Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Aufrechnung nach AVG § 78 kann, soweit es sich um "geschuldete Sozialversicherungsbeiträge" handelt, auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen nicht verzichtet werden.
2. Gegen den Rentenanspruch des Berechtigten kann die zur Zahlung verpflichtete BfA nicht mit einer Forderung aufrechnen, welche die Einzugstelle gegen den Rentenberechtigten als früheren Arbeitgeber wegen rückständiger Beiträge zur Krankenversicherung, Arbeiterrentenversicherung und Arbeitslosenversicherung erhebt. Dies gilt für Beiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter auch dann, wenn die Rente als Gesamtleistung aus Beiträgen der Rentenversicherungen der Angestellten und der Arbeiter festgestellt worden ist.
3. Forderungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften aus einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis können auf andere öffentlich-rechtliche Körperschaften nur dann übertragen werden, wenn eine gesetzliche Ermächtigung hierzu vorliegt.
Normenkette
AVG § 78 Alt. 2 Fassung: 1957-02-23, § 91 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23; BGB § 387; RVO § 1299 Alt. 2 Fassung: 1957-02-23, § 1312 Abs. 4 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Oktober 1959 werden zurückgewiesen.
Die Beklagte und die Beigeladenen haben der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die Beklagte gegen den Rentenanspruch der Klägerin mit einer Forderung auf Zahlung rückständiger Beiträge zur Krankenversicherung, Arbeiterrentenversicherung und Arbeitslosenversicherung aufrechnen kann.
Die Klägerin bezieht seit 1938 eine Witwenrente - vom 1. Januar 1957 an in Höhe von 69,80 DM -, die als Gesamtleistung aus Beiträgen zur Angestellten- und Arbeiterrentenversicherung festgestellt ist und von der Beklagten gezahlt wird. Als Inhaberin einer inzwischen stillgelegten Gastwirtschaft schuldet sie der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) F als Einzugsstelle Beiträge zur Kranken-, Arbeiterrenten- und Arbeitslosenversicherung, die sie in den Jahren 1952 und 1953 für ihre Arbeitnehmer zu entrichten gehabt hätte. Zusammen mit den Kosten und Säumniszuschlägen belaufen sich die Beitragsschulden auf 1.707,33 DM. Die Einzugsstelle ersuchte die Beklagte, den Rückstand mit der Witwenrente zu verrechnen. Die Beklagte erklärte sich hierzu bereit und teilte der Klägerin mit, daß sie mit der Forderung in Höhe von 1.707,33 DM aufrechne und die Rente monatlich um 20,- DM kürze (Bescheid vom 23. April 1957).
Die Klägerin wandte sich sowohl gegen die Beitragsforderung als solche wie auch gegen die Zulässigkeit der Aufrechnung. Auf ihre Klage hob das Sozialgericht Freiburg den Bescheid der Beklagten auf: Die Aufrechnung sei unzulässig, weil es an der erforderlichen Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gebrachten Forderungen fehle (Urteil vom 28. Januar 1958).
Die Beklagte und die bereits im ersten Rechtszuge beigeladene Einzugsstelle legten Berufung ein. Die Landesversicherungsanstalt Baden und die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb), die von dem Landessozialgericht Baden-Württemberg beigeladen wurden, schlossen sich den Anträgen der Berufungskläger an. Die Berufungen hatten keinen Erfolg.
Das Landessozialgericht war der Auffassung, auch nach neuem Recht gelte der vom Reichsversicherungsamt (RVA) in ständiger Rechtsprechung anerkannte Grundsatz, daß für die Aufrechnung im Sozialversicherungsrecht Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gebrachten Forderungen bestehen müsse. Hieran fehle es bei der Maßnahme der Beklagten. Der im § 78 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) nF verwendete Begriff "geschuldete Sozialversicherungsbeiträge" sei ebenso unklar wie der Begriff "geschuldete Beiträge" in den §§ 50 AVG aF, 1309 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF. Wenn durch die Änderung des Wortlautes das Erfordernis der Gegenseitigkeit hätte beseitigt werden sollen, so hätte dies im Verlauf der gesetzgeberischen Arbeiten zum Ausdruck kommen müssen. Die Begründung des Regierungsentwurfs besage aber, daß § 78 AVG dem bisher geltenden Recht entspreche. Daß der Gesetzgeber von der Notwendigkeit der Gegenseitigkeit ausgegangen sei, ergebe sich auch aus § 91 Abs. 4 AVG nF, der überflüssig wäre, wenn nach § 78 AVG nF mit allen Sozialversicherungsbeiträgen aufgerechnet werden könnte. Im übrigen sei § 91 Abs. 4 AVG gegenüber § 1544 e Abs. 1 Satz 3 RVO aF eingeengt, da er nur noch auf die Aufrechnungsmöglichkeit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und nicht mehr auf die der anderen Versicherungsträger verweise. Daher könne die Beklagte auch nicht mit der Beitragsforderung aufrechnen, die der Landesversicherungsanstalt Baden zustehe. Die Revision wurde zugelassen (Urteil vom 13. Oktober 1959).
Die Beklagte legte gegen das ihr am 6. November 1959 zugestellte Urteil am 24. November 1959 Revision ein und beantragte, unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen. Sie begründete ihre Revision nach Verlängerung der Begründungsfrist am 23. Januar 1960. Auch die Landesversicherungsanstalt Baden sowie die BfArb legten form- und fristgerecht Revision ein und begründeten sie rechtzeitig.
Die Revisionskläger trugen im wesentlichen übereinstimmend vor: Durch die Verwendung des Ausdrucks "geschuldete Sozialversicherungsbeiträge" in § 78 AVG sei das frühere Recht geändert worden. Der Begriff Sozialversicherungsbeiträge sei eindeutig und umfasse diejenigen Beiträge, die die Krankenkasse nach der Zweiten Lohnabzugsverordnung (2. LAV) vom 24. April 1942 einzuziehen habe. Die Ausdehnung der Aufrechnungsbefugnis der Versicherungsträger bedeute eine Anpassung an die Rechtslage, die durch die 2. LAV geschaffen worden sei. Da die Begründung des Regierungsentwurfs auch in anderer Beziehung fehlerhaft sei, sei sie unbeachtlich. Die vom Landessozialgericht aus § 91 Abs. 4 AVG gezogene Folgerung sei nicht stichhaltig. Diese Vorschrift erweitere nur die Aufrechenbarkeit der Leistungsansprüche des Versicherten und lasse unberührt, welche Forderungen seitens der Versicherungsträger zur Aufrechnung gestellt werden können. - Die Gegenseitigkeit (§ 387 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) sei nicht Voraussetzung der Aufrechnung, denn § 78 AVG stelle eine Sonderregelung gegenüber den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften dar.
Die AOK F schloß sich den Anträgen der Revisionskläger an. Die Klägerin war in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
In der mündlichen Verhandlung beantragte die Beklagte hilfsweise, die Klage insoweit abzuweisen, als mit ihr Leistungen begehrt werden, gegen die mit der Beitragsforderung zur Arbeiterrentenversicherung aufgerechnet worden ist.
Die Revisionen sind zulässig, aber unbegründet.
Die Witwenrente, welche die Klägerin seit 1938 bezieht, beruht auf Beiträgen zur Angestelltenversicherung und zur Arbeiterrentenversicherung. Auf die so festgestellte "Gesamtleistung" finden nach § 91 Abs. 1 AVG ua "die gemeinsamen Vorschriften für Renten an Versicherte und für Renten an Hinterbliebene (§§ 49 bis 80 AVG)" Anwendung, darunter also auch die Vorschrift über die Aufrechnung in § 78 AVG. Auf diese Vorschrift stützt sich der angefochtene Bescheid der Beklagten; sie gilt auch für Versicherungsfälle, die - wie derjenige bei der Klägerin - vor dem Inkrafttreten des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) eingetreten sind (Art. 2 § 25 Abs. 2 AnVNG). § 78 AVG gab aber der Beklagten, als sie ihren Bescheid erließ, nicht die Befugnis, gegen den Rentenanspruch der Klägerin ohne deren Einwilligung mit Beitragsforderungen gegen sie zur Krankenversicherung, Arbeiterrentenversicherung und Arbeitslosenversicherung aufzurechnen, weil diese Forderungen im Zeitpunkt der Aufrechnung nicht der Beklagten zustanden, der Aufrechnung also keine gegenseitigen Forderungen der Beteiligten zugrunde lagen. Auf das Erfordernis der Gegenseitigkeit kann aber bei der Aufrechnung von Rentenansprüchen mit einer Beitragsschuld des Rentenberechtigten nicht verzichtet werden.
Nach § 78 AVG dürfen gegen Leistungsansprüche nur die dort im einzelnen genannten Forderungen aufgerechnet werden. Weder im AVG noch in anderen Sozialversicherungsgesetzen ist der Begriff "Aufrechnung" näher erläutert; es ist in diesen Gesetzen auch nirgends gesagt, welche allgemeinen Voraussetzungen für die Aufrechnung gegeben sein müssen, wie sie erfolgt und welche Wirkungen sie hat. Aus dem Fehlen solcher näherer Bestimmungen ist zu schließen, daß die Sozialversicherungsgesetze, wenn sie die Aufrechnung behandeln, von einem anderweit bestimmten Begriff der Aufrechnung ausgegangen sind, wie er vor allem im bürgerlichen Recht (§§ 387 ff BGB) seine Ausprägung im einzelnen gefunden hat. Dafür spricht auch die Formulierung in § 78 AVG ("dürfen nur aufgerechnet werden"), was auf eine Einschränkung und Ausnahme gegenüber jenem Recht hindeutet. Wie sonst bei der Aufrechnung im öffentlichen Recht (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 7. Aufl. S. 259) sind deshalb auch bei der Aufrechnung im Bereich der Angestelltenversicherung die für die bürgerlich-rechtliche Aufrechnung allgemein geltenden Grundsätze zu beachten, soweit sich nicht aus dem AVG selbst oder aus dem Sinn und Wesen der Angestelltenversicherung etwas anderes ergibt.
Eine der Voraussetzungen, von denen das bürgerliche Recht die Zulässigkeit der einseitigen (nicht der vertraglichen) Aufrechnung abhängig macht, ist die Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung gestellten Forderungen. Diese müssen zwischen denselben Personen bestehen, so daß jeder zugleich Gläubiger und Schuldner ist. Aufgerechnet werden kann danach regelmäßig nur mit einer eigenen Forderung des Aufrechnenden, nicht dagegen mit der Forderung eines Dritten, selbst wenn dieser zustimmt (vgl. Palandt, Anm. 4 b zu § 387 BGB). Dieser das bürgerlich-rechtliche Aufrechnungsrecht beherrschende Grundsatz der Gegenseitigkeit ist auch bei der Aufrechnung im Bereich der Angestelltenversicherung zu beachten. Dies verlangt schon der Schutzcharakter des AVG, das den Zugriff auf die Leistungsansprüche der Berechtigten auch in sonstiger Hinsicht erschwert (vgl. § 76 AVG, § 119 RVO). Die Aufrechnung im Bereich der Angestelltenversicherung kann regelmäßig nicht an leichtere Voraussetzungen geknüpft sein als im bürgerlichen Recht. Aus § 78 AVG ist nichts anderes zu entnehmen; es handelt sich insoweit nicht um eine Sondernorm gegenüber dem bürgerlichen Recht. Zwar ist die Fassung der Vorschrift, was die einzelnen dort genannten Aufrechnungsfälle anbetrifft, nicht einheitlich. Während in den an erster, vierter und sechster Stelle angeführten Fällen der Träger der Rentenversicherung bzw. die BfA ausdrücklich als Inhaber der aufrechenbaren Forderungen genannt ist, fehlt es in den anderen Fällen an einer solchen Kennzeichnung. Hieraus muß jedoch nicht geschlossen werden, in diesen anderen Fällen komme es - weil hier der Versicherungsträger nicht ausdrücklich als Inhaber der Forderung genannt ist - auf die Gegenseitigkeit nicht an. Aus dem Schweigen des Gesetzes allein kann nicht gefolgert werden, daß die Beklagte gegen einen Rentenanspruch einseitig auch mit anderen als von ihr gezahlten Vorschüssen oder mit anderen als ihr zu erstattenden Kosten des Verfahrens (dritter und fünfter Fall des § 78 AVG) aufrechnen kann. Das gleiche muß gelten, soweit es sich - wie hier - um eine Aufrechnung mit "geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen" (zweiter Fall des § 78) handelt. Auch hier führt der Grundsatz, wonach die aufrechenbaren Forderungen gegenseitig bestehen müssen, zu dem Ergebnis, daß die Beklagte gegen den Leistungsanspruch nur mit solchen Beitragsforderungen aufrechnen kann, die ihr dem Leistungsberechtigten gegenüber selbst zustehen. Eine Ausnahme bildet allerdings der letzte Fall des § 78 AVG, der erst nachträglich durch das Gesetz über Tuberkulosehilfe vom 23. Juli 1959 (BGBl I, 513) in das Gesetz eingefügt worden ist. Hier macht es die Fassung des Gesetzes deutlich, daß von dem Erfordernis der Gegenseitigkeit der zur Aufrechnung stehenden Forderungen bewußt abgewichen wurde. Es handelt sich bei diesem siebenten Fall des § 78 AVG in Wirklichkeit auch nicht um eine Aufrechnung im eigentlichen Sinne, sondern um einen Fall der bloßen Verrechnung. Rückschlüsse auf die übrigen in § 78 AVG genannten Fälle lassen sich aus dieser späteren Einfügung in das Gesetz nicht ziehen. Für sie enthält das Gesetz keinen Hinweis, der die Aufrechnung von dem Erfordernis der Gegenseitigkeit entbindet.
Die gegenteilige Auslegung läßt sich insbesondere nicht auf den Wortlaut stützen, mit dem § 78 AVG die Aufrechnung gegenüber einer Beitragsschuld zuläßt. Unter den Begriff "geschuldete Sozialversicherungsbeiträge" fallen bei einer natürlichen Auslegung des Gesetzes die Pflichtbeiträge zu allen Einrichtungen der sozialen Sicherheit. Hierzu gehören also nicht nur die Beiträge zur sogenannten klassischen Sozialversicherung, also die Beiträge zur Krankenversicherung, Unfallversicherung und Rentenversicherung; es rechnen dazu auch die Beiträge zur Handwerkerversorgung (-versicherung), landwirtschaftliche Altersversorgung, die Beiträge nach dem Kindergeldgesetz (vgl. BVerfG 11, 105, 111) und die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung (BSG 6, 218, 227; NJW 1960, 1099). Schon dieser weit gezogene Kreis spricht gegen die Annahme, daß der Beklagten die einseitige Aufrechnung gegen Leistungsansprüche mit Forderungen auf Zahlung irgendwelcher der vorgenannten Beiträge möglich sein soll. Es ist auch zu bedenken, daß das Wort "Sozialversicherungsbeiträge" in § 78 AVG nicht umfassender ist als das im früheren Recht (§ 1309 RVO, § 50 AVG aF) gebrauchte Wort "Beiträge". Wörtlich betrachtet bedeutet die neue Gesetzesfassung sogar eine Einschränkung gegenüber dem früheren Recht. Unter dessen Geltung war es aber unbestritten, daß - von dem Fall des § 1544 e Abs. 1 Satz 3 RVO aF abgesehen - der Versicherungsträger nur die Forderung auf die ihm selbst geschuldeten Beiträge gegen Versicherungsansprüche aufrechnen konnte (vgl. Verbandskomm., 5. Aufl., Anm. 4 zu § 1309 RVO; Koch/Hartmann/v.Altrock/Fürst, Anm. D 2 c zu § 50 AVG). Dies war dem Gesetzgeber, als er die Vorschrift über die Aufrechnung im AnVNG neu formulierte, bekannt; er hätte, wenn er eine sachliche Änderung gegenüber dem bisherigen Recht beabsichtigte, dies durch einen eindeutigen Zusatz in § 78 AVG klarstellen können. Das Gesetz enthält aber keinen derartigen Hinweis; die Gesetzesmaterialien sprechen sogar gegen eine Änderungsabsicht. Die Ersetzung des Wortes "Beiträge" im bisherigen Recht durch das Wort "Sozialversicherungsbeiträge" im neuen Recht reicht aber allein nicht aus, um der Vorschrift des § 78 AVG insoweit einen vom bisherigen Recht abweichenden Sinn zu geben und die Beklagte zur Aufrechnung auch mit anderen als nur ihren eigenen Beitragsforderungen gegen Leistungsansprüche zu ermächtigen. Selbst wenn ein Teil der an der Gesetzesformulierung beteiligten Personen bei der Änderung des Gesetzestextes von bestimmten Vorstellungen ausgegangen ist, worauf die im Urteil des Landessozialgerichts Bremen (Breithaupt 1961, 429) wiedergegebene Auskunft des Bundesministers für Arbeit hindeutet, so hat diese Absicht im Gesetz keinen hinreichenden Niederschlag gefunden. Es ist auch nicht folgerichtig, unter Berufung auf den geänderten Gesetzeswortlaut den umfassenden Begriff "Sozialversicherungsbeiträge" bei der Auslegung und Anwendung des § 78 AVG wieder einzuschränken und darunter nur diejenigen Beiträge zu verstehen, die seit der 2. LAV dem gemeinsamen Einzug durch die Krankenkassen als Einzugsstelle unterliegen, andere Sozialversicherungsbeiträge dagegen, wie zB diejenigen zur Unfallversicherung, zur knappschaftlichen Versicherung, zur Handwerkerversorgung ua als nicht hierhergehörig zu behandeln. Diese Auslegung erschiene im übrigen auch nur dann sinnvoll, wenn der Einzugsstelle ein eigenes Aufrechnungsrecht mit Leistungsansprüchen aus der Sozialversicherung zustünde. Ein solches Recht besteht aber nicht. Aus der Änderung des Gesetzeswortlauts gegenüber dem bisherigen Recht kann daher nicht auf eine Änderung des Gesetzesinhalts geschlossen werden.
Die Gegenseitigkeit, von deren Vorhandensein das Gesetz die Aufrechnung von Leistungsansprüchen mit geschuldeten Sozialversicherungsbeiträgen abhängig macht, kann auch nicht in der Weise herbeigeführt und dadurch die Aufrechnungslage geschaffen werden, daß der Anspruch auf Zahlung der rückständigen Beiträge von der Beklagten durch Abtretung übertragen oder ihr eine Einziehungsermächtigung (Inkassomandat) erteilt wird. Solche unter Privatpersonen zulässigen und gebräuchlichen Rechtsgeschäfte über privatrechtliche Forderungen sind nicht ohne weiteres auch unter öffentlich-rechtlichen Körperschaften über öffentlich-rechtliche Forderungen möglich. Die Beitragsschuld der Klägerin ist als öffentlich-rechtliche Schuld bei der beigeladenen Einzugsstelle entstanden, wobei dahinstehen kann, ob diese nach außen hin allein Gläubigerin auch der Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung geworden ist oder ob sie diese Beiträge nur treuhänderisch für die Landesversicherungsanstalt und die BfArb einzuziehen hat (vgl. hierzu Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 194 b). Selbst wenn die Beitragsforderung auch insoweit allein der Verfügung durch die Einzugsstelle unterlag, so bedeutete dies nicht, daß sie diese Forderung auf eine andere öffentlich-rechtliche Körperschaft übertragen konnte, weil öffentlich-rechtliche Forderungen, die in einem bestimmten öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis entstanden sind, nur mit gesetzlicher Ermächtigung auf andere öffentlich-rechtlichen Körperschaften übertragen werden dürfen. Dies folgt aus dem Wesen der öffentlich-rechtlichen Forderungen, deren Behandlung (Einziehung, gerichtliche Geltendmachung, Vollstreckung) sich im wesentlichen nach der Rechtstellung ihres Trägers (hier also der Einzugsstelle) richtet; ein Austausch dieses Trägers durch Forderungsübertragung ist also nicht ohne weiteres möglich. Die gegenteilige Auffassung ergibt sich auch nicht aus § 119 RVO (§ 76 AVG); diese Vorschrift läßt einen Wechsel der Gläubigerstellung nur bei öffentlich-rechtlichen Leistungsansprüchen der Berechtigten (also "Gewaltunterworfenen") zu und gestattet deren Übertragung zudem nur unter bestimmten Voraussetzungen; aus dieser Ausnahmeregelung läßt sich nicht folgern, daß die Ansprüche der Versicherungsträger ohne ausdrückliche Ermächtigung ebenfalls übertragbar seien, die Abtretung ihrer Ansprüche sogar keinen Beschränkungen unterliege. Der Senat ist daher - anders als das frühere RVA (AN 1933, IV 365) - der Auffassung, daß die Einzugsstelle die Beitragsforderung, die bei ihr entstanden war, auf die Beklagte nur dann hätte übertragen können, wenn sie hierzu durch das Gesetz ermächtigt war. Eine solche gesetzliche Ermächtigung lag aber nicht vor; sie kann insbesondere nicht darin gesehen werden, daß § 78 AVG die Aufrechnung wegen geschuldeter Sozialversicherungsbeiträge für zulässig erklärt. Es kann deshalb dahinstehen, ob in den Verhandlungen zwischen der Einzugsstelle und der Beklagten, die dem Erlaß des angefochtenen Bescheids vorausgingen, überhaupt eine Abtretung oder die Erteilung einer Einziehungsermächtigung im vorstehenden Sinne gesehen werden kann, weil auch dadurch die Aufrechnungslage nicht wirksam herbeigeführt werden konnte.
Die Beklagte meint schließlich, es müsse ihr wenigstens möglich sein, mit dem Teil der gegen die Klägerin gerichteten Beitragsforderung aufzurechnen, der auf die zur Arbeiterrentenversicherung geschuldeten Beiträge entfällt, weil sie selbst eine auch auf Beiträgen zu diesem Versicherungszweig beruhende Leistung zu erbringen habe; sie hat einen entsprechenden Hilfsantrag gestellt. Aber auch insoweit ist ihre Aufrechnung nicht rechtmäßig. Zwar konnte nach § 1544 e Abs. 1 Satz 3 RVO (§ 50 AVG) aF der Anspruch auf die Gesamtleistungen auch gegen die im Gesetz bezeichneten Forderungen mitbeteiligter Versicherungsträger aufgerechnet werden. Diese im früheren Recht gegebene Möglichkeit hat aber das AnVNG nicht beibehalten. § 91 Abs. 4 AVG, der an die Stelle des früheren Rechts getreten ist, erweitert wohl die Aufrechenbarkeit der Hauptforderung dahin, daß die in § 78 AVG bezeichneten Forderungen gegen den Anspruch auf die Gesamtleistung nicht nur anteilsmäßig, sondern insgesamt aufgerechnet werden können. Aus der Fassung des Gesetzes, das die Forderungen der an der Gesamtleistung mitbeteiligten Versicherungsträger nicht mehr erwähnt, ergibt sich aber, daß die Beklagte nur mit einer Beitragsforderung aufrechnen kann, die ihr selbst zusteht, also Beiträge betrifft, die zur Angestelltenversicherung geschuldet werden, nicht aber auch Beiträge zu einem an der Gesamtleistung mitbeteiligten Versicherungsträger. Diese Gesetzesänderung muß, weil der Bescheid der Beklagten unter der Geltung des neuen Rechts ergangen ist, beachtet werden.
Danach erweist sich das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts als zutreffend; die Revisionen gegen dieses Urteil müssen daher zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen