die nach § 104 SGB X zu erstattenden Leistungen müssen rechtmäßig erbracht worden sein, wie der Vergleich mit § 105 SGB X zeigt. Der von der Beklagten dem Beigeladenen zu 1) ausgezahlte Kinderzuschuß ist Teil der Versichertenrente des Beigeladenen zu 2), die sich nach § 1262 Abs 1 Satz 1 RVO um diesen Kinderzuschuß erhöht. Allein dessen Zweckbindung gestattet es nicht, den Kinderzuschuß an das Jugendamt ohne entsprechenden Anspruch gegen den Rentenempfänger auszuzahlen. Als Vater des vom Jugendamt betreuten Pflegekindes hat der Beigeladene zu 2) jedoch seiner Tochter nach den Vorschriften der §§ 1601 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) Unterhalt zu gewähren. Die Jugendämter hingegen sind zur Kostentragung nur verpflichtet, soweit den Eltern die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten ist (§ 81 Abs 1 JWG). Der Träger der Jugendhilfe hat hier rechtmäßig Leistungen erbracht, und der Beigeladene zu 2) ist mindestens im Umfang des Kinderzuschusses unterhaltspflichtig.
Nach der bereits erwähnten Entscheidung des 2. Senats des BSG vom 22. September 1988 (aaO mwN aus der Rechtsprechung des BVerwG) setzt der Erstattungsanspruch des Trägers der Jugendhilfe wegen der Gewährung Freiwilliger Erziehungshilfe eine Entscheidung voraus, ob und in welchem Umfang der Vater zu den Kosten dieser Hilfe beizutragen hat. Die Kostenerstattung bei der Freiwilligen Erziehungshilfe (§ 62 JWG) richtet sich nach § 85 Abs 1 Satz 2 JWG, der ebenso wie § 81 Abs 1 JWG eine Zumutbarkeitsregelung enthält. Den Feststellungen des LSG im angefochtenen Urteil ist nicht zu entnehmen, ob der Beigeladene zu 1) im Rahmen einer Kostenfestsetzung darüber entschieden hat, daß und in welchem Umfang vom Beigeladenen zu 2) ein Kostenbeitrag erhoben werden soll. Im Unterschied zum Sachverhalt in dem vom 2. Senat am 22. September 1988 (aaO) entschiedenen Rechtsstreit, in dem Streitgegenstand der vom Träger der Jugendhilfe selbst geltend gemachte Erstattungsanspruch gegen einen Träger der Unfallversicherung war, gegen den der Leistungsberechtigte und Unterhaltsverpflichtete Einwendungen erhoben hatte, wird dieser Erstattungsanspruch hier von der Beklagten laufend befriedigt. Die Frage ist nun, ob auch bei der Prüfung eines mit dem Erstattungsanspruch konkurrierenden Anspruchs aus § 48 SGB I die Kostenfestsetzung gegenüber dem Beigeladenen zu 2) - dem Rentenbezieher und Vater des Pflegekindes - ausdrücklich im angefochtenen Urteil festgestellt sein muß. Das hat der erkennende Senat verneint.
Nach der Rechtsprechung des BSG sind dem Erstattungsverfahren Entscheidungen, die ein Leistungsträger über einen gegen ihn gerichteten Leistungsanspruch getroffen hat, grundsätzlich zugrundezulegen. Die Regelung des zuständigen Sozialleistungsträgers ist von anderen Trägern zunächst einmal - auch inhaltlich - zu akzeptieren (so BSGE 57, 146, 149; BSG in SozR 4100 § 105b Nr 6). Das hat hier die Beklagte getan, und Grund zu Beanstandungen gab es offenbar nicht. Insbesondere hat der Beigeladene zu 2), dh derjenige, gegen den der Kostenfestsetzungsbescheid zu ergehen hätte, keine Einwendungen gegen die Erstattung durch die Beklagte erhoben. Dem Beigeladenen zu 1) steht also wegen der als Jugendhilfe erbrachten Leistungen ein Erstattungsanspruch nach § 104 Abs 1 Satz 4 iVm Satz 1 SGB X gegen die Beklagte zu, gegen die der Beigeladene zu 2) als Berechtigter einen Rentenanspruch hat und hatte. Dieser Erstattungsanspruch geht dem Anspruch aus § 48 SGB I hier vor.
In § 106 SGB X ist zwar für das Zusammentreffen mehrerer Erstattungsansprüche eine Rangfolge bestimmt worden, nicht aber sind Konkurrenzprobleme zwischen den Erstattungsansprüchen der §§ 102 ff SGB X und anderen Belastungen des Sozialleistungsanspruchs, wie etwa dem Anspruch aus § 48 SGB I, geregelt worden. Die Rangfolge in diesen Fällen soll sich aus der Funktion der Erstattungsregelungen und der daraus abzuleitenden Bewertung der unterschiedlichen Interessen durch den Gesetzgeber ergeben (so Hauck/Haines/Schmidt, SGB X/3, Stand 1. Oktober 1986, K § 106 Rz 34). Nach der überwiegend in der Literatur vertretenen Ansicht gehen die Erstattungsansprüche aus den §§ 102 bis 105 SGB X allen Ansprüchen aus den §§ 43, 48 bis 54 SGB I vor (vgl dazu die Übersicht bei Hauck/Haines/Schmidt, aaO, Fußnote 47). Dieser Ansicht schließt sich der erkennenden Senat jedenfalls bezüglich des Vorrangs der Ansprüche nach den §§ 102 bis 105 SGB X vor denen nach § 48 SGB I an. Zweck der zuletzt genannten Vorschrift ist es, bei Verletzung der Unterhaltspflicht einen Teil der Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, den unterhaltsberechtigten Angehörigen möglichst schnell und ohne Umweg über Prozeß und Pfändung zukommen zu lassen. In dem hier zu entscheidenden Rechtsstreit ist der Unterhalt des Pflegekindes der Klägerin durch die Leistungen des Jugendamtes sichergestellt. Aus dem Sinn und Zweck der konkurrierenden Vorschriften der §§ 48 SGB I und 104 SGB X läßt sich hier ein Vorrang der sog Abzweigung nach § 48 SGB I nicht herleiten.
Aber selbst wenn man diesen Überlegungen nicht folgt und die Rangfolge der Ansprüche stets nach dem Zeitpunkt des Entstehens bestimmt, ist das Begehren der Klägerin nicht begründet. Das sogenannte Prioritätsprinzip gilt im Verhältnis von Erstattungsansprüchen zu Abtretung und Pfändung. Nach der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG in den Urteilen vom 14. November 1984 (BSGE 57, 218) und 30. Januar 1985 (SozR 1300 § 104 Nr 5) schließt § 104 Abs 3 SGB X den Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung erbrachter Sozialleistungen (§ 104 Abs 1 Sätze 1 und 4 SGB X) gegen den vorrangigen Leistungsträger der gesetzlichen Rentenversicherung insoweit aus, als dieser aufgrund früher wirksamer Abtretung des Leistungsanspruchs durch den Rentenberechtigten nach § 53 Abs 3 SGB I an einen Dritten zu leisten verpflichtet ist. Grundsätzlich bestimmt sich daher die Rangfolge dieser Ansprüche nach der Priorität. Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 7. September 1989 - 5 RJ 63/88 - angeschlossen.
Überträgt man das Prioritätsprinzip auf die Konkurrenz zwischen den Ansprüchen aus § 104 SGB X und § 48 SGB I, dann geht hier der Anspruch des Beigeladenen zu 1) vor. Die Erstattungsansprüche der §§ 102 bis 105 SGB X entstehen, sobald ihre gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl BSGE 65, 31, 38). Die Beklagte hat bereits aufgrund einer Überleitungsanzeige des Beigeladenen zu 1) von der Einführung des Erstattungsanspruchs in § 104 SGB X seit Dezember 1976 den streitigen Kinderzuschuß abgeführt. Die Abzweigung nach § 48 SGB I ist von der Klägerin erstmalig im Februar 1979 beantragt worden. Zwar ist für die Anwendung der zuletzt genannten Vorschrift nicht immer ein Antrag erforderlich. Ein Tätigwerden des leistungspflichtigen Versicherungsträgers ohne einen solchen Antrag setzt aber voraus, daß bekannte Tatsachen ein solches Verwaltungshandeln aufdrängen (vgl BSGE 53, 260, 268). Hier bestand für die Beklagte angesichts der Maßnahmen des Jugendamtes keine Veranlassung, von Amts wegen nach § 48 SGB I tätig zu werden.
Bei derartigen Ermessensleistungen, wie der Abzweigung von Geldleistungen, ist gemäß § 40 Abs 2 SGB I iVm § 39 SGB X für das Entstehen des Anspruchs die Bekanntgabe der Verwaltungsentscheidung maßgebend. Das gilt auch dann, wenn die Ablehnung der Leistung unter jedem denkbaren Gesichtspunkt rechtswidrig wäre, also bei einer "Ermessensreduzierung auf Null" (vgl BSG in SozR 1200 § 40 Nr 3). Die erste Entscheidung der Beklagten auf den Antrag der Klägerin vom 13. Februar 1979 stammt vom 14. Juli 1980. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieses Verwaltungsaktes waren aber die Voraussetzungen des - fortlaufenden - Erstattungsanspruchs des Beigeladenen zu 1) bereits erfüllt, so daß diesem Priorität zukommt. Auch unter diesem Gesichtspunkt kann dem Begehren der Klägerin daher nicht entsprochen werden.
Dieser Entscheidung des erkennenden Senats, mit der die Revision der Klägerin zurückgewiesen wird, steht das Urteil des 4. Senats des BSG vom 31. März 1982 (aaO), auf das sich die Klägerin beruft, nicht entgegen. In jenem Rechtsstreit ging es darum, ob Pflegeeltern, die aufgrund einer Vereinbarung mit einem Jugendamt, einem "Verpflegungsvertrag", ein Kind betreuen und erziehen, diesem trotz des vom Jugendamt gezahlten Pflegegeldes Unterhalt iS des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB I gewähren. Über eine Konkurrenz zwischen einem - zeitlich früher entstandenen - Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X und einem Anspruch nach § 48 SGB I auf Abzweigung von Geldleistungen sowie über die Rangfolge dieser Ansprüche hat der 4. Senat am 31. März 1982 (aaO) keine Ausführungen gemacht, und demzufolge waren diese rechtlichen Gesichtspunkte dort offenbar nicht entscheidungserheblich. Gleiches gilt für das Urteil des 10. Senats des BSG vom 9. Dezember 1987 (BSGE 62, 269, 272). Der erkennende Senat weicht damit nicht von der Rechtsprechung des 4. und des 10. Senats in den erwähnten Urteilen ab. Ob ihr zuzustimmen ist oder nicht, kann hier unerörtert bleiben. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen