Leitsatz (amtlich)
1. Ein Maschinenhauer, der zwar überwiegend im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- oder Vorrichtung, aber in nicht nur unwesentlichem Umfang auch an anderen Betriebspunkten tätig ist, verrichtet keine Hauerarbeit iS des HaVo § 1 Abs 1 Nr 2.
2. Die Gleichstellungsvorschrift des HaVo § 7 Nr 3 greift nur ein, wenn der Versicherte aus der betrieblich für ihn als eigentliche Tätigkeit vorgesehenen und nach den HaVo §§ 1 bis 6 als Hauerarbeit anerkannten Tätigkeit vorübergehend herausgenommen wird, nicht aber dann, wenn es sich bei der für den Versicherten betrieblich als eigentliche Tätigkeit vorgesehenen Tätigkeit um eine solche handelt, die in einem nicht unwesentlichen Umfang auch Arbeiten umfaßt, die den Voraussetzungen nach den HaVo §§ 1 bis 6 nicht entsprechen (gemischte Tätigkeit).
Normenkette
HaVO § 5 Fassung: 1958-03-04, § 6 Fassung: 1958-03-04, § 3 Fassung: 1958-03-04, § 4 Fassung: 1958-03-04, § 7 Nr. 3 Fassung: 1958-03-04, § 2 Fassung: 1958-03-04, § 1 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1958-03-04
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. August 1963 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der am 17. Dezember 1904 geborene Kläger war von 1920 bis 1940 im Bergbau als Klempnerlehrling, Klempner und Grubenschlosser, danach vom 1. Januar 1941 bis zum 31. Juli 1946 als Grubenschlosser-Vorarbeiter und vom 1. August 1946 an als Maschinenmeister im Grubenbetrieb, Maschinensteiger und Erster Maschinensteiger beschäftigt.
Seinen Antrag vom 9. August 1957, ihm anstelle des bisher gezahlten Knappschaftssolds die Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres zu gewähren, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger habe nur in der Zeit vom 1. August 1946 bis zum 31. Dezember 1956, d. h. 125 Monate, der Hauerarbeit gleichgestellte Arbeiten verrichtet. In seinem Widerspruch machte der Kläger erfolglos geltend, er habe auch in den vorhergehenden Jahren Hauerarbeiten verrichtet. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte, an den Kläger anstelle des Knappschaftssoldes die Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen vom 1. Januar 1957 an zu zahlen; die besondere Wartezeit sei erfüllt, weil der Kläger in der Zeit vom 1. Januar 1941 bis zum 31. Juli 1946 die Tätigkeit eines Maschinenhauers verrichtet und dafür einen besonders vereinbarten Lohn erhalten habe. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) die Klage ab, nachdem die Beklagte den Anspruch für die Zeit vom 1. Juli 1961 ab anerkannt hatte. Das LSG führt aus, für die jetzt noch streitige vorhergehende Zeit habe der Kläger keinen Anspruch auf die Bergmannsrente; er habe die Voraussetzung der Verrichtung von 180 Monaten Hauerarbeiten zu einem früheren Zeitpunkt noch nicht erfüllt gehabt. Er habe insbesondere - entgegen seiner Ansicht und der des SG - in der streitigen Zeit vom 1. Januar 1941 bis zum 31. Juli 1946 keine Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet. Er habe zwar in dieser Zeit solche Tätigkeiten ausgeübt, wie sie heute ein Maschinenhauer verrichtet. Er sei aber nicht ausschließlich im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- und Vorrichtung beschäftigt worden. Er sei nämlich mit der Reparatur und Überwachung des gesamten Maschinenparks unter Tage betraut gewesen, wozu auch Maschinen gehörten, die nicht im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- oder Vorrichtung eingesetzt waren, sondern zB in Abbaustrecken, in der Zwischenförderung, in der Hauptstreckenförderung, in der Wasserhaltung und in den Füllorteinrichtungen; oft habe er tagelang im Lokschuppen gearbeitet. Zwar möge die Beaufsichtigung und Reparatur solcher Maschinen den geringeren Teil der Arbeitszeit des Klägers in Anspruch genommen haben; das genüge jedoch nicht, um die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) zu erfüllen. Die nur "überwiegende" Verrichtung solcher Arbeiten reiche hierfür nicht aus. Es könne unter diesen Umständen dahingestellt bleiben, ob der Kläger einen besonders vereinbarten Lohn erhalten habe. Die Revision wurde zugelassen.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Das LSG habe zu Unrecht angenommen, daß nur eine praktisch ausschließliche, nicht auch schon eine überwiegende Tätigkeit im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- oder Vorrichtung von der HaVO erfaßt werde. Die Verordnung selbst sage nichts darüber aus, ob eine "dauernde" oder "ständige" Beschäftigung an den in § 1 Abs. 1 Nr. 2 HaVO genannten Betriebspunkten notwendig sei. Aus § 7 Nr. 3 HaVO ergebe sich jedoch, daß die Unterbrechung einer Tätigkeit um ein Viertel der Zeit für unschädlich angesehen werde; die Notwendigkeit solcher Unterbrechungen ergebe sich aus der Struktur eines Bergbaubetriebes. Es könne auch nicht der Wille des Gesetzgebers sein, eine "überwiegende" Maschinensteigertätigkeit genügen zu lassen, dagegen beim Maschinenhauer eine ausschließliche und dauernde Beschäftigung an den besonderen Betriebspunkten zu fordern, obgleich diese Tätigkeit viel eher zum vorzeitigen Verschleiß der körperlichen Leistungsfähigkeit führe als die Maschinensteigertätigkeit.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 22. August 1963 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Duisburg vom 18. Juli 1961 zurückzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthafte Revision ist zulässig, konnte aber keinen Erfolg haben.
Gegenstand des Rechtsstreits ist, nachdem die Beklagte den Anspruch des Klägers auf Bergmannsrente ab 1. Juli 1961 anerkannt und dabei seine Tätigkeit von 180 Monaten in der Zeit vom 1. August 1946 an als Hauerarbeit berücksichtigt hat, nur noch der Rentenanspruch für die Zeit vom 1. Januar 1957 bis zum 30. Juni 1961. Durch die unter Berücksichtigung inzwischen eingetretener neuer Tatsachen erfolgte Rentengewährung wurde, wie das LSG zu Recht erkannt hat, die Berufung nicht nach § 146 SGG unzulässig (SozR § 146 SGG Nr. 9).
Das LSG hat zu Recht die Anrechnung weiterer Zeiten auf die gemäß § 49 Abs. 2 RKG für die besondere Wartezeit der Bergmannsrente erforderlichen 180 Kalendermonate mit Hauerarbeiten abgelehnt, weil für den Kläger über die von der Beklagten bereits berücksichtigten Zeiten hinaus keine Zeiten hauergleicher Arbeit nachgewiesen sind. Die Revision und das SG gehen zu Unrecht davon aus, daß der Kläger auch in der Zeit vom 1. Januar 1941 bis zum 31. Juli 1946 Hauerarbeiten gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 HaVO verrichtet habe. Nach dieser Vorschrift verrichtet Hauerarbeiten unter Tage, wer als Elektro- oder Maschinenhauer oder mit gleicher Tätigkeit im Gedinge oder zu besonders vereinbartem Lohn im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- und Vorrichtung beschäftigt ist. Nun war zwar der Kläger nach den Feststellungen des LSG in der Zeit vom 1. Januar 1941 bis zum 31. Juli 1946 mit gleicher Tätigkeit wie ein Maschinenhauer beschäftigt. Nach der vorgenannten Vorschrift verrichtet aber ein Maschinenhauer nur dann Hauerarbeit, wenn er an den besonders aufgeführten Betriebspunkten beschäftigt wird. Nun hat das LSG festgestellt, daß der Kläger nicht ausschließlich an diesen besonderen Betriebspunkten beschäftigt war, sondern daß sein Arbeitskreis auch die Reparatur und Überwachung der Maschinen an anderen Betriebspunkten sowie im Lokschuppen umfaßte. Hierbei hat es zu Gunsten des Klägers unterstellt, daß diese letztgenannten Aufgaben den geringeren Teil seiner Arbeitszeit in Anspruch genommen haben, er also "überwiegend" an den privilegierten Betriebspunkten tätig gewesen ist. Mit Recht läßt aber das LSG einen solchen Umfang der Tätigkeit für die Anerkennung als Hauerarbeit nicht genügen. In § 1 Abs. 1 Nr. 2 HaVO selbst findet sich keine ausdrückliche Bestimmung darüber, ob eine ausschließliche Tätigkeit an den dort genannten Betriebspunkten verlangt wird oder ob auch eine zeitlich beschränkte, etwa eine "überwiegende" Tätigkeit ausreicht. Sinn und Zweck der Privilegierung der Hauerarbeiten ist aber die Entschädigung des Versicherten für den mit diesen Arbeiten verbundenen stärkeren Kräfteverschleiß und die erhöhte Gesundheitsgefährdung. Man muß annehmen, daß diese besondere Vergünstigung nur denjenigen Versicherten zugute kommen soll, die die genannten Tätigkeiten mit ihren Gefahren und Abnutzungen zumindest den wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit verrichtet haben. Wo nun in der HaVO die Verrichtung der Tätigkeit an einem bestimmten Betriebspunkt verlangt wird, geht der Verordnungsgeber insbesondere davon aus, daß diese Nachteile eben nur dort in entschädigungswürdigem Umfang eintreten. Hiernach kann es zweifellos nicht etwa genügen, daß der Versicherte überhaupt, wenn auch nur in geringem Umfang oder nur gelegentlich, an diesen Betriebspunkten beschäftigt ist. Da andererseits die Vorschrift keine zeitliche Abgrenzung enthält, Bestimmungen über die Gewährung von Sondervorteilen aber im Zweifel einschränkend auszulegen sind, ist anzunehmen, daß die Vorschrift davon ausgeht, daß die gesamte Tätigkeit des Versicherten gerade an diesen Betriebspunkten stattfindet. Eine nur zeitlich überwiegende Tätigkeit kann daher nicht genügen. Es muß vielmehr verlangt werden, daß die Tätigkeit des Versicherten zumindest im wesentlichen an diesen Stellen ausgeübt ... wird. Unschädlich ist es hierfür allerdings, wenn der Versicherte während eines nur unwesentlichen Teils seiner Arbeitszeit, sozusagen nur "nebenbei", auch an anderen Stellen tätig ist oder nur in Bedarfsfällen gelegentlich kurzfristig dorthin abgezogen wird. Nach den ausführlich begründeten und nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist das jedoch bei der Tätigkeit des Klägers in dem streitigen Zeitraum nicht der Fall gewesen.
Für diese einschränkende Auslegung spricht auch der Umstand, daß an anderer Stelle in der HaVO, nämlich in § 5 für die Tätigkeit bestimmter Aufsichtspersonen bewußt und eindeutig ausgesprochen ist, daß es genügt, wenn sie "überwiegend" unter besonderen Voraussetzungen erfolgt (s. a. v. Gellhorn/Orda/Peters, Anm. 8 zu § 1 HaVO). Umgekehrt ist ein gegenteiliger Umkehrschluß aus der Vorschrift des § 1 Abs. 1 Nr. 4 HaVO über die Tätigkeit des Schachthauers nicht möglich. Hier wird durch das "ständig" nur bestätigt, was auch ohnedies rechtens wäre. Der Gesetzgeber hat sich offenbar wegen der besonderen Verhältnisse bei der Arbeit des Schachthauers veranlaßt gesehen, dies noch ausdrücklich zu erwähnen, um solche Bergleute auszuschließen, die zwar als Schachthauer geführt werden, die eigentliche Schachthauertätigkeit aber nur im Bedarfsfall ausüben.
Daß das Gesetz an die Tätigkeit der Aufsichtspersonen insoweit weniger strenge Anforderungen stellt als an die der Maschinenhauer, hat seinen Grund erkennbar darin, daß der Aufgabenbereich dieser Aufsichtspersonen notwendig über die Tätigkeit an den besonderen Betriebspunkten hinausgeht. Wollte man also diesen Personenkreis nicht überhaupt von den mit der Hauerarbeit verbundenen Vorteilen ausschließen, so mußte man die Anforderungen für sie insoweit einschränken. Bei der maschinenhauergleichen Tätigkeit ist aber eine Beschränkung auf diejenigen Versicherten, die ihre Tätigkeit ausschließlich oder doch im wesentlichen an den besonderen Betriebspunkten verrichten, durchaus möglich, ohne die Hauptgruppe dieser Arbeiter grundsätzlich von den mit der Hauerarbeit verbundenen Vergünstigungen auszuschließen. Wenn hierin nach Ansicht des Klägers eine Begünstigung des in § 5 HaVO genannten Personenkreises liegt, so kann das jedenfalls nicht dazu führen, diese Begünstigung auch auf andere Versicherte, für die sie das geltende Recht nicht vorsieht, auszudehnen.
Schließlich kann die Ansicht des Klägers, eine nur "überwiegende" qualifizierte Tätigkeit müsse zur Anerkennung als Hauerarbeit ausreichen, auch nicht auf § 7 Nr. 3 HaVO gestützt werden. Nach dieser Sonderbestimmung wird eine "vorübergehende sonstige Beschäftigung" bis zur Dauer von drei Monaten im Kalenderjahr der Hauerarbeit gleichgestellt, wenn der Versicherte aus betrieblichen Gründen aus einer der in den §§ 1-6 HaVO bezeichneten Tätigkeiten herausgenommen worden ist. Hierbei handelt es sich eindeutig um eine Fiktion; eine Tätigkeit, die keine Hauerarbeit ist, soll aus besonderen Gründen versicherungsrechtlich wie eine Hauer- oder hauergleiche Arbeit behandelt werden, damit der Versicherte durch eine betriebsnotwendige vorübergehende Verlegung nicht benachteiligt wird. Es muß sich dabei aber um eine "Herausnahme" aus der betrieblich für den Versicherten als seine eigentliche Arbeit vorgesehenen und vom Gesetz als Hauerarbeit anerkannten Tätigkeit handeln. Für die Bestimmung dessen, was nach den §§ 1-6 HaVO Hauerarbeit ist, kann § 7 Nr. 3 HaVO nicht herangezogen werden. Diese Vorschrift erfaßt also nicht den hier vorliegenden Fall, in dem die betrieblich für den Versicherten vorgesehene, eigentliche Tätigkeit in nicht unwesentlichem Umfang auch Arbeiten umfaßt, die den Voraussetzungen für die Anerkennung als Hauerarbeit nicht entsprechen (gemischte Tätigkeit).
Die Revision war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 2380213 |
BSGE, 267 |