Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenhilfe. Vermögen. Verwertbarkeit. Zumutbarkeit der Verwertung. Miteigentumsanteil. Grundstück. Grundbucheintragung. Veräußerung. Grundpfandrecht. Begründung. rechtliches Gehör. Jahresfrist
Leitsatz (redaktionell)
1. Für die Einhaltung der Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X kommt es allein darauf an, ob die Behörde innerhalb der Frist den Rücknahmebescheid erlassen hat. Nicht maßgebend ist hingegen, ob sie den Bescheid innerhalb der Frist zutreffend begründet hat; sie darf die Begründung auch nach Fristablauf ändern oder ergänzen.
2. Auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch die Veräußerung eines Vermögensgegenstands wie eines Hausgrundstücks zu bestreiten, kann der Arbeitslose nur verwiesen werden, wenn feststeht, ob und ggf. zu welchem Zeitpunkt und zu welchen Bedingungen ein Verkauf tatsächlich möglich war oder ist; der Hinweis auf Verwertungsvarianten, die nur theoretisch in Betracht kommen, genügt nicht.
Normenkette
AFG §§ 134, 137; AlhiVO § 6; BGB § 747 S. 1, § 749 Abs. 1, § 752 S. 1, § 753 Abs. 1 S. 1, § 873 Abs. 1; SGB X § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2, Abs. 4, § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, Abs. 4
Beteiligte
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Juli 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Streitig sind die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und eine deswegen geltend gemachte Erstattungsforderung.
Im Oktober 1994 beantragte die 1957 geborene Klägerin Alhi im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld und gab hierbei an, weder anrechenbare Einnahmen noch ein Vermögen von mehr als 8.000,– DM zu haben. Die Beklagte bewilligte Alhi ab 7. November 1994 (Bescheid vom 2. November 1994). Die Bewilligung wurde mit Wirkung ab 12. September 1995 wegen fehlender Verfügbarkeit aufgehoben. Ab 20. September 1995 wurde der Klägerin wieder Alhi bewilligt.
In ihrem Antrag vom 16. Oktober 1995 auf Fortzahlung der Alhi erklärte die Klägerin, sie sei zu einem ideellen Viertel Miteigentümerin eines Hausgrundstücks mit einem Verkehrswert von 1,2 Mio. DM. Das Miteigentum war der Klägerin im Wege vorweggenommener Erbfolge von ihrer Mutter übertragen worden (Überlassungsvertrag vom 27. Dezember 1994).
Nach Ermittlungen zur Höhe der anrechenbaren Mieteinnahmen lehnte die Beklagte die Zahlung von Alhi ab 1. November 1995 mangels Bedürftigkeit ab, da der anzurechnende Betrag den Leistungssatz übersteige, der der Klägerin ohne die Anrechnung als Alhi zugestanden hätte. Mit Bescheid vom 2. Februar 1996 nahm die Beklagte die Bewilligung von Alhi ab 7. November 1994 zurück, weil die Klägerin mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Alhi gehabt und die Tatsache, dass sie über Einkommen verfüge, nicht angegeben habe. Zugleich setzte die Beklagte den zu erstattenden Betrag (gewährte Alhi und Krankenversicherungsbeiträge) auf 11.841,78 DM fest. Die Beklagte stützte ihre Entscheidung auf § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X). Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13. September 1996).
Nachdem die Klägerin während des Klageverfahrens den Überlassungsvertrag vom 27. Dezember 1994 vorgelegt hatte, änderte die Beklagte ihre Entscheidung über die Rücknahme von Alhi ab. Sie nahm nunmehr die Entscheidung über die Bewilligung von Alhi mit Wirkung vom 2. Januar 1995 zurück und reduzierte den Erstattungsbetrag auf 9.811,38 DM (Bescheid vom 14. März 1997).
Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 30. Oktober 1997; Urteil des Hessischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 27. Juli 2001). Das LSG hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Im Berufungsverfahren sei nur noch über die Bescheide zu entscheiden, mit denen die Beklagte die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 2. Januar 1995 bis 31. Oktober 1995 und die Erstattung der in diesem Zeitraum erbrachten Leistungen geltend mache. Die Aufhebung der Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 2. Januar 1995 bis 31. Oktober 1995 sei nach § 48 SGB X iVm § 152 Abs 3 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu Recht erfolgt. Denn der Bewilligungsbescheid vom 2. November 1994 sei ab 1. Januar 1995 rechtswidrig gewesen, weil die Klägerin mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Alhi mehr gehabt habe. Zwar habe die Auswertung von Steuererklärungen für das Jahr 1995 durch die Beklagte ergeben, dass ein anrechenbares Einkommen aus Vermietung nicht verbleibe, sodass nicht mehr davon auszugehen sei, dass die Klägerin nach Erlass des Bewilligungsbescheids Einkommen erzielt habe, welches zum Wegfall des Anspruchs auf Alhi geführt hätte. Jedoch habe die Klägerin mit Wirkung zum 1. Januar 1995 Vermögen erzielt, das zum Wegfall ihrer Bedürftigkeit geführt habe. Der Miteigentumsanteil der Klägerin an dem Hausgrundstück sei grundsätzlich verwertbar gewesen. Zwar scheide eine Verwertung durch Belastung nach den von der Beklagten vorgelegten Bankauskünften aus. Es sei jedoch grundsätzlich möglich, den Miteigentumsanteil durch Übertragung (Verfügung) zu verwerten (§ 747 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch ≪BGB≫). Zudem habe die Klägerin jederzeit die Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft verlangen können (§ 749 Abs 1 BGB). Die Verwertung des Miteigentumsanteils sei der Klägerin auch zumutbar. Anhaltspunkte für eine offensichtliche Unwirtschaftlichkeit der Verwertung seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Das Hausgrundstück sei auch weder zur Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung bestimmt, noch werde es von der Klägerin bewohnt. Bei einem Verkehrswert des Hausgrundstücks von 1,2 Mio. DM entfielen auf die zu einem Viertel beteiligte Klägerin 300.000,– DM. Das entspreche einem Anrechnungszeitraum (§ 9 Arbeitslosenhilfeverordnung ≪AlhiVO≫) von 521 Wochen, da das Arbeitsentgelt, nach dem sich die Alhi richtete, 560,– DM betragen habe (300.000 – 8.000 : 560). Selbst wenn der Verkehrswert mit Rücksicht darauf, dass der Klägerin lediglich ein ideeller Anteil am Hausgrundstück zustehe, der in der Regel nicht mit dem entsprechenden Anteil am wirtschaftlichen Wert realisiert werden könne, erheblich niedriger angesetzt werden müsste, würde der von der Beklagten festgesetzte Anrechnungszeitraum auf jeden Fall überschritten sein. Unschädlich sei schließlich, dass die Beklagte die Aufhebung des Bewilligungsbescheids vom 2. November 1994, der nicht bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen sei, irrigerweise auf § 45 SGB X gestützt habe. Denn die Aufhebung der Leistungsbewilligung sei für den streitigen Zeitraum auf der Rechtsgrundlage des § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X aufrechtzuerhalten, weil dieselbe Rechtsfolge eintrete und auch deren Voraussetzungen ähnlich geregelt seien und weil keine Ermessensentscheidung zu treffen gewesen sei. Die am 2. Februar 1996 ausgesprochene Aufhebung sei auch innerhalb der maßgeblichen Jahresfrist erfolgt, weil die Klägerin erst am 16. Oktober 1995 mitgeteilt habe, dass sie Miteigentümerin eines Wohn- und Geschäftshauses geworden sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision wendet sich die Klägerin weiterhin gegen die Rückforderung der von der Beklagten bewilligten Leistungen und bringt zur Begründung im Wesentlichen vor: Das nachträgliche Auswechseln der Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids sei unzulässig, weil die Rechtsverteidigung der Klägerin dadurch beeinträchtigt werde. Denn im Falle einer Aufhebung nach § 45 SGB X sei vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin Voraussetzung gewesen, was weder hinreichend dargelegt noch erwiesen sei. Die Änderung der Rechtsgrundlage sei zudem nicht binnen der Jahresfrist des § 48 Abs 4 SGB X erfolgt und scheitere im Übrigen daran, dass die Klägerin darauf habe vertrauen dürfen, dass die Beklagte Verwaltungsakte von Anfang an unter Angabe der zutreffenden Rechtsgrundlagen erlasse. Im Übrigen sei das LSG zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Klägerin bereits mit Wirkung ab 1. Januar 1995 Miteigentümerin des Grundstücks geworden sei. Dies sei in Wahrheit erst seit der am 26. April 1995 erfolgten Eintragung im Grundbuch der Fall gewesen. In der Folgezeit bis zum 31. Oktober 1995 sei eine Verwertung weder durch Beleihung noch durch Veräußerung möglich gewesen, wie die Beklagte selbst zugestanden habe. Jedenfalls hätte die Veräußerung an einen Dritten – die Geschwister der Klägerin seien zu einer Übernahme ihres Anteils nicht bereit gewesen – allenfalls zu einem Preis erfolgen können, der dem tatsächlichen Wert des Miteigentumsanteils auch nicht annähernd entsprochen haben würde.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Marburg vom 30. Oktober 1997 und des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. Juli 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 1996 und den Änderungsbescheid vom 14. März 1997 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und macht ergänzend geltend, auf den Zeitpunkt des Erwerbs des Miteigentumsanteils durch Eintragung im Grundbuch komme es nicht an. Denn für die Klägerin habe auch die Möglichkeit bestanden, sich bei Abschluss des Überlassungsvertrags den dadurch begründeten Anspruch auf Auflassung durch Bewilligung einer Vormerkung sichern zu lassen und sodann sowohl den Anspruch auf Auflassung als auch die Auflassungsvormerkung an einen Käufer abzutreten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid vom 2. Februar 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 1996 und in der Fassung des während des Klageverfahrens ergangenen Änderungsbescheids vom 14. März 1997, durch den die Beklagte die Bewilligung von Alhi mit Wirkung ab 2. Januar 1995 bzw ab 22. September 1995 „zurückgenommen” und die Erstattung von Leistungen sowie von Krankenversicherungsbeiträgen in Höhe von zusammen 9.811,38 DM verlangt hat.
1. Der angefochtene Bescheid ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht allein deshalb aufzuheben, weil die Beklagte ihn ursprünglich auf die Rechtsgrundlage des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X gestützt hat, während das LSG die zutreffende Rechtsgrundlage in § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X gesehen hat. Die Sozialgerichte haben die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen (BSG vom 18. September 1997 – 11 RAr 9/97 – DBlR 4454a zu § 152 AFG und vom 29. Juni 2000 – B 11 AL 85/99 R –, BSGE 87, 8 ff = SozR 3-4100 § 152 Nr 9). Das schließt die Berücksichtigung auch solcher Rechtsgründe ein, welche die Verwaltungsbehörde zur Begründung des angefochtenen Bescheids nicht angeführt hat, es sei denn, durch die neue Begründung würde der Verwaltungsakt (VA) nach Voraussetzungen, Inhalt und Wirkungen wesentlich verändert und die Rechtsverteidigung des Betroffenen in nicht zulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert (st Rspr, zB BSGE 29, 129, 132 = SozR Nr 123 zu § 54 SGG; BSG SozR 3900 § 41 Nr 4; BSG SozR 1500 § 77 Nr 56; BSG SozR 2200 § 1227 Nr 10).
1.1 Eine unzulässige Änderung von Regelungsumfang oder Wesensgehalt des VA tritt hier nicht ein, wenn man als Rechtsgrundlage § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X an Stelle von § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 2 SGB X heranzieht. Die §§ 45, 48 SGB X sind auf dasselbe Ziel, nämlich die Beseitigung eines VA, gerichtet, sodass ein Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig ist (Senatsurteile vom 18. September 1997 und vom 29. Juni 2000, aaO; BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1). Allerdings kann der Verfügungssatz eines Bescheides nicht auf eine andere Begründung gestützt werden, wenn dadurch die Rechtsverteidigung des Betroffenen in unzulässiger Weise beeinträchtigt oder erschwert würde. Darauf kann sich jedoch die Klägerin ebenfalls nicht mit Erfolg berufen. Denn das bloße, vom Wunsch der Vermeidung des tatsächlichen Eintritts einer Belastung getragene Interesse des Betroffenen daran, dass ein belastender VA nicht nachträglich auf eine ihn tragende Rechtsgrundlage gestützt wird, ist rechtlich nicht geschützt. Der Schutz des Betroffenen ist insoweit darauf beschränkt, das die Rechtsfolgen für ihn nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen des fehlerhaft begründeten VA (BSG SozR 3-3660 § 1 Nr 1; vgl den Rechtsgedanken des § 43 Abs 2 Satz 1 SGB X).
Auch unter dem Gesichtspunkt des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist eine rechtlich beachtliche Erschwerung der Rechtsverfolgung der Klägerin nicht ersichtlich. Eine solche liegt nicht schon darin, dass sich die Klägerin nun mit anderen erheblichen Tatsachen auseinander setzen muss, denn sie wird dadurch nicht mit Tatsachen konfrontiert, die ihr unbekannt oder schwer zugänglich sind. Vielmehr geht es – insoweit unverändert – um ihre eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse. Eine rechtlich unzulässige Beeinträchtigung der Rechtsverfolgung kann im Übrigen in Fällen der Begründungsänderung während des gerichtlichen Verfahrens dadurch vermieden werden, dass der Betroffene, sei es auch erst im zweiten Rechtszug, über die geänderte Begründung unterrichtet und ihm angemessene Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird (BVerwGE 64, 356, 359 f).
1.2 Ferner trifft auch nicht die Auffassung der Revision zu, der angefochtene Bescheid sei allein wegen Verfristung (§§ 48 Abs 4 Satz 1, 45 Abs 4 Satz 2 SGB X) aufzuheben. Denn soweit der angefochtene Bescheid mit anderer Begründung aufrechterhalten werden darf, richtet sich die Wahrung der Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X nach dem Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheids (vgl BSG vom 18. September 1997 – 11 RAr 9/97 – DBlR 4454a zu § 152 AFG und vom 29. Juni 2000 – B 11 AL 85/99 R –), sodass hier auf den 2. Februar 1996 abzustellen ist. Zu diesem Zeitpunkt war aber die zu wahrende Frist noch nicht abgelaufen. Die nach §§ 45 Abs 4 Satz 2, 48 Abs 4 Satz 1 SGB X für den Beginn der Jahresfrist maßgebliche Kenntnis der Behörde setzt voraus, dass der zuständige Leistungsträger sämtliche für die Rücknahme- bzw Aufhebungsentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig kennt. Das verlangt jedenfalls eine Kenntnis des rechtserheblichen äußeren Sachverhalts sowie darüber hinaus auch eine Kenntnis sog innerer Tatsachen, sofern diese (wie zB das Erkennen der Rechtswidrigkeit des VA durch den Leistungsempfänger, § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X) ebenfalls zu den normierten Tatbestandsvoraussetzungen gehören (vgl zB BSGE 60, 239 = SozR 1300 § 45 Nr 26; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 26).
Vorliegend kommt es zwar für den Fall der Anwendbarkeit des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X nur auf die Kenntnis des Arbeitsamtes (ArbA) von einem objektiven Sachverhalt iS dieser Vorschrift an. Eine solche Kenntnis konnte aber das ArbA frühestens seit dem Eingang des Antrags der Klägerin auf Fortzahlung der Alhi vom 16. Oktober 1995 haben. Denn nach den getroffenen Feststellungen, deren Richtigkeit insoweit auch die Revision nicht bezweifelt (§ 163 SGG), hat das ArbA erstmals durch diesen Antrag überhaupt von dem Miteigentum der Klägerin an dem Hausgrundstück in F. erfahren.
2. Anhand der vom LSG getroffenen Feststellungen lässt sich hingegen nicht beurteilen, ob und ggf wann die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Anwendung des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X eingetreten sind. Maßgebend ist nach § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X die (nachträgliche) Erzielung von Einkommen oder Vermögen, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt hätte. Die danach erforderliche Anspruchsschädlichkeit der eingetretenen Änderung in den Verhältnissen ist hier nach den Anspruchsvoraussetzungen für die Alhi zu beurteilen. Der Anspruch auf Alhi setzt ua voraus, dass der Arbeitslose bedürftig ist (§ 134 Abs 1 Satz 1 Nr 3 AFG). Das wiederum hat nach § 137 Abs 1 AFG idF des Ersten Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms (1. SKWPG) ua zur Voraussetzung, dass der Arbeitslose seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Alhi bestreitet oder bestreiten kann. Der Arbeitslose ist nicht bedürftig, solange ua mit Rücksicht auf sein eigenes Vermögen die Gewährung von Alhi offenbar nicht gerechtfertigt ist (§ 137 Abs 2 AFG).
Vermögen des Arbeitslosen ist zu berücksichtigen, soweit es verwertbar und die Verwertung zumutbar ist und der Wert des Vermögens, dessen Verwertung zumutbar ist, 8.000,– DM übersteigt (§ 137 Abs 3 AFG iVm § 6 Abs 1 der auf dieser Grundlage ergangenen AlhiVO vom 7. August 1974, BGBl I S 1929, idF der ÄnderungsVO vom 10. Oktober 1990, BGBl I S 2171). Vermögen ist insbesondere verwertbar, soweit seine Gegenstände verbraucht, übertragen oder belastet werden können (§ 6 Abs 2 Satz 1 AlhiVO). Es ist nicht verwertbar, soweit der Inhaber des Vermögens in der Verfügung beschränkt ist und die Aufhebung der Beschränkung nicht erreichen kann (§ 6 Abs 2 Satz 2 AlhiVO). Die Verwertung ist zumutbar, wenn sie nicht offensichtlich unwirtschaftlich ist und wenn sie unter Berücksichtigung einer angemessenen Lebenshaltung des Inhabers des Vermögens und seiner Angehörigen billigerweise erwartet werden kann (§ 6 Abs 3 Satz 1 AlhiVO).
Danach hält die Auffassung des LSG, bei dem von der Klägerin erworbenen Miteigentumsanteil habe es sich um einen in zumutbarer Weise verwertbaren Vermögensgegenstand gehandelt, der mit Wirkung ab 1. Januar 1995 die Voraussetzungen für die Gewährung von Alhi habe entfallen lassen, der rechtlichen Prüfung nicht stand.
Was die nach den genannten Vorschriften ua erforderliche Verwertbarkeit eines Vermögensgegenstandes angeht, hat das LSG – ausschließlich – auf die Möglichkeit der entgeltlichen Veräußerung des von der Klägerin erworbenen Miteigentumsanteils abgestellt, und zwar entweder durch Verfügung der Klägerin über ihren eigenen Anteil (§ 747 Satz 1 BGB) oder auf dem Wege über ein Verlangen nach Aufhebung der Gemeinschaft (§ 749 Abs 1 BGB). Eine solche Aufhebung der Gemeinschaft hätte hier, da eine Teilung des gemeinschaftlichen Gegenstands in Natur (§ 752 Satz 1 BGB) ausgeschlossen war, durch Zwangsversteigerung des Grundstücks und Teilung des Erlöses realisiert werden müssen (§ 753 Abs 1 Satz 1 BGB).
2.1 Die getroffenen Feststellungen erlauben indes, wie die Revision zu Recht beanstandet, schon nicht die Beurteilung, ob diese vom LSG allein in Betracht gezogenen Verwertungsmöglichkeiten bereits seit dem 1. Januar 1995 bestanden haben. Denn bisher ist nicht einmal festgestellt, dass die Klägerin denjenigen Vermögensgegenstand, den sie nach der Auffassung des LSG hätte verwerten können, am 1. Januar 1995 bereits „erzielt” (§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X), dh als eigenes Vermögen erworben hatte.
Für den Erwerb von Rechten an einem Grundstück, insbesondere für die Übertragung des Eigentums, reicht eine vertragliche Einigung der am Rechtsgeschäft Beteiligten nicht aus, sondern es muss die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch hinzukommen (§ 873 Abs 1 BGB). Dementsprechend konnte auch die Klägerin Miteigentum an dem Hausgrundstück (§§ 1008 bis 1011 BGB) erst mit der Eintragung dieser Rechtsänderung im Grundbuch erwerben. Die Bruchteilsgemeinschaft am Grundstückseigentum (§§ 741 ff BGB) entstand ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt.
Wann die Rechtsänderung im Grundbuch eingetragen worden ist, hat das LSG nicht festgestellt. Ist danach bisher offen, wann die Klägerin den Miteigentumsanteil überhaupt erworben hat, so kann darüber auch nicht mit der Begründung hinweggesehen werden, die Klägerin habe – schon vor der Grundbucheintragung – einen verwertbaren Vermögensgegenstand erworben, nämlich den durch den Überlassungsvertrag vom 27. Dezember 1994 begründeten Anspruch gegen ihre Mutter auf Auflassung. Mit dieser Begründung lässt sich das angefochtene Urteil nicht aufrechterhalten (§ 170 Abs 1 Satz 2 SGG), weil das LSG allein auf den Erwerb des Miteigentumsanteils und dessen Verwertung abgestellt und dementsprechend keinerlei Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Klägerin (stattdessen) auch den lediglich schuldrechtlichen Anspruch auf Übertragung von Miteigentum oder eine dingliche Anwartschaft auf das Vollrecht tatsächlich vor der Eintragung hätte zumutbar verwerten können.
Es kann auch nicht im Hinblick auf den der Klägerin rechtsgeschäftlich übertragenen Miteigentumsanteil beurteilt werden, ob und wann die Klägerin ihn in zumutbarer Weise hätte verwerten können. Von der Möglichkeit der Verwertung durch Belastung ist das LSG unter Berücksichtigung von Bankauskünften, welche die Beklagte eingeholt hat, nicht ausgegangen. Die stattdessen bejahte zumutbare Verwertbarkeit durch Veräußerung hat das LSG unter Verweis auf die §§ 747 Satz 1, 749 Abs 1 BGB lediglich damit begründet, dass es der Klägerin „grundsätzlich möglich” sei, ihren Anteil durch Übertragung oder im Wege der Aufhebung der Bruchteilsgemeinschaft – dh im Ergebnis durch Zwangsversteigerung, § 753 Abs 1 BGB – zu verwerten.
Diese Erwägungen, die lediglich die theoretisch in Betracht kommenden Verwertungsvarianten unter den rechtlichen Gegebenheiten einer Bruchteilsgemeinschaft beantworten, tragen nicht die Schlussfolgerung, die Klägerin habe seit dem Erwerb des Miteigentumsanteils wegen Wegfalls ihrer Bedürftigkeit die Anspruchsvoraussetzungen der Alhi nicht mehr erfüllt. Hierzu hätte es vielmehr näherer Feststellungen zu den tatsächlichen Möglichkeiten einer Verwertung des Miteigentumsanteils bedurft.
Die Bedürftigkeitsprüfung verwirklicht den Grundsatz der Subsidiarität der Alhi, wonach jemandem ein Anspruch auf Alhi nicht zusteht, solange und soweit er sich und seine Angehörigen aktuell selbst versorgen kann (BSGE 87, 143 ff = BSG SozR 3-4220 § 6 Nr 8; BSG SozR 4100 § 137 Nr 12; vgl § 137 Abs 1 und 2 AFG). Entsprechend dem Zweck der Alhi, den Lebensunterhalt zu sichern, ist dabei entscheidend, ob der Lebensunterhalt während des jeweiligen Zeitraums, für den Alhi beansprucht wird, anderweit gesichert ist, ob also in diesem Zeitraum Einkommen oder Vermögen vorhanden ist, das nach der AlhiVO zu berücksichtigen ist (BSG SozR 4100 § 134 Nr 16; BSG SozR 3-4220 § 6 Nr 7; BSG vom 30. Mai 1990 – 11 RAr 33/88 –, DBlR 3732a zu § 137 AFG). Auf die Möglichkeit, seinen Lebensunterhalt durch die Veräußerung eines Vermögensgegenstands wie eines Hausgrundstücks zu bestreiten, kann der Arbeitslose deshalb nur verwiesen werden, wenn feststeht, ob und ggf zu welchem Zeitpunkt und zu welchen Bedingungen ein Verkauf tatsächlich möglich war oder ist (BSG vom 30. Mai 1990, aaO; Ebsen in Gagel, AFG, § 137 RdNr 147 ff). Nachforschungen hierzu sind jedenfalls erforderlich, wenn der Sachverhalt sie nahe legt. Überflüssig sein können Ermittlungen dagegen dann, wenn im Hinblick auf das zu beurteilende Grundvermögen die Marktverhältnisse gerichtskundig sind (BSG vom 30. Mai 1990, aaO).
2.2 Schließlich lässt sich auf der Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, ob die Verwertung des Miteigentumsanteils für die Klägerin iS des § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiVO nicht zumutbar gewesen ist, weil sie offensichtlich unwirtschaftlich gewesen wäre. Die in § 6 Abs 3 Satz 2 AlhiVO enthaltene Aufzählung erfasst zwar im Sinne von Regelbeispielen typische Fälle unzumutbarer Vermögensverwertung, sie ist aber nicht abschließend („insbesondere”) und schließt nicht aus, dass die Zumutbarkeit der Verwertung im Einzelfall bereits nach dem Grundtatbestand in Abs 3 Satz 1 der Vorschrift ausgeschlossen sein kann (BSGE 72, 248, 250 = SozR 3-4100 § 137 Nr 4; BSG SozR 3-4220 § 6 Nr 4).
Denn die einem Arbeitslosen vor der Inanspruchnahme von Alhi abverlangte Veräußerung eines Vermögensgegenstands stellt zwar in der Regel nur eine Vermögensumschichtung dar, weil der Verkaufserlös lediglich den Gegenwert für den veräußerten Gegenstand darstellt, der sich zuvor schon im Vermögen des Veräußerers befunden hat (vgl BSG SozR 4100 § 138 Nr 3). Eine bloße Vermögensumschichtung wird aber verfehlt, wenn der zu erzielende Gegenwert in einem deutlichen Míßverhältnis zum wirklichen Wert des zu verwertenden Vermögensgegenstands steht; solchenfalls wäre die Verwertung „offensichtlich unwirtschaftlich” iS von § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiVO (BSG vom 17. Oktober 1990 – 11 RAr 133/88 –, DBIR 3785a zu § 137 AFG). Der Arbeitslose darf – mit anderen Worten – auf die Veräußerung eines Vermögensgegenstands zwar auch dann verwiesen werden, wenn damit gewisse Verluste verbunden sind, jedoch kann ihm nicht die Verschleuderung von Vermögenswerten abverlangt werden (Ebsen in Gagel, AFG, § 137 RdNr 229). Zur Beurteilung der Zumutbarkeit der Verwertung ist deshalb festzustellen, ob die für den Vermögensgegenstand erzielbare Gegenleistung nennenswert hinter seinem „wirklichen Wert” zurückbleibt (vgl im Einzelnen Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, § 193 RdNr 268 bis 272).
Die vom LSG gesehene Befürchtung, dass sich der eigentliche wirtschaftliche Wert des Miteigentumsanteils der Klägerin bei einem Verkauf nur mit „erheblichen” Abschlägen realisieren ließe, legt die ernsthafte Möglichkeit nahe, dass der Verkauf bereits nach dem Grundtatbestand in § 6 Abs 3 Satz 1 AlhiVO nicht zumutbar gewesen sein könnte. Dementsprechend hätte das LSG die Bedingungen, zu denen eine reale Veräußerungsmöglichkeit bestanden hätte, aufklären müssen, was nicht geschehen ist.
Nach alledem sind nicht nur Feststellungen zum Erwerbszeitpunkt (Grundbucheintragung) nachzuholen, sondern auch dazu, ob und ggf wann sowie zu welchen Bedingungen die Klägerin den Miteigentumsanteil tatsächlich hätte verwerten können. Dabei wird sich das LSG auch mit der Frage zu befassen haben, ob und wie sich die sowohl im Antrag der Klägerin vom 16. Oktober 1995 als auch im Überlassungsvertrag vom 27. Dezember 1994 erwähnte Belastung des Grundstücks mit Grundpfandrechten im Nominalbetrag von rund 300.000,- DM – soweit diese im streitigen Zeitraum noch valutierten – auf die Verwertungsmöglichkeit bzw den zu erzielenden Erlös ausgewirkt hätte. Gleiches gilt – sollte sie zur Eintragung im Grundbuch gelangt sein – im Hinblick auf die Reallast zur Sicherung eines Wohnrechts für die Mutter der Klägerin, zu deren Bestellung sich die Erwerber in dem Überlassungsvertrag vom 27. Dezember 1994 verpflichtet hatten. Unmittelbar auf dem Grundstück lastende Verbindlichkeiten wie Grundpfandrechte oder Wohnrechte sind im Übrigen schon bei der Ermittlung des Werts des der Klägerin übertragenen Vermögens in Abzug zu bringen (vgl BSG SozR 3-4220 § 6 Nr 7, S 25).
3. Für das weitere Verfahren ist noch darauf hinzuweisen, dass eine Aufhebung des Bescheids vom 2. November 1994 nicht auf eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB X gestützt werden kann, falls die Klägerin, wie das LSG bisher angenommen hat, schon in der Zeit davor zumutbar verwertbares Vermögen erworben hatte, das zu einem Ausschluss des Leistungsanspruchs führte. Auch dieser Frage wird das LSG ggf – je nach dem Ergebnis der nachgeholten Feststellungen – noch nachzugehen haben. Schließlich fehlt es ggf auch an Feststellungen dazu, ob zu berücksichtigendes Einkommen des Ehegatten der Bedürftigkeit entgegensteht.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG auch über die Erstattung der Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen