Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 05.10.1961) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. Oktober 1961 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Bei dem Kläger wurden durch Bescheid des Versorgungsamts (VersorgA) Wuppertal vom 19. Oktober 1953 als Schädigungsfolgen nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) “Stecksplitter am linken Kniegelenk, Bewegungsbehinderung des linken Kniegelenks, Narben am Oberarm” anerkannt; eine Rente wurde jedoch nicht gewährt, weil die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung des Berufes als Kraftfahrer nur 20 v.H. betrage. Im Juni 1957 stellte der Kläger wegen Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolgen einen Erhöhungsantrag, der nach Einholung eines versorgungsärztlichen Gutachtens vom 28. Oktober 1957 (Dr. T…) durch Bescheid vom 19. Dezember 1957 abgelehnt wurde. Namens des Klägers legte der Vertreter des VdK Otto R… mit Schreiben vom 9. Januar 1958 Widerspruch gegen diesen Bescheid ein; dieses Schreiben ist nicht eigenhändig unterzeichnet, sondern trägt lediglich einen Faksimilestempel mit dem Namenszug des Bevollmächtigten. Auch die Begründungsschrift vom 24. Februar 1958 ist lediglich mit einem Faksimilestempel des Bevollmächtigten Riedel versehen. Durch Bescheid des Landesversorgungsamts Nordrhein vom 10. April 1958 wurde der Widerspruch des Klägers als unbegründet zurückgewiesen, weil eine wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber der früheren Feststellung durch den Bescheid vom 19. Oktober 1953 nicht eingetreten sei.
Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat durch Urteil vom 21. April 1959 den Widerspruchsbescheid vom 10. April 1958 aufgehoben und den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19. Dezember 1957 als unzulässig verworfen. Es hat die Auffassung vertreten, daß der Abdruck eines Faksimilestempels nicht der Formvorschrift des § 84 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entspreche, wonach der Widerspruch schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen ist, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Bei der geforderten schriftlichen Einlegung des Widerspruchs müsse der betreffende Schriftsatz von dem Beschwerten oder seinem Vertreter eigenhändig unterschrieben sein.
Durch Urteil vom 5. Oktober 1961 hat das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 10. April 1958 abgewiesen wird; es hat die Revision zugelassen. Das LSG hat sich im Ergebnis dem Urteil des SG angeschlossen und ausgeführt, daß die Klageschrift an das SG Düsseldorf vom 3. Mai 1958, die handschriftlich unterzeichnet sei, nicht – wie der Kläger meine – als Widerspruch umgedeutet werden könne, weil das gesetzlich vorgeschriebene Vorverfahren mit Erteilung des Widerspruchsbescheides vom 10. April 1958 abgeschlossen war. Die Vorschrift des § 84 Abs. 1 SGG stimme mit den Vorschriften über die Klageerhebung (§ 90 SGG), die Einlegung der Berufung (§ 151 Abs. 1 SGG) und die Einlegung der Revision (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG) insofern überein, als auch bei der Klage, der Berufung und der Revision die “schriftliche” Einlegung gefordert wird. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zur Einlegung der Berufung sei unter der vom SGG geforderten Schriftform die eigenhändige Unterzeichnung des Schriftsatzes durch Namensunterschrift zu verstehen. Dieser gesetzlichen Schriftform sei nicht genüge getan, wenn am Ende des Schriftsatzes der Name mit Schreibmaschine geschrieben oder ein Namens- bzw. Faksimilestempel angebracht sei. Zwar bestimme § 92 Satz 2 SGG, daß die Klage von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe lediglich unterzeichnet sein “solle”. Es könne jedoch dahingestellt bleiben, ob die Unterzeichnung der Klageschrift mit einem Faksimilestempel als rechtswirksame Klageerhebung anzusehen sei; denn § 84 SGG enthalte für den Widerspruch keine dem § 92 SGG gleiche oder ähnliche Vorschrift. Alle Gesichtspunkte, die das BSG für die in § 151 Abs. 1 SGG für die Berufungseinlegung vorgesehene Schriftform im Sinne einer handschriftlichen Unterzeichnung der Berufungsschrift angeführt habe, hätten auch für die Einlegung des Widerspruchs Gültigkeit. Würde für die Unterschrift der Gebrauch eines Namens- oder Faksimilestempels oder die Beifügung des Namens mit Schreibmaschine ausreichen, so wären Streitigkeiten darüber, von wem das Schriftstück herrührt, Tür und Tor geöffnet. Auch sei bei dem heutigen allgemeinen Bildungsstand die nicht rechtskundige und die nicht vertretene Prozeßpartei nicht überfordert, wenn prozeßerhebliche Erklärungen ebenso wie rechtserhebliche Erklärungen im bürgerlichen Recht eigenhändig unterschrieben sein müssen. Im übrigen handle es sich im vorliegenden Falle nicht um die Erklärung einer rechtsunkundigen Partei, sondern um die Erklärung eines auf dem Gebiet rechtskundigen Vertreters des VdK.
Gegen dieses am 3. November 1961 zugestellte Urteil des LSG hat der Kläger mit Schriftsatz vom 9. November 1961, eingegangen beim BSG am 10. November 1961, Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Nach Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 3. Februar 1962 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 31. Januar 1962, eingegangen beim BSG am 2. Februar 1962, die Revision begründet. Er rügt eine Verletzung des § 84 Abs. 1 SGG und trägt hierzu vor, daß die Einreichung des Widerspruchs zwar “schriftlich” zu erfolgen habe, der Gesetzgeber hierbei aber nicht zum Ausdruck gebracht habe, ob die “handschriftliche” Unterzeichnung der Widerspruchsschrift erforderlich ist. Die vom BSG vertretene Auffassung, daß der Rechtsmittelschrift (Berufung, Revision) im gerichtlichen Verfahren die Bedeutung eines bestimmenden Schriftsatzes zukomme, zu deren Rechtswirksamkeit im Interesse der Rechtssicherheit die handschriftliche Unterzeichnung erforderlich sei, treffe nicht ohne weiteres auf das Vorverfahren zu, weil es sich dabei um ein Verwaltungs- und nicht um ein Gerichtsverfahren handle. An die Form des Widerspruchs könnten keine strengeren Anforderungen gestellt werden als an die Klageschrift, die nach § 92 Satz 2 SGG nur unterzeichnet sein “solle”. Hieraus werde im Fachschrifttum weitgehend der Schluß gezogen, daß dem Kläger aus dem Fehlen einer eigenhändigen Unterschrift im Hinblick auf diese Sondervorschrift kein Rechtsnachteil erwachsen dürfe. Zwar fehle eine dem § 92 Satz 2 SGG entsprechende Vorschrift im Vorverfahren; daraus könne jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß der Widerspruch formstrenger als die Klage zu behandeln sei, da das Vorverfahren kein gerichtliches Verfahren sei. Die Verwendung eines Faksimilestempels unter der Widerspruchsschrift beeinträchtige daher die in § 84 Abs. 1 SGG vorgeschriebene Schriftform nicht und führe somit nicht zur Unwirksamkeit des Widerspruchs. Das Berufungsgericht hätte deshalb in der Sache selbst entscheiden müssen, anstatt die Klage aus formellen Gründen abzuweisen.
Der Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision als unbegründet; er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG); sie ist daher zulässig. Die Revision ist auch begründet. Der Widerspruch ist von dem Vertreter des Klägers Otto Riedel mit Schriftsatz vom 9. Januar 1958 rechtswirksam eingelegt worden.
Nach § 84 Abs. 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Diese Vorschrift stimmt inhaltlich mit § 151 Abs. 1 SGG überein, nach dem die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen ist. Aus dem Umstand, daß die Vorschriften über die Einlegung des Widerspruchs und die Einlegung der Berufung übereinstimmend. “Schriftlichkeit” fordern, hat das LSG jedoch zu Unrecht gefolgert, daß die Rechtsprechung des BSG zu dem Begriff der Schriftlichkeit bei Einlegung der Berufung auch für die Einlegung des Widerspruchs Gültigkeit habe.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG muß allerdings die Berufungsschrift im sozialgerichtlichen Verfahren von dem Beteiligten, seinem gesetzlichen Vertreter oder seinem Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterschrieben sein, soweit die Berufung nicht durch Telegramm eingelegt wird (BSG 1, 243). Das BSG hat hierzu ausgeführt, daß prozeßerhebliche Erklärungen im Interesse der Rechtssicherheit nicht nur im Zivilprozeß und im Verfahren vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten, sondern auch im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 151 Abs. 1 SGG der eigenhändigen Unterschrift bedürfen. Einer Erklärung, bei der die Unterschrift fehle, sei nicht klar und eindeutig zu entnehmen, von wem sie herrührt, ob sie überhaupt einen rechtserheblichen Willen widergeben soll und ob sie nicht durch ein Versehen dessen, der als ihr Urheber erscheint, oder möglicherweise sogar ohne jede Mitwirkung des angegebenen Urhebers an das Gericht gelangt ist. Das Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift stehe auch nicht im Widerspruch mit dem sozialen Charakter des Rechtsgebiets, das die Sozialgerichtsbarkeit zu betreuen habe; denn bei keinem Gerichtszweig dürfe davon ausgegangen werden, daß die Verfahrensvorschriften, die für ihn gelten, wegen der Eigenart “seines” Personenkreises eine besonders geartete Auslegung erfordern (vgl. BSG 6, 256, 259). Die Berufungsschrift, die anstelle der Unterschrift nur einen Faksimilestempel trägt, entspreche daher nicht der in § 151 Abs. 1 SGG gebotenen Schriftform, da rechtserhebliche Erklärungen, zu denen die den Gang eines Rechtsstreits bestimmenden Schriftsätze gehören, nicht von dritten Personen unter Verwendung eines Stempels abgegeben werden können (vgl. hierzu BSG 8, 142, 145 mit näherer Begründung). Auch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) liegt eine schriftlich eingelegte Berufung im Sinne des § 124 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nur dann vor, wenn die Berufung vom Berufungskläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterschrieben ist, sofern nicht telegraphisch Berufung eingelegt wird oder der Berufungskläger eine Behörde ist, bei der die handschriftliche Beglaubigung der Unterschrift als ausreichend angesehen wird (vgl. BVerwG in DVBl 1962 S. 35 mit zahlreichen Hinweisen auf Rechtsprechung und Literatur).
Da die Vorschrift des § 84 Abs. 1 SGG inhaltlich dem § 151 Abs. 1 SGG über die Einlegung der Berufung entspricht, muß dem LSG zugegeben werden, daß es naheliegt, für den Begriff der Schriftlichkeit in beiden Fällen dieselben Voraussetzungen zu fordern, zumal beide Vorschriften in demselben Gesetz stehen. Das LSG hat hierbei jedoch nicht hinreichend dem Gesichtspunkt Rechnung getragen, daß es sich im Falle des § 151 SGG um das Rechtsmittel der Berufung im Prozeßverfahren handelt, während das Widerspruchsverfahren zum Verwaltungsverfahren gehört. Das Vorverfahren ist ein Verfahren vor den Verwaltungsbehörden, durch das der Behörde die Möglichkeit gegeben wird, ihren Standpunkt noch einmal nachzuprüfen; es ist kein Teil des sozialgerichtlichen Verfahrens, obwohl die Vorschriften über das Vorverfahren im SGG Aufnahme gefunden haben (vgl. hierzu auch Peters/Sautter/Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 bis 3 zu § 78 SGG). Ihrem Wesen nach hätten somit die Vorschriften über das Vorverfahren in der Kriegsopferversorgung (KOV) in dem Gesetz über das Verwaltungsverfahren der KOV vom 2. Mai 1955, das am 1. April 1955 in Kraft getreten ist, enthalten sein müssen. Da jedoch das SGG bereits am 1. Januar 1954 in Kraft getreten ist und damals noch nicht abzusehen war, wann das Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG) fertiggestellt sein würde, mußten die Vorschriften über das Vorverfahren – auch im Hinblick auf das Vorverfahren, das in anderen der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesenen Angelegenheiten vorgesehen ist (vgl. §§ 79 bis 82 SGG) in das SGG aufgenommen werden. Hieraus folgt, daß der Begriff der Schriftlichkeit in § 84 Abs. 1 SGG bei der Einlegung des Widerspruchs nicht ohne weiteres dem Begriff der Schriftlichkeit in den das Prozeßverfahren selbst betreffenden Vorschriften gleichgesetzt werden kann. Es ist vielmehr entscheidend zu berücksichtigen, welcher Grad von Formstrenge an rechtserhebliche Erklärungen im Verwaltungsverfahren der KOV gestellt wird. Nach § 6 des VerwVG sind die Anträge in Versorgungsangelegenheiten schriftlich oder mündlich unter Aufnahme einer Niederschrift bei dem VersorgA zu stellen. In § 7 VerwVG ist bestimmt, daß der Antrag die begehrten Leistungen bezeichnen sowie die zur Begründung erforderlichen Tatsachen und Beweismittel angeben und von dem Antragsteller, seinem gesetzlichen Vertreter oder seinem Bevollmächtigten mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein “soll”. Aus dieser Sollvorschrift wird in der Praxis und im Schrifttum allgemein gefolgert, daß der Antrag nicht vom Versorgungsberechtigten eigenhändig unterschrieben sein muß, daß es vielmehr als ausreichend anzusehen ist, wenn sich aus dem Schriftstück ergibt, wer der Antragsteller ist (vgl. Schönleiter/Hennig, Kommentar zum VerwVG, Anm. 2 zu § 6 und Anm. 1 zu § 7). Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist ein Antrag erforderlich, um einen Anspruch auf Versorgung zur Entstehung zu bringen; der Antrag hat also sachlich-rechtliche Bedeutung und muß als weiterer rechtsbegründender Faktor zu den Tatbestandsmerkmalen der einen Anspruch auf Versorgung begründenden Vorschriften des BVG hinzukommen (vgl. BSG 2, 289,293). Bei dieser Bedeutung des Antrags des Versorgungsberechtigten für den Versorgungsanspruch ist der Schluß gerechtfertigt, daß im Verwaltungsverfahren auch an andere rechtserhebliche Erklärungen hinsichtlich ihrer Unterzeichnung keine strengeren Anforderungen gestellt werden sollen und dürfen. Die Vorschriften des § 84 Abs. 1 SGG für das Vorverfahren, das zum Verwaltungsverfahren gehört, sind daher insoweit entsprechend der Regelung der §§ 6 und 7 VerwVG auszulegen. Schon dieser Gesichtspunkt rechtfertigt es, an den Begriff der Schriftlichkeit in § 84 Abs. 1 SGG nicht dieselben strengen Anforderungen wie im Berufungs- und Revisionsverfahren zu stellen.
Hinzu kommt, daß zwar nach § 90 SGG die Klage beim SG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben ist, daß aber nach § 92 SGG die Klageschrift den angefochtenen Verwaltungsakt oder den Widerspruchsbescheid bezeichnen und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Tagesangabe unterzeichnet sein “soll”. § 92 SGG betrifft somit nicht nur den Inhalt der Klageschrift, sondern hinsichtlich der Unterzeichnung ihre Form, die an sich in § 90 SGG geregelt ist. Daß die Klageschrift nur unterzeichnet sein “soll”, bedeutet also insoweit eine Einschränkung der an den Begriff der Schriftlichkeit in § 90 SGG zu stellenden Anforderungen. Eine Entscheidung darüber, ob die Klageschrift im Hinblick auf § 92 SGG nicht eigenhändig unterzeichnet sein muß, ist vom BSG bisher nicht getroffen worden. Im vorliegenden Falle geht auch der Streit nicht um die Frage der Unterzeichnung einer Klageschrift, sondern darum, ob die Widerspruchsschrift nach § 84 Abs. 1 SGG eigenhändig zu unterzeichnen ist oder nicht. Davon abgesehen kann jedoch für die Auslegung des § 84 Abs. 1 SGG nicht außer Betracht gelassen werden, daß an die Formerfordernisse bei der Klage im Hinblick auf § 92 SGG erheblich geringere Anforderungen zu stellen sind als bei der Berufungs- oder Revisionsschrift. Auch im Schrifttum wird übereinstimmend die Auffassung vertreten, daß die Klageschrift nicht eigenhändig von dem Kläger oder seinem Prozeßbevollmächtigten unterzeichnet sein muß (so Peters/Sautter/Wolff, aaO Anm. 2 zu § 92 SGG; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 1 zu §§ 90 bis 93 SGG) oder zumindest eine etwa fehlende Unterschrift jederzeit nach Ablauf der Klagefrist nachgeholt werden kann (vgl. Thannheiser/Wende/Zech, Handbuch des Bundesversorgungsrechts, Anm. zu § 92 SGG; Miesbach/Ankenbrank, SGG, Anm. 2 zu § 90; Mellwitz, Kommentar zum SGG, Anm. zu § 92). Die angeführten Kommentare sind sich hiernach darüber einig, daß § 92 SGG hinsichtlich der Unterzeichnung der Klage eine Erleichterung gegenüber den strengeren Formvorschriften über die Berufung und Revision darstellt. Geht man aber davon aus – wie vorstehend dargelegt –, daß im VerwVG bei dem für das gesamte Verfahren so bedeutsamen Antrag keine eigenhändige Unterschrift gefordert wird und daß bei der dem Vorverfahren folgenden Klage, die das formstrengere Prozeßverfahren einleitet, im Hinblick auf § 92 SGG ebenfalls eine eigenhändige Unterschrift nicht unbedingt erforderlich ist, so können hinsichtlich der Unterzeichnung des Widerspruchs für das zum Verwaltungsverfahren gehörende Vorverfahren keine strengeren Anforderungen als bei der Klage gestellt werden (so auch Peters/Sautter/Wolff, aaO Anm. 3 zu § 84 SGG; Rohwer-Kahlmann, aaO Anm. 2 zu § 84 SGG; Schroeder/Printzen in KOV 1957 S. 69; a.A. Wagner in “Der Versorgungsbeamte” 1960 S. 87). Allerdings fehlt eine dem § 92 SGG entsprechende Vorschrift für das Widerspruchsverfahren, wie das LSG zutreffend in dem angefochtenen Urteil ausgeführt hat. Im Hinblick auf die vorstehend dargelegten Gesichtspunkte kann dies jedoch nicht von wesentlicher Bedeutung für die Auslegung des § 84 Abs. 1 SGG sein; denn entscheidend ist, welcher Grad von Formstrenge nach den jeweils maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll zu fordern ist (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgericht – BVerfG – vom 19. Februar 1963 – 1 BvR 610/62 –).
In dem vom BVerfG entschiedenen Falle handelte es sich um die Vorschrift des § 23 Abs. 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, nach der Anträge, die das Verfahren einleiten, schriftlich beim BVerfG einzureichen sind. Das BVerfG hat ausgesprochen, daß diese Vorschrift vor allem sichern soll, daß der Vortrag schriftlich niedergelegt ist, um eine zuverlässige Grundlage für die weitere Behandlung zu schaffen, daß aber die handschriftliche Unterzeichnung nicht unbedingt notwendig ist. Es hat sich dabei davon leiten lassen, welcher Grad von Formstrenge nach den maßgeblichen verfahrensrechtlichen Vorschriften sinnvoll zu fordern ist. Für das Verwaltungsverfahren in der KOV kann aber aus den angeführten Gesichtspunkten nicht derselbe Grad der Formstrenge wie für das Berufungs- und Revisionsverfahren gefordert werden, zumal im Verfahren vor dem SG im Hinblick auf § 92 SGG die Klage von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person nur mit Ortsund Tagesangabe unterzeichnet sein “soll”.
Dem § 84 Abs. 1 SGG entspricht die Vorschrift des § 70 VwGO für das Widerspruchsverfahren. Soweit bekannt, sind zur Auslegung dieser Vorschrift keine Entscheidungen der Gerichte der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit, insbesondere des BVerwG veröffentlicht worden. Die Kommentare zur VwGO zitieren zu § 70 VwGO lediglich die Rechtsprechung des BVerwG und der Oberverwaltungsgerichte zu dem Erfordernis der eigenhändigen Unterschrift bei Einlegung der Berufung, ohne jedoch eine eigene Stellungnahme dazu abzugeben, aus welchen Gründen diese Entscheidungen ohne weiteres auch für das Widerspruchsverfahren Geltung haben müssen (vgl. Köhler, VwGO, Anm. III zu § 70; Eyermann/Fröhler, VwGO, Anm. II 1 zu § 70 und Anm. 1 zu § 81; Klinger, VwGO, Anm. A 1 zu § 70 und A 2b zu § 81; von Brauchitsch/Ule, Verwaltungsgesetze des Bundes und der Länder, Anm. II zu § 70 und Anm. 1 zu § 81). Diese lediglich mit dem Hinweis auf die Rechtsprechung zur formgerechten Einlegung der Berufung begründete Auffassung der Kommentatoren der VwGO kann jedoch bei der Auslegung des § 84 Abs. 1 SGG keine Berücksichtigung finden, da in der VwGO bei den Vorschriften über die Klageerhebung eine dem § 92 SGG entsprechende Vorschrift fehlt. Damit entfällt hinsichtlich der Regelung der VwGO jedenfalls der im vorliegenden Falle wesentliche Gesichtspunkt, daß für die Klageerhebung vor den Sozialgerichten im Hinblick auf die Vorschrift des § 92 SGG die Klageschrift nicht eigenhändig unterzeichnet sein muß.
Hiernach ist dem Formerfordernis der Schriftlichkeit in § 84 Abs. 1 SGG genügt, wenn das Schreiben, mit dem Widerspruch eingelegt worden ist, anstelle einer eigenhändigen Unterschrift nur einen Faksimilestempel mit dem Namenszug des Bevollmächtigten trägt. Da im vorliegenden Falle ein Formmangel nicht vorhanden ist, brauchte nicht mehr die Frage entschieden zu werden, ob Formmängel bei Einlegung des Widerspruchs überhaupt der gerichtlichen Nachprüfung im anschließenden Streitverfahren unterliegen, wenn die Versorgungsbehörde über den Widerspruch trotz der Formmängel sachlich entschieden hat. In diesem Zusammenhang ist auf die Rechtsprechung in der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit hinzuweisen, nach der die Rechtzeitigkeit des Einspruchs von den Verwaltungsgerichten nicht mehr zu prüfen ist, wenn die zuständige Behörde über den Einspruch sachlich entschieden hat. Als Begründung wird hierzu ausgeführt, daß die Einhaltung der Einspruchsfrist einer verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung nur unterliegt, wenn der Einspruch unter Berufung auf die Versäumung der Frist zurückgewiesen worden ist; nur in diesem Falle kann die Fristversäumnis Gegenstand des Verwaltungsstreitverfahrens werden, weil sie lediglich unter diesen Umständen ein Teil der Gestalt des ursprünglichen Verwaltungsakts wird, die dieser durch den Einspruchsbescheid gefunden hat. Abweichendes würde nur dann gelten, wenn die Einhaltung der Einspruchsfrist als solche und ungeachtet der Bescheidung des Einspruchs eine Sachurteilsvoraussetzung wäre (vgl. OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in VerwRspr. Bd. 14, 1962 Nr. 169; OVG Münster in DÖV 1962 S. 115; Hess. VGH in DÖV 1962 S. 354 Nr. 113; a.A. Buri in DÖV 1962 S. 483 und 929; Hamann in DÖV 1962 S. 892). Zwar handelt es sich in diesen Fällen um die Versäumung der Einspruchsfrist, jedoch liegt es nahe, den in diesen Entscheidungen angestellten Erwägungen auch bei Formmängeln der Widerspruchschrift zu folgen.
Da das LSG im vorliegenden Falle den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 19. Dezember 1957 zu Unrecht als rechtsunwirksam angesehen hat, weil er lediglich mit einem Faksimilestempel mit dem Namenszug des Bevollmächtigten Otto R… versehen ist, hat es den § 84 SGG verletzt, wie der Kläger zutreffend mit der Revision gerügt hat. Die Revision ist somit begründet. Das angefochtene Urteil mußte aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden, da der Senat mangels tatsächlicher Feststellungen in der Sache selbst nicht entscheiden kann (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Unterschriften
Dr. Tesmer, Dr. Brocke, Sautter
Fundstellen