Leitsatz (amtlich)
Erkrankt ein gegen Krankheit versicherter Bezieher einer Zeitrente (RVO § 165 Abs 1 Nr 3 iVm § 1276 Abs 1) binnen 3 Wochen nach Beendigung eines Pflichtversicherungsverhältnisses als abhängig Beschäftigter, so hat er auch für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit nach Wegfall der Zeitrente keinen Anspruch auf Krankengeld (Ergänzung zu BSG 1961-06-27 3 RK 62/59 = BSGE 14, 278).
Leitsatz (redaktionell)
RVO § 214 Abs 1 kann nicht angewendet werden, wenn der aus dem Beschäftigungsverhältnis Ausgeschiedene zwar noch innerhalb von 3 Wochen nach dem Ende der Mitgliedschaft, jedoch während der KV als Rentner erkrankt; dies gilt auch dann, wenn sich aufgrund des RVO § 214 Abs 1 weitergehende Leistungsansprüche ergeben würden.
Normenkette
RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1956-06-12, Abs. 6 Fassung: 1956-06-12, § 214 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1924-12-15, § 1276 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 10. April 1962 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Klägerin bezog von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte bis zum 30. Mai 1960 eine Zeitrente wegen Berufsunfähigkeit. In dieser Zeit war sie vom 1. Februar bis 30. April 1960 versicherungspflichtig beschäftigt; sie war Mitglied der beklagten Ersatzkasse. Nach Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses blieb sie als Rentenbezieherin, die die Voraussetzungen für den Bezug einer Berufsunfähigkeitsrente erfüllte und während der letzten fünf Jahre vor Stellung des Rentenantrags mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung (KrV) versichert gewesen war, Pflichtmitglied der beklagten Ersatzkasse (§ 165 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 514 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -), und zwar bis zum Ablauf der Zeitrente, d. h. den 30. Mai 1960.
Am 14. Mai 1960 erlitt sie einen Verkehrsunfall, der ihre Arbeitsunfähigkeit bis zum 14. Juni 1960 zur Folge hatte. Die beklagte Ersatzkasse lehnte ihren Antrag auf Krankengeld ab (Bescheid vom 16. Juni 1960). Mit ihrem Widerspruch berief sich die Klägerin auf § 214 Abs. 1 RVO. Die beklagte Ersatzkasse wies den Widerspruch mit der Begründung zurück, daß ihr als pflichtversicherter Rentnerin kein Anspruch auf Krankengeld zustehe (Bescheid vom 18. Juli 1960).
Das Sozialgericht (SG) verurteilte die beklagte Ersatzkasse, an die Klägerin Krankengeld für die Zeit nach Ablauf der Zeitrente, mithin vom 31. Mai bis 14. Juni 1960, zu zahlen; die Klage auf Verurteilung zur Leistung für die Zeit vom 14. Mai bis 30. Mai 1960 wies es ab (Urteil vom 29. März 1961).
Auf die Berufung der beklagten Ersatzkasse hin wies das Landessozialgericht (LSG) die Klage in vollem Umfange ab; die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 10. April 1962).
Es führte im wesentlichen aus: Bei Eintritt des Versicherungsfalls - 14. Mai 1960 - sei die Klägerin als Rentnerin nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO versichert gewesen. Aus diesem Versicherungsverhältnis habe sie keinen Anspruch auf Krankengeld (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO). Auch aus dem früheren Versicherungsverhältnis als versicherungspflichtig Beschäftigte stehe ihr kein Anspruch auf Krankengeld zu, da dieses Versicherungsverhältnis vor Eintritt des Versicherungsfalls beendet gewesen sei. § 214 Abs. 1 RVO komme im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung, da die Klägerin als Rentenbezieherin den Schutz der KrV genossen habe. Auch für die Zeit nach Wegfall der Rente und damit Beendigung des Krankenversicherungsverhältnisses als Rentnerin sei kein Anspruch auf Krankengeld gegeben, da in dem für die Anspruchsbegründung maßgebenden Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls nur ein Versicherungsverhältnis ohne Anspruch auf Krankengeld bestanden habe.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt mit dem Antrag,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Hamburg vom 29. März 1961 zurückzuweisen.
Sie macht geltend: Der Gesetzgeber habe sich in § 214 Abs. 3 RVO, der allerdings nur von dem gegen Krankheit versicherten Arbeitslosen handele, nicht klar ausgedrückt, wenn dort bestimmt sei, der Anspruch falle weg, "sobald" der Erwerbslose auf Grund des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gegen Krankheit versichert sei. Die Vorschrift sei vielmehr so zu verstehen, als ob statt "sobald" das Wort "solange" stünde. Demnach habe die Klägerin vom Zeitpunkt der Beendigung ihres Versicherungsverhältnisses als Rentnerin an einen Anspruch auf Krankengeld.
Die beklagte Ersatzkasse hat beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß der Zeitpunkt der Erkrankung für die Beurteilung der sich aus diesem Versicherungsfall ergebenden Ansprüche maßgebend sei. Da die Klägerin aber zu diesem Zeitpunkt in einem Versicherungsverhältnis ohne Anspruch auf Krankengeld gestanden sei, habe sie einen solchen Anspruch überhaupt nicht erworben, so daß bei Beendigung des Versicherungsverhältnisses insoweit auch nichts habe wiederaufleben können.
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG dahin entschieden, daß die Klägerin auch für die Zeit vom 31. Mai bis 14. Juni 1960 keinen Anspruch auf Krankengeld gegen die beklagte Ersatzkasse hat.
Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Krankengeld erworben hat, als sie am 14. Mai 1960 eine mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Verletzung erlitt. In diesem Zeitpunkt war sie nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 514 Abs. 1 RVO bei der beklagten Ersatzkasse als Rentenbezieherin gegen Krankheit versichert. Dieses Versicherungsverhältnis war nach der Beendigung ihres versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses, das während seiner Dauer die RentnerKrV verdrängt hatte (§ 165 Abs. 6 RVO), wieder in Kraft getreten (BSG 14, 278, 279). Aus diesem Versicherungsverhältnis erwuchs der Klägerin aber kein Anspruch auf Krankengeld (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO).
Sie hat auch keinen "nachgehenden" Anspruch aus ihrem früheren Versicherungsverhältnis als versicherungspflichtig Beschäftigte. Zwar ist der Versicherungsfall binnen drei Wochen nach dem Ausscheiden aus dem Beschäftigungsverhältnis eingetreten (vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 RVO).
Diese Vorschrift gilt aber nicht für den Fall, daß sich an die Beendigung des versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses die RentnerKrV lückenlos anschließt. Nach seinem Grundgedanken, eine Lücke im Versicherungsschutz zu schließen, kann § 214 Abs. 1 RVO dann nicht Anwendung finden, wenn der aus dem Beschäftigungsverhältnis Ausgeschiedene anderweitig den Schutz der gesetzlichen KrV genießt, selbst wenn diese Sicherung nicht voll dem früheren Versicherungsschutz entspricht (BSG 14, 278, 279). Zutreffend hat bereits das Reichsversicherungsamt (RVA) darauf hingewiesen, daß § 214 RVO eine Ausnahmevorschrift ist, welche die Kasse zu Leistungen ohne Gegenleistungen verpflichtet und ihrer Natur nach nur Platz greift, wenn die Krankenhilfe nicht anderweitig sichergestellt ist (Grunds. Entscheidung Nr. 3435, AN 1929, 215 für den Fall, daß ein wegen Erwerbslosigkeit ausgeschiedener Versicherter die Anzeige der Weiterversicherung nach § 313 Abs. 2 Satz 1 RVO bereits in der ersten Woche nach dem Ausscheiden - vgl. Satz 2 aaO - erstattet hat; vgl. auch Grunds. Entscheidung Nr. 5554, AN 1944, 83 für den Fall des krankenversicherten Rentners mit der Hervorhebung des Zwecks des § 214 RVO, der wegen Erwerbslosigkeit aus der Versicherung Ausgeschiedene solle nach Beendigung der Kassenmitgliedschaft "im Falle der Erkrankung nicht schutzlos dastehen"). Im übrigen ist in den genannten Entscheidungen auch mit Recht ausgeführt worden, daß der während des Laufs der Schutzfrist nach § 214 RVO bereits anderweitig Versicherte aufs Ganze gesehen gegenüber dem unversichert gebliebenen "Erwerbslosen" nicht benachteiligt zu sein brauche: Hat dieser auch möglicherweise aus dem früheren Versicherungsverhältnis einen Anspruch auf Krankengeld, so kann jener doch im Rahmen des neuen Versicherungsverhältnisses Ansprüche auf Mehrleistungen erwerben, die nach § 214 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht gegeben sind.
Zu Recht hat das LSG angenommen, daß diese Rechtslage dadurch keine Veränderung erfahren hat, daß die der Klägerin gewährte Zeitrente am 30. Mai 1960 wegfiel (vgl. § 1276 Abs. 2 Satz 1 RVO). Damit endete auch ihre Pflichtmitgliedschaft nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO, wenn dieser Endigungsgrund auch nicht im Gesetz ausdrücklich genannt ist (vgl. § 312 Abs. 2 Satz 1 RVO); offensichtlich ist die Aufzählung in § 312 Abs. 2 RVO unvollständig (BSG, Urteil vom 27. August 1965 - 3 RK 38/62 - in SozR RVO § 312 Nr. 2 Bl. Aa 1 Rücks.). Der Umstand, daß die Klägerin nunmehr nicht mehr als Rentenbezieherin versichert war, konnte ihr aber nicht zu einem Anspruch auf Krankengeld verhelfen. Die verschiedenen Ansprüche des Versicherten, die bei und nach Eintritt des Versicherungsfalls während des Verlaufs der Krankheit entstehen können, sind ihrem Rechtsgrund nach auf den Eintritt des Versicherungsfalls - der Krankheit - zurückbezogen (Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalls; vgl. BSG 16, 177, 179; 18, 122, 125; 22, 115, 116). Hiernach ist als "Grundvoraussetzung" (BSG 22, 115, 116 in Anlehnung an RVA, Grunds. Entscheidung Nr. 5545, AN 1944, 38, 39) für alle sich aus dem Versicherungsfall ergebenden Ansprüche genügend, aber auch erforderlich, daß der Versicherungsfall während eines Versicherungsverhältnisses mit entsprechender Anspruchsberechtigung eingetreten ist. Ist diese Grundvoraussetzung gegeben, so ist die Entstehung und der Fortbestand der einzelnen auf dem gleichen Versicherungsfall beruhenden Ansprüche - mit der zeitlichen Begrenzung nach § 183 RVO - von der Fortdauer der Mitgliedschaft unabhängig.
Im vorliegenden Fall behielt somit die Klägerin nach Beendigung ihrer Mitgliedschaft bei der beklagten Ersatzkasse auf Grund der Erkrankung (Verkehrsunfall am 14. Mai 1960), die während ihrer Mitgliedschaft als krankenversicherte Rentnerin eingetreten war, die aus diesem noch nicht abgeschlossenen Versicherungsfall erwachsenen Ansprüche, in erster Linie den Anspruch auf Krankenpflege (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Ein Anspruch auf Krankengeld konnte jedoch nicht am 31. Mai 1960 aufleben, da er von vornherein bei diesem Mitgliedschaftsverhältnis ausgeschlossen war (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 RVO). Durch das Rentner-Krankenversicherungsverhältnis war die Verbindung mit dem davorliegenden Versicherungsverhältnis als abhängig Beschäftigte, das allein einen Anspruch auf Krankengeld hätte begründen können, vollständig gelöst worden, so daß die Ansprüche der Klägerin nach dem 30. Mai 1960 sich nur noch nach ihrem Versicherungsverhältnis als Rentenbezieherin beurteilten. Hierdurch wird im übrigen vermieden, daß u. U. zwei Krankenkassen für die Abwicklung desselben Versicherungsfalls - nämlich die für die Rentner-Krankenversicherung zuständige Kasse für die Krankenpflege und die während der abhängigen Beschäftigung zuständige Kasse für das Krankengeld - zuständig wären. Demnach hat die Klägerin auch für die Zeit nach Beendigung ihrer RentnerKrV keinen Anspruch auf Krankengeld (ebenso Peters, Handb. der KrV Teil II, Stand: Januar 1966, § 214 Anm. 3; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand: September 1963, Bd. II S. 428 b).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen