Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Versorgung. Ausschluß von Nichtärzten
Leitsatz (amtlich)
Nimmt ein Versicherter zur Legasthenie-Behandlung seines Kindes ein nicht unter ärztlicher Leitung stehendes pädagogisch-psychologisches Institut privat in Anspruch, so wird dadurch keine Leistungspflicht der gesetzlichen KV begründet (Ergänzung zu BSG 1979-07-10 3 RK 21/78).
Leitsatz (redaktionell)
1. Legasthenie ist keine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne.
2. Hilfeleistungen nichtärztlicher Psychologen iS des RVO § 122 Abs 1 S 2 können nur dann als ärztliche Behandlung angesehen werden, wenn sie ein approbierter Arzt anordnet; die anordnende Tätigkeit des Arztes darf sich dabei nicht auf eine bloße Verordnung der Drittleistungen beschränken, sondern erfordert wegen der mit jeder Behandlungsmaßnahme verbundenen Risiken je nach Lage des Falles eine mehr oder weniger intensive persönliche Anleitung oder Beaufsichtigung der Hilfsperson.
Orientierungssatz
Die ärztliche Behandlung ist Kernbestandteil der kassenärztlichen Versorgung. Sie kann nicht isoliert als Einzelleistung gesehen werden, die beliebig durch Maßnahmen anderer Personen ersetzbar wäre. Sie ist Teil eines ausgewogenen, von der Sache her begründeten medizinischen Systems, dem die Versorgung des überwiegenden Teils der gesamten Bevölkerung obliegt. Der Ausschluß von "Nichtärzten" von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen (vergleiche BSG vom 1979-03-01 6 RKa 13/77 = DOK 1979, 413).
Dem steht nicht entgegen, daß in Ausnahmefällen Nichtärzte wie Psychotherapeuten oder Psychagogen an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt werden können.
Normenkette
RVO § 122 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1924-12-15, § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Fassung: 1974-08-07, § 188 Abs. 1 Fassung: 1969-07-27, § 507 Abs. 1 Fassung: 1969-07-27, § 368 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1972-08-10
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Mai 1978 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die Kosten zu erstatten, die dieser für die Teilnahme seines Sohnes Andreas an pädagogisch-psychologischen Kursen aufgewendet hat.
Der Kläger ist familienhilfeberechtigtes Mitglied der Beklagten. Bei seinem 1964 geborenen Sohn Andreas trat, vorwiegend in der zweiten und dritten Grundschulklasse, eine Lese- und Rechtschreibeschwäche in Erscheinung, die von der behandelnden Fachärztin für Säuglings- und Kinderkrankheiten, Frau Dr. Sch als Legasthenie diagnostiziert wurde. In einer vom 25. Januar 1974 datierten ärztlichen Bescheinigung erachtete die Ärztin die zur Behebung der Legasthenie in einem pädagogisch-psychologischen Institut durchgeführte Behandlung für erfolgreich und hielt die Teilnahme an weiteren Kursen für dringend erforderlich, um einer Neurotisierung des Kindes vorzubeugen.
Mit Schreiben vom 30. Januar 1974 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Legasthenie-Behandlung durch das nicht unter ärztlicher Leitung stehende "Pädagogisch-psychologische Institut .... Die Beklagte verwies den Kläger zunächst an die Schulverwaltung, die Kurse für Legastheniker durchführe. Nachdem die Teilnahme an einem derartigen Förderkurs zunächst nicht möglich war, wiederholte der Kläger am 15. Juni 1974 seinen Antrag unter Hinweis auf ein Kostenübernahmeersuchen des Instituts vom 11. Juni 1974, in dem 60 Behandlungsstunden für erforderlich gehalten wurden. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 14. August 1974 und Widerspruchsbescheid vom 31. Dezember 1974 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, daß die Legasthenie-Behandlung in dem Institut ... nicht zum Bereich der Krankenpflege, und zwar weder im Sinne ihrer Versicherungsbedingungen noch im Sinne der Reichsversicherungsordnung (RVO), gerechnet werden könne. Aus verschiedenen Erlassen der Kultusminister der Länder, die die Einrichtung spezieller Förderkurse für Kinder mit Lese- und Rechtschreibeschwächen zum Gegenstand hätten, sei zu ersehen, daß die Beseitigung solcher Leistungsschwächen in erster Linie in den schulischen Bereich gehöre. Nur wenn neben der Legasthenie eine neurotische Fehlhaltung bestehe und deshalb eine gezielte Behandlung durch entsprechend ausgebildete medizinische Fachkräfte notwendig erscheine, komme eine Mitbeteiligung der Krankenkasse in Frage.
Mit seiner hiergegen vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg erhobenen Klage beantragte der Kläger die Aufhebung der ablehnenden Bescheide sowie die Verurteilung der Beklagten, ihm die durch die Legasthenie-Behandlung entstandenen Kosten in Höhe von 1.631,- DM nebst 4 % Zinsen zu ersetzen. Das SG hat die Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens durch Urteil vom 24. Juni 1976 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei der durch die Legasthenie hervorgerufenen neurotischen Fehlhaltung des Kindes habe es sich zwar um eine behandlungsbedürftige Krankheit gehandelt, doch sei keine Behandlung, die die Beklagte schulde, durchgeführt worden; diese sei nur verpflichtet, ärztliche Behandlung zu erbringen. Die ärztliche Behandlung könne nach § 122 RVO nur durch approbierte Ärzte geleistet werden und umfasse Hilfeleistungen anderer Personen nur dann, wenn sie unter Anleitung oder Überwachung des Arztes zur Behandlung hinzugezogen würden. Das Institut ... habe jedoch den Sohn des Klägers durch einen Psychologen alleinverantwortlich ohne Einschaltung eines Arztes behandelt.
Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen zurückgewiesen (Urteil vom 11. Mai 1978): Das SG habe zutreffend entschieden, daß die vom Institut durchgeführten Maßnahmen nicht zu den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten. Es könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei der Legasthenie auch unter Berücksichtigung der Sekundärfolgen um eine Krankheit im Sinne der RVO gehandelt habe, da der Anspruch des Klägers jedenfalls daran scheitere, daß wegen dieser Leistungsschwäche keine ärztliche Behandlung stattgefunden habe. Fehle es, wie im vorliegenden Falle, bei der von einem Psychologen vorgenommenen Maßnahme an jeglicher Anleitung oder Überwachung durch einen Arzt, so könne von ärztlicher Behandlung im Sinne des § 122 RVO keine Rede sein. Hier habe die Ärztin Dr. S die Behandlung im Institut ... allenfalls verordnet, wenn nicht überhaupt nur empfohlen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die zugelassene Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe die Anforderungen verkannt, die an die anleitende oder überwachende Tätigkeit des Arztes zu stellen seien. Die Voraussetzungen des § 122 Abs 1 Satz 2 müßten auch dann als erfüllt angesehen werden, wenn die Hilfsperson eigenverantwortlich tätig sei, lediglich auf Empfehlung des Arztes behandele und sich die Überwachung der Behandlung in der Kontrolle des Arztes über den Erfolg oder Mißerfolg der Maßnahmen erschöpfe. Eine mittelbare Überwachung der nichtärztlichen Hilfspersonen in Form einer begleitenden oder nachträglichen Erfolgskontrolle reiche jedenfalls dann aus, wenn der anleitende oder überwachende Arzt nicht über die speziellen Fachkenntnisse verfüge, die - wie im vorliegenden Fall - allein der die Legasthenie-Behandlung vornehmende Psychologe besitze. Etwas anderes könne nur dann gelten, wenn der behandelnde Arzt den Patienten durch eine "Überweisung" an den Nichtarzt völlig aus seiner Behandlung entlasse. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen. Aus den ärztlichen Bescheinigungen ergebe sich vielmehr, daß Frau Dr. ... die Wirkungen der psychologischen Maßnahmen auf den Sohn des Klägers beobachtet habe. Bei dieser Rechtsauffassung sei der Anspruch des Klägers begründet. Wenn durch das Vorhandensein der Legasthenie ernsthafte psychosomatische Sekundärfolgen ausgelöst worden seien, die ihrerseits eine Krankheit im Sinne der RVO darstellten, so dürfe zwischen Ursache und Wirkung nicht unterschieden werden. In derartigen Fällen sei die Beklagte vielmehr verpflichtet, die Legasthenie zu bekämpfen, ungeachtet der Frage, ob sie als Krankheit anzusehen sei oder nicht.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG vom 11. Mai 1978 und des SG vom 24. Juni 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 1.631,- DM nebst 4 % Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Das LSG habe überzeugend dargelegt, daß die anordnende Tätigkeit des Arztes im Sinne des § 122 Abs 1 Satz 2 RVO eine mehr oder weniger intensive persönliche Anleitung oder Beaufsichtigung der Hilfsperson einschließen müsse. Nur wenn der Arzt in dieser Weise verantwortlich mitwirke, gehöre die Hilfeleistung des Dritten noch zur ärztlichen Behandlung nach den Regeln der ärztlichen Kunst, auf die der Versicherte Anspruch habe. Bei der Behandlung im Institut ... habe es sich aber um eine eigenverantwortliche, selbständig ausgeübte Tätigkeit gehandelt, an der die Ärztin Dr. ... nicht mitgewirkt habe, zumal ihr die dazu erforderlichen Kenntnisse gefehlt hätten, wie die Revision selbst einräume. Die Tätigkeit des Psychologen im Institut ... sei auch nicht als Heilmittel anzusehen. Der Begriff des Heilmittels setze voraus, daß bei einer Heilmaßnahme zusätzlich zu persönlichen Dienstleistungen jedenfalls ein sächliches Mittel angewendet werde. Hier aber seien ausschließlich geistige Fähigkeiten eingesetzt worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Erstattungsanspruch des Klägers wäre nur dann begründet, wenn die Beklagte aus dem zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Versicherungsverhältnis verpflichtet gewesen wäre, die Legasthenie-Behandlung durch das Institut ... als Sachleistung zu erbringen. Eine derartige Verpflichtung bestand jedoch nicht.
Es bedarf im vorliegenden Rechtsstreit keiner Prüfung der Frage, inwieweit zu der Legasthenie des Kindes des Klägers, die nicht als Krankheit im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO anzusehen ist, wie der Senat bereits in dem Urteil vom 10. Juli 1979 - 3 RK 21/78 - entschieden hat, bei dem Kind psychosomatische Störungen vorgelegen haben, denen durchaus Krankheitswert zukommen könnte. Im Gegensatz zur Auffassung des Klägers reicht eine dadurch bedingte Behandlungsbedürftigkeit allein nicht aus, um jede "in mancher Hinsicht zweckmäßige" Behandlungsmaßnahme der Leistungspflicht der Beklagten zuzuordnen. Welche Behandlungsmaßnahmen die Beklagte zu gewähren hat und von wem sie durchzuführen sind, richtet sich vielmehr grundsätzlich nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten, wobei dem Kläger mindestens die Regelleistungen zustehen (§ 507 Abs 1 RVO). Nach § 20 Abs 1 und 7 der maßgeblichen Versicherungsbedingungen vom 1. Januar 1971 haben Mitglieder für unterhaltsberechtigte Kinder Anspruch auf Krankenpflege nach den Bestimmungen der §§ 12 bis 14. Nach diesen Vorschriften gewährt die Kasse ärztliche und zahnärztliche Behandlung sowie Arznei-, Verband- und Heilmittel. Den Mitgliedern steht ärztliche Behandlung im Rahmen der für die Kasse verbindlichen Arztverträge zu, wobei die Wahl unter den Vertragsärzten freigestellt ist (§ 12 Abs 1), Für die Inanspruchnahme vertragsärztlicher Behandlung ist ein Krankenschein erforderlich (§ 12 Abs 2). § 5 Abs 1 des für die Ersatzkasse verbindlichen Arzt/Ersatzkassenvertrages vom 20. Juli 1963 - AEV - bestimmt, daß die ärztliche Versorgung der Anspruchsberechtigten durch die gemäß § 6 AEV beteiligten Vertragsärzte durchgeführt wird. § 5 Abs 3 Satz 1 AEV schreibt schließlich vor, daß die Vertragskassen Nichtärzte, Nichtvertragsärzte usw weder vertraglich noch auf andere Weise an der Versorgung ihrer Mitglieder für selbständig untersuchende, beratende und behandelnde Tätigkeiten beteiligen werden.
Diese für die Beklagte maßgebenden Leistungsbedingungen stehen im Einklang mit den Vorschriften der RVO über die Verpflichtung der Krankenkassen zur Gewährung ärztlicher Behandlung. Denn sowohl § 182 Abs 1 Nr 1 RVO in der bis zum 30. September 1974 gültig gewesenen Fassung als auch § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO in der seitdem gültigen Fassung (Änderung durch § 21 Nr 5 Buchst a des Gesetzes vom 7. August 1974 - BGBl I, 1881 -) sehen für diese Leistung der Krankenpflege nur die Gewährung als Sachleistung vor, und § 188 RVO ordnet übereinstimmend damit an, daß der Versicherte für die Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung einen Krankenschein zu lösen hat. Der Kläger hat sich bei der ärztlichen Behandlung seines Kindes durch die Kinderärztin Dr. ... an diese Regelungen gehalten. Die Legasthenie-Behandlung durch den Psychologen Dr. ... im Institut ... hat der Kläger hingegen aufgrund eigener Entschließung als privat zu honorierende Leistung in Anspruch genommen. Schon das spricht gegen die Forderung des Klägers. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß einem Versicherten keine Kostenerstattung zusteht, wenn er einen Arzt privat, also außerhalb der kassenärztlichen oder vertragsärztlichen Verpflichtungen in Anspruch nimmt (BSGE 44, 41ff; Urteil vom 19. Dezember 1978 - 3 RK 34/78 -; Urteil vom 24. April 1979 - 3 RK 32/78 -). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.
Indes könnte die Forderung des Klägers dennoch berechtigt sein, wenn ihm die Beklagte die Sachleistung zu Unrecht verweigert und ihn dadurch gezwungen hätte, sie sich auf eigene Kosten zu beschaffen. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Erörterung der Frage, in welchem Umfang in Notfällen ärztliche Hilfe außerhalb des durch das Gesetz bzw. die Versicherungsbedingungen vorgeschriebenen Weges in Anspruch genommen werden kann, denn auch bei einer Notfallversorgung darf ärztliche Behandlung nur durch einen approbierten Arzt geleistet werden (§ 368d Abs 1 Satz 2 iVm § 122 Abs 1 Satz 1 RVO; vgl BSGE 19, 270, 272 f; 34, 172; 44, 41, 43). Im vorliegenden Rechtsstreit steht jedoch nicht die Behandlungsmaßnahme eines Arztes in Rede, sondern es geht um die Behandlung in einem pädagogisch-psychologischen Institut durch einen Psychologen, der nicht als Arzt approbiert ist. Derartige Maßnahmen können in keinem Fall als "ärztliche Behandlung" im Sinne des § 122 Abs 1 RVO angesehen werden.
Der Gesetzgeber hat die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung der Versicherten und ihrer Angehörigen aus wohlerwogenen und sachlich fundierten Gründen den Ärzten und Krankenkassen als gemeinsame Aufgabe anvertraut (§ 368 Abs 1 Satz 1 RVO). Kernbestandteil der kassenärztlichen Versorgung ist die ärztliche Behandlung (vgl § 368 Abs 2 Satz 1 RVO). Der Senat hat bereits in dem Urteil vom 18. September 1973 (BSGE 36, 146) dargelegt, daß sich das Maß der Mitwirkung von Kassenärzten an den in § 368 Abs 2 RVO genannten Maßnahmen der ambulanten kassenärztlichen Versorgung danach richtet, inwieweit der Natur der Sache nach ärztliche Betreuung erforderlich ist; der Senat hat weiter betont, daß die ärztliche Behandlung zu dem Teil der Versorgung gehört, der ganz in der Hand des Kassenarztes liegt (aaO S. 149). Soweit ärztliche Sachkunde erforderlich ist, bleibt die kassenärztliche Versorgung grundsätzlich den Kassenärzten vorbehalten. Der Senat sieht keine Veranlassung, von dieser durch das Gesetz vorgeschriebenen Auffassung abzuweichen. Die ärztliche Versorgung der Mitglieder der sozialen Krankenversicherung kann als Aufgabe von Verfassungsrang (vgl Urteil des Senats vom 16. November 1978 - 3 RK 29/76 - in NJW 1979, 1059 = BSGE 47, 148, 153) nur dann sachgerecht durchgeführt werden, wenn sie die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft zur Grundlage nimmt. Diesem Erfordernis wird durch die Heranziehung von Kassenärzten Rechnung getragen. Bei ihnen ist aufgrund ihrer medizinischen Ausbildung, der Ablegung von Staatsprüfungen, der Approbation und der Zulassung zur kassenärztlichen Tätigkeit ausreichende Gewähr für das Bestehen der erforderlichen Sachkunde gegeben. Als Mitglieder der zuständigen kassenärztlichen Vereinigung (§ 368k Abs 4 RVO) stehen sie im Hinblick auf die gesetz- und vertragsmäßige Durchführung ihrer kassenärztlichen Tätigkeit unter der Überwachung der Kassenärztlichen Vereinigung - KÄV - (§ 368n Abs 4 RVO) und im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit der Versorgung unter der Überwachung von Organen der gemeinschaftlichen Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen (§ 368n Abs 5 RVO), und die KÄVen sorgen Kraft gesetzlicher Verpflichtung für die Fortbildung der Kassenärzte (§ 368m Abs 5 RVO). Die Kassenärzte unterliegen bei der Erfüllung ihrer kassenärztlichen Pflichten einer disziplinaren Ordnung (vgl § 368m Abs 4 RVO), und bei gröblicher Pflichtverletzung kann ihnen die Zulassung und damit der Zugang zu den Versicherten entzogen werden (§ 368a Abs 6 RVO). Alle diese Regelungen machen deutlich, daß die ärztliche Behandlung der Kernbestandteil der kassenärztlichen Versorgung ist und nicht isoliert als Einzelleistung gesehen werden kann, die beliebig durch Maßnahmen anderer Personen ersetzbar wäre. Sie ist Teil eines ausgewogenen, von der Sache her begründeten medizinischen Systems, dem die Versorgung des überwiegenden Teils der gesamten Bevölkerung obliegt. Der Ausschluß von "Nichtärzten" von der selbständigen Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung dient dem Schutz wichtiger öffentlicher Interessen (vgl auch BSG, Urteil vom 1. März 1979 - 6 RKa 13/77 -). Schon aus diesen Gründen ist es nicht zulässig, die Legasthenie-Behandlung durch einen nicht ärztlich vorgebildeten Psychologen der Beklagten als Leistungsverpflichtung aufzugeben.
Dem steht nicht entgegen, daß in Ausnahmefällen Nichtärzte wie Psychotherapeuten oder Psychagogen an der kassenärztlichen Versorgung beteiligt werden können. Insbesondere kann sich der Kläger für sein Begehren nicht auf die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie in der kassenärztlichen Versorgung berufen. Sowohl die Richtlinien in der zur Zeit des Leistungsbegehrens maßgeblichen Fassung vom 3. Mai 1967 - Psychotherapie-Richtlinien - (Bundesanzeiger Nr 180 vom 23.9.1967) als auch die zur Zeit geltenden Richtlinien vom 27. Januar 1976 (Bundesanzeiger Nr 76 vom 22.4.1976) regeln nur die psychotherapeutische Behandlung im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung und beruhen zudem auf der ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung in § 368p Abs 1 RVO. Soweit die Richtlinien eine ärztliche Behandlung vorsehen, liegt diese in der alleinigen Verantwortung des zur Ausübung der Psychotherapie berechtigten Kassenarztes. Zwar erlaubt es die aufgrund der Psychotherapie-Richtlinien als Bestandteil des Bundesmantelvertrags-Ärzte (BMV-Ä) getroffene Psychotherapie-Vereinbarung vom 10. Januar 1972 (abgedruckt in DOK 1972, 527) ebenso wie die jetzt geltende Psychotherapie-Vereinbarung vom 11. Juni 1976 (abgedruckt in BKK 1976, 211), daß der Kassenarzt zur Behandlung auch einen nicht-ärztlichen Psychotherapeuten oder Psychagogen mit hinzuzieht (§ 3 Abs 1 Satz 1 der Vereinbarung), jedoch handelt es sich dabei nur um eine Mitwirkung im Rahmen der ärztlichen Behandlung, die unter der überwachenden Beobachtung des Kassenarztes stattfindet und von ihm zu verantworten ist. Sie hält sich demgemäß in dem Rahmen, den das Gesetz in § 122 Abs 1 RVO für die Beteiligung anderer Personen an der ärztlichen Behandlung zur Verfügung stellt (vgl dazu Meydam in BKK 1978, 331, 334; Schirmer in BKK 1978, 195, 200). In jedem Falle ist auch nach den Vorschriften der Psychotherapie-Richtlinien der Arzt verpflichtet, die Indikation selbst zu stellen und er muß auch die ersten wesentlichen Behandlungsleistungen selbst erbringen. In keinem Fall ist es zulässig, den Kernbereich der ärztlichen Versorgung einem Nichtarzt zu übertragen.
Der Kläger vermag sich zur Begründung seiner Forderung auch nicht auf die Entscheidung des Senats vom 9. August 1974 (BSGE 38, 73) zu berufen. In jedem Rechtsstreit ging es um die selbständige Erbringung von technischen Sachleistungen durch eine medizinisch-technische Assistentin, wie insbesondere die Durchführung von Laboratoriumsuntersuchungen, im vorliegenden Fall hingegen stehen persönliche Behandlungsmaßnahmen im Streit. Schon dieser Unterschied ist so wesentlich, daß er einen Vergleich ausschließt. Weiterhin sollten in jenem Streitfall die technischen Leistungen von der medizinisch-technischen Assistentin im Rahmen der kassenärztlichen Versorgung erbracht werden, der Auftrag zur Leistung sollte vom behandelnden Kassenarzt erteilt, das Ergebnis der Untersuchungen ihm mitgeteilt werden und die Abrechnung der Tätigkeit wäre durch die Kassenärztliche Vereinigung erfolgt und hätte somit auch deren Überwachung unterlegen. Es handelte sich mithin um Leistungen, die der Unterstützung des Arztes dienten und eng in die kassenärztliche Versorgung eingebettet sein sollten. Im vorliegenden Rechtsstreit hingegen stehen eigenverantwortliche Behandlungsmaßnahmen im Streit, die unabhängig von der medizinischen Versorgung sind und die häufig sogar an die Stelle ärztlicher Maßnahmen treten sollen.
Die Legasthenie-Behandlung im Institut ... kann auch nicht als "Hilfeleistung anderer Personen" im Sinne des § 122 Abs 1 Satz 2 RVO einer ärztlichen Behandlung zugerechnet werden. Dem steht entgegen, daß solche Hilfeleistungen der ärztlichen Behandlung nur dann zurechenbar sind, wenn der Arzt sie ausdrücklich anordnet. An einer solchen Anordnung fehlt es hier. Die Kinderärztin Dr. ... hat die Teilnahme an weiteren Kursen zwar für erforderlich gehalten, sie hat damit aber nur zur Zweckmäßigkeit der vom Institut vorgeschlagenen Behandlungsreihe Stellung genommen. Des weiteren können die Hilfeleistungen anderer Personen der ärztlichen Behandlung nur zugerechnet werden, wenn der Arzt bei ihrer Durchführung selbst anleitend, mitwirkend oder beaufsichtigend tätig wird (BSG SozR Nr 1 zu § 122 RVO). Dabei darf die anordnende Tätigkeit des Arztes sich nicht auf eine bloße Verordnung oder Empfehlung der Drittleistung beschränken, sondern muß je nach Lage des Falles eine mehr oder weniger persönliche Anleitung bzw Beaufsichtigung der Hilfsperson einschließen (BSGE 29, 27, 29). Diesen Anforderungen wird eine lediglich nachträglich durchgeführte Nützlichkeits- oder Erfolgskontrolle nicht gerecht.
Schließlich kann die Legasthenie-Behandlung im Institut G. auch nicht als Heilmittel im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO angesehen werden. Selbst wenn die Ärztin Dr. ... die Behandlungsmaßnahmen "verordnet" haben sollte, könnte von einem Heilmittel allenfalls dann gesprochen werden, wenn zusätzlich zu den Dienstleistungen ein sächliches Mittel angewendet wird. Der Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 18. Mai 1976 (BSGE 42, 16, 17) ausgeführt, daß Maßnahmen, die praktisch ausschließlich den Einsatz geistiger Fähigkeiten erfordern, ihrer Art nach einer Behandlung näher stehen als die Anwendung eines Heilmittels. Weiterhin hat der Senat aber die in jenem Rechtsstreit fraglichen Maßnahmen deshalb nicht als Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung werten können, weil sie nicht als medizinische Maßnahmen zur Bekämpfung einer Krankheit eingesetzt worden waren (BSGE 42, 16, 18). Die gleichen Erwägungen gelten auch für den vorliegenden Rechtsstreit. Bei den vom Institut ... durchgeführten Maßnahmen der Legasthenie-Behandlung handelt es sich um solche pädagogisch-psychologischer Art, und sie sind auch nicht zur Bekämpfung einer Krankheit, sondern zur Behebung der Legasthenie eingesetzt worden. Die Legasthenie ist jedoch nicht als eine Krankheit im Sinne des § 182 Abs 1 Nr 1 RVO anzusehen, wie der Senat bereits in dem Urteil vom 10. Juli 1979 - 3 RK 21/78 - (zur Veröffentlichung bestimmt) entschieden hat. Es bedarf in diesem Zusammenhang keiner Erörterung der Frage, ob zur Behandlung möglicher darüber hinaus bestehender psychosomatischer Störungen des Kindes auch medizinische Maßnahmen erforderlich waren, weil die vom Kläger am 15. Juni 1974 beantragte Leistung sich auf die Behandlung der Lese- und Rechtschreibschwäche des Kindes bezog.
Die vom Institut ... gegebene Begründung, die Behandlung diene dazu "der Entwicklung einer neurotischen Verhaltenssymptomatik vorzubeugen", vermag ebenfalls keine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung zu begründen, weil Krankheitsvorbeugungsmaßnahmen nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers nur im Umfange des § 181 RVO von den Krankenkassen zu erbringen sind und eine Erweiterung dieses Leistungsrahmens gemäß § 181a RVO nur durch Erlaß einer Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen kann. Damit ist nicht gesagt, daß zur Gewährung von Krankenhilfeleistungen in jedem Falle gewartet werden müßte, bis die Krankheit in vollem Umfang eingetreten ist. Selbst wenn ein früheres Eingreifen bessere und weniger aufwendige Behandlungsmöglichkeiten bieten würde, muß zumindest die ernste Gefahr der Erkrankung bestehen. In jedem Fall muß aber auch bei frühzeitigem Eingreifen die medizinisches Fachwissen erfordernde Behandlung durch Ärzte erfolgen, wie bereits dargelegt worden ist.
Zusammenfassend ergibt sich somit, daß der Anspruch des Klägers weder nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten noch nach den Vorschriften der RVO begründet ist. Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
Haufe-Index 518653 |
Breith. 1980, 349 |