Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 23.11.1993; Aktenzeichen L 3 Eg 15/93)

 

Tenor

Die Revision des beklagten Landes gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. November 1993 wird zurückgewiesen.

Das beklagte Land hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt ungemindertes Kindergeld für den Zeitraum von Dezember 1988 bis Dezember 1990.

Er erklärte unter dem 7. Februar 1989 gegenüber dem beklagten Land auf dessen Formular „Ergänzungsblatt 4 zur Prüfung der Höhe des einkommensabhängigen Kindergeldes für das Leistungsjahr 1988” durch Ankreuzen des entsprechenden Kästchens als zutreffend:

„Hiermit erkläre ich als Kindergeldbezieher folgendes:

Ich beanspruche bis auf weiteres nur den Sockelbetrag des Kindergeldes (monatlich 70,00 DM für das zweite Kind, 140,00 DM für das dritte und jedes weitere Kind).

Wenn ich ein höheres Kindergeld beanspruche, werde ich mich wieder an die Besoldungs-/Vergütungs-/Lohnstelle wenden.”

Diese Erklärung unterschrieb er. Entsprechend verfuhr er auf dem „Ergänzungsblatt 4 … für das Leistungsjahr 1989”; die fragliche Rubrik enthielt jedoch dort folgende zusätzliche Ausführungen:

„Mir ist bekannt, daß eine rückwirkende Zahlung längstens für die letzten sechs Monate vor dem Monat zulässig ist, in dem das höhere Kindergeld beansprucht wird.

Es empfiehlt sich, hier anzukreuzen, wenn das Einkommen so hoch ist, daß Kindergeld nur in Höhe des Sockelbetrages in Betracht kommt oder wenn Sie aus anderen Gründen keine Angabe machen können.”

Unterhalb der anschließenden, für Ort, Datum und Unterschrift vorgesehenen Spalte, die der Kläger ebenfalls ausgefüllt hat, finden sich – in beiden Formularen – noch folgende Angaben:

„Die maßgeblichen Einkommensgrenzen ergeben sich aus Abschnitt IV des Merkblatts über Kindergeld. Gründe für eine Erhöhung des geminderten Kindergeldes: zB Verschlechterung der Einkommensverhältnisse, Geburt eines weiteren Kindes, Änderung des Familienstandes.”

sowie (hervorgehoben):

„Nach Abgabe dieser Erklärung brauchen Sie den Vordruck nicht weiter auszufüllen!”

Entsprechend hat der Kläger die weiteren Rubriken beider Formulare (Angaben zum Familienstand sowie für die Berechnungsjahre 1986 bzw 1987 Angaben zur Einkommensteuererklärung, zum Steuerbescheid, zu den Einkünften usw) nicht ausgefüllt.

Unter dem 18. Juli 1991 legte der Kläger seine Einkommensteuerbescheide für 1987 (vom 31. März 1989) sowie 1988 (vom 18. Februar 1991) vor und bat um Nachzahlung des Kindergeldes ab Dezember 1988. Diesen Antrag lehnte das beklagte Land hinsichtlich der Leistungsjahre 1988 bis 1990 unter Hinweis auf die insoweit abgelaufene 6-Monats-Frist nach § 9 Abs 2 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) ab (Bescheid vom 16. August 1991; Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1992).

Das Sozialgericht (SG) hob die angefochtenen Bescheide auf und verurteilte das beklagte Land, dem Kläger die Differenz zwischen dem Sockelbetrag und dem vollen Kindergeld für die Zeit von Dezember 1988 bis Dezember 1990 nachzuzahlen (Urteil vom 10. Juni 1993). Die Berufung des beklagten Landes hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat sich zur Begründung seines Urteils (vom 23. November 1993) auf seine Rechtsprechung (Urteil vom 4. November 1986, Breithaupt 1987, 307) bezogen, wonach die Wahl des Sockelbetrages keinen Verzicht auf einen Teil des Kindergeldanspruchs iS des § 46 Abs 1 1. Halbsatz des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) darstelle. Dies gelte auch, wenn dem Kläger seine Einkommensverhältnisse im Zeitpunkt der Erklärung bereits bekannt gewesen seien. Den den Sockelbetrag überschreitenden Teil seines Kindergeldanspruches habe der Kläger auch noch nachträglich geltend machen können; für eine entsprechende Anwendung des § 9 Abs 2 BKGG sei insoweit kein Raum.

Mit der Revision rügt das beklagte Land sinngemäß eine Verletzung des § 9 Abs 2 BKGG. In der streitbefangenen Erklärung des Klägers vom 7. Februar 1989 sei eine Einschränkung des Kindergeldantrages auf die Sockelbeträge zu sehen. Dies gelte insbesondere auch deshalb, weil der Kläger mit seiner Erklärung zur Kenntnis genommen habe, daß die zuständige Stelle bei einer etwaigen späteren Beanspruchung höheren Kindergeldes eine rückwirkende Zahlung nur für die letzten sechs davorliegenden Monate für zulässig halte. Folge man der Auffassung des LSG, hätte die Sockelbetragswahl die Funktion einer Aussetzung des Verfahrens über den eigentlich entscheidungsreifen Antrag auf unbestimmte Zeit und würde dem Berechtigten die Möglichkeit eröffnen, nach Belieben die Wiederaufnahme des Verwaltungsverfahrens über diesen Teil des Kindergeldanspruchs zu verlangen. Ob der Berechtigte seinen Anspruch auf den Sockelbetrag des Kindergeldes einschränken wolle, könne er frei entscheiden. Wer unsicher sei, könne sein Einkommen nachweisen und eine Verwaltungsentscheidung über die Höhe des Kindergeldanspruchs herbeiführen. Wolle er dies nicht – zB wegen der damit notwendigerweise verbundenen Offenlegung seines Einkommens und desjenigen seines Ehegatten und der daraus abzuleitenden weiteren persönlichen Verhältnisse – müsse er selbst prüfen, ob dadurch Anspruchsverluste eintreten könnten und ob er diese in Kauf nehmen wolle. Die Verantwortung für diese Entscheidung müsse er dann aber einschließlich des Irrtumsrisikos in dem durch § 9 Abs 2 BKGG geregelten Umfang selbst tragen. Auch eine irrtümliche Sockelbetragswahl bewirke eine Einschränkung des Antrags mit der Folge, daß die über die Sockelbeträge hinausgehenden Kindergeldbeträge seinerzeit nicht bewilligt werden hätten können und später hätten neu beantragt werden müssen. Auf den neuen Antrag sei § 9 Abs 2 BKGG anzuwenden.

Das beklagte Land beantragt sinngemäß,

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 23. November 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er trägt vor, die im Formular für 1989 aufgeführte Ausschlußfrist sei ihm nicht bewußt geworden, da er dieses, ohne es genauer zu studieren, zusammen mit dem Formblatt für 1988 unterzeichnet habe.

Auf Anfrage des Senats hat das beklagte Land vorgetragen, die zitierte Formulierung im „Ergänzungsblatt 4 … für das Leistungsjahr 1989” sei nur in Niedersachsen verwendet worden; von den übrigen Bundesländern hätten für 1989 lediglich Hamburg und das Saarland Hinweise auf § 9 Abs 2 BKGG in die entsprechenden Erklärungstexte aufgenommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des beklagten Landes ist zulässig, jedoch unbegründet.

Entgegen der in der Revision vertretenen Ansicht hat der Kläger einen Anspruch auf das ihm nach § 10 Abs 1 und 2 iVm § 11 Abs 1 BKGG zustehende Kindergeld für den streitigen Zeitraum. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der von ihm am 7. Februar 1989 abgegebenen Erklärungen auf den Vordrucken „Ergänzungsblatt 4” für die Leistungsjahre 1988 und 1989. Denn in diesen Erklärungen kann ein Verzicht (§ 46 Abs 1 SGB I) auf das den Sockelbetrag überschreitende Kindergeld nicht gesehen werden (1); dann aber verbietet sich auch eine Wertung dieser Erklärung als teilweise Rücknahme des Antrags auf Kindergeld mit der Folge, daß bei einem Neuantrag die 6-Monats-Frist des § 9 Abs 2 BKGG zugrunde zu legen wäre (2).

(zu 1) Den geltend gemachten Anspruch auf ein den Sockelbetrag nach § 10 Abs 2 Satz 1 BKGG überschreitendes Kindergeld für den streitigen Zeitraum hat der Kläger nicht bereits durch Verzicht (§ 46 Abs 1 SGB I) verloren. Seine Eintragungen vom 7. Februar 1989 – sowohl auf dem „Ergänzungsblatt 4” für das Leistungsjahr 1988 als auch auf dem Formular für 1989 – enthalten keine entsprechende Erklärung.

Dabei kann offenbleiben, inwieweit es sich hier um „typische Erklärungen” handelt, deren Auslegung vom Senat uneingeschränkt überprüft werden kann (BSG vom 17. Mai 1988, BSGE 63, 167, 171 = SozR 5870 § 10 Nr 9 mwN) oder ob individuelle Erklärungen vorliegen, deren Auslegung nur einer eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung zugänglich ist (s hierzu BSG vom 27. September 1994 – 10 RAr 1/93). Denn der Senat legt die Erklärungen ebenso aus wie das LSG.

Wie der Senat bereits in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden hat (Urteil vom 17. Mai 1988, BSGE 63, 167, 172 = SozR 5870 § 10 Nr 9), setzt die Annahme eines Verzichts voraus, daß sich aus der – formularmäßigen – Erklärung und den für sie typischen Begleitumständen klar und eindeutig der Verzichtswille ergeben muß. Diese Voraussetzung ist jedoch im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Für die Erklärung des Klägers im „Ergänzungsblatt 4” für das Jahr 1988 ergibt sich dies schon daraus, daß der Kläger dort eine Erklärungsalternative angekreuzt hatte, die derjenigen entspricht, über die der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. Mai 1988 zu entscheiden hatte. Hierzu hat der Senat aaO ausgeführt:

„Schon der Wortlaut der Erklärung … spricht gegen die Annahme eines Verzichtswillen des Erklärenden. Die Worte ‚Ich beanspruche bis auf weiteres nur den Sockelbetrag des Kindergeldes’ können im Hinblick auf den Normgehalt des § 11 Abs 3 BKGG – Fassung 1983 – nur dahingehend verstanden werden, daß der Erklärende zunächst nur die Zahlung des Sokelbetrages des Kindergeldes beanspruchen will, ohne den Anspruch auf den Differenzbetrag zum ungekürzten Kindergeld aufzugeben. Für diese Auslegung spricht auch der zweite Satz …: ‚Ich wende mich wieder an die Kindergeldkasse, wenn ich höhere Kindergeldbeträge beanspruche.’ Gerade im Hinblick darauf, daß nach der Regelung in § 11 Abs 3 BKGG – Fassung 1983 – über den Kindergeldanspruch erst nach Vorliegen der Steuerfestsetzung endgültig entschieden wird, läßt das Ankreuzen der Erklärung … nicht den Schluß zu, daß sie eindeutig den Verzichtswillen des Erklärenden zum Ausdruck bringt.”

Nichts anderes ergibt sich auch unter Berücksichtigung der zur Zeit der Erklärung des Klägers geltenden Fassung des § 11 Abs 3 BKGG (idF der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986 ≪BGBl I, 221≫). Denn beide Gesetzesfassungen unterscheiden sich lediglich durch die hinzugefügten Sätze 3 ff (mit der Möglichkeit, die Sockelbeträge übersteigendes Kindergeld für Dezember des vorigen Jahres bis zum Monat Juni des laufenden Jahres unter dem Vorbehalt der Rückforderung weiterzuzahlen). Diese waren auf den Kläger nicht anwendbar, da dieser erst ab Dezember 1988 Zweitkindergeld beanspruchen konnte.

Eine abweichende Beurteilung folgt auch nicht aus der im „Ergänzungsblatt 4” für das Leistungsjahr 1989 vorgenommenen Ergänzung des vom Kläger angekreuzten Textes. Insoweit kann man bereits daran zweifeln, ob der aus der ursprünglichen Fassung nicht herzuleitende Verzicht dadurch ersetzt werden kann, daß die Folgen des Verzichts beschrieben werden „Mir ist bekannt…”). Ausschlaggebend sind jedoch folgende Erwägungen: Immer, wenn lediglich auf Vordrucken vorformulierte Textalternativen angekreuzt werden, kann in einer solchen „Erklärung” ein Verzicht nur gesehen werden, wenn sich aus den Umständen ergibt, daß der Erklärende diese Bedeutung der ihm unterstellten Erklärung erkennt. Bei der Auslegung einer solchen Erklärung ist nach den §§ 133, 157 BGB nicht allein an ihrem Wortlaut zu haften. Vielmehr sind alle tatsächlichen Begleitumstände der Erklärung zu berücksichtigen, die dafür von Bedeutung sein können, welchen Willen der Erklärende bei seiner Erklärung gehabt hat und wie die Erklärung von ihrem Empfänger zu verstehen war (vgl zu einer arbeitsrechtlichen Ausgleichsquittung BSG vom 16. Dezember 1980, BSGE 51, 82, 83 = SozR 2200 § 189 Nr 2 mwN). Ein Verzicht des Sozialleistungsberechtigten auf Ansprüche ist im allgemeinen nicht zu vermuten. Denn im Zweifel ist davon auszugehen, daß ein Sozialleistungsberechtigter die ihm zustehenden Ansprüche ausschöpfen will (vgl zur Auslegung des Leistungsantrags zB BSG vom 16. März 1979, SozR 3900 § 40 Nr 12 S 32). Im vorliegenden Fall aber kann ein Verzicht auf das den Sockelbetrag überschreitende Kindergeld finanziell, wenn überhaupt, dann nur negative Folgen haben.

Ganz außer acht zu bleiben hat im vorliegenden Zusammenhang die Fallgestaltung, in der ein Betroffener deshalb auf das den Sockelbetrag überschreitende Kindergeld verzichtet, weil er hierauf wegen der Höhe seines Einkommens keinen Anspruch hat. Denn dann kommt den entsprechenden Erklärungen von vornherein keine Verzichtswirkung iS des § 46 Abs 1 SGB I zu.

Auch das beklagte Land nennt kein Beispiel dafür, daß ein Berechtigter aus nachvollziehbaren wirtschaftlichen Erwägungen nur ein niedrigeres als das ihm zustehende Kindergeld beanspruchen könnte. Es führt lediglich an, er könne dann Anspruchsverluste in Kauf nehmen, wenn er die damit notwendigerweise verbundene Offenlegung seines Einkommens und desjenigen seines Ehegatten und der daraus abzuleitenden weiteren persönlichen Verhältnisse vermeiden wolle. Insoweit ist zwar zuzugeben, daß es Berechtigte geben mag, die sich von der Kindergeldbehörde (insbesondere dann, wenn es sich um den Dienstherrn handelt) finanziell nicht „in die Karten sehen” lassen wollen. Dies dürfte jedoch am ehesten dann gelten, wenn ihr (außerdienstliches) Einkommen so hoch ist, daß ein Anspruch auf einkommensabhängiges Kindergeld offenkundig ausscheidet. Dann aber steht auch ohne Verzicht kein höheres Kindergeld zu.

Die Verwaltung mag sowohl aus verwaltungsökonomischen wie aus haushaltsrechtlichen Gründen ein Interesse daran haben, das Bestehen oder Nichtbestehen von Leistungsansprüche schnellstmöglich abschließend festzustellen. Das Gesetz geht jedoch bei seiner Regelung des einkommensabhängigen Kindergeldes davon aus, daß über seine Höhe erst entschieden werden kann, sobald die Steuer festgesetzt ist (§ 11 Abs 3 Satz 4 BKGG). Verzögert der Kindergeldberechtigte den Ablauf dadurch, daß er seiner Pflicht, den Steuerbescheid vorzulegen (§ 60 Abs 1 Nr 3 SGB I) nicht nachkommt, so steht der Verwaltung das Verfahren nach § 66 SGB I zur Verfügung. Jedenfalls dürfen Interessen an der Verwaltungsvereinfachung nicht dazu führen, daß den Sozialleistungsberechtigten unter Berufung auf in ihrem Erklärungsinhalt zweifelhafte Formularangaben Ansprüche abgeschnitten werden. Die Praxis des beklagten Landes, seine kindergeldberechtigten Bediensteten zu ihren Ungunsten an derartigen Erklärungen festhalten zu wollen, steht zu seiner Pflicht nach § 17 Abs 1 Nr 1 SGB I in deutlichem Widerspruch. Nach dieser Vorschrift haben die Leistungsträger darauf hinzuwirken, daß jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und schnell erhält.

Aus den im vorliegenden Fall verwendeten Formblättern und den Umständen ihrer Ausfüllung kann nicht geschlossen werden, daß der Erklärende die Bedeutung seiner Erklärung einzuschätzen vermag. Dies gilt schon deshalb, weil dem Kindergeldberechtigten nicht gleichzeitig – weder auf seine konkreten Umstände bezogen noch allgemein – mit der erforderlichen Deutlichkeit erläutert wird, bis zu welcher Einkommensgrenze mit einem Anspruch auf ein den Sockelbetrag überschreitendes Kindergeld gerechnet werden kann. Vielmehr verweist das Formblatt insoweit lediglich auf das „Merkblatt über Kindergeld”, das dem Kindergeldberechtigten jedenfalls nicht notwendigerweise gleichzeitig mit dem „Ergänzungsblatt 4” überreicht wird. Dann aber kann nicht davon ausgegangen werden, daß den Erklärenden bewußt ist, daß sie mit ihrem Kreuz und ihrer Unterschrift auf ihnen an sich zustehende Leistungen verzichten. Eine formularmäßige Verzichtserklärung kann allenfalls dann anerkannt werden, wenn mit dem Formular dem Berechtigten „die Karten auf den Tisch gelegt werden”: Es muß sich aus dem Wortlaut der Erklärung und den Begleitumständen klar ergeben, daß und in welchem Umfang er ihm bekannte oder mögliche Ansprüche aufgibt (s zu vorgedruckten arbeitsrechtlichen Ausgleichsquittungen BAG vom 20. August 1980, AP Nr 3 zu § 9 LohnFG; vgl insoweit auch BSG vom 16. Dezember 1980, BSGE 51, 82, 83 = SozR 2200 § 189 Nr 2).

Auf dieser Grundlage aber ergibt sich aus dem Umstand, daß der Kläger den fraglichen Erklärungstext im „Ergänzungsblatt 4” auch für das Leistungsjahr 1989 angekreuzt hat, nicht sein Verzicht iS des § 46 Abs 1 SGB I auf das ihm zustehende höhere, den Sockelbetrag überschreitende Kindergeld.

(zu 2) Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der von der Revision vertretenen Ansicht, in den streitigen Erklärungen liege eine Einschränkung des Antrags auf Kindergeld auf die Sockelbeträge. Hierbei kann offenbleiben, ob eine derartige Antragsbeschränkung möglich ist. Denn, wäre sie möglich, hätte sie für den Erklärenden keine andere Folge als ein Verzicht auf diese Sozialleistung, so daß an das Vorliegen eines entsprechenden Erklärungsinhaltes dieselben strengen Anforderungen zu stellen sind (zur Gleichbehandlung einer Antragseinschränkung mit einem Verzicht s auch BSG vom 26. Februar 1986, BSGE 60, 11, 14 f = SozR 3870 § 3 Nr 21). Daran ändert der Umstand nichts, daß das Kindergeldrecht mit § 9 Abs 2 BKGG eine vergleichsweise großzügige Rückwirkung des Antrags vorsieht. Denn zum einen hat die Antragseinschränkung Verzichtswirkung jedenfalls hinsichtlich des nicht durch die Rückwirkung umfaßten Kindergeldanspruchs; zum anderen können die Anforderungen an die Erklärung des in § 46 Abs 1 SGB I geregelten Verzichts im Kindergeldrecht keine anderen sein als im übrigen Sozialrecht.

Damit aber steht dem durch den Kläger im Juli 1991 geltend gemachten Anspruch auf Nachzahlung des den Sockelbetrag übersteigenden Kindergeldes für die Zeit ab Dezember 1988 entgegen der Ansicht des beklagten Landes die 6-Monats-Frist des § 9 Abs 2 BKGG nicht entgegen. Der Senat kann offenlassen, ob für derartige Ansprüche die vierjährige Ausschlußfrist des § 44 Abs 4 des Sozialgesetzbuches – Zehntes Buch – ≪SGB X≫ (etwa anknüpfend an die uU als rechtswidrige Bewilligung anzusehenden Auszahlungen von Kindergeld in Verbindung mit entsprechenden Gehaltsmitteilungen – hierzu BSG vom 29. Oktober 1992, SozR 3-1300 § 50 Nr 13) oder die vierjährige Verjährungsfrist des § 45 Abs 1 SGB I (etwa anknüpfend an die Bekanntgabe des Steuerbescheides) gelten kann, da der Kläger die Nachzahlung des ausstehenden Kindergeldes jedenfalls innerhalb von vier Jahren beantragt hat.

Der Senat weist abschließend darauf hin, daß er mangels tatsächlicher Feststellungen des LSG oder des SG nicht überprüfen konnte, ob dem Kläger für die streitige Zeit in der Tat ein den Sockelbetrag überschreitendes Kindergeld zustand. Er sieht jedoch davon ab, den Rechtsstreit aus diesem Grunde an das LSG zurückzuverweisen. Denn eben wegen jener mangelnden Feststellungen kann die vom LSG bestätigte Verurteilung des beklagten Landes zur Zahlung der „Differenz zwischen dem Sockelbetrag und dem vollen Kindergeld” nur als Grundurteil auf Zahlung der Differenz zum vollen zustehenden Kindergeld (§ 130 Satz 1 SGG) aufgefaßt werden, für das die Wahrscheinlichkeit der Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen ausreicht (BSG vom 8. August 1990, SozR 3-1300 § 104 Nr 3 S 5 mwN). Diese wiederum ergibt sich daraus, daß die Beteiligten keinen Rechtsstreit über drei Instanzen führen würden, wenn der Kläger in der Tat nur den Sockelbetrag des Kindergeldes beanspruchen konnte.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1172678

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge