Verfahrensgang
SG Fulda (Urteil vom 25.10.1978) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Fulda vom 25. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Krankengeld für einen behinderten Versicherten.
Der an krankhaften Depressionen leidende Kläger war in den B. Werkstätten beschäftigt und aufgrund dessen nach dem Gesetz über die Sozialversicherung Behinderter vom 7. Mai 1975 – SVBG – (BGBl I 1061) bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Im September 1977 erhielt er von den B. Werkstätten für seine Tätigkeit ein Entgelt von 73,50 DM. Nach den mit der Revision nicht angefochtenen Feststellungen des Sozialgerichts (SG) war der Kläger in der Zeit vom 13. Oktober 1977 bis zum 2. April 1978 arbeitsunfähig erkrankt und nicht in der Lage, die Beschäftigung in den B. Werkstätten auszuüben.
Die Beklagte lehnte den Anspruch des Kläger auf Gewährung von Krankengeld für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit durch Bescheid vom 28. November 1977 ab. Sie war der Auffassung, daß die Zahlungen der B. Werkstätten an den Kläger nicht als Arbeitsentgelt anzusehen seien. Ihm stehe daher weder ein Anspruch auf Lohnfort Zahlung noch auf Gewährung von Krankengeld zu. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Auf die Klage des Versicherten hin hat das SG Fulda den angefochtenen Bescheid vom 28. November 1977 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger für den von ihm beanspruchten Zeitraum Krankengeld zu zahlen (Urteil vom 25. Oktober 1978): Der Kläger sei nach § 3 Abs. 1 Satz 2 SVBG den aufgrund einer entgeltlichen Beschäftigung Versicherten gleichgestellt, seine Versicherungspflicht entspreche der aus § 165 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 Reichsversicherungsordnung (RVO). Der Kläger habe aus diesem Grunde arbeitsunfähig werden können. Die Tatsache seiner Erwerbsunfähigkeit (EU) stehe dem nicht entgegen, zumal auch die Vorschrift des § 183 Abs. 4 RVO den Bezug von Krankengeld neben der Gewährung einer EU-Rente vorsehe. Die in dieser Regelung enthaltene zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs greife allerdings beim Kläger nicht ein, weil er nicht Rentenbezieher sei. Das SG hat die Revision gegen das Urteil zugelassen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit der Revision, der der Kläger zugestimmt hat. Sie hält § 3 Abs. 1 SVBG iVm § 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO für verletzt. Sie stützt sich auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Niedersachsen vom 22. September 1976 – 8 (6) Sa 728/76 –, in dem die Tätigkeit eines Behinderten in einer Behinderten-Werkstätte nicht als ein Arbeitsverhältnis angesprochen worden sei. Daraus folge, daß die ihm gezahlte Vergütung kein Arbeitsentgelt darstelle. Auf ein Beschäftigungsverhältnis in der Behinderten-Werkstätte könnten die Begriffe Arbeitsfähigkeit und Arbeitsunfähigkeit nicht angewendet werden, sein Zweck bestehe vielmehr in der Rehabilitation Behinderter. Dem Kläger könne kein Krankengeld gezahlt werden, weil er keinen Arbeitslohn erhalten habe und diese Leistung eine Lohnersatzfunktion erfülle. Die enge sachliche Verbindung, die zwischen der Versicherung Behinderter und der Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 2a RVO bestehe, müsse dazu führen, daß auch bei den Behinderten der Krankengeldanspruch wie in § 494 RVO ausgeschlossen werde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Fulda vom 25. Oktober 1978 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er stützt sich auf das angefochtene Urteil. Der Gesetzgeber habe die Behinderten durch die Vorschriften des SVBG den gegen Entgelt Beschäftigten gleichstellen wollen, auf das Vorliegen eines echten Arbeitsverhältnisses komme es daher nicht an.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet.
Dem behinderten Kläger steht – wie das SG zutreffend entschieden hat – ein Anspruch auf Krankengeld zu.
Der Kläger ist aufgrund seiner Beschäftigung in den B. Werkstätten bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Die Versicherungspflicht für diese Beschäftigung in der anerkannten Werkstätte für Behinderte folgt aus § 1 SVBG. Wesentlich für die Einbeziehung dieser Behinderten in den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung ist dabei allein die Tatsache ihrer Beschätigung in den anerkannten Behinderten-Werkstätten, ohne Bedeutung ist demgegenüber die Frage, ob und in welcher Form Arbeitsentgelt gezahlt wird. Diese Zielsetzung des SVBG hat in dem Entwurf des Gesetzes deutlich Ausdruck gefunden (Bundestags-Drucksache 7/1992 zu § 1 Buchst c Seite 13). Ihr entsprechen die Formulierungen des § 1 Abs. 1 SVBG, weil er die Versicherungspflicht lediglich an die Beschäftigung bindet, und die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 2 SVBG, der die behinderten Versicherten den aufgrund einer entgeltlichen Beschäftigung Versicherten gleichstellt. Die Auffassung der Beklagten, daß die Versicherung Behinderter nur bei Bezug von Arbeitsentgelt im Sinne des § 165 Abs. 2 RVO stattfinde, wird gerade durch die erwähnte Vorschrift des SVBG widerlegt, denn bei einer Beschäftigung gegen Entgelt würde die Versicherungspflicht des Behinderten bereits aus § 165 Abs. 1 Nr 1 oder 2 RVO iVm § 165 Abs. 2 RVO folgen, ohne daß es der besonderen Vorschrift des § 1 Abs. 1 SVBG und der Gleichstellung des § 3 Abs. 1 Satz 2 SVBG bedürfte. Die Beklagte verkennt die Bedeutung des Urteils des LAG Niedersachsen vom 22. September 1976, denn in dieser Entscheidung über den Lohnfortzahlungsanspruch eines Behinderten wird lediglich dargelegt, daß der Behinderte in einer Behinderten-Werkstätte nicht „Arbeitnehmer im Sinne des allgemeinen Arbeitsvertragsrechts” sei und auch nicht als solcher zu gelten habe. Diese arbeitsrechtliche Frage hat aber für den vorliegenden Rechtsstreit keine Bedeutung.
Schließlich läßt sich das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses auch nicht deshalb verneinen, weil dem Kläger nur ein außerordentlich geringfügiges Entgelt gezahlt worden ist. Wie der 12. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in Fortsetzung einer früheren ständigen Rechtsprechung entschieden hat, ist die Höbe des Entgelts grundsätzlich kein wesentliches Merkmal für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BSGE 46, 244, 246 = SozR 4100 § 168 Arbeitsförderungsgesetz Nr. 7; vgl. auch BSGE 16, 289, 292; SozR Nr. 14 zu § 539 RVO).
Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 SVBG finden auf die Versicherung nach diesem Gesetz die Vorschriften der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt. Aufgrund der durch die Pflichtversicherung begründeten Mitgliedschaft des Behinderten in der gesetzlichen Krankenversicherung stehen ihm alle Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 179 Abs. 1 und 2 RVO) zu. Der Ausschluß von Regelleistungen kann nur für die Fälle in Betracht gezogen werden, in denen das durch eine gesetzliche Grundlage gedeckt ist. Für den Ausschluß Behinderter vom Krankengeldbezug existiert keine gesetzliche Vorschrift, und schon deshalb ist der Anspruch des Klägers begründet. Die Beklagte vermag sich insbesondere nicht auf § 494 RVO zu stützen. Der in dieser Vorschrift vorgesehene Ausschluß des Krankengeldanspruchs betrifft nur die in § 165 Abs. 1 Nr. 2a RVO bezeichneten Versicherten sowie Auszubildende, die ohne Entgelt beschäftigt werden. Dabei handelt es sich jedoch um andere Personengruppen als die nach § 1 Abs. 1 SVBG Versicherten. Es wäre schlechthin unverständlich, wenn der Gesetzgeber – wie die Beklagte meint – die Behinderten nach § 1 SVBG in § 494 RVO nicht erwähnt, sie jedoch vom Krankengeldbezug hätte ausschließen wollen, denn diese Vorschrift ist gerade im Zusammenhang mit der Einführung des SVBG geändert worden. Auch in der Begründung des Gesetzentwurfs zu dieser Änderung ist davon nichts erwähnt (vgl. Bundestags-Drucksache 7/1992, Begründung zu Art. 2 Nr. 9 und 10, Seite 15).
Es besteht auch kein Anhalt dafür, anzunehmen, daß der Gesetzgeber des SVBG der Auffassung gewesen sei, den Behinderten nach § 1 Abs. 1 SVBG das Krankengeld als wesentliche Leistung der Krankenhilfe vorzuenthalten. Das SG hat im angefochtenen Urteil zutreffend darauf hingewiesen, daß der Entwurf des SVBG (vgl. aaO) mehrfach die Frage der Arbeitsunfähigkeit Behinderter erwähnt. Es wäre deshalb nicht verständlich, wenn gerade die auf diesen Zustand abstellende spezielle Versicherungsleistung für Behinderte wegfallen sollte, ohne daß im Gesetz darüber etwas gesagt würde.
Schließlich erweist sich auch der Hinweis der Beklagten auf die Entscheidung des Senats vom 14. Dezember 1976 (BSGE 43, 86) als verfehlt. In jener Entscheidung ist der Wegfall des Krankengeldes damit begründet worden, daß der Versicherte durch eine von ihm getroffene, allein in seinem Verantwortungsbereich liegende Vereinbarung mit dem Arbeitgeber den Wegfall des Arbeitsentgelts selbst herbeigeführt und damit auch seine eigene Beitragsleistung im Versicherungsverhältnis für einen bestimmten Zeitraum beseitigt hat. Schon um der Ausgewogenheit des Versicherungsverhältnisses willen mußte dieses Verhalten des Versicherten zum Wegfall des Krankengeldanspruchs führen, sofern nicht der Solidargemeinschaft der Versicherten der Ausgleich hätte zugemutet werden sollen. Beim vorliegenden Sachverhalt hingegen hat der Versicherte keinerlei freie Vereinbarungen getroffen, durch die sein Versicherungsverhältnis verändert wird; vielmehr führt hier die Beschäftigung des Versicherten gerade zur Zahlung von Beiträgen an die Krankenkasse. Der Gedanke der Ausgewogenheit des Versicherungsverhältnisses könnte im vorliegenden Falle lediglich zu dem Schluß führen, daß dem Behinderten Krankengeld zu zahlen ist, denn für ihn wird ein Versicherungsbeitrag gezahlt – gemäß § 4 SVBG sogar von einem fiktiven Arbeitsentgelt, das höher ist als das tatsächlich erzielte –, und es ist kein Grund ersichtlich, warum, die Krankenkasse als Äquivalent für die volle Beitragsentrichtung Krankenhilfe nur in beschränktem Umfang erbringen sollte. Die Frage, ob der Behinderte den Versicherungsbeitrag aus eigenen Mitteln aufbringt oder ob andere Stellen für ihn eintreten (vgl. §§ 5, 10 SVBG), ist für den Träger der Krankenversicherung ohne Bedeutung, weil es sich insoweit um besondere soziale Begünstigungen für den Behinderten handelt, die die Krankenkasse wirtschaftlich nicht berühren.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Krankengeld für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit ist demnach begründet. Da die Beteiligten nur über den Anspruch dem Grunde nach streiten (§ 130 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–) und das SG diesem Anspruch zutreffend stattgegeben hat, war die Revision der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen